Abschaffung des Bargelds II: Entmachtung des Bürgers

Juni 14th, 2015 § 1 comment

Im ers­ten Teil des Bei­trags war geschil­dert wor­den, wie die bevor­ste­hen­de Abschaf­fung des Bar­gelds die Bür­ger auf Gedeih und Ver­derb den Geschäfts­ban­ken aus­lie­fert. In die­sem Teil soll nun gezeigt wer­den, dass die aktu­ell dis­ku­tier­te Vor­rats­da­ten­spei­che­rung ein Witz gegen das ist, was mit der Bar­geld­ab­schaf­fung bevor­steht. Hell­hö­rig dürf­te dabei machen, dass „Exper­ten“, die die Bar­geld­ab­schaf­fung for­dern, ins­be­son­de­re damit argu­men­tie­ren, dass damit Kri­mi­nel­le (ins­bes. Dro­gen­händ­ler) und Steu­er­hin­ter­zie­her getrof­fen wer­den. (z.B. hier).

 Steuern, Regierung und Bürger

Gemein­hin wer­den Steu­ern als läs­ti­ges Ärger­nis, als unge­recht­fer­tig­ter Zugriff auf das Pri­vat­ei­gen­tum, als Quel­le der Staats­ver­schwen­dung, als Aus­weis staat­li­cher Will­kür und was auch immer sonst betrach­tet. Das ver­kennt ihr Funk­ti­on auf fata­le Wei­se. Die Steu­er ist kom­mu­ni­ka­ti­ve Kern­be­zie­hung zwi­schen der Staats­funk­ti­on (kurz: Regie­rung) und den Nicht­re­gie­ren­den. Die Steu­er ist die Kern­be­zie­hung und his­to­ri­sche Kon­stan­te zwi­schen Regie­rung und X, wobei X sich aus Bür­gern, Besu­chern, Unter­neh­men, Händ­lern usw. varia­bel zusam­men­setzt. Es mag die­se Bezie­hung in ver­schie­de­nen Regio­nen und ver­schie­de­nen Zei­ten unter­schied­lich umfang­reich gestal­tet gewe­sen sein, es mögen Regie­run­gen und X mehr, weni­ger nahe­zu gar nichts oder nahe­zu alles mit­ein­an­der zu tun haben: Es gibt kei­nen Staat auf der Welt und in der Ver­gan­gen­heit, in dem es nicht eine Form von Steu­er­be­zie­hung gege­ben hat. Und die­se Kern­be­zie­hung ist und war immer eine Macht­be­zie­hung: Einer­seits die Regie­rung, die für ihr Funk­tio­nie­ren und Agie­ren Finanz­mit­tel benö­tigt, die sie im Wege der Steu­ern ein­zu­neh­men ver­sucht, die dem­entspre­chend Steu­er­ar­ten defi­niert und fest­setzt, Steu­er­hö­hen fest­setzt, Steu­er­re­geln, Ablie­fe­rungs­zei­ten und ‑for­men bestimmt. Ande­rer­seits die Grö­ße X, die mit die­sen For­de­run­gen und beauf­trag­ten Ein­trei­bern kon­fron­tiert ist und zu der natur­ge­ge­ben der ver­such gehört, die eige­ne Steu­er­last zu sen­ken, sich vor Zah­lun­gen zu drü­cken, die Beträ­ge zu sen­ken usw. Die­se Macht­be­zie­hung sucht per­ma­nent nach einem Gleich­ge­wicht und ist zumeist aus der Beob­ach­tungs­po­si­ti­on nicht im Gleich­ge­wicht, was dazu führt, dass es eine lau­fen­de steu­er­re­la­ti­ve Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Regie­rung und X gibt, weil das gemein­sa­me Gesprächs­the­ma (und: für bei­de Sei­ten exis­ten­zi­ell rele­van­te Gesprächs­the­ma) Steu­ern gibt. Es gäbe ohne Steu­ern für die Regie­rung kaum einen Grund mit X zu kom­mu­ni­zie­ren, noch für X einen Grund, sich an die Regie­rung zu rich­ten. Das gilt es vor­ab zu ver­ste­hen, wenn es dar­um geht, wie sich das Macht­ge­fü­ge zwi­schen Regie­rung und X ver­schiebt, wenn die Regie­rung Kom­plett­zu­griff auf alle steu­er­re­le­van­ten Finanz­da­ten von X (kurz: der Bür­ger) bekommt – wie, das sol­len die fol­gen­den Aus­füh­run­gen darlegen.

Finanzielle Vorratsdatenspeicherung

Ein ers­ter Hin­weis auf die weit grö­ße­ren Aus­wir­kun­gen der Bar­geld­ab­schaf­fung im Ver­gleich zur VDS ist schnell gemacht: Wäh­rend die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung, die gera­de dis­ku­tiert wird, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­bin­dungs­da­ten für eini­ge Wochen bei den Pro­vi­dern zu spei­chern plant, wer­den unba­re Zah­lungs­vor­gän­ge von Geschäfts­ban­ken durch gesetz­li­che Vor­ga­be 10 Jah­re (§257 HGB) gespei­chert. Unter­schied an die­ser Stel­le klar? Weni­ge Wochen (was tat­säch­lich bereits ein tie­fer Ein­griff in die Frei­heits­rech­te ist) ver­sus 10 Jah­re. 10 Jah­re lang muss die Geschäfts­bank alle Kon­to­be­we­gun­gen auf­he­ben. Und je mehr Zah­lun­gen bar­geld­los (EC-Kar­te, Über­wei­sung, Online, oder wie zukünf­tig auch immer) getä­tigt wer­den, des­to mehr Infor­ma­tio­nen lie­gen hier. Jaja, könn­te nun jemand ein­wen­den: doch nur Meta-Daten. Wer wem wann wie viel. Schau­en Sie sich die Kon­to­aus­zü­ge der letz­ten 10 Jah­re von einem Unbe­kann­ten an – Sie wer­den stau­nen, was dar­aus alles zu ent­neh­men ist. Weit­aus mehr als aus den ver­gleichs­wei­se pif­fi­gen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten. Hier näm­lich kön­nen Sie erse­hen, wer wofür wie viel Geld aus­gibt und aus­ge­ge­ben hat. Und wer in den letz­ten 10 Jah­ren wem Geld über­wie­sen wur­de, wer von wem Geld emp­fan­gen hat. Und die Ver­gleichs­set­zung zwi­schen Kon­to- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten ist inso­fern sowie­so Unfug, als es ja nicht um ein Ent­we­der-Oder geht. Die Kon­to­be­we­gun­gen wer­den 10 Jah­re gespei­chert, die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten kom­men hin­zu. Plus ggf. wei­te­re Datenquellen.

Auch der zwei­te Hin­weis ist rela­tiv ein­fach: Die VDS der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­da­ten umfasst „nur“ die in der elek­tro­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on ent­stan­de­nen Spu­ren – zugleich blei­ben ande­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men erhal­ten, wie etwa das münd­li­che Gespräch – das „Bar­geld“ der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ver­gfleich­bar mit der Abschaf­fung des Bar­gelds wäre also das Ver­bot, sich zur Kom­mu­ni­ka­ti­on irgend­wel­cher ande­rer Mit­tel zu bedie­nen, als über­wach­ba­rer elek­tro­ni­scher Ver­bin­dungs­ge­rä­te. Das Ver­bot des Bar­gelds kommt dem Ver­bot des per­sön­lich und direkt gespro­che­nen Worts unter blo­ßer Zuhil­fe­nah­me der Luft und des Schalls ziem­lich nahe – erwei­tert noch um die Vor­schrift, Denk­ak­te nicht mehr still zu voll­zie­hen, son­dern auch die­se (so sie denn statt­fin­den) aus­schließ­lich in elek­tro­nisch über­wach­ba­ren Umfel­dern in über­wach­ba­rer Form durch­zu­füh­ren. Es wird mit der Bar­geld­schaf­fung unmög­lich, Zah­lungs­ak­te vor­zu­neh­men ohne dabei elek­tro­ni­sche, spei­cher- und aus­wert­ba­re Arte­fak­te zu produzieren.

Der Zugriff auf die Bankdaten

Nun könn­te beschwich­ti­gend auf das Bank­ge­heim­nis ver­wie­sen wer­den, das es aller­dings nur noch in eini­gen nost­al­gi­schen Köp­fen gibt. Tat­säch­lich besteht die­ses Bank­ge­heim­nis für staat­li­che Stel­len kaum noch – für Geheim­diens­te mit ihren inzwi­schen bekannt gewor­de­nen tech­ni­schen Eigen­mäch­tig­kei­ten grund­sätz­lich nicht. Gehen Sie davon aus, dass die NSA Ihre Bank­da­ten hat (sofern sie sich dafür inter­es­siert). Und ähn­lich kom­pe­ten­te Geheim­diens­te bereits heu­te, weni­ger kom­pe­ten­te viel­leicht in 5–10 Jah­ren. Bereits in der Ver­gan­gen­heit wur­den immer wie­der Ein­schrän­kun­gen auch in Deutsch­land umge­setzt, was den Zugriff durch Finanz­be­hör­den unab­hän­gig von rich­ter­li­chen Durch­su­chungs­be­schlüs­sen beim begrün­de­ten Anfangs­ver­dacht auf eine Straf­tat betrifft. Es geht viel­mehr dar­um, die Kon­to­be­we­gun­gen dar­auf­hin zu unter­su­chen, ob sich ein Anhalts­punkt für einen Ver­dacht ergibt – der viel­zi­tier­te Gene­ral­ver­dacht mit Auf­he­bung der Unschulds­ver­mu­tung. Ein plat­ter Ver­gleich: Die Poli­zei durch­sucht regel­mä­ßig sämt­li­che Pro­vat­woh­nun­gen dar­auf­hin, ob sich Hin­wei­se erge­ben, die auf kri­mi­nel­les Ver­hal­ten hin­wei­sen – und beschlag­nahmt die gefun­de­nen Hin­wei­se, um sie anschlie­ßend als Bewei­se zu ver­wen­den. Die USA sind wie­der ein­mal einen Schritt weiter:

Der For­eign Account Tax Com­pli­ance Act (FATCA, beschlos­sen von den USA im März 2010) soll ver­hin­dern, dass US-Steu­er­pflich­ti­ge ihr Ver­mö­gen in aus­län­di­sche Steu­er­pa­ra­die­se schaf­fen. Der FATCA ver­pflich­tet in den USA ansäs­si­ge Ban­ken, auto­ma­tisch Namen, Anschrif­ten, Kon­to­stand und Kon­to­be­we­gun­gen von Anle­gern an die US-Steu­er­be­hör­de zu mel­den. (Wiki­pe­dia)

Es han­delt sich, kurz gesagt, um einen elek­tro­ni­schen Daten­aus­tausch, bei dem die Ban­ken auto­ma­tisch die Kon­to­be­we­gun­gen an das Finanz­amt mel­den. Die­sen Schritt ver­fol­gen nun auch die Staa­ten der EU:

Am 14. Okto­ber 2014 ver­ein­bar­ten alle Finanz­mi­nis­ter der EU-Staa­ten, das Bank­ge­heim­nis ab 2017 in Bezug auf Steu­er­hin­ter­zie­her abzu­schaf­fen. Zwi­schen den EU-Staa­ten wird ein auto­ma­ti­scher Daten­aus­gleich ver­ein­bart.[2]

Die­sel­be Bewe­gung voll­zieht sich im inter­na­tio­na­len Ver­hält­nis – um: Steu­er­hin­ter­zie­her zu ver­fol­gen. Gute Sache doch, oder nicht?

Der Staatsfeind des 21. Jahrhunderts: Der Steuerhinterzieher

Wer Steu­ern hin­ter­zieht, muss Geld haben. Wer hohe Steu­er­sum­men hin­ter­zieht, muss viel haben. Und scha­det mit die­ser sei­ner Hin­ter­zie­hung dem Gemein­we­sen – was es recht­fer­tigt, gegen ihn alle Mög­lich­kei­ten der Straf­ver­fol­gung ein­zu­set­zen. So oder so ähn­lich kann der momen­tan in vie­len Köp­fen vor­herr­schen­de Duk­tus zusam­men­ge­fasst wer­den. Und dar­an wäre weni­ger aus­zu­set­zen. Der Steu­er­hin­ter­zie­her ist jener Steuer­un­gläu­bi­ge, der das See­len­heil des Volks­kör­pers bedroht, wes­we­gen sei­ne Ver­fol­gung jen­seits rechts­staat­li­cher Stan­dards (etwa durch den Ankauf ille­gal beschaff­ter Bank­da­ten aus der Schweiz) gerecht­fer­tigt ist. Jagt ihn, den Volks­schäd­ling. Lau­tet die pole­mi­sche Gegenzeichnung.

Nüch­ter­ner betrach­tet gibt viel­leicht zwei­er­lei zu denken:

  1. Die größ­ten Ein­nah­me­aus­fäl­le ent­ste­hen nicht dadurch, dass einer 80 Mil­lio­nen hin­ter­zieht, son­dern dadurch, dass 80 Mil­lio­nen Bür­ger jeweils 10 Euro hin­ter­zie­hen. Rech­nen Sie nach. Das stimmt. Es ist also bei den Mas­sen der Klein­be­trä­ge in Sum­me mehr zu holen, als bei Herrn Hoe­neß oder Herrn Zum­win­kel. War­um sonst der gigan­ti­sche Auf­wand bei der Über­prü­fung der Ein­kom­mens­ver­hält­nis­se von Hartz IV-Antrag­stel­lern? Bis­her war es nicht effi­zi­ent, die Steu­er­fahn­dung auf klei­ne Ein­kom­men und Ihre paar Krö­ten anzu­set­zen. Ein auto­ma­ti­sier­ter Daten­ab­gleich hin­ge­gen kos­tet nahe­zu nichts. Außer die Privatsphäre.
  2. „Jaja, aber es geht ja doch um Untä­ter – um Steu­er­hin­ter­zie­her! Nicht um mich. Ich habe nichts zu ver­ber­gen.“ Gegen­fra­ge: Woher weiß die Behör­de, dass jemand ein Steu­er­hin­ter­zie­her ist, wenn sie nicht vor­her Hin­wei­se (aus den Kon­to­be­we­gun­gen) gesam­melt hat, die auf Steu­er­hin­ter­zie­hung deu­ten? Wie bei der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung ist auch hier das Grund­pro­blem, dass jeder als Steu­er­hin­ter­zie­her ver­däch­tigt und behan­delt wird. Und zwar genau so lan­ge, bis die Behör­de den ein­deu­ti­gen, unab­weis­li­chen und in alle Zukunft gül­ti­gen Beweis hat, dass kei­ne Steu­er­hin­ter­zie­hung vorliegt.
  3. „Ja, aber ich hin­ter­zie­he halt kei­ne Steu­ern, stört mich also nicht.“ – Nicht? Gar nicht? Wie weit ist der Weg zur Arbeit genau? Wie hieß das Buch­ge­schenk, dass Sie gera­de als „Wer­bungs­kos­ten“ abge­setzt haben? Was geben Sie Ihrem 16-jäh­ri­gen Sohn für das Schnee­schie­ben im Win­ter? Steu­er­erklä­run­gen sind Grau­zo­nen-Arte­fak­te. Waren es immer und wer­den es sein bis zur Bargeldabschaffung.
Fiskal-Terrorismus als Argument für die Totalüberwachung

Aber es geht letzt­lich nicht um die Steu­er­hin­ter­zie­hung – son­dern dar­um, dass damit staat­li­chen Behör­den der Zugriff auf sämt­li­che Bank­da­ten gewährt wird. Mit dem Hin­ter­grund der gesell­schaft­lich akzep­tier­ten Jagd auf Steu­er­hin­ter­zie­her (hat sie schon jemand „Fis­kal-Ter­ro­ris­ten“ genannt?). Und dass mit die­sem Kom­plett­zu­griff eben letzt­lich mehr bezweckt wird, als Steu­ern ein­zu­trei­ben. Genau das sagen die Befür­wor­ter ja in dan­kens­wer­ter Offen­heit (und mit der Hoff­nung auf ver­grö­ßer­te öffent­li­che Unter­stüt­zung): Es geht dar­um, den Dro­gen­han­del lahm zu legen, Schwarz­ar­beit aus­zu­mer­zen, Pro­sti­tu­ti­on zu ver­fol­gen, den Ziga­ret­ten­han­del abzu­schaf­fen, den Kauf und Ver­kauf bestimm­ter auf­wieg­le­ri­scher oder got­tes­läs­ter­li­cher Bücher wenn nicht zu ver­hin­dern, so doch nach­voll­zie­hen zu kön­nen. Rück­wärts für die letz­ten 10 Jah­re. Rich­tig, nicht alle der auf­ge­zähl­ten Zie­le wer­den von den Befür­wor­tern genannt – aber erst in die­ser Rei­hung und ihrer mög­li­chen Fort­füh­rung wird deut­lich, was der behörd­li­che Zugriff auf einen Daten­be­stand, in dem sämt­li­che Zah­lungs­be­we­gun­gen für 10 Jah­re gespei­chert sind, tat­säch­lich für Kon­se­quen­zen hat oder haben kann. Und das „kann“ reicht bei wei­tem aus, um sich dage­gen auf­zu­leh­nen. Wird die Bar­zah­lung abge­schafft, sind sämt­li­che Bezahl­vor­gän­ge trans­pa­rent für eine Regie­rung, die dar­auf zugrei­fen will. Und für „befreun­de­te“ Regie­run­gen. Und für nicht-befreun­de­te Regie­run­gen mit hin­rei­chen­den tech­ni­schen Fähig­kei­ten ihrer Geheimdienste.

Und die Kriminellen?

Wer­den Kri­mi­nel­le sich das Hand­werk legen las­sen, weil es kein Bar­geld mehr gibt? So dumm sind Sie nicht. Es ste­hen ihnen hin­rei­chen­de Mög­lich­kei­ten zur Verfügung:

  1. Gold
  2. Eige­ne Parallelwährung
  3. Zen­tra­le Buch­hal­tung mit eige­nem Buch­geld im Tele­fon­ban­king­ver­fah­ren … in Paler­mo vielleicht?
  4. Kryp­to­wäh­run­gen

Und sicher noch vie­le wei­te­re krea­ti­ve Lösun­gen, die sicher­stel­len, dass „die Ver­bre­cher“ sich umor­ga­ni­sie­ren und wei­ter machen – was Otto Nor­mal­bür­ger nicht kann.

Erstes Fazit

Regie­run­gen und Behör­den gewin­nen durch Zugriff auf Kon­to­be­we­gun­gen der letz­ten 10 einen immensen Macht­zu­wachs in einem Zeit­al­ter, in dem Bezah­lung nur noch durch Buchung zwi­schen Geschäfts­ban­ken mach­bar ist. Der auto­ma­ti­sier­te Daten­aus­tausch von Finanz­amt und Ban­ken wird dar­auf hin­aus­lau­fen, dass die im Steu­er­sys­tem jeder­zeit vor­han­de­nen Grau­zo­nen ein­sei­tig klar­ge­stellt wer­den. Das Finanz­amt ent­schei­det, wel­che Buchung steu­er­lich rele­vant, wel­che steu­er­lich abzugs­fä­hig ist. Das ist nicht wei­ter schlimm, weil es doch eh so ist, dass das Finanz­amt Beschei­de erlässt? Dann wird der ers­te Bescheid span­nend, den Bür­ger für Ihr Bank­kon­to erhal­ten, auf dem sämt­li­che Zah­lungs­vor­gän­ge aus­ge­wie­sen sind. Der Bür­ger wird dabei kei­ne Betei­li­gung haben. Wer jemals in den Über­prü­fungs­me­cha­nis­men von Sozi­al-/Ar­beits­amt und Hartz IV ein­ge­bun­den war als „Kun­de“, weiß, was die­se Kom­plet­tent­mün­di­gung heißt. Vor dem Finanz­be­am­ten jede Zah­lung erklä­ren zu dür­fen. Der Staat wird dann nicht mehr zur Sank­ti­ons­macht für (ange­zeig­tes oder von Amts wegen ins Visier gera­te­nes) Fehl­ver­hal­ten. Der Staat wird zur Regu­la­ti­ons­macht, der Fehl­ver­hal­ten unter­bin­det. Das nennt man tota­le Dik­ta­tur: der Staat dik­tiert das Ver­hal­ten, anstatt Fehl­ver­hal­ten aus frei­em Ent­schluss zu sanktionieren.

Selbst wenn man aktu­el­len Regie­run­gen den Miss­brauch (aus wel­chen Grün­den auch immer) nicht zutraut, bedeu­tet das: auf den Miss­brauch zu war­ten. Das blo­ße Vor­han­den­sein von Instru­men­ten wie der durch Bar­geld­ab­schaf­fung her­bei­ge­führ­ten Total­trans­pa­renz ist wie die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung bereits der Miss­brauch. Noch­mal: Die Instru­men­te müs­sen nicht aktiv miss­braucht wer­den, ihr Besitz ist bereits Miss­brauch. So wie Dro­gen­be­sitz eben­falls straf­bar war und (zumin­dest teil­wei­se) ist. Waf­fen­be­sitz ohne behörd­li­che Geneh­mi­gung ist eine Straf­tat. Und genau­so sind es Vor­rats­da­ten­spei­che­rung und Bar­geld­ab­schaf­fung, die die Daten­ba­sis für eine ver­dachts­un­ab­hän­gi­ge Total­über­wa­chung (zusam­men mit Bewe­gungs­da­ten, Kran­ken­ak­ten, Online-Shop­ping-Histo­ry usw.) lie­fern und nicht nur zugriffs­fä­hi­gen Geheim­diens­ten unter­schied­lichs­ter Län­der und Absich­ten einen para­die­si­schen Infor­ma­ti­ons­reich­tum lie­fern: son­dern der gene­ra­li­sier­ten Schuld­ver­mu­tung in der Bezie­hung der Regie­rung zu X den Weg bereiten.

Zweites Fazit

Die Macht­be­zie­hung zwi­schen Regie­rung und X, deren his­to­ri­scher und glo­ba­ler Kern die Steu­er­be­zie­hung war und ist, wird grund­le­gend umde­fi­niert, wenn durch Bar­geld­ab­schaf­fung eine Infor­ma­ti­ons­ba­sis für den Behör­den­zu­griff bereit gestellt wird, die nicht nur der Regie­rung ein­sei­tig die Berech­nung der Steu­er auf Grund­la­ge der Daten ohne freie Betei­li­gung von X erlaubt, son­dern zugleich noch mit der Begrün­dung „Straf­ta­ten kön­nen ver­hin­dert wer­den“ der Zugriff auf die­se Daten zum Steue­rungs­ele­ment für die Gesell­schaft als Gan­zes und den ein­zel­nen Bür­ger wird – inklu­si­ve Rück­griff auf die letz­ten 10 Jah­re. Inklu­si­ve der Mög­lich­keit des geheim­dienst­li­chen Zugriffs aus jedem dazu befä­hig­ten und dar­an inter­es­sier­ten Land. In Kom­bi­na­ti­on von die­sen kom­plet­ten Finanz­be­we­gun­gen mit der Spei­che­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­vor­rats­da­ten, der Bewe­gungs­da­ten durch Mobil­te­le­fo­ne und ande­re Devices ent­steht eine daten­ba­sier­te Akte, die es Regie­run­gen ein­sei­tig und ohne Betei­li­gung des zu Beur­tei­len­den erlaubt, auto­ma­ti­sier­te Beur­tei­lun­gen vor­zu­neh­men und Ent­schei­dun­gen zu fäl­len, an denen der­je­ni­ge, den die Ent­schei­dung betrifft, nicht in der Ent­schei­dungs­fin­dung teil­nimmt und Gehör fin­det. Son­dern in der er schlicht und ein­fach Gegen­stand oder Opfer der Ent­schei­dung wird. Ende der Demokratie.

Die Her­aus­for­de­rung die­ser neu­en Gestalt der Kon­troll­ge­walt liegt dar­in, dass sich die Regie­rung hier nicht als tra­di­tio­nel­le Zen­sur- oder Unter­drü­ckungs­ge­walt zeigt. Das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung ein­zu­schrän­ken ist nicht das Ziel einer Kon­troll­in­stanz, so wenig wie es Ziel von U‑Bahn-Kon­trol­leu­ren ist, den Zutritt zu U‑Bahnen ohne gül­ti­gen Fahr­aus­weis unmög­lich zu machen. Die Kon­troll­ge­sell­schaft setzt nicht nur das Recht son­dern auch die Pra­xis der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung und der frei­en Bewe­gung vor­aus – um aus den Spu­ren, die die Wahr­neh­mung die­ser Rech­te hin­ter­lässt, eine Ver­dachts­ak­te zu kon­stru­ie­ren, deren Exis­tenz dem Ver­däch­ti­gen bewusst, die ihm aber nicht kon­kret bekannt ist, deren Inhal­te und dar­aus mög­li­cher­wei­se abge­lei­te­ten Vor­wür­fe oder Ver­däch­ti­gun­gen er nicht kennt. Er (oder: sie) befin­det sich in einem per­ma­nen­ten Ermitt­lungs­ver­fah­ren, dem er/sie mög­li­che Anhalts­punk­te lie­fert, ohne auf ein Recht zur Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rung geschwei­ge denn auf Unschulds­ver­mu­tung bestehen zu kön­nen. Ich emp­feh­le Klaus Kus­anow­skys Über­le­gun­gen zur Para­noia und Über­wa­chung, um den Impli­ka­tio­nen die­ser ver­än­der­ten Bezie­hung zwi­schen Regie­rung und X detail­lier­ter zu fol­gen, der etwa schreibt: „Die Frei­heit wird nicht mehr ver­hin­dert, son­dern sie kann jeder­zeit den­je­ni­gen zum Nach­teil aus­ge­legt wer­den, die sich ihrer bedie­nen. Die Nut­zung und Ach­tung von Frei­heit kann nun ver­däch­tig machen und nicht mehr die Miss­ach­tung von Sicher­heits­re­geln.“ (hier)

 

Gesamt­fa­zit

Wer sich gegen die Bar­geld­ab­schaf­fung nicht wehrt, weil es prak­ti­scher sei und man doch nichts zu ver­ber­gen habe, wird sich auch nicht gegen die Abschaf­fung der Mei­nungs­frei­heit weh­ren: weil den­ken anstren­gend sei und man im Übri­gen eh kei­ne eige­ne Mei­nung habe.

 

§ One Response to Abschaffung des Bargelds II: Entmachtung des Bürgers

  • Lucas sagt:

    Schö­ner Arti­kel, ins­be­son­de­re das Fazit 

    “Wer sich gegen die Bar­geld­ab­schaf­fung nicht wehrt, weil es prak­ti­scher sei und man doch nichts zu ver­ber­gen habe, wird sich auch nicht gegen die Abschaf­fung der Mei­nungs­frei­heit wehren”

    fasst das Gesag­te für zusam­men. Ich möch­te jedoch ein­wen­den oder viel­leicht eher hin­zu­fü­gen, dass eine ver­än­der­te Wort­wahl hilf­reich wäre, näm­lich die Unter­schei­dung zwi­schen indi­vi­du­el­lem und insti­tu­tio­nel­len Geld/Bankgeld. Bar­geld wird näm­lich im Regel­fall u.a. nicht auf die erwähn­ten Kryp­to­wäh­run­gen bezo­gen, der Steue­rungs­cha­rak­ter ist hin­ge­gen iden­tisch. Bank­geld funk­tio­niert nur über die Insti­tu­ti­on, die die Über­wei­sung bestä­tigt, sie ist nur Besitz solan­ge die Bank sie gewährt. Bank­geld gehört uns in etwa so wie uns Daten auf einer Drop­box gehö­ren: Inso­fern müss­ten wir auch weni­ger von einer Abschaf­fung des Bar­geld spre­chen (das wird es immer geben), denn von einer Ver­pflich­tung zur Verdatung. 

    Vie­len Dank noch­mal für den nach­denk­lich stim­men­den Artikel.

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