April 11th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Theatersterben: Zur Kritik des reinen Vergnügens § permalink
Ein kurzer Mailwechsel mit Olivier Garofalo bringt mich dazu, nicht nur zum Hauptthema dieses Blogs – dem Theater – zurück zu kehren. Sondern direkt zu fundamentalen Fragen des Gegenwartstheaters zu kommen. In der Mail von Garofalo findet sich diese provokante Frage:
die wichtigste Frage ist wohl, ob der Inhalt
verschwindet, weil das Publikum in den heutigen Zeiten in ihrer Freizeit
nicht mit Fremdgedanken belastet werden wollen, oder ob besonders die
Schauspiel- und Regieschulen nur Ästhetik lehren (weil das freie Denken eh
nicht beibringbar ist). Wahrscheinlich beides und mittendrin die Kritik,
die ihre Massstäbe an der Kunst messen und eben nicht am Inhalt.
Garofalo nimmt damit drei Beteiligte als potenzielle Akteure auf: Publikum, Theaterschulen und Kritik. Das ist insofern spannend, als die Diskussion nicht sofort Intendanten, Dramaturgen und Regisseure in den Blick und Angriff zu nehmen versucht. Sondern die Entstehungsbedingungen einer bestimmten Gesamtsituation auf scheinbare Randbedingungen zurückführt – was Sinn macht.
Das Publikum
Ist das Publikum bzw. sind die Zuschauer Akteure in einem Sinn, der sie mitverantwortlich für das Elend gegenwärtigen Theaters macht? Was will „das Publikum“? Ein großer, einflussreicher Teil des aktuellen Publikums fordert offenbar „werktreue“ Inszenierungen von Klassikern. Sie wollen Museum. Identische Reproduktion der eigenen Vorstellungen dessen, was „die alten Meister“ schrieben, wollten, vorstellten. Diese Debatte ist nicht tot zu bekommen. Und Theater tun diesem Publikum ja den Gefallen. Man spielt die Klassiker. Und wenns keine » Read the rest of this entry «
Januar 23rd, 2011 § Kommentare deaktiviert für Wenn Mammons Hammer kreist I: Gute Nacht, Nachtkritik? § permalink
Während das Netz allerorten darüber palavert, ob Zeitungs- und Medienhäuser durch ein Leistungsschutzrecht geschützt werden sollen vor dem Niedergang (aktuelle Zahlen kommentiert Knüwer), ob nicht Zeitungen dann den Leistern, über die sie berichten, vielleicht ebenfalls für deren Leistung ein Entgeld zahlen müssten (also etwa den Theatern, wie Niggemeier meint), scheint Gott Mammon Fakten zu schaffen. Gerade kreist sein tödlicher Hammer über den Köpfen der geschätzten und von etwa hier mir bejubelten Nachtkritikredaktion. Hier gibt es ein Video mit Esther Slevogt, die (nach ermüdenden Ausführungen über die Spiralblock-„Affäre“) ein wenig über die Unternehmung erzählt.
Die Reaktion von Nachtkritik auf die schlechte wirtschaftliche Situation der Redaktion: seit einigen Wochen wird ein Spendenaufrauf mal mehr mal weniger prominent auf der Startseite vorgehalten, um User zu Unterstützern zu machen. Das ist sympathisch aber gescheitert.
Quo Vadis, Journalismus?
Die Frage, die sich daraus ableitet, lautet: Wenn denn die traditionellen (Print-)Zeitungsverlage darnieder gehen – wie kann sich qualitativ wertiger bis hochwertiger Journalismus noch finanzieren. Und mit finanzieren ist an dieser Stelle gemeint: Das alltägliche Überleben derer sicherstellen, die einen so großen Teil ihres Tages in die Erstellung der Inhalte investieren, dass sie keiner traditionellen Geldarbeit nachgehen können. Und nachtkritk ist schon relativ weit gegangenl in Sachen Kostensenkungen: relativ lächerliche Honorare für die Autoren, keine Reiosekosten, wenig Gehalt für die Festangestellten. Man spart wo es geht. (Selbst)Ausbeutung? Na sicher!
Nun ist im Web inzwischen allerorten die Meinung durchgesetzt: Was im Netz ist, kost nichts. Wer ins Netz arbeitet, kriegt nichts. Deswegen erwarte ich für dieses postdramatische Blog hier keinerlei Entgelt. Auch wenn ich hoffe, irgendwann eine Lebensfinanzierung u finden, die aus dieser Tätigkeit (und dem Schreiben) mehr macht, als eine Urlaubs‑, Wochenend- und Nachtbeschäftigung. Die Problematik von Nachtkritik ist also gar so weit nicht von der anderer Autoren entfernt. User lieben hochwertige Inhalte – bezahlen wollen sie aber nicht dafür. Das ist so. Bezahlpflicht für Nachtkritik wäre das Todesstündlein der Seite.
Es scheint, dass Nachtkritik mit der für Idealismus typischen Naivität an den Start gegangen ist. Wir machen mal – um Geld kümmern wir uns später. Das Beschissene daran ist: Der Bäcker, der Vermieter, der Schuster, der Hoster der Nachtkritiker will jetzt schon Geld. Und jetzt. Und jetzt. Und jetzt wieder.
Mammons Hammer
Nach dem Niedergang der traditionellen, printbasierten Massenmedien (Zeitungen, Zeitschriften …), die selbstverständlich wirtschaftlich orientierte Unternehmen sind und schon immer waren, scheint die Vision von funktionierenden Onlinemedien eine Illusion. Das Geld, das Verlage in Zeitungen verlieren, werden sie zukünftig in digitalen Medien nicht einnehmen können – da mag Döpfner das iPad anbeten, solange er will (“Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet.” Welt). Durch (Banner-)Werbung werden die Rückgänge an Printwerbung nicht kompensiert. Punktum.
Ich habe keine große Lust, mich in die Leistungsschutzdebatte einzumischen – weil sie eine Phantomdebatte ist. Wenn ein Kind im Brunnen liegt, muss man nicht über Brunnenabdeckungen reden. Sondern den Bestatter rufen – denn dieses Kind ist längst ertrunken. Nur postmortale Reflexe sind noch zu sehen. Das alte Geschäftsmodell ist perdu. Und wo ist das neue Geschäftsmodell? Heißt: Wie lassen sich fähige, erfahrene und unbestechliche Journalisten finanzieren? Werden die GEZ-finanzierten Öffentlich-Rechtlichen die Medien der Zukunft sein? Einem Modell der Kirchensteuer gleich also durch „Haushaltsabgaben“ finanziert und pseudo-kirchliche Autonomie genießen? Oder gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, der diese gesellschaftliche Funktion als so wichtig einschätzt, dass aus gesellschaftlicher Kraft heraus die Finanzierung gesichert wird (keine Ahnung, wie das gehen soll – durch Nachtkritik-Spenden oder flattr oder ähnliches geht’s nicht).
Übrigens: Diesmal liegt Mammons Hammer nicht in den Händen der Banken, sondern in den Händen der Konsumenten und Leser. Es werden nicht die bösen Agenten des Finanzkapitalismus sein, die Nachtkritik platt machen (könnten) sondern es sind die Menschen, die keine Zeitungen mehr kaufen, die zugleich für zeitungsartige Inhalte im Netz nicht bezahlen wollen. Die Macht der Konsumenten richtet sich – gegen sie selbst?
Jedenfalls – und damit will ich den allgemeinen Teil beenden – wird nachtkritik auf dem falschen Bein erwischt, ebenso wie die Leser. Denn in den letzten Jahrzehnten schon hat ein Ökonomismus gesellschaftlich um sich gegriffen und auch die Kultur erfasst (ich hab schon in den späten 80ern studentische Artikel verfasst die sich gegen die „Subventionskürzungen“ gegenüber Theatern richteten …) – der weder von Kulturschaffenden, noch von institutionellen Vertretern, noch offenbar von nachtkritik ernst genommen wurde. Die Kultur hat sich nicht dafür interessiert, wie den Vielen langsam das Wasser abgedreht wurde – jetzt interessieren sich die vielen einen Scheißdreck dafür, dass Theatern und Theaterzeitungen das Wasser bis zum Halse steht. Hättet ihr euch mal um den Turbo-Ökonomismus gekümmert! Vielleicht ist es noch nicht zu spät.
Die hausgemachten Probleme
Nachtkritik hat (wie bereits angedeutet) auf ihrer Seite vieles falsch gemacht, kaum einen Fehler ausgelassen. Die relaunchte Webseite ist eine Katastrophe. Gegen das » Read the rest of this entry «
August 11th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Journalismus bizarr — heute die Frankfurter Rundschau § permalink
Am letzten Samsatg las ich in der FR (hier) in der von mir sehr geliebten und geschätzten Kolumne von Mely Kiyak einen enorm eindringlichen Text über die widerwärtige Praxis der Steinigung. Ein Thema, dem sich anzunehmen und Protest zu üben meines Erachtens jenseits aller religiösen Eigenheiten nicht nur gerechtfertigt sondern geboten ist. Dass die Todesstrafe selbst ein Skandalon ist muss auch nicht diskutiert werden — das ist sie. Aus Gründen, die ich hier vielleicht einmal posten werde.
Heute nun lese ich (hier) ein Interview mit der Amnesty-Aktivistin Marie von Möllendorff, die in vielerlei Hinsicht Bedenkswertes zur Steinigung beizutragen hat und deren konkretes Engagement ich zuhöchst respektiere. Das alles vorweg — nun aber zeigt sich, wie seltsam Journalismus funktioniert. Und wie wenig der “Qualitätsjournalismus” darauf achtet, was er selbst fabriziert. Wenn das Anliegen stimmt. Dass das beste Anliegen durch falsche Argumente beschädigt werden könnte — wohl keiner Überlegung mehr wert.
Vielleicht meine verkürzte Wahrnehmung der Welt — aber seltsamerweise ging ich immer davon aus, dass die Steinigung eine besondere Grausamkeit ist, die Männer gegen Frauen verhängen, Das bestätigt auch weitgehend der Artikel in der FR:
Offenbar sind Frauen besonders häufig von Steinigungen bedroht. Warum ist das so?
Es sind auch Männer bedroht, aber häufiger Frauen. Die Aussage eines Mannes wiegt die Aussagen von zwei Frauen auf. Frauen sind häufiger Analphabeten und haben oft Geständnisse, die sie unterzeichnen, gar nicht gelesen. Bei ethnischen Minderheiten ist es oft auch so, dass sie kein Persisch verstehen. Das heißt, dass sie bei Gerichtsverfahren, selbst wenn sie von Steinigung bedroht sind, gar nicht wissen, was passiert. Und da Frauen meist kein eigenes Einkommen haben, können sie sich keinen guten Rechtsbeistand leisten.
Männer sind auch bedroht, aber häufiger Frauen. Aha. Männer haben mehr Gewicht vor Gericht (ääähm — auch wenn sie zu Ungusten von Männern aussagen?), Frauen verstehen kein Persisch (nein — genau lesen: “ethnische Minderheiten”). Und Frauen können sich keinen guten Rechtsbeistand leisten (heißt: Männer können?). Ich will hier nicht die Frauen-Männer-Debatte zum Dauerthema machen, wiewohl ich (hier) beim Thema Burka (aber mit gänzlich anderem Fokus) darauf Bezug genommen habe. Wir kommen zu Zahlen:
2009 wurden mindestens 388 Menschen hingerichtet, darunter war nur ein Mann, der gesteinigt wurde. Am häufigsten ist Tod durch Hängen. Ehebruch gehört zu den Hodoud-Verbrechen, das sind Verbrechen gegen den göttlichen Willen, die eine Bestrafung nach islamischem Recht nach sich ziehen. Steinigung steht nur auf den Ehebruch verheirateter Personen.
Aha — nur ein Mann. Und 387 Frauen? Nein nein, genau lesen: Es wurden 388 Menschen insgesamt hingerichtet, davon wurde ein Mann gesteinigt. Es steht dort nicht, dass 387 nichtmännliche Steinigungsopfer waren oder nur ein Mann hingerichtet wurde (und zwar durch Steinigung) hingegen 387 Frauen (auf welche Weise auch immer). Und der Haken steckt im nächsten Satz:
Wir gehen davon aus, dass mindestens fünf Männer und eine Frau seit 2002 gesteinigt wurden. Im Moment sind mindestens sieben weitere Frauen und drei Männer von Steinigungen bedroht.
Fünf Männer, eine Frau. Wie gesagt: Mir war bisher unbekannt, dass überhaupt Männer gesteinigt werden. Und mir ist letztlich auch ziemlich egal, Menschen welchen Geschlecht derart zu Tode gequält werden. Warum aber höre ich nichts von den Männern, die dieses Urteil tötet? Warum hängt auch die FR es als “Frauenthema” auf — und unterlässt es dann, die mir die Augen doch ein Stück öffnenden Zahlen einfach wegzulassen, um den schönen Artikel damit nicht zu zerstören? Warum schreibt man auf engstem Raum zusammen: “Es sind auch Männer bedroht, aber häufiger Frauen. (…) Wir gehen davon aus, dass mindestens fünf Männer und eine Frau seit 2002 gesteinigt wurden.” Kann mir irgendjemand aus dieser Redaktion erklären — warum?
Und übrigens — warum soll ich dafür Leistungsschutzrechte anerkennen? Was leistet der “Qualitätsjournalismus” denn, der sich solche Artikel leistet?
Juli 30th, 2010 § § permalink
Heute morgen noch zum Thema Brunner im Journalismus war die Kritik relativ zurückhaltend. Jetzt schlägts dem Fass den Boden doch gewaltig ins Gesicht. Worum gehts? Die sogenannten Qualitätsmedien haben sich seit einiger Zeit das Thema “gewaltbereite Jugendliche” auf die Agenda gesetzt. Das zieht, das bringt Leser und Verkäufe in einer Zeit, in denen das Zeitungverkaufen brutal ist. Der Fall Brunner schien wie gelegen zu kommen: Jugendliche wollen kleinere Jugendliche abziehen, tapferer Mann wirft sich in die Bresche — wird von Monstern brutal totgeschlagen. Jawoll — die Dramaturgie kennen wir aus Clockwork Orange, diesem vermutlich langweiligsten Zelluloidkunstwerk der Filmgeschichte. Aber die Geschichte ist einfach zu gut, um sie sang- und zeilenlos aufzugeben, wenn die Faktenlage sich ins Unübersichtliche verschiebt. Was also tut ein “Qualitätstitel” wie die ZEIT — sie orientiert sich an den Anmoderationen von RTL II und Co. Da begründet man das Abfilmen einigermaßen unbekleideter, vornehmlich weiblicher Menschen mit Stories wie “Immer mehr Menschen bevorzugen Sex in ungeblümter Bettwäsche”. Nicht dass das in irgendeiner Weise von Relevanz oder auch nur durch Zahlen belegt wäre (höchstens der Verweis auf namenlose “Experten” oder “die Wissenschaft” treten auf). Aber vorbildlicher Journalismus braucht seine Nachfolger.
Die ZEIT Online ergießt sich heute unter dem Titel “Jugendgewalt: Gegen den Kopf” ” hier über die Jugendgewalt. Die Anmoderation (nach einer gruseligen Schlägereibeschreibung aus der Schweiz (sic!):
Spontane Gewalt durch Gruppen junger Männer – das ist ein Phänomen, das sich in den Kurzmeldungen der Zeitungen durchs ganze Land verfolgen lässt.
Aha — die Zeitungen im ganzen Land sind diesmal die namenlosen “Experten”, die hinweisen und warnen. Zwei weitere Fälle werden geschildert — und dann erhebt sich die schwarzglänzende Federspitze des mahnwarnraunenden Journalisten Hannes Grassegger:
Die verheerende Prügeltour dreier Küsnachter Schüler in München; die willkürlichen Krawalle während des »Reclaim the Streets«-Umzuges in Zürich; der Tod eines Politikstudenten in Folge eines – laut Geständnis – »grundlosen« Angriffs von drei 18- bis 22-jährigen Tätern in Locarno 2008: All die Attacken aus dem Nichts beschäftigen die Menschen landesweit.
Das ganze Land. Beschäftig sich. Damit. Ich bin wohl der Einzige, der nicht. Weil ich diese drei Fälle nicht einmal kenne. Drei. In Worten: Drei. In Zürich, München und Locarno. Also mal geschätzt um die 100 Millionen Menschen, zwischen denen drei Schlägereien stattfinden. Ich bebe.
Jeden und jede könnte es erwischen: Dieses Gefühl ist es, was die Berichterstattung über die Fälle spontaner Gewalt bei vielen auslöst.
Jeder und jeden — wie grauenvoll. Lauern sie gerade hinter meinem Schreibtischstuhl, werden sie gleich klingeln, kauern sie harrend in der Geschirrspülmaschine? Ich bebe mehr — doch halt: Es ist ja die Berichterstattung, die das auslöst. Raffiniert, Herr Grassegger. Dann geht es weiter mit einem Fall, » Read the rest of this entry «
Juli 19th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Schlaaand und die Entfremdung: Teil 2 – Warum der Bundespräsident Null ist § permalink
Die gestern (hier) problematisierte Überlegung, ob es sich bei der weltmeisterlichen Fahnenschwenkerei und Farbenträgerei um auflebenden Neonationalismus handelt oder nicht, hatte unter anderem die Beobachtung vorgetragen, dass diese öffentliche Symbolmanipulation mit keinem gemeinsamen politischen Inhalt oder Anliegen verbunden war. Man könnte sich also verwundert die Augen reiben, wie erfahrene und reflektierte Beobachter des Politischen überhaupt auf die Idee kommen können, dass es sich hierbei um etwas Politisches oder Politiknahes handeln könnte.
Das Bedauerliche aber ist, dass selbst diesen Beobachtern der Blick dafür abhanden gekommen ist, wo Politisches es mit Inhalt und wo nur mit oberflächlichem Symbolismus oder Symbolmanipulation zu tun hat. Wie der Aufzug der symbolischen Oberfläche bereits mit vollumfänglichem Neonationalismus verwechselt wird, so wird auch die Symbolmanipulation im Allgemeinpolitischen mit Politik verwechselt.
Richard David Precht hat drei Wochen auf SpON einen Artikel zum Besten gegeben, in dem er „Die entfremdete Republik“ (hier) beschrieb. Ich erlaube mir, » Read the rest of this entry «
Juli 13th, 2010 § § permalink
Gerade erst gefunden: ein ziemlich guter Text auf theaterforschung.de über “Maximierung Mensch” in Trier. Mit einer ebanfalls sehr positiven Besprechung von SGL. Ich erlaube mir ein Zitat:
[…Der] Text ist in der Typoskriptfassung eine aus vielen nebeneinander arrangierten Textspalten bestehende Mammut-Partitur, in der die Mitspieler/Marktteilnehmer immer wieder mehrstimmig, gleichzeitig oder versetzt, chorisch oder polyfon ihre Angebote oder Nachfragen artikulieren und verhandeln. Der Autor hat den dramaturgischen Ablauf seiner ökonomischen Utopie an den fünf Levels des Computerspiel ‚Unreal Tournament‘ orientiert. Die einleuchtende Zugriffsweise der Uraufführung hat aus [den] Textmassen eine 90 minütige Trierer Fassung konstruiert, die sie in einer ehemaligen Maschinenhalle im Industriegebiet einrichtete. Als Spielort wäre angesichts der Dienstleistungsgesellschaft in ‚Sich Gesellschaft leisten‘ eher ein Börsensaal, eine Zeitarbeitsvermittlungsagentur, der Handelsraum einer Bank oder ein Bordell angemessen gewesen – doch sind diese Dienstleistungs-Räume in Trier vermutlich alle noch ausgelastet in Betrieb und stehen im Gegensatz zu einer Maschinenhalle dem Theater nicht zur Verfügung. Das Zusammenleben in Schmidts Sozialdrama (das eher eine postdramatische Partitur über postsoziale Zustände zu sein scheint) gleicht gerade auch im Privaten einem permanenten Börsenszenario. Nicht nur zeitnahe Tauschangebote werden ausgerufen und abgewickelt, es wird auch mit Optionen und Privat-Schuldscheinen gehandelt. Der Text ist ein ästhetisch anspruchsvoller Kommentar zur zunehmenden Durchökonomisierung aller Lebensbereiche. Das Stück passte wie ein Auftragswerk (das es nicht war) ins Konzept des Maximierung-Mensch-Festivals. Seine Trierer Uraufführung war ein gelungener Theaterabend; auf weitere Inszenierungen dieses ausladenden postdramatischen Textes darf man gespannt sein.
Hier gibts den Ganzen Artikel von Bernd Blascke
Juni 23rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Boltanski/Chiapello: Kapitalismus und Kapitalismuskritik als Geschwisterpaar § permalink
Bin zunehmend beeindruckt von Boltanski/Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus. Insbesondere von den gegenseitigen Abhängigkeiten beider voneinander und der These, dass der kapitalistische Geist sich letztlich der antikapitalistischen Kritik und der Einwände bedient, um sich weiter zu entwickeln. Für mich etwa verständlich bei der Überwindung der Ölindustrie durch ökologische Kritik und der Schaffung neuer Geschäfts- und Gewinnfelder in der Öko-Energieindustrie. Oder in der Reaktion auf den Vorwurf entfremdeter Arbeit durch stärkere Einbeziehung des “ganzen Menschen” in der lean Industry.
Besonders spannend finde ich dabei momentan ihre Theorie der Kapitalismuskritik, die sie zunächst aus einer “im Grunde sentimentalen Empörung » Read the rest of this entry «
Juni 16th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Politische in der Dramatik — ein spannender Diskussionsbeginn § permalink
Irgendwo auf den Mühlheim-Seiten von nachtkritik, in die ich mich (leider!) nur zufällig verirrt bzw. gefunden habe, fand ich (hier) einen sehr spannenden Diskussionsansatz zum Thema politische Reflektiertheit von Dramen, “phänomenologische” close description versus begrifflich-systematisch strukturiertem Denken von Zusammenhängen. Diskutanten immerhin Oliver Bukowski, Nis-Momme Stockmann und der Kritiker Christian Rakow, dessen (jedenfalls aktuell) letzten Satz ich in seiner Stoßrichtung nur voll unterstützen und bejahren kann.
In einem halte ich die aktuelle Entwicklung wirklich für problematisch: im (ökonomisch forcierten) Zwang, kleine Zeichen zu produzieren, die » Read the rest of this entry «
April 29th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Tageskritik § permalink
Eigentlich hatte ich ja vor meine Meinung zum Relaunch der Nachkritik kundzutun. Aber erstens ist dieses unglaubliche Wetter (zusammen mit meiner Laune) viel zu gut für Mäkeleien. Zweitens ist meine chronische Kritikorrhö einer akuten Klugscheißverstopfung gewichen. Und drittens ist der imho schwerste Fehler, der mir vorgestern ins Hirn sprang, heut schon nicht mehr da: anstelle des etwas zerfaserten Aufmachers zum Relaunch stehen jetzt die Nachtkritiken, die vorgestern doch sträflich auf der Seite versteckt waren. Wo sie jetzt sind, gehören sie hin!
Was wär sonst noch:
- die unglaubliche (freundlich gesagt) Masse und Dichte an farblich hervorgehobenen Links und semantischen Hervorhebungen macht das Dinge für alle ausser den Hardcore-Usern zum kompletten Chaos. Empfehlung: Hausfrauentest. Schnell 10 Leute von der Straße holen, davor setzen und während sie die Seite erkunden diese Probanden erzählen lassen, was sie sehen, was sie vermuten, was sie interessiert. Und wann sie abbrechen würden. Wenn bisserl Geld zur Hand ist noch besser: Eye-Tracking. Ihr werdet sehen, ein Erstbesucher der Seite wird höchst verwirrt wenn nicht gestresst sein und die Inhalte kaum wahrnehmen. Lässt sich aber ändern.
- Es ist natürlich höchste Zeit, dass die Macher und Schreiber Geld für ihre Arbeit bekommen. Ich glaube aber nicht, dass Banner viel bringen werden (ausser noch mehr Irritation). Im nächsten Schritt über weitere und neue Wege nachdenken. Shop wirds auch nicht reißen, glaube ich.
- Ich vermisse simple Verbreitungsmöglichkeiten wie Facebook-Anbindung und Twitter. Bringt vielleicht nicht immer viel — aber der Nutzen lohnt sich bei dem tatsächlich ja sehr geringen Aufwand. RSS-Feed funktioniert noch nicht vernünftig.
Jeder Relaunch ist eh ein work-in-progress. Und da lässt sich noch progredieren, denke ich :-) Und jetzt zurück in die Sonne und die Genesung weiter fördern. Seit Ronnie O’Sullivan bei der Snooker-WM raus ist, gibts keinen Grund mehr, sich den Hintern vorm Fernseher platt zu sitzen.
P.S. Hab ich jetzt am Ende doch kluggeschissen? Dann das noch: Ich liebe Nachtkritik noch immer — auch wenn das neue Kleid nicht so ganz perfekt sitzt!
April 27th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Nachtkritik relaunched § permalink
Nachtkritik hat sich beim relaunch ein überarbeitetes Erscheinungsbild gegeben — und wies Liebhabern so geht, deren Liebste sich in neuem Kleide und neuem Schnitt zeigt: man ist ein wenig verwirrt, überrascht, neugierig. Gefällts mir? Gefällts mir nicht? Ist das noch meine Liebste? Mit Heiner Müller: Die erste Erscheinung des Neuen ist der Schrecken (nunja, vielleicht etwas überpostdramatisiert).
Aus eigener Erfahrung mit Launches und Relaunches kann ich der Redaktion und den Beteiligten in Front- und Backend erst mal nur Glück wünschen und wünschen, dass es gut ankommt. Und allseits nach den letzten und vermutlich auch noch kommenden Tagen mit Bugfixing usw. gute Erholung und viel Vergnügen wünschen. Die Launchparty will ich nicht mit meinen Einwänden und dieser oder jener Enttäuschung stören. Deren hätte ich einge. Aber dafür ist später auch noch Zeit — ich hoffe, dass die Besucher die Seite erst mal annehmen. Und dass das Lesen und Lesenlassen weiter geht!
Auf zur nachtkritik.