Die Kapitalverbrechen der Leistungsgesellschaft — anlässlich einer Debatte bei weissgarnix

Juli 29th, 2010 § 13 comments § permalink

“Um es im Leben zu etwas zu bringen,
muss man früh aufstehen,
bis in die Nacht arbei­ten — und Öl finden.”
J.P.Getty

Bei weiss­gar­nix hat­te Hans Huett ges­tern (hier (Update 2015: Weiss­gar­nix-Blog inzwi­schen off­line)) die Fra­ge gestellt, wer Nach­fol­ger des Geld­fäl­scher als Kai­tal­ver­bre­cher des Kapi­ta­lis­mus in einer nächs­ten Gesell­schaft wohl Opfer der Hexen­jagd- und ver­bren­nung sein wird. Dazu hat­te im mich in eini­gen Kom­men­ta­ren geäu­ßert, will aber hier noch ein­mal zusam­men­hän­gend und über­dacht eine Ant­wort ver­su­chen, weil mir die Fra­ge enorm span­nend erscheint.

Vor­ab: Ich hal­te die Rede von der „nächs­ten Gesell­schaft“ für gefähr­lich, weil sie unter­stellt, Geschich­te sei eine natur­ge­setz­lich-schick­sal­haf­ter Pro­zess, den es zu ertra­gen oder durch Pro­phe­tie vor­her­zu­se­hen gäbe. Eine vor­wärts­ge­wand­te His­to­rie also (um einen Spruch von Schle­gel auf den Kopf zu stel­len). Das ist inso­fern gefähr­lich, als Zukunft immer das Gesamt der Hand­lun­gen und Wün­sche der Men­schen ist, die rea­li­siert wer­den (könn­ten). Sich dem Pro­zess wil­len­los hin­zu­ge­ben, heißt, sich zum Opfer zu machen, wo noch gar kei­ne Opfer gefragt sind. Oder einem Cha­ris­ma­ti­ker die Tür zu öff­nen, der nichts ande­res ver­spicht, als den schein­ba­ren Zau­ber­trick zu beherr­schen, das natur­ge­setz­li­che Schick­sal durch Wil­lens­kraft bän­di­gen zu kön­nen, als sei es ein wil­des Pferd. Tat­säch­lich ist es noch immer die gemein­schaft­li­che Anstren­gung, die Mei­nungs­bil­dung und gemein­schaft­li­che Wil­lens­durch­set­zung durch Beauf­tra­gung einer Regie­rung (und hei­ße sie Mer­kel), die die Zukunft gestal­tet und dar­über ent­schei­det, ob es eine nächs­te Gesell­schaft gibt und wie sie aus­se­hen wird.

Zwei­tens vor­ab: Ich glau­be, dass die Rede vom Kapi­ta­lis­mus – so sehr sie volks­wirt­schaft­lich, gesamt­wirt­schaft­lich, finanz­wirt­schaft­lich noch Wich­ti­ges in den Blick zu neh­men ver­mag – gesell­schafts­kri­tisch aus­ge­dient hat. Wer die Begriff­lich­kei­ten noch auf­recht erhält, ver­sucht den Begriff des Rei­chen unter den des Kapi­ta­lis­ten zu schie­ben. Der klas­si­sche Kapi­ta­list als der Besit­zer der Pro­duk­ti­ons­mit­tel, der die Mehr­wert­pro­duk­ti­on in sei­ne Taschen und sein Geld­ver­mö­gen umzu­lei­ten ver­steht, ist außer­halb des Mit­tel­stan­des wei­test­ge­hend aus­ge­stor­ben. Eben­so der Pro­le­ta­ri­er. Bei­de Sei­ten haben sich auf­ge­spal­ten: Der Kapi­ta­list in die Aktio­närs­ge­mein­schaft der „Besit­zer“, die recht eigent­lich Mie­ter des Unter­neh­mens sind und für ihre Mie­te ent­lohnt wer­den durch Stei­ge­rung des Wert des Miet­ge­nuss­schei­nes sowie durch Divi­den­de, und in den Mana­ger, der das Unter­neh­men lei­tet, aber es nicht besitzt son­dern dort ange­stellt ist wie der Pfört­ner. Ande­rer­seits hat das Pro­le­ta­ri­at sich auf­ge­spal­ten in die Arbei­ten­den und die Arbeits­lo­sen (was der Arbeit­neh­mer­ver­tre­tung mas­sivs­te, unge­lös­te Pro­ble­me berei­tet). Und der besitz von Reich­tum hat nicht mehr unbe­dingt mit dem Besitz von Pro­duk­ti­ons­mit­teln zu tun.

Zurück zur Fra­ge nach der Hexen­jagd: Wenn nun der Geld­fäl­scher in der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft, die Kapi­tal­be­sitz zu ihrer „Wahr­heit“ erklärt als Hexe jagt, weil er die­se Wahr­heit zur Lüge macht – dann ist die Hexe der gegen­wär­ti­gen Gesell­schaft nicht zu über­se­hen. Die gegen­wär­ti­ge Gesell­schaft ist nahe­zu reli­gi­ös » Read the rest of this entry «

Projekt: Thesen zum Theater

Juli 24th, 2010 § 6 comments § permalink

Das Blog gibt einen wun­der­ba­ren Rah­men ab, um Halb­ge­dach­tes zur Dis­kus­si­on zu stel­len, umzu­den­ken, neu zu den­ken, umzu­schrei­ben und anders zu for­mu­lie­ren. Dar­aus mögen viel­leicht ein paar abschlie­ßen­de Gedan­ken ent­ste­hen, die sich zu The­sen zusam­men­fas­sen las­sen. Nicht für Kir­chen­tü­ren. Fürs Nach­den­ken: To be continued.

Das Kom­men­tie­ren im Blog muss dage­gen — der Pre­mie­ren­kri­tik gleich, die auch über alle der Kri­tik zeit­lich nach­fol­gen­den Auf­füh­run­gen gül­tig blei­ben will — jeder­zeit dar­auf insis­tie­ren, dass das Pos­ting ein Doku­ment ist und bleibt, sodaß auch nach Ver­öf­fent­li­chung des Kom­men­tars das Kom­men­tier­te sich noch so ver­hält, wie es vor dem Ver­fas­sen des Kom­men­ta­res sich dar­stell­te. Es behan­delt das Unfer­ti­ge als Vor­lie­gend. Es behan­delt die Pau­se als Ende des Pro­zes­ses. Als wäre auch der Kom­men­ta­tor unter jedem Arti­kel und in jedem Kom­men­tar der­sel­be, wenn er unter dem sel­ben Namen auf­tritt, immer ein ande­rer, wenn ver­schie­de­ne Namen aufträten.

Update zu “One Laptop per Hartz IV — Empfänger” {UPDATED}

Juli 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Update zu “One Laptop per Hartz IV — Empfänger” {UPDATED} § permalink

In aller Kür­ze bei der Hit­ze ein Update zu mei­nem gest­ri­gen Pos­ting hier: SpON legt heu­te nach zum The­ma Inter­net für Hartz IV-Emp­fän­ger. Etwas zag­haft — aber immer­hin. Das Som­mer­loch war offen­bar dem The­ma gnä­dig — und in Foren und Mails war auf Spie­gel dazu viel zu lesen. Hier gehts zum Arti­kel. Und hier ins Forum zum ursprüng­li­chen, hier zum heu­ti­gen Artikel.

21.7.2010: Und nun noch das Update zum Update: Auf Hamburg.de (hier) fin­det sich Spen­den­kon­to und Anschrift vom Ver­ein “Com­pu­ter Spen­de Ham­burg”. Will­kom­men sind aus­ge­dien­te Rech­ner und Ersatz­tei­le — und Geld. Also: Hin mit allem, was (sich) noch rech­net — und was sonst so auf der hohen Kan­te rum­liegt auch. http://www.hamburg.de/computerspende/

Die Zeitung als Aggregations-Performat

Juli 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Die Zeitung als Aggregations-Performat § permalink

Um den Per­for­mat-Begriff auch noch jen­seits des Tex­tes auf die Aggre­ga­ti­on von text­för­mi­gen Per­for­ma­ten aus­zu­deh­nen, macht die Betrach­tung die­ses Vide­os viel­leicht Sinn (oder jeden­falls Spaß):

One Laptop per Hartz IV — Empfänger

Juli 15th, 2010 § Kommentare deaktiviert für One Laptop per Hartz IV — Empfänger § permalink

Wie­der ein schon län­ger geplan­tes Pos­ting — das aus aktu­el­lem Bericht­an­lass jetzt kommt. SpOn mel­det (Hier) eine soli­da­ri­sche Initia­ti­ve von einem Ham­bur­ger Ehe­paar (unter dem däm­li­chen Titel “Hartz IV Com­pu­ter: Ich schenk dir das Tor zur Welt), das weg­ge­wor­fe­ne oder defek­te Rech­ner her­rich­tet und Hartz IV- Emp­fän­gern schenkt. Umso soli­da­ri­scher des­we­gen, weil die Schen­ken­den selbst von Harzt IV leben — eine Form von Selbst­hil­fe also. Über die­se Selbst­hil­fe woll­te ich nicht blog­gen, aber die dahin­ter ste­hen­de, von SpON kurz auf­ge­grif­fe­ne Fra­ge nach der Rele­vanz von Rech­ner und Inter­net­an­schluss gera­de für die­je­ni­gen, die im her­kömm­li­chen Sin­ne “drau­ßen” also ins­be­son­de­re ohne Job sind.

In Anleh­nung an Nicho­las Negro­pon­tes ambi­tio­nier­tes “One Lap­top per Child” (hier) muss die For­de­rung und die sinn­vol­le Fort­ent­wick­lung der Arbeits­lo­sen­ver­mitt­lung der Paro­le fol­gen: One Lap­top per Arbeits­lo­sem. Heißt: Wer sich arbeits­los mel­det oder mel­den will — bekommt (wenn nicht vor­han­den) einen Lap­top in die Hand gedrückt und die Behör­de zahlt ihm einen breit­ban­di­gen Internetanschluss.

Oha — jetzt die Faul­pel­ze auch noch mit hoch­wer­ti­ger Elek­tro­nik beschen­ken? End­rö­mi­sche Tur­bo­de­ka­denz? Kann nur den­ken oder rufen, wer den digi­ta­len » Read the rest of this entry «

Die Abwärtsspirale — updated

Juli 14th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Die Abwärtsspirale — updated § permalink

Vor eini­gen (gefühlt) Jahr­hun­der­ten hat­te ich hier im Blog ange­fan­gen, mir aus dem Bauch her­aus Gedan­ken zum The­ma Spa­ren zu machen, den öffent­li­chen Spar­wahn auf­grei­fend, mit dem per­ma­nen­ten Vor­sor­ge-und-Ver­sor­gungs­lü­cken­ge­re­de, der Sor­ge des Mit­tel­stands vor Ver­ar­mung und gleich­zei­tig der “Digi­ta­len Dig­res­si­on”, d.-h. der Mög­lich­keit, durch elek­tro­ni­sche Preis­ver­glei­che und Online-Händ­ler die bil­ligs­ten Pro­duk­te zu fin­den und zu erste­hen (etwa hier), im Hin­ter­grund. Eine Art psy­cho­lo­gi­scher Abwärts­s­spi­ra­le also, die die Men­schen im Land (auch mit per­ma­nen­tem Blick auf die öffent­li­chen Haus­hal­te und der dor­ti­gen mora­li­schen Auf­wer­tung von “Spar­sam­keit) in sich zieht und dafür sorgt, dass an Stel­le von Wachs­tum — Spar­tum tritt (etwa hier oder hier). Das also die Kri­se kei­ne Sin­gu­la­ri­tät son­dern Bestand­teil der Zyklen­ent­wick­lung ist, auf die die nächst­hef­ti­ge­re umso siche­rer folgt (etwa hier)

Das hatet natür­lich kei­ner­lei wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Hin­ter­grund — und ich bin des­we­gen umso erfreu­ter (wenn auch in der Sache depri­miert), heu­te bei weiss­gar­nix (hier (Update 2015: Bog inzwi­schen off­line; Link zur Way­back­Ma­chi­ne)) mit Bezug zum bil­ly­b­log hier) ein Pos­ting zu die­sem The­ma zu fin­den, das zeigt, wie die Spar­sam­keit dafür sorgt, dass sich das » Read the rest of this entry «

Päpste, Huren, Könige, Beamte — Marxens Problem mit der Dienstleistungsarbeit

Juli 12th, 2010 § 4 comments § permalink

Ich bin kein Mar­xist. Aber mir scheint Mar­xens Den­ken eines der Frucht­bars­ten zu sein — wenn ich auch glau­be, dass er wesent­li­che, für die Gegen­wart beherr­schend wer­den­de Ver­hält­nis­se igno­riert oder aus­ge­blen­det hat. Das Wich­tigs­te die­ser Fel­der ist das Gebiet der Dienst­leis­tun­gen — zu der die Indus­trie­ge­sell­schaft der Marx-Zeit sich nun­mehr ent­wick­len soll und wird. Dazu fand ich bei Marx eini­ge Pas­sa­gen, die ich im Fol­gen­den weit­ge­hend unkom­men­tiert wie­der­ge­ben will.

War­um? Weil der Wech­sel von der Indus­trie- zur Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft mit einer Art “Imma­te­ria­li­sie­rung” ein­her geht. Bei Marx fin­det die Kon­zen­tra­ti­on auf die soge­nann­te “ver­ge­gen­ständ­lich­te Arbeit” statt, d.h. im Wesent­li­chen eine Arbeit, die einen phy­si­schen Gegen­stand ver­än­dert und sich dar­in “spei­chert” als han­de­le es sich um eine Bat­te­rie, die durch die Arbeits­en­er­gie des Arbei­ters auf­ge­la­den wird. Dar­aus lei­ten sich die Defi­ni­ti­on des Kapi­ta­lis­ten als Besit­zers der Pro­duk­ti­ons­mit­tel, des Genie­ßers des Mehr­werts und des Befehls­ha­bers ab. Wenn nun aber das Werk­stück und die Ver­ge­gen­ständ­li­chung der Arbeit schwin­det, der Auf­trag­ge­ber direkt die Ver­rich­tung des Auf­trag­neh­mers ent­lohnt, sei­ne Diens­te in Anspruch nimmt, ohne dass er für das mate­ri­el­le Geld ein mate­ri­el­les Gut erhält, ver­dre­hen sich die Ver­hält­nis­se. Der Auf­trag­neh­mer kann etwas, das sich der Auf­trag­ge­ber wünscht (als Kun­de) — und ist bereit dafür zu bezah­len. Am Ende der Leis­tung (neh­men wir eine Mas­sa­ge) ist das Bezahl­te weg. Und der Auf­trag­ge­ber muss wie­der­keh­ren, um die Leis­tung erneut in Anspruch zu neh­men. Über das Pro­duk­ti­ons­mit­tel (das Ver­mö­gen, Boltanski/Chiapello wür­den sagen: die Kom­pe­tenz) ver­fügt der Auf­trag­neh­mer, von dem der Auf­trag­ge­ber inso­fern abhän­gi­ger ist als der Kapi­ta­list vom Arbei­ter am Werkstück.

Aus MEW BD. 42 — Öko­no­mi­sche Manu­skrip­te 1857/58(Alle Fet­tun­gen vom mir; Kur­si­vie­run­gen im Original)

Der ein­zi­ge Unter­schied von der ver­ge­gen­ständ­lich­ten Arbeit ist die nicht ver­ge­gen­ständ­lich­te, son­dern sich noch ver­ge­gen­ständ­li­chen­de, die Arbeit als Sub­jek­ti­vi­tät. Oder die ver­ge­gen­ständ­lich­te, d.h. als räum­lich vor­hand­ne Arbeit kann auch als ver­gang­ne Arbeit der zeit­lich vor­hand­nen ent­ge­gen­ge­stellt wer­den. Soweit sie als zeit­lich, als leben­dig vor­han­den sein soll, kann sie nur als leben­di­ges Sub­jekt vor­han­den sein, in dem sie als Fähig­keit exis­tiert, als Mög­lich­keit; als Arbei­ter daher. Der ein­zi­ge Gebrauchs­wert daher, der einen Gegen­satz zum Kapi­tal bil­den kann, ist die Arbeit. {und zwar wert­schaf­fen­de i.e. pro­duk­ti­ve Arbeit. Die­se Neben­be­mer­kung ist vor­weg­ge­nom­men; muß erst ent­wi­ckelt wer­den; by and by. Arbeit als blo­ße Befrie­di­gung von unmit­tel­ba­ren Bedürf­nis­sen hat gar nichts mit dem Kapi­tal zu tun, da es sie nicht sucht. Wenn ein Kapi­ta­list sich Holz hacken läßt, um sein mut­ton zu rös­ten, so ver­hält sich nicht nur der Holz­ha­cker zu ihm, son­dern er zum Holz­ha­cker im Ver­hält­nis des ein­fa­chen Aus­tauschs. Der Holz­ha­cker gibt ihm sei­nen Dienst, einen Gebrauchs­wert, der das Kapi­tal nicht ver­mehrt, son­dern wor­in es sich kon­su­miert, und der Kapi­ta­list gibt ihm eine and­re Ware dafür unter der Form von Geld. So ver­hält es sich mit allen Dienst­leis­tun­gen, die Arbei­ter direkt aus­tau­schen gegen das Geld and­rer Per­so­nen und die von die­sen Per­so­nen kon­su­miert wer­den. Es ist die Kon­sum­ti­on der Revenu, die als sol­che immer in die ein­fa­che Zir­ku­la­ti­on fällt, nicht des Kapi­tals. Indem der eine der Kon­tra­hen­ten dem andern nicht als Kapi­ta­list gegen­über­steht, kann die­se Leis­tung des Die­nen­den nicht unter die Kate­go­rie der pro­duk­ti­ven Arbeit fal­len. Von der Hure bis zum Papst gibt es eine Mas­se sol­chen Gesin­dels. …}

(Marx lei­tet den Dienst­leis­ter vom Skla­ven ab):

Im Skla­ven­ver­hält­nis ist der Arbei­ter nichts als leben­di­ge Arbeits­ma­schi­ne, die daher einen Wert hat für and­re oder viel­mehr ein Wert ist. Das Arbeits­ver­mö­gen erscheint dem frei­en Arbei­ter gegen­über in sei­ner Tota­li­tät selbst als sein Eigen­tum, eins sei­ner Momen­te, über das er als Sub­jekt über­greift und das er erhält, indem er es ver­äu­ßert. […] Aus­tausch ver­ge­gen­ständ­lich­ter Arbeit gegen leben­di­ge Arbeit kon­sti­tu­iert noch nicht weder auf der einen Sei­te das Kapi­tal noch auf der and­ren Sei­te die Lohn­ar­beit. Die gan­ze Klas­se der sog Diens­te vom Schuh­put­zer bis zum König fällt in die­se Kate­go­rie. Eben­so der freie Tag­löh­ner, den wir spo­ra­disch fin­den über­all, wo [… die] Gemein­de sich auf­löst in ein­zel­ne Ele­men­te … [377)

Bei per­sön­li­chen Dienst­leis­tun­gen wird der Gebrauchs­wert als sol­cher kon­su­miert, ohne aus der Form der Bewe­gung in die der Sache über­zu­gehn. […] …selbst gesetzt, A zah­le Geld für den Dienst, so ist dies kei­ne Ver­wand­lung sei­nes Gel­des in Kapi­tal, son­dern viel­mehr Set­zen des­sel­ben als blo­ßen Zir­ku­la­ti­ons­mit­tels, um einen Gegen­stand des Kon­sums, einen bestimm­ten Gebrauchs­wert zu erhal­ten. Die­ser Akt ist daher auch kein Reich­tum pro­du­zie­ren­der, son­dern umge­kehrt Reich­tum kon­su­mie­ren­der Akt. Es han­delt sich für A durch­aus nicht dar­um, daß sich Arbeit als sol­che, eine gewis­se Arbeits­zeit, also Wert , in dem Tuch objek­ti­viert, son­dern daß ein gewis­ses Bedürf­nis befrie­digt wird. A ist nicht ver­wer­tend, son­dern ent­wer­tend sein Geld, indem er [es] aus der Form des Werts in den des Gebrauchs­werts über­setzt.  […] Je öfter A den Aus­tausch wie­der­holt, des­to mehr ver­armt er.  […] Es bedarf kei­ner weit­läu­fi­gen Aus­ein­an­der­set­zung, daß Geld kon­su­mie­ren nicht Geld pro­du­zie­ren ist. (379)

Abge­se­hen von die­ser selt­sam flui­den Form der Arbeit in der Dienst­leis­tung scheint es doch so, dass der Kapi­ta­list durch Dienst­leis­tung .… ent­eig­net wird? Marx schreibt:

In der bür­ger­li­chen Gesell­schaft selbst gehört in die­se Rubrik aller Aus­tausch per­sön­li­cher Dienst­leis­tun­gen — auch Arbeit für per­sön­li­chen Kon­sum, Kochen, Nähen etc., Gar­ten­ar­beit etc., bis hin­auf zu den sämt­li­chen impro­duk­ti­ven Klas­sen, Staats­die­ner, Ärz­te, Advo­ka­ten, Gelehr­te etc. — gegen Revenu in die­se Kate­go­rie. […] Es fällt aber nie­man­dem ein zu den­ken, daß durch Aus­tausch sei­ner Revenu gegen sol­che Dienst­leis­tun­gen, d.h. durch sei­nen Pri­vat­kon­sum, der Kapi­ta­list sich als Kapi­tal setzt. Er ver­aus­gabt viel­mehr dadurch die Früch­te sei­nes Kapi­tals. (380)

Bis hier­her hän­disch abge­schrie­ben vom Buch. Eini­ge wei­te­re Zita­te über­neh­me ich vom Marx-Forum und Trend­par­ti­san (hier und hier)

„Ein Schau­spie­ler z. B. … ist hier­nach ein pro­duk­ti­ver Arbei­ter, wenn er im Dienst eines Kapi­ta­lis­ten … arbei­tet, dem er mehr Arbeit zurück­gibt, als er in der Form des Lohns von ihm erhält, wäh­rend ein Flick­schnei­der, der zu dem Kapi­ta­lis­ten ins Haus kommt und ihm sei­ne Hosen flickt, ihm einen blo­ßen Gebrauchs­wert schafft, ein unpro­duk­ti­ver Arbei­ter ist. Die Arbeit des ers­te­ren tauscht sich gegen Kapi­tal aus, die des zwei­ten gegen Reve­nue (= Kon­sum­aus­ga­ben). Die ers­te­re schafft einen Mehr­wert; in der zwei­ten ver­zehrt sich eine Reve­nue.“ K. Marx, Theo­rien über pro­duk­ti­ve und unpro­duk­ti­ve Arbeit, MEW 26.1, 127.

„Eine Sän­ge­rin, die auf ihre eige­ne Faust ihren Gesang ver­kauft, ist ein unpro­duk­ti­ver Arbei­ter. Aber die­sel­be Sän­ge­rin, von einem Unter­neh­mer enga­giert, der sie sin­gen lässt, um Geld zu machen, ist ein pro­duk­ti­ver Arbei­ter; denn sie pro­du­ziert Kapi­tal.“ K. Marx, Theo­rien über den Mehr­wert I., MEW 26.1, 377.

„End­lich erlaubt die außer­or­dent­lich erhöh­te Pro­duk­tiv­kraft in den Sphä­ren der gro­ßen Indus­trie, beglei­tet, wie sie ist, von inten­siv und exten­siv gestei­ger­ter Aus­beu­tung der Arbeits­kraft in allen übri­gen Pro­duk­ti­ons­sphä­ren, einen stets grö­ße­ren Teil der Arbei­ter­klas­se unpro­duk­tiv zu ver­wen­den …“ K. Marx, Kapi­tal I, MEW 23, 469.

Fin­de ich enorm span­nend, weil sich m.E. gegen­wär­tig nicht nur die Arbeits­pro­zes­se zuneh­mend in die­sem selt­sam “flui­den” Zustand befin­den, aus dem Marx sie ret­ten woll­te — son­dern sich schon bei Marx anzu­deu­ten beginnt, dass die Kon­zen­tra­ti­on auf die ver­ge­gen­ständ­lich­te Arbeit eine künst­li­che Abs­trak­ti­on, der Wer­tä­ti­ge mit sei­ner ver­gen­ständ­li­chen­den Arbeit — eine Rand­er­schei­nung. Denn was genau wür­de den dienst­leis­ten­den Holz­ha­cker vom Werk­tä­ti­gen bzw. Wert-Täti­gen scharf genug tren­nen? Wie gesagt — ich bin kein Mar­xist, fin­de nur an die­ser Fra­ge eine sinn­vol­le Anknüp­fung und ein Befra­gen von mar­xis­ti­schen Kate­go­rien drin­gend notwendig.

Zudem ver­an­lasst es mich, dem­nächst doch noch über die Fra­ge des Urhe­ber­rechts in Zei­ten des Flui­dums oder des Per­for­mats (Kus­anow­sky etwa hier) zu schreiben.

Boltanski/Ciapello über die vernetzte Welt

Juni 29th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Boltanski/Ciapello über die vernetzte Welt § permalink

Da ich in letz­ter Zeit die Reflxi­on über die Netz­dra­ma­tur­gie etwas habe schlei­fen las­sen, wenigs­tens eine zitie­ren­de Anknüp­fi­ung an die sozio­lo­gi­sche Dimen­si­on, an Boltanski/Chiapello Der neue Geist des Kapi­ta­lis­mus:

Meh­re­re Indi­zi­en deu­ten […] dar­auf hin, dass die Netz­me­ta­pher all­mäh­lich eine neue, all­ge­mein­gül­ti­ge Gesell­schafts­kon­zep­ti­on dar­stellt. [187;…] Die Ent­wick­lung der hier so genann­ten kon­ne­xio­nis­ti­schen Welt und das all­mäh­li­che Ent­ste­hen einer pro­jekt­ba­sier­ten Polis, durch die sich die­se Welt einer Gerech­tig­keits­norm beu­gen muss, bil­den die wesent­li­che nor­ma­ti­ve Basis, auf der der neue Geist des Kapi­ta­lis­mus beruht. [205;…] Im Miet­ver­hält­nis tritt eine drit­te Kom­po­nen­te des Besit­zes in den Vor­der­grund: das voll­gül­ti­ge, aber befris­te­te Nut­zungs­recht. In einer ver­netz­ten Welt muss man die­ser und nur die­ser Kom­po­nen­te sei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit wid­men […] Das Miet­ver­hält­nis ist die Form, die dem Pro­jekt, der Mon­ta­ge für eine befris­te­te Zeit ent­spricht.  [207;…] In einer ver­netz­ten Welt […] ver­schwin­det die Unter­schei­dung zwi­schen Pri­vat- und Berufs­le­ben ten­den­zi­ell unter dem Ein­druck einer dop­pel­ten » Read the rest of this entry «

Der Fluch der nicht-entfremdeten, selbstverwirklichenden Arbeit

Juni 24th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Der Fluch der nicht-entfremdeten, selbstverwirklichenden Arbeit § permalink

Was haben Uto­pis­ten und Frei­heits­kämp­fer nicht geträumt: von einer Arbeits­welt ohne Ent­frem­dung. Ohne Robo­ter­i­sie­rung und Mecha­ni­sie­rung des Men­schen. In der der Arbei­ter nicht mehr nur das Teil als see­len­lo­ses Teil pro­du­ziert, son­dern als Teil eines Gan­zen wahr­ge­nom­men, aner­kannt, gewür­digt wird — und selbst den Stolz dar­auf genie­ßen kann, sich in ein gan­zes Nicht-Ich (mit)entäußert zu haben, aus dem er sich selbst anblickt und als Ich ver­wirk­li­chen kann. Eine Arbeits­welt, die den gan­zen Men­schen mit all sei­nen Fähig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten, mit Herz und Hirn ein­be­zieht und sei­ne Uner­setz­lich­keit und Ein­zig­keit herausstellt.

Ein schö­ner — Alb­traum, wie sich zuneh­mend zeigt. Schon Boltanski/Chiapello haben dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Geist des Kapi­ta­lis­mus sich ger­ne von sei­nen Kri­ti­kern und Geg­nern inspi­rie­ren und revi­ta­li­sie­ren lässt. So auch von den 68er-For­de­run­gen nach nicht-ent­frem­de­ter, selbst­ver­wirk­li­chen­de Arbeit. Und die Kon­se­quenz? Beschreibt im Frei­tag ges­tern ein schö­ner Arti­kel (hier) von Prof. Andre­as Lan­ge (hier) vom Deut­schen Jugend­in­sti­tut (hier). Ich erlau­be mir, einen Absatz zu zitie­ren (Her­vor­he­bun­gen von mir):

Im Über­blick gese­hen bedin­gen Pro­zes­se der Ent­gren­zung des Wirt­schafts- und Arbeits­sys­tems, dass gegen­über dem Refe­renz­zeit­raum der sech­zi­ger bis acht­zi­ger Jah­re des letz­ten Jahr­hun­derts ers­tens der rela­ti­ve Anteil von Arbeits­plät­zen mit den Merk­ma­len Auto­no­mie und » Read the rest of this entry «

Boltanski/Chiapello: Kapitalismus und Kapitalismuskritik als Geschwisterpaar

Juni 23rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Boltanski/Chiapello: Kapitalismus und Kapitalismuskritik als Geschwisterpaar § permalink

Bin zuneh­mend beein­druckt von Boltanski/Chiapello: Der neue Geist des Kapi­ta­lis­mus. Ins­be­son­de­re von den gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­kei­ten bei­der von­ein­an­der und der The­se, dass der kapi­ta­lis­ti­sche Geist sich letzt­lich der anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Kri­tik und der Ein­wän­de bedient, um sich wei­ter zu ent­wi­ckeln. Für mich etwa ver­ständ­lich bei der Über­win­dung der Ölin­dus­trie durch öko­lo­gi­sche Kri­tik und der Schaf­fung neu­er Geschäfts- und Gewinn­fel­der in der Öko-Ener­gie­in­dus­trie. Oder in der Reak­ti­on auf den Vor­wurf ent­frem­de­ter Arbeit durch stär­ke­re Ein­be­zie­hung des “gan­zen Men­schen” in der lean Industry.

Beson­ders span­nend fin­de ich dabei momen­tan ihre Theo­rie der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik, die sie zunächst aus einer “im Grun­de sen­ti­men­ta­len Empö­rung » Read the rest of this entry «

Where Am I?

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