Mai 7th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Zeit für Europa § permalink
Das gegenwärtige Konstrukt namens Europäische Union entstand als eine wirtschaftliche Gebilde: EG — EWS — Ecu — EWU — EU (alles hier). Es veränderte und erweiterte sich zu einem politisch-bürokratischen Bund. Und lässt die Frage offen, wie sich die Gesellschaften (jenseits aller Nationen-Fragen) zueinander und miteinander verhalten. Dabei ist es höchste Zeit, sich dieser Frage zu nähern. Soll dieses Europa aus nebeneinander her existierenden, sich gelegentlich besuchenden Subgesellschaften gleich Städten oder Inseln bestehen? Oder soll sich eine gemeinsame Gesellschaft mit Vielheit entwickeln? Kann die europäische Verbindung der Gesellschaften ein utopisches Potenzial entwickeln — oder bleibt es der weitgehend skeptisch betrachtete, halbdemokratisch legitimierte bürokratische Moloch, dem man zwar — einer Versicherung gleich — angehört, mit dem man aber möglichst wenig zu tun haben möchte. Der zwar eine gemeinsame Währung, einen gemeinsamen Wirtschafts- und sich angleichenden Rechtsraum hervorbringt, gemeinsame Armeeteile aufstellt — aber nicht wirklich bei den Menschen ankommt.
Um damit zum Kernthema des Blogs zu kommen: Theaterleute wie Lessing waren es, die bei der Entstehung der Nation, die die Sprachgemeinschaft über die Standesdifferenzen setzen und Einheit herstellen sollte, das Wort führten. Dass die » Read the rest of this entry «
Mai 7th, 2010 § Kommentare deaktiviert für “Die Spekulanten sind unsere Gegner” § permalink
Ich habs gestern im Fernsehen gesehen und gehört. Es war keine Satiresendung, kein Merkel-Double, keine Montage. Es war die bleierne Kanzlerin, die so sprach (hier zu lesen). Und sie sprach weiter von einem “Kampf der Politik gegen die Märkte”. GEGEN die Märkte. Das sind im Übrigen doch dieselben Märkte, die alles regeln sollen. Selber. Ohne staatlichen Eingriff. Ja — die uns gar unsere Renten später in hohen Summen auszahlen werden. Und diese Märkte sind jetzt also die Gegner der Politik? Auch meine Gegner also? Finanziere ich mit der Riesterrente, den Kontoführungsgebühren und Überziehungszinsen — meine Gegner? Und die Politik hat die Macht verloren: “Wir müssen das Primat über die Märkte zurück gewinnen.” Na denn man zu, Pandora. Schau zu, wie der Salat wieder zurück in die Büchse kommt.
Momentan siehts doch so aus, als würden die priwatwirtschaftlichen Teilnehmer an den Märkten mit blütenweißer Weste und Gewinnen aus der Nummer heraus kommen — während die Staaten sich erst in unvorstellbare Garantiesummen verstricken, um diese Institute selbst zu retten und dann im nächsten Schritt » Read the rest of this entry «
Mai 5th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Drama um Geld und Macht — Griechengold und Rheingold § permalink
Nachdem ich am vergangenen Sonntag die Premiere des Rheingold in Frankfurt durchlangweilt habe, mich fragte, wie man einen solch konzeptionell hohlen, inszenatorisch ideenlosen, ausstattungsseitig antiquierten Schwachsinn in einem Theater zeigen kann, das keine 500 Meter von der Europäischen Zentralbank, in der sich zu just diesen Stunden tatsächlich eine gigantische Götterdämmerung von Geld und Macht anbahnte, zeigen kann, hab ich mir jetzt von der Tagesschau ein Video heruntergeladen und binde es hier ein, das diese echte Tragödie oder dieses Drama mit ganzer Wucht beginnen lässt: Streiks, brennende Banken, erste Tote. Und ein geschlossener Luftraum.
Das letztens hier beschriebene Thema rund um den Afghanistankrieg und die Teilnahme der deutschen Wehrpflichtarmee daran geht mir nicht aus dem Kopf. Insbesondere das extrem nachvollziehbare Phänomen, dass die deutschen Staatsbürger in Uniform dort in permanenter Angst (Merkel hier) leben, weil sie nicht wissen, was sie dort tun und sollen. Soldaten in Angst – ein Armutszeugnis für die Armee? Die coolen Warriors der Marines und die schneidigen britischen Guards machen einen so ganz anderen Eindruck. Das führt tatsächlich auf eine sehr fundamentale Frage – rund um die Demokratie, die Wehrpflicht, die Gesellschaft.
Friedfertige versus Berufskrieger
Wehrpflichtige – wie bereits bemerkt „durfte“ ich diese Erfahrung selbst machen – werden technisch im Gebrauch von Waffen, in soldatischer Koordination, ein wenig in Fitness unterwiesen. Das wars. Die Motivation zur Teilnahme im Kampf und Inkaufnahme aller Gefahren und Risiken wird vorausgesetzt: die kollektive Selbstverteidigung. Organisierte Notwehr. Wie man will. In unmittelbaren Gefahrensituation verteidigen sich auch friedfertigste Menschen gegen Angreifer. Wehrpflichtausbildung heißt: Friedfertigen Kriegsfertigkeiten beibringen.
Was nicht geschieht ist: die systematische Unterdrückung oder Ausschaltung der Tötungshemmung. Ebenso wenig die systematische Umprogrammierung der Gefahrenwahrnehmung und Selbsteinschätzung. Beides sind Ziel der Grundausbildung von Berufsarmeen wie den Marines oder der Legion. Es wäre fatal, würde die Bundeswehr diese Umprogrammierungen angehen. Nach Ende des Wehrdienstes würden Menschen aus der Armee entlassen, denen das Zusammenlebe in der Gesellschaft kaum mehr möglich ist – eben weil sowohl gelernte Tötungshemmung als auch Angstwahrnehmung extrem derangiert sind. In der gegenwärtigen Debatte wird dieser Unterschied in der Ausbildung übrigens durchaus erwähnt, allerdings in Form einer „Kritik an Ausbildungsdefiziten“.
Kriegsfertig machen
Die Ausbildung von Berufsarmeen setzt darauf, die Soldaten zu dressieren. Sitz, Platz, Fass. Stillgestanden, Marsch, Feuer. Zunehmend wird noch „Intelligenz“ bzw. Nachdenken gefordert – taktisches. Nicht grundsätzliches! In jeder Situation zu gehorchen. Motivation dieser Soldaten ist schlicht und einfach Geld. Ein Beruf. Ein Auskommen. Eine Art männliche Zwangsprostitution. Alles andere ist Drill und Gehorsam. Aus Friedfertigen werden Kriegsfertige gemacht.
Zwei interessante Sachverhalte dazu:
Friedfertige im Krieg
Im 2. Weltkrieg haben überhaupt nur überraschend wenig amerikanische Soldaten von ihren Waffen Gebrauch gemacht, noch weniger gezielt geschossen. Daraufhin wurde die Ausbildung grundlegend geändert: das gezielte Schießen auf sehr menschenähnliche Ziele wird als automatisierte Stressreaktion antrainiert: Beschossen werden – Angst – Stress – Aggression – Feuern. Das ist der eingeschliffene Mechanismus. Letztlich: Angst in Aggressive Gewalt umsetzen. Das sollte man einer Wehrpflichtarmee keinesfalls beibringen. Eine Gesellschaft, in der jede Angst- oder Stresssituation unmittelbar zu aggressiver Gewalt ohne Tötungshemmung führt – ist vermutlich keine wirklich Lebenswerte.
Intermezzo: Die genauen Zahlen und die genauen Hintergründe (gibt es eine Tötungshemmung oder – wie Reemtsma vor 4Jahren vortrug – gibt es sie nicht?) sind nicht so leicht online zu recherchieren. Ich bin auf einen ziemlich interessanten Artikel in einem sehr interessanten Organ gestoßen: Das Ulmer Echo, das Gefangenenmagazin der JVA Düsseldorf Ulmer Höh‘ veröffentlichte im Jahr 2000 einen Artikel „Pawlow’s Hund frisst Schuld“, der mit sehr spannenden Zahlen aufwartete: Im 2. Weltkrieg ( = allgemeine Wehrpflicht in USA) haben nur ca. 15 von 100 amerikanischen Infanteristen überhaupt ihre Waffe benutzt. (Diese Ergebnisse werden » Read the rest of this entry «