Januar 7th, 2013 § § permalink
Ich fürchte, die Zeit für „mal ausprobieren“, von der Frank Kroll schreibt, läuft ab. Es geht eher darum, neue Möglichkeiten entschlossen zu ergreifen, um Theater die Kraft (wieder) zu geben, die es hatte oder haben könnte. So menschlich verständlich es ist, dass das Führungspersonal nach jahrzehntelanger Belagerung durch Budgetsparer und Etatkürzer Ermüdungs- und Verschleißerscheinungen zeigt, so inakzeptabel ist es für die Institution und Kunst des Theaters. Es kann nur die Macht der Gewohnheit sein, die den Blick für den Dornröschenschlaf verschleiert, in dem Theater sich befinden. Und der, in dieser Form fortgesetzt, allmählich und unbemerkt in einen Big Sleep übergeht. Es ist eben nicht edler, die Pfeil und Schleudern des Geschicks zu dulden, sondern sich zu waffnen gegen diese See der Plagen und durch Widerstand sie zu beenden. Welchen Weg der Widerstand einschlagen soll – das mag jedes einzelne Theater für sich entscheiden. Nur Widerstand gegen Kameralisten zu leisten aber heißt, die Kräfte auf die falsche Flanke zu konzentrieren. Hier ist nichts zu gewinnen. Schon gar nicht durch späthoneckerhafte „Theater muss sein“ Aufkleber auf Autos.
Die Belagerungssituation entsteht ja nicht etwa aus übermächtigen Gegnern, sondern sie ist selbstgemachter Unbeweglichkeit geschuldet. Allerdings gemischt mit dem fehlenden Blick für mögliche Allianzen – und dazu zähle ich eben die Schreiber (formerly known as Autoren). Nicht in der Form einer Wiedereinsetzung » Read the rest of this entry «
November 22nd, 2012 § § permalink
Theater ist ganz selbstverständlich ein kollaborativer Prozess, aus dem, überraschenderweise, nur eine Funktion nahezu komplett ausgeschlossen ist: die Schreiber. Das sorgt dafür, dass „eigenständige“ Texte entstehen, mit denen Theater meistens in dieser Form, mit dieser Besetzung, in dieser Tonalität nichts anfangen können. Und es sorgt auch, aufgrund der damit verbundenen Ungewissheit hinsichtlich der Finanzierung der eigenen Arbeit, dafür, dass Schreiber nach einigen Texten aufgeben. Wer wäre so dumm, serienweise Texte zu produzieren, die keine Abnehmer finden? Die nur ein paarmal auf einer Nebenstätte gespielt werden? Die, selbst wenn sie Einnahmen erbringen, diese Einnahmen – aufgrund der langwierigen Vorlaufzeiten – so spät kommen, dass inzwischen irgendein Brotjob angenommen werden muss? Der üblicherweise durchaus für eine Auslastung in einem Maße sorgt, dass konzentriertes Schreiben dann nicht mehr möglich ist. Dass die ersten Arbeiten direkt eine Perfektion haben, dass mehrere Häuser sie spielen, ist zumeist nur dem jährlichen Hype-Autor gegönnt. Der zwei oder drei Texte später dann wieder in der Versenkung verschwindet. Oder einer Handvoll Großautoren von der Kategorie Handke, Strauß, Jelinek, die „es geschafft“ haben.
Hinter diesem Umgang mit Schreibern und Texten schlummert noch immer der Mythos vom Originalgenie, vom aus sich selbst und einsam schaffenden Schriftsteller, der in seinem Stübchen den Kampf mit sich und der Welt aufnimmt und als Sieg dieses Kampfes einen Text vorlegt. Diesen Mythos gilt es zu zertrümmern. Weil er der Arbeitsweise der Gegenwart nicht » Read the rest of this entry «
November 22nd, 2012 § Kommentare deaktiviert für Die Antiquiertheit des szenischen Schreibprozesses I § permalink
Die Funktion des Autors im Stadttheater der Gegenwart ist nichts weniger als eine Paradoxe. Einerseits als Publikumsmagnet auf Spielpläne und Plakaten eingesetzt, ist „der Autor“ und seine Auktorialität, seine Herrschaft über Sinn und Gestalt der Aufführung (in einem naiven Verständnis dieser Begriffe, die jeweils einzeln und in ihren Zusammenspiel allerdings zu befragen wären) doch in keinster Weise mehr garantiert. Regie versteht sich nicht mehr als bloße Interpretation, schon gar nicht als einer Treue gegenüber dem Textwerk verpflichtet. Das Selbstverständnis moderner und postdramatischer Regie umfasst explizit den Anspruch eines freien Umgangs mit vorliegenden sprachlichen Artefakten, inklusive der Streichung oder Umstellung, des textlichen Mesh-ups, der Einbeziehung nicht originär für die Bühne geschriebener Texte wie Romane, Drehbücher oder Dokumente und Textsorten unterschiedlichster Provenienz. Das sorgt für den Reichtum des aktuellen Theaters, auch wenn gelegentlich noch immer Häupter sich recken, die dem Autor und seiner Intention das Primat zurück erteilen wollen (wie zuletzt und wieder einmal Kehlmann). Diese Schlachten können als geschlagen, » Read the rest of this entry «
November 21st, 2012 § § permalink
Update 21.11. 14 Uhr: Man glaubt es kaum, aber manche Menschen sind des Lesens nicht mächtig. Der Meistbietende war von keinem Theater, hatte auch kein interessiertes Theater hinter sich. Wie bei ebay üblich geht das Angebot jetzt an unterlegene Bieter. Der folgende Artikel ist insofern zumindest etwas verfrüht …
Seit dem 11.11.2012 lief auf ebay die Versteigerung der Uraufführungsrechte für meinen neuen Text „Schuld und Schein. Ein Geldstück“. Eben ging sie zu ende – und hatte Erfolg. Die Uraufführung wird in dieser Spielzeit stattfinden. Und genau das ist die fantastische Nachricht und die Überraschung.
Es gab zuvor nicht wenige, die die ganze Sache für aussichtslos erklärt hatten. Professionelle Theater haben üblicherweise Planungsvorläufe, die eine so kurzfristige Aufnahme eines neuen Textes ausschließen. Ein übliches Zeitfenster für einen Text, der grundsätzlch auf Interesse trifft, wären etwa ein bis zwei Jahr gewesen. Die aktuelle Spielzeit, die bis zum Sommer 2013 dauert, ist durchgeplant. Für die folgende Spielzeit dürften ebenfalls Planungen schon so weit im Gange sein, dass eine Uraufführung zu Spielzeitbeginn nicht unbedingt hoch wahrscheinlich wäre. Das war das Risiko an der Versteigerung: stell dir vor, es gibt eine Auktion – und keiner bietet mit.
Aber das war noch nicht alles. Das Stück selbst war auf der eigens dafür erstellten Webseite schuldundschein.de im Volltext zu finden und als PDF downloadbar. Auch das ist nicht üblich. Normalerweise hüten Verlage die Texte, verschicken sie auf Anforderung von interessierten Theatern, die ihn dann in Ruhe lesen, bewerten und über eine Annahme entscheiden. Das wiederum hätte ebenfalls zu Zeitverzögerungen geführt, denn Stückankündigungen werden nicht selten in Druckversion verschickt, die in der Produktion eines weiteren Vorlaufs bedurft hätten. Was den Vorlauf wiederum weiter ausgedehnt hätte.
Dass nun dieser Vorlauf durch Einsatz der Webseite und die Downloadfunktion auf rasante 10 Tage verkürzt werden konnte, ist eine weitere Überraschung. Denn innerhalb dieser 10 Tage musste einiges Geschehen: Theater mussten aufmerksam werden. Sie mussten den Text lesen, was zumeist heißt, dass nicht nur ein Dramaturg, sondern sicherlich mehrere sich die Zeit nehmen, einen Blick in den Text zu werfen. Sie mussten sich darüber verständigen, ob sie das Thema relevant und die Qualität des Textes für akzeptabel halten. Sie mussten klären, in welcher Form sich ein Theater überhaupt auf eBay engagieren kann. Und sie mussten mitbieten. Mindestens zwei der drei Bieter sind tatsächlich Theater. Das » Read the rest of this entry «
Oktober 24th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Stadttheater – Zerquetscht wie eine Nussschale? § permalink
Man muss schon in besonderer Weise leidensfähig sein, um in Zeiten wie diesen an einem Stadttheater zu arbeiten und es zu verteidigen. In einem Umfeld mit zunehmendem Veränderungsdruck und immer aggressiveren Reformforderungen die eigene traditionsförmige Arbeit weiter zu betreiben, nötigt durchaus Respekt ab. Einerseits. Andererseits droht es zu dem Ende zu führen, das Martin Semmelrogge als Wachoffizier schon in Das Boot ankündigte, als es langsam zu Grunde ging: Wenn der Außendruck zu groß wird, wird es zerquetscht wie eine Nussschale. Nachdem diese Debatte sich auf den unterschiedlichsten Plattformen und Medien abspielte, startet nun die Universität Hildesheim mit einer Ringvorlesung noch eine akademische Breitseite.
Woher kommt der Druck? Fassen wir einige Komponenten (Ergänzungen gerne per Kommentar) zusammen:
Zuschauerzahlen: Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein
Auslastungszahlen sind nichts Neues, sie erfüllen in etwa die Funktion der Einschaltquoten und Auflagen. Sie messen eigentlich nichts, aber mangels einer besseren Quantifizierung zieht man sie heran, um die Arbeit insbesondere einer Theaterleitung zu bewerten. Ergänzt noch um die Einnahmen, die damit erzielt werden. Dass das zu einer ungesunden Produktionsbeschleunigung führt, um in Zeiten schwindender Theaterinteressierter die weniger verbleibenden Besucher öfter ins Theater zu holen, habe ich schon vor einiger Zeit hier ausgeführt. Es ist eine Spirale, die dafür sorgt, dass in immer kürzeren Probenzeiten „Produktionen“ erzeugt werden müssen, die dann immer weniger Vorstellungen haben. Und deren Qualität sich sicherlich nicht durch Produktionsbeschleunigung steigert. Oder in Faust-Spektakel wie in Frankfurt enden, die das Unzulängliche zum Ereignis machen tun.
Finanzierung: Sparen wir uns das Theater
Je weniger Rückhalt Theater in der städtischen Öffentlichkeit haben, desto leichter fällt es in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte deren Budgets zu kürzen, Sparten zu streichen, Häuser zusammen zu legen. Oder Theater einfach dicht zu machen. Das Krisometer auf nachtkritik listet – leider wohl nicht mehr aktuell gepflegt, da etwa die aktuellen Wuppertaler Entwicklungen dort nicht zu finden sind – in einem Katalog der Schrecken die an vielen Orten anzutreffende Manipualtion des Geldhahns auf.
Die Kulturinfarkt-Fuzzis: Immer feste druff
Sekundiert werden diese finanzpolitischen Einschnitte von den Autoren des berüchtigten „Kulturinfarks“ (meine Rezension hier). In kruder Vermischung einerseits durchaus bedenkenswerter Einwände und Beobachtungen mit einem Generalangriff auf die deutsche Theaterlandschaft liefern die Verfasser die argumentative Unterfüttern für Kürzungsbestrebungen – täte es doch ihrer Meinung nach nicht nur die Hälfte des Budgets für die Stadttheater, sondern die Hälfte täte der Theaterlandschaft auch noch gut.
Stadttheaterdebatte: Geld den freien Hütten, Sturm auf die Paläste
In der auf nachtkritik geführten und von Matthias von Hartz mit einem Beitrag dort begonnenen Debatte werden Stadttheater und freie Gruppen gegeneinander geführt – mit der Behauptung, Innovationen (Ein ziemlich unglücklicher Begriff in diesem Zusammenhang) kämen in der letzten Zeit vornehmlich von den Freien. Und entsprechend solle ihnen eine bessere Finanzierung auch auf Kosten der Stadttheater zukommen. Die Teile der Debatte:
Matthias von Hartz: Dem Stadttheater ist noch zu helfen
Ulf Schmidt: Die Funktion des Stadttheaters – zum Theater in der Netzgesellschaft
Ute Nyssen: Die Geburt des Autors aus dem Nachspielen – zu Neuer Dramatik im Repertoirebetrieb
Torsten Jost und Georg Kasch: Kraftzentren im Dickicht der Städte – Stadttheater als kommunaler Diskursmotor
Nikolaus Merck: Tendenzieller Fall der Legitimitätsrate – Ein Brief zum Arbeitsbuch “Heart of the City. Recherchen zum Stadttheater der Zukunft”
Dirk Pilz und Christian Rakow im Interview mit Ulrich Khuon: In den Städten finden Kämpfe statt -
Eine Reihe weiterer interessanter Texte auf nachtkritik hier.
Zudem ist das Theater der Zeit Arbeitsbuch „Stadttheater der Zukunft“ zwar auf Inspirierendes für die besagte Zukunft ausgerichtet, muss aber natürlich dabei auch als Kritik am Bestehenden verstanden werden, wie es in der Beschreibung des Bandes auch zu lesen ist:
Die als notwendig angenommene Neubestimmung der Institution Stadttheater vorausgesetzt, wollten wir mit den Recherchen der hier versammelten Autorinnen und Autoren Materialien für unsere tastenden Versuche auf schwankendem Boden zusammentragen. (Quelle)
Hildesheimer Ringvorlesung: Geballte professorale Macht
Seit heute findet an der Universität Hildesheim eine (auf nachtkritik durch Thesenzusammenfassungen dokumentierte) Ringvorlesung (Flyerdownload) statt, mit dem Titel „Theater. Entwickeln. Planen.“ Als Auftakt ist Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim an den Start und das Pult getreten. Die Thesen sind auf nachtkritik hier zu finden. Ein kurzes Zitat aus den (lesenswerten) Thesen:
Die Situation, in der wir uns im Moment befinden, ist nicht nur eine Folge des Versagens der Kulturpolitik, sondern auch der Theater. Wenn sie sich selbst für neue Formen geöffnet haben, dann nur in einigen wenigen Projekten. Wenn sich etwas geändert hat, dann eigentlich nur » Read the rest of this entry «
Oktober 9th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Veranstaltungshinweis: Theatercamp Hamburg im November § permalink
Trotz der Erfahrungen mit der missratenen Spielplanwahl Anfang des Jahres bleibt das Hamburger Thalia Theater in Sachen Auseinandersetzung mit dem, was man landläufig Social Media nennt, am Ball: Am 11. November (also zu Beginn der Karnevalssaison …) wird dort eine als BarCamp beschriebene Veranstaltung stattfinden, das Theatercamp 2012 (hier der Hinweis vom Thalia, hier die Veranstaltungsseite). Leider gibt man der Veranstaltung nur etwa acht Stunden Zeit und Raum — immerhin mehr als nichts. Wenn auch mehr mehr gewesen wäre. Sein würde. Hätte können.
Die Fragen, die man sich in der Veranstaltungsbeschreibung stellt, sind diejenigen, die sich auch so ziemlich jedes Unternehmen stellt, das sich mit Social Media auseinandersetzt: Werden wir damit nicht zu transparent? Können wir hier Tickets verkaufen? Lassen sich Social Media für die Veränderung unseres Angebots nutzen? Oder haben wir lange genug gewartet, um jetzt den ganzen Social Media Kram als abebbenden Hype kategorisieren und damit ignorieren zu können? Ziemlich viele und ziemlich fundamentale Fragen für acht Stunden. Aber ein spannender Beginn vielleicht von etwas.
Auf der Veranstaltungswebseite (hier) lassen sich noch Session-Vorschläge unterbreiten. Bisher gibt es Beiträg zu Dramaturgien 3.0 – Rezeptionsverhalten und Erzählformen von Jochen Strauch, Ein Tweetup für die Kultur. Neue Veranstaltungsformate von Ulrike Schmid und Birgit Schmidt-Hurtienne, sowie Das Theater Heilbronn im Social Web von Katrin Schröder.
In jedem Falle gilt auch hier, was vom Theater grundsätzlich zu sagen ist: Wer nicht da ist, kann nicht mitreden und sich kein eigenes Bild machen. Also: hinfahren! Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich da sein.
Juni 20th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Digitaljournalismus statt #lsr – Aufruf zur Rettung von nachtkritik.de § permalink
Zugegeben, die Headline dieses Postings ist so reißerisch, wie eine schlechte BILD (darf ich den Namen noch erwähnen, ohne verklagt zu werden?) Schlagzeile. Allerdings ist hier wie dort auch das Ziel ähnlich: es soll nicht nur informiert, sondern agitiert werden.
Zur Sache: nachtkritik.de ist DAS deutschsprachige Theater- und Theaterkritikportal im Netz. Es wurde vor über fünf Jahren von erfahrenen und printrenommierten Theaterkritikern gegründet und bringt jeden Morgen Kritiken zu den wichtigsten Theaterpremieren des vergangenen Abends. Zudem werden dort die heißesten Kommentardebatten über ästhetische, theater- und kulturpolitischen Themen geführt. Zusammen mit der Redaktion sorgen mehrere Dutzend freie Kritiker, verteilt über das ganze Land, dafür, dass nicht nur die „Zentren“ des Theatergeschehens, sondern auch die Provinz Beachtung und Aufmerksamkeit findet. Nachtkritik lebt im Wesentlichen von dem (positiv formuliert) Idealismus und der (kritisch gesagt) Selbstausbeutung aller Macher, um ein kostenloses, hoch professionelles und journalistisches Angebot zu schaffen.
Um die Mittel selbst für diesen recht spärlichen Honorare zu generieren, nutzt nachtkritik Werbebanner, bekommt Unterstützung etwa von der Bucerius-Stiftung – und ist auf Spenden angewiesen. Aktuell werden 25.000 Euro benötigt, um den Betrieb von nachtkritik auch in der nächsten Spielzeit zu ermöglichen. Davon sind nach vier Wochen nicht einmal 4.000 Euro zusammengekommen.
Für mich ist nachtkritik nicht nur als Kulturplattform spannend und faszinierend. Für mich steht vielmehr gerade in den aktuellen Umständen, der Debatten um Urheber- und Leistungsschutzrechte mehr auf dem Spiel bei der Farge, ob nachtkritik das Überleben gelingt.
Nachtkritik ist – neben einigen anderen Angeboten wie carta oder netzpolitik – ein Vision vom unabhängigen Digitaljournalismus der Zukunft Heißt: Wenn es nicht gelingt, eine solche Plattform jenseits traditioneller Erlösmodelle dauerhaft am Leben zu erhalten, schwindet mein grundsätzlicher Optimismus was die Zukunft von Qualitätsjournalismus im Netz jenseits industriegesellschaftlicher Produktions- und Distributionsmechanismen angeht. Nicht weil vom Theaterjournalismus etwa die Zukunft von irgendetwas abhinge (abgesehen von den Stadttheatern, die man finden mag, wie man will). Sondern weil nachtkritik symbolisch stehen kann für die entscheidende Frage:
Kann Journalismus mit hohem Anspruch, mit intensiver Debattenkultur, ohne Verlage und ihre lobbybearbeiteten Gesetzeswerke zukünftig ökonomisch leben oder nicht? Können Journalisten ohne Verlags- und Vertriebshintergründe zukünftig selbstorganisierte Angebote in einer Form betreiben, dass auch eine zumindest existenzsichernde Finanzierung dabei herauskommt – oder ist dieses ganze Netz letztlich nur ein Hobbyraum?
Um dafür einen zukunftsweisenden Beitrag zu leisten, braucht es mehr als Lippen- oder Twitterbekenntnisse. Es braucht in paar Euro (die sogar steuerlich abzugsfähig sind, da nachtkritik gemeinnützig ist). Man muss sich nicht für Theater interessieren, um ein Statement zur Zukunft des anspruchsvollen (Kultur-)Journalismus im Netz per Spende abzugeben. Man muss nachtkritik nicht jederzeit zustimmen, muss nicht einmal mit der Grundlinie oder der Inhaltsauswahl einverstanden sein, um zu verstehen und per Spende zu goutieren, dass eine Inhaltsdebatte nur dann sinnvoll geführt werden kann, wenn die Erstellung der Inhalte gesichert ist. Man muss nachtkritik nicht einmal lesen, um ein Statement für einen zukunftsweisenden Digitaljournalismus abzugeben, indem man ein paar Euro springern lässt.
Wer als Schauspieler darauf angewiesen ist, dass Menschen ein paar Euro Eintritt zahlen, sollte eine Spende in Höhe eines Eintrittsgeldes beisteuern, um zukünftig netzöffentliche Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit zu bekommen. Wer als Intendant vom Fortbestehen der Stadttheaterkultur abhängig ist, sollte einen Wochenlohn (Brutto – Steuern gibt’s ja zurück; bei einem Frankfurter Intendantengehalt von 240.000+X — wie nachtkritik gerade berichtet — wären also ca. 5.000+X fällig!) dafür springen lassen. Wer als Journalist um die Zukunft des Journalismus besorgt ist, sollte sich eine Packung Zigaretten verkneifen und dafür einen fünfer springen lassen. Wer die Debatte um das Leistungsschutzrecht besorgt verfolgt, sollte seinen Beitrag für eine Plattform leisten, die sich über Erwähnungen, Verlinkungen, Zitierungen freut, statt sie juristisch zu verfolgen.
Und wer gar kein Geld, aber eine Twitter-Followerschaft hat, sollte wenigstens mit einem Retweet dafür sorgen, dass solventere Follower aufmerksam werden – und Geld rauslassen. Es geht um lächerliche 25.000 Euro. Das sind 5.000 Spenden zu 5 Euro.
Plase Donate here and retweet.
Disclosure: Ich gehöre der Redaktion nicht an, bin aber mit Redakteuren persönlich bekannt und habe Beiträge für nachtkritik geschrieben. Das dafür bezogene Honorar geht selbstverständlich als Spende zurück an nachtkritik.
Mai 13th, 2012 § § permalink
Jetzt hat auch der Art Directors Club (ADC), der Kreativverband der Werbeindustrie (dessen Mitglied ich bin) zur Urheberrechtsdebatte Stellung bezogen. Und sich ziemlich blamiert.
Ich hatte den letzten Tagen das Vergnügen, als Juror für den ADC Dialogwerbearbeiten des letzten Jahres unter Kreativgesichtspunkten mit zu jurieren. Nette Sache. Bei der gestrigen Preisverleihung hatte ich dann das noch grössere Vergnügen, wenn nicht die Ehre, die großartige Anzeige des ADC zum Tod Vicco von Bülows zu laudatieren.
Weit weniger vergnüglich, um nicht zu sagen ärgerlich unreflektiert fand ich dagegen die Stellungnahme des ADC Vorstandssprechers Jochen Rädeker zum Urheberrecht. Mit pathetischem Unterton forderte er ein starkes Urheberrecht zum Schutz der Kreativen. Es könne ja wohl nicht sein, dass sich jeder einfach ohne Bezahlung kreative Leistung downloade.
Das ist enorm dumm. Aus zwei Gründen:
- Dürfte der Werbeindustrie nicht daran gelegen sein, die Leistungen ihrer Kreativen, von Textern, Designern, Drehbuchautoren, Musikern, Programmieren nach Prinzipien des geistigen Eigentums der Schöpfer behandeln zu lassen. Wäre ja nett, wenn ein Texter gegen ein Unternehmen zu Felde zöge weil seine Headline oder sein Claim nicht in der von ihm/ihr geschaffenen Form erscheint, wenn Drehbücher vom Kunden oder Vorgesetzten umgeschrieben, Musik verhunzt wird. Von finanziellen Ansprüchen an die Verwerter wollen wir mal schweigen.
Richtig ärgerlich daran ist, dass eigentlich die Werbeindustrie schon lange mit nach-urheberrechtlichen Prinzipien arbeitet. Werbemaßnahmen enstehen seit » Read the rest of this entry «
Mai 3rd, 2012 § § permalink
Wie letztens gepostet, haben die Intendanten im Deutschen Bühnenverein ein Experiment unternommen, um einen Fuß ins kalte Netz zu strecken. Zusammen mit Jovoto wurde ein “Creative Crowdsourcing” Projekt gestartet, bei dem die Plattform-Mitglieder keine geringere Frage beantworten sollten, als “Was ist das Theater der Zukunft?”. Das hat natürlich einiger Vordiskussionen bedurft im Kreis der Intendanten. Eine Klausurtagung mit eingeladenen Experten. Und Abstimmungsrunden, was man denn sinnvoll findet und was nicht. Solche Dinge wollen reiflich überlegt sein.
Zum Ergebnis lässt sich so wahnsinnig viel nicht sagen. Einige der auf der Veranstaltung vorgestellten Ideen waren einigermaßen originell oder schräg. Richtig angekommen sind sie bei den Theaterleuten, die die Ideen vorstellten, nicht. Letztlich, so hieß es, sei das Publikum so digital ja noch nicht, sondern informiere sich über Theater eher aus der gedruckten Zeitung. Weswegen man die “neuen Medien” mit Fingerspitzengefühl anpacken müsse. Selbst wenn man aus Fairnessgründen keine weiteren verbalen Auffälligkeiten wiedergibt, lässt sich schon hier ein ganz fundamentales Problem feststellen. Die Theaterleute auf dem Podium haben die Relevanz der — mit ca. 20 Jahren sicher nicht mehr “neuen” Medien — nicht erkannt. Sie geben sich mit dem Printpublikum zufrieden, ohne darüber nachzudenken, das dieses mit den Zeitungen selbst verschwinden könnte.
Der Ideenwettbwerb hatte für die panelanwesenden Theaterleute in etwa die praktische Relevanz wie der Malwettbewerb eines Sparkassenverbandes. Hübsche Dinge — aber doch nichts fürs Tagesgeschäft. Marketing und Werbung könne man sicher mit cleveren Ideen anreichern, um “junge Leute” (eine grauenvolle Formulierung von älteren Herrschaften, die die Welt nicht mehr verstehen) besser zu erreichen. Aber der Auftrag des Theaters sei ja nun doch, tradierte Inhalte in neue Gewänder zu kleiden. Das tue man ja schon. Etwa indem Figuren nur als Projektionen auf der Bühne präsent sein lasse. Und twittern und posten auf Facebook — tue man ja auch schon. Aber da könne man sicher noch etwas mehr tun. In Sachen Werbung.
Das wirkliche Desaster aber …
Auf der re:publica versammeln sich etwa 4.000 kreative, gesellschaftsinteressierte, politisch interessierte, in vielerlei Sinne kreative, vorwärts denkende und avantgardistische Köpfe. Und von diesem 4.000 haben es gerade einmal gut 30 (Panelteilnehmer und Orgateam abgezogen) in die Veranstaltung geschafft. In Zahlen: Dreißig. Eine zeitlich relativ gut gelegene (Warten auf die Lobo-Sause) Veranstaltung über das Theater lockt gerade einmal 30 Zuhörer an. Vielleicht sind die Theaterleute schon zu sehr gewohnt vor leeren Sälen zu spielen — der Saal 4 auf der re:publica bot geschätze 300 Sitzplätze — als dass es ihnen noch auffiele: Die katastrophale und gähnende Leere aber war ein überdeutliches Statement der “jungen Leute” dazu, was sie vom Theater halten. Und wenn Theaterleute nicht beginnen zu verstehen, dass Theater in der entstehenden Netzgesellschaft (das Wort fiel immerhin einmal) nicht heißt, andere Werbung zu machen, die PR twittern zu lassen und noch ein paar Projektoren mehr aufzustellen, sondern dass es vielmehr darum geht, als gesellschaftliche und sich als gesellschafts“kritisch” verstehende Institution die künstlerische und intellektuelle Auseinandersetzung zu suchen, die eigenen künstlerischen Mittel und organisatorischen Prozesse zu überprüfen, grundsätzlich und umfassen infrage zu stellen und gegebenenfalls neu zu erfinden, kurz: Theater in der Netzgesellschaft zu werden — dann werden die Theater über kurz oder lang so leer sein, wie heute Saal 4 auf der re:publica. Und das haben sie auch so verdient.
Gewonnen hat am Ende übrigens — Hamlet. Kein Witz. Vorgestellt wurde eine “argumented (sic!) reality” app fürs iPad, mit der User interaktiv … äh … irgendwie entscheiden können, woran Hamlet stirbt. Oder so. Egal. Der Gewinner darf sich freuen, das Preisgeld sei ihm gegönnt. Realisiert wird das vermutlich nicht. Und wenn doch: Geld bekommt er vermutlich nicht dafür. Außer dem Preisgeld.
Erfreulicherweise ergab sich nach diesem Kasperlethater eine spannende Unterhaltung mit Christian Römer von der Boell-Stiftung, bei der ich am 25. Mai an einer Podiumsveranstaltung zum Urheberrecht teilnehmen werde, und @twena Tina Lorenz, auf deren Vortrag “Theater und digitale Medien – ein Trauerspiel” morgen um 11.15 ich mich sehr freue. Dieses Posting ist als Folge dieses Gesprächs zu verstehen.
April 24th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Bühnenverein mit Ideenwettbewerb auf der #rp12 § permalink
Mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, dass der Deutsche Bühnenverein nicht nur Partner der re:publica 2012 ist, sondern dort sogar einen zusammen mit jovoto umgesetzten Ideenwettbewerb für das Theater der Zukunft unter dem Motto “TheaterInteraction” veranstaltet und präsentiert, ist die Tatsache, dass ich das bisher völlig übersehen habe. Woran das auch immer liegen mag. Wenn ich recht zähle, sind immerhin schon 42 Vorschläge eingereicht. Was ja nicht nichts ist. Ich hoffe es zu schaffen, mir die Prämierungssession am 02.05. um 18:45 anzuschauen.
Außerdem kündigt Tina Lorenz einen Vortrag für den 03.05. dort an mit dem » Read the rest of this entry «