Aufspaltung und Stabilisierung der Demokratie durch Fernsehen #MediaDivina

Juni 28th, 2013 Kommentare deaktiviert für Aufspaltung und Stabilisierung der Demokratie durch Fernsehen #MediaDivina

Ein Sky­po­nat mit Klaus Kus­anow­sky bringt mich dazu einen Gedan­ken her­un­ter­zu­schrei­ben, der mir schon län­ger durch den Kopf geht und der Teil eines grö­ße­ren Pro­jek­tes mit dem Arbeits­ti­tel „Moni­to­ri te salu­tant – Über­wa­chen und Fern­se­hen“ ist. Näm­lich den Folgenden:

Nip­kows „elek­tri­sches Tele­skop“, als das das Fern­se­hen hier bereits mehr­fach beschrie­ben wur­de (hier und hier), leis­tet die Aus­st­an­zung aus dem poten­zi­ell wahr­nehm­ba­ren Kon­ti­nu­um durch das Kame­ra­ob­jek­tiv, die Mar­kie­rung eines Aus­schnit­tes als her­aus­ra­gend und zugleich die Über­tra­gung die­ses Bil­des in einen unmar­kier­ten Raum, d.h. in Räu­me, in denen Zuschau­er vor ihren Hei­li­gen­schrei­nen die Nach­rich­ten verfolgen.

Die­se Struk­tur ist für die demo­kra­ti­sche Ver­fas­sung von Staa­ten des spä­ten 20. Jahr­hun­derts von fun­da­men­ta­ler Bedeu­tung. Lässt man nicht allei­ne wört­lich Demo­kra­tie aus Demos, den Beherrsch­ten, und Kra­tos, den Herr­schen­den bestehen, so ist die Auf­tei­lung in die­se bei­den funk­tio­na­len Posi­tio­nen alles ande­re als selbst­ver­ständ­lich. Wie kommt es, dass eine Grup­pe zu Kra­tos wird und in die­ser Funk­ti­on sta­bi­li­siert wird, wie kann der Rest sich im unmar­kier­ten Raum der Bevöl­ke­rung, des Demos, wie­der­fin­den – wenn nicht (im spä­ten 20. Jahr­hun­dert jeden­falls) durch das Fernsehen?

Die Ega­li­tät der Bevöl­ke­rung für den Herrscher

Im vor­de­mo­kra­ti­schen Zeit­al­ter waren die Din­ge klar: in die Herr­schaft wur­de der Herr­scher hin­ein­ge­bo­ren, umge­ben von einer Grup­pe von poten­zi­ell Herr­schafts­fä­hi­gen, mit eige­nen (mehr oder min­der begrenz­ten) Herr­scher­be­fug­nis­sen in begrenz­ten Ter­ri­to­ri­en aus­ge­stat­tet. Der Pöbel war durch dicke Mau­ern und bewaff­ne­te Wäch­ter aus­schließ­bar. Dass über­haupt Herr­schaft statt­fand, dass abso­lu­te Macht (wenn schon kein Abso­lu­tis­mus) herrsch­te, muss­te der Herr­scher von Zeit zu Zeit aktua­li­sie­ren: Mit­tels Steu­er­ein­trei­bung und Armee­aus­he­bun­gen etwa. Oder in Zwi­schen- und Frie­dens­zei­ten durch Erlas­se und Ver­ord­nun­gen, die ver­viel­fäl­tigt in die letz­ten Win­kel des Lan­des getra­gen und dort an Kir­chen- oder Rat­haus­tü­ren gena­gelt und von Kan­zeln ver­le­sen wur­den. Dass die­sen Ver­fü­gun­gen kaum prak­ti­sche Bedeu­tung zukam, wie neue­re Stu­di­en über den Mythos des Abso­lu­tis­mus zei­gen, lag dar­an, dass der Zen­tral­herr­scher kei­ne hin­rei­chen­de Orga­ni­sa­ti­on hat­te, um die Ver­brei­tung und ins­be­son­de­re Ein­hal­tung der Ver­fü­gun­gen über­prü­fen und sich mit­tei­len zu las­sen, kei­ne loka­len Mäch­te in hin­rei­chen­der Zahl, um über­all die Ein­hal­tung durch­zu­set­zen. Die Ver­ord­nun­gen an ihren Nägeln waren der Exis­tenz­be­weis der Herr­schaft. Die Nicht­ein­hal­tung, das Quit­tie­ren eines zen­tra­len Edikts durch Ach­sel­zu­cken durch die Bevöl­ke­rung war sei­ne Schwä­che. In einem inter­es­san­ten Auf­satz schreibt Achim Landwehr:

Die media­len Mög­lich­kei­ten der Publi­ka­ti­on und Ver­brei­tung sol­cher Befeh­le waren ver­hält­nis­mä­ßig begrenzt und bestan­den vor­nehm­lich im Aus­hang und der öffent­li­chen Ver­le­sung. Angsichts einer all­ge­mein als gering zu ver­an­schla­gen­den Alpha­be­ti­sie­rung kam vor allem der Ver­le­sung, ob sie nun vom Rat­haus oder von der Kir­chen­kan­zel von­stat­ten ging, ein recht hoher Stel­len­wert zu. Hier stell­te sich aber ein wei­te­res, kaum zu unter­schät­zen­des und auch zeit­ge­nös­sisch bereits the­ma­ti­sier­tes Pro­blem: Wie ließ sich garan­tie­ren, daß bei­spiels­wei­se nach einem Got­tes­dienst die Auf­merk­sam­keit der zuhö­rer­schaft noch hoch genug war, um einer län­ge­ren Ver­le­sung von Poli­ce­y­ver­ord­nun­gen mit der nöti­gen Auf­merk­sam­keit zu fol­gen? Wenn die Anwei­sun­gen nicht weni­ger Poli­ce­y­ver­ord­nun­gen, die­se im vol­len Wort­laut vor­zu­le­sen, tat­säch­lich befolgt wur­den, dann konn­te selbst vom bes­ten Gedächt­nis kaum ver­langt wer­den, sich den Inhalt mehr­sei­ti­ger, münd­lich vor­ge­tra­ge­ner Ver­ord­nun­gen zu mer­ken. Auch ande­re Fak­to­ren stan­den der unge­teil­ten Auf­merk­sam­keit ent­ge­gen, die eine Vor­le­sung herr­schaft­li­cher Nor­men ver­lang­te: Die Zuhö­ren­den waren bei der Bekannt­ma­chung unkon­zen­triert, sie ver­lie­ßen Kir­che oder Rat­haus­platz früh­zei­tig oder waren erst gar nicht erschie­nen, die Vor­le­sen­den ver­stan­den zum Teil selbst nicht, was sie vor­la­sen, geschwei­ge denn, dass die Umste­hen­den es begrif­fen. Anschlä­ge wur­den abge­ris­sen, Amt­leu­te kamen dem Befehl zur Publi­ka­ti­on erst gar nicht nach, oder die Ver­le­sung in Kir­chen wur­de ein­ge­schränkt, weil sie die Kirch­gän­ger ver­wirr­te und das in der Pre­digt Gehör­te ver­dräng­te. Eine mög­li­che Lösung, um die­se Unwäg­bar­kei­ten zu umschif­fen, hieß: Wiederholung. {…}

Dies vor­aus­ge­setzt, läßt sich das für den Abso­lu­tis­mus wesent­lich wich­ti­ge­re Pro­blem ange­hen, wie Poli­ce­y­ord­nun­gen nach einer sol­chen, nicht sel­ten wie­der­hol­ten Publi­ka­ti­on in die Gesell­schaft ein­wir­ken konn­ten. Mit ande­ren Wor­ten: Gelang auf die­sem Weg eine Zen­tra­li­sie­rung der mon­ar­chisch-staat­li­chen Gewalt und eine Dis­zi­pli­nie­rung der Unter­ta­nen im abso­lu­tis­ti­schen Sinn oder war die­ses Unter­fan­gen von vorn­her­ein zum Schei­tern ver­ur­teilt? Nach mei­nen bis­he­ri­gen kri­ti­schen Anmer­kun­gen zu Kon­zept und Begriff des Abso­lu­tis­mus wird es nicht über­ra­schen,  wenn ich in Über­ein­stim­mung mit jün­ge­ren For­schun­gen zur Imple­men­ta­ti­on früh­zeit­li­cher Nor­men nicht davon aus­ge­he, daß die Unter­ta­nen­schaft im Sin­ne der For­mu­lie­run­gen ent­spre­chen­der poli­ti­scher Pro­gram­me obrig­keit­lich dis­zi­pli­niert wur­de. (Abso­lu­tis­mus oder “gute Policey“in: Abso­lu­tis­mus, ein uner­setz­li­ches For­schungs­kon­zept? 211f.)

Die „sint­flut­ar­ti­gen Mas­sen“ (Land­wehr) von Poli­ce­y­ver­ord­nun­gen hin­gen von der Bereit­schaft der Bevöl­ke­rung ab, sie zu akzpe­tie­ren nach­dem sie von ihnen bewer­tet und ggf. als sinn­voll erach­tet wur­den. Eine „dra­ko­ni­sche“ Rechts­ord­nung ließ sich auf ihnen in der Flä­che nicht auf­bau­en. Wozu auch? Wei­test­ge­hend konn­te dem Regen­ten das Volk  eben­so egal sein, wie der Bevöl­ke­rung der Regent. Als gele­gent­li­che Macht­de­mons­tra­ti­on dien­ten die Straf­ex­zes­se und gewalt­tä­ti­gen Über­grif­fe des Thea­ters der Stra­fen, von denen Fou­cault kün­de­te. Oder die Prunk­aus­fahr­ten mit Leib­gar­de, die die eng­li­sche Köni­gin noch heu­te voll­zieht. Dem Herr­schen­den konn­te das Volk eben des­halb egal sein, weil er in sei­ner Macht nicht abhän­gig war von ihm. Er herrsch­te durch Got­tes (angeb­li­che) und sei­ner aris­to­kra­ti­schen Her­kunft und Umge­bung Gna­den. Es lohn­te sich, ein Auge auf Intri­gan­ten und Empö­rer am eige­nen Hofe zu haben. Die Bevöl­ke­rung im Blick zu haben, lohn­te sich kaum – jeden­falls solan­ge nicht, wie die Bevöl­ke­rung nicht den Regen­ten und sei­ne aris­to­kra­ti­sche Umge­bung köpf­te und sich selbst an sei­ne Stel­le setzte.

Die Auf­spal­tung der Bevölkerung

Mit die­sem revo­lu­tio­nä­ren Akt, der Köp­fung der gebo­re­nen Herr­scher und der Selbst­be­haup­tung des demo­kra­ti­sche­ren Staats­ge­bil­des erst ent­stand die Not­wen­dig­keit, die Pos­ti­on des Kra­tos zu beset­zen, der aus der Mas­se her­vor­trat und die­se Funk­ti­on über­nahm. Und der durch sein Her­aus­tre­ten aus der Mas­se nicht nur die Posi­ti­on des Kra­tos – wie die des Schau­spie­lers auf der Büh­ne – besetz­te, son­dern der zugleich auch den unmar­kier­ten Raum des Demos als Publi­kum defi­nier­te. Kra­tos tritt her­aus und begrün­det alle, die Nicht-Kra­tos sind als (zuschau­en­den) Demos. Die demo­kra­ti­sche Wahl ist eben jener Akt, der nicht nur im regel­mä­ßi­gen Abstand die­sen Pro­zess der Zwie­spal­tung in Kra­tos und Demos, von der ich hier bereits schrieb, voll­zieht, son­dern der zudem noch bestimmt, wer für eine bestimmt in der Posi­ti­on des Kra­tos sein soll.

Wie aber sta­bi­li­siert sich zwi­schen­zeit­lich, zwi­schen den demo­kra­ti­schen Wahl­ri­ten die Spal­tung von Kra­tos und Demos, ohne zurück­zu­fal­len in die Mon­ar­chia? Wie also lässt sich eine Spal­tung einer­seits als Spal­tung auf­recht­erhal­ten, zugleich ver­hin­dern, dass eine Abspal­tung stattfindet?

Die Auf­spal­tung durch das elek­tri­sche Teleskop

Es ist zu Anfang die Pres­se, der Jour­na­lis­mus, die nun­mehr beginnt, einer­seits durch die Ver­wand­lung des Kra­tos in den Refe­ren­ten der Bericht­erstat­tung und Ein­bet­tung in erzähl­te Geschich­ten die Spal­tung in berich­tens­wer­ten Kra­tos und lesen­den Demos vor­zu­neh­men, die aber zugleich durch die Ein­bli­cke und die lau­fen­de Bericht­erstat­tung jenen Ein­druck von Nähe schafft, der den Unter­schied gegen­über der Vor­zeit macht. Die Exis­tenz braucht Kra­tos jetzt nicht mehr unbe­dingt durch Edik­te zu bewei­sen – die­ser Beweis wird ihm abge­nom­men durch Jour­na­lis­mus, der zugleich von sei­ner Exis­tenz kün­det, ihn als Berich­te­ten ent­fernt und doch zugleich nahe­bringt. Kra­tos braucht sich nicht auf das Risi­ko einer Ver­ord­nung ein­zu­las­sen, die befolgt oder nicht befolgt wer­den und damit sei­ner Herr­schaft gefähr­lich wer­den kann. Sei­ne Prä­senz in der Flä­che gewinnt er dadurch, dass über ihn Geschich­ten und Legen­den erzählt werden.

Die­ser jour­na­lis­ti­schen Zei­tungs­fi­gur – unbe­dingt zu ergän­zen durch die Thea­ter­kul­tur des 19. Jahr­hun­derts, die die­se Spal­tung in Akteu­re und Publi­kum eben­falls voll­zieht, die einem „Recht auf Ein­sicht“ des Demos einer­seits das Recht auf Dar­stel­lung und (Re-)Präsentation des Kra­tos gegen­über­stellt – wäre nach­zu­ge­hen, was aber hier nicht gesche­hen soll. Denn die For­ma­ti­on zeigt sich auch im Fern­se­hen des spä­ten 20. Jahr­hun­derts in aller Deut­lich­keit (und als Ver­bin­dung von Zei­tung und Thea­ter). Das elek­tri­sche Tele­skop setzt sich zwi­schen Kra­tos und Demos, spal­tet bei­de so auf, dass die Posi­tio­nen von Demos und Kra­tos getrennt sind – und den­noch eben ver­eint in der Demo­kra­tie und dem Fern­se­hen. Das Tele­skop ist Tren­nungs­mit­tel und Bin­de­glied. Es ist tren­nen­de und ver­bin­den­de Scheibe.

Das Tele­skop rich­tet sein Objek­tiv auf Kra­tos, den es eben dadurch lau­fend, all­abend­lich her­aus­hebt aus der Mas­se des Demos und über­trägt ihn in die Hei­li­gen­schrei­ne. Kra­tos ist – wie die Göt­ter der Anti­ke – nur was er ist, indem über ihn berich­tet wird. Kei­ner mag Zeus gese­hen haben, kei­ner den Bun­des­kanz­ler oder den Prä­si­den­ten. Allein im Bericht zei­gen sie sich. Und wer­den dadurch, dass sie als Refe­ren­ten des Berichts her­aus­ge­stanzt wer­den aus dem Kon­ti­nu­um auf der leuch­ten­den Matt­schei­be ver­klärt. Auf jeder Matt­schei­be in jedem Wohn­zim­mer. Wie die alte Ver­ord­nung, das (ver­such­te) Macht­wort des Mon­ar­chen, das an der Kir­chen­tür hängt, wird nun sein flim­mern­des Bild auf den Hei­li­gen­schrei­nen zum lau­fen­den Beweis sei­ner Exis­tenz „anders­wo“. Zu sei­ner „Rea­li­tät“ – ohne dass er dabei eine Macht­pro­be befürch­ten müss­te wie noch zu Zei­ten, da sein Edikt igno­riert wer­den konnte.

Die unmar­kier­te Mas­se des Demos kon­sti­tu­iert sich als Fern­seh­pu­bli­kum, die eben vor und nicht auf der Matt­schei­be ist. Es ist jene Mas­se des „bar­di­schen Fern­se­hens“ (John Fis­ke), die sich all­abend­lich vor dem Lager­feu­er ver­sam­melt, das in allen Wohn­zim­mern steht und das unmar­kier­te Ende des elek­tri­schen Tele­skops dar­stellt.  Der Fern­se­her leis­tet die Tren­nung zwi­schen Demos und Kra­tos und ver­eint sie zugleich in der Demo­kra­tie. Man soll­te den Fern­se­her viel­leicht doch nicht unter­schät­zen, wenn die Demo­kra­tie zur Dis­kus­si­on steht – und sei­ne Funk­ti­on als Deka­denz oder gar Aus­weis der Post­de­mo­kra­tie zu ver­ste­hen, ist zumin­dest vor­schnell, ver­mut­lich aber ein­fach dumm.

 

 

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