Januar 7th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Die Antiquiertheit des szenisches Schreibprozesses – Antwort an Frank Kroll § permalink
Frank Kroll, Leiter des Suhrkamp Theaterverlags, hat mir mit einem Kommentar auf den zweiten Teil zum Posting „Die Antiquiertheit des szenischen Schreibprozesses“ geantwortet. Ich habe Frank Kroll, der erfreulicherweise wieder hier zu bloggen begonnen hat, auf den Autorentheatertagen 2002 in Hamburg als ausgesprochen klugen und sehr angenehmen Menschen kennengelernt, wollte deswegen auch entsprechend sinnvoll auf seinen Kommentar antworten – was leider vom Umfang her einigermaßen aus dem Ruder lief. Deswegen habe ich mich entschieden, meine Antwort in mehrere Postings zu zerteilen und in den nächsten Tagen sukzessive hier zu veröffentlichen.
UPDATE: Der erste Beitrag ist jetzt hier online: Die (Neu)Entfaltung der szenischen Kraft – eine Antwort an Frank Kroll, Teil 1
November 22nd, 2012 § § permalink
Theater ist ganz selbstverständlich ein kollaborativer Prozess, aus dem, überraschenderweise, nur eine Funktion nahezu komplett ausgeschlossen ist: die Schreiber. Das sorgt dafür, dass „eigenständige“ Texte entstehen, mit denen Theater meistens in dieser Form, mit dieser Besetzung, in dieser Tonalität nichts anfangen können. Und es sorgt auch, aufgrund der damit verbundenen Ungewissheit hinsichtlich der Finanzierung der eigenen Arbeit, dafür, dass Schreiber nach einigen Texten aufgeben. Wer wäre so dumm, serienweise Texte zu produzieren, die keine Abnehmer finden? Die nur ein paarmal auf einer Nebenstätte gespielt werden? Die, selbst wenn sie Einnahmen erbringen, diese Einnahmen – aufgrund der langwierigen Vorlaufzeiten – so spät kommen, dass inzwischen irgendein Brotjob angenommen werden muss? Der üblicherweise durchaus für eine Auslastung in einem Maße sorgt, dass konzentriertes Schreiben dann nicht mehr möglich ist. Dass die ersten Arbeiten direkt eine Perfektion haben, dass mehrere Häuser sie spielen, ist zumeist nur dem jährlichen Hype-Autor gegönnt. Der zwei oder drei Texte später dann wieder in der Versenkung verschwindet. Oder einer Handvoll Großautoren von der Kategorie Handke, Strauß, Jelinek, die „es geschafft“ haben.
Hinter diesem Umgang mit Schreibern und Texten schlummert noch immer der Mythos vom Originalgenie, vom aus sich selbst und einsam schaffenden Schriftsteller, der in seinem Stübchen den Kampf mit sich und der Welt aufnimmt und als Sieg dieses Kampfes einen Text vorlegt. Diesen Mythos gilt es zu zertrümmern. Weil er der Arbeitsweise der Gegenwart nicht » Read the rest of this entry «
November 22nd, 2012 § Kommentare deaktiviert für Die Antiquiertheit des szenischen Schreibprozesses I § permalink
Die Funktion des Autors im Stadttheater der Gegenwart ist nichts weniger als eine Paradoxe. Einerseits als Publikumsmagnet auf Spielpläne und Plakaten eingesetzt, ist „der Autor“ und seine Auktorialität, seine Herrschaft über Sinn und Gestalt der Aufführung (in einem naiven Verständnis dieser Begriffe, die jeweils einzeln und in ihren Zusammenspiel allerdings zu befragen wären) doch in keinster Weise mehr garantiert. Regie versteht sich nicht mehr als bloße Interpretation, schon gar nicht als einer Treue gegenüber dem Textwerk verpflichtet. Das Selbstverständnis moderner und postdramatischer Regie umfasst explizit den Anspruch eines freien Umgangs mit vorliegenden sprachlichen Artefakten, inklusive der Streichung oder Umstellung, des textlichen Mesh-ups, der Einbeziehung nicht originär für die Bühne geschriebener Texte wie Romane, Drehbücher oder Dokumente und Textsorten unterschiedlichster Provenienz. Das sorgt für den Reichtum des aktuellen Theaters, auch wenn gelegentlich noch immer Häupter sich recken, die dem Autor und seiner Intention das Primat zurück erteilen wollen (wie zuletzt und wieder einmal Kehlmann). Diese Schlachten können als geschlagen, » Read the rest of this entry «
Juli 29th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Auf der documenta ist’s wie daheim im Arbeitszimmer #d13 § permalink
Susan Hiller: Die Gedanken sind frei. Neue Galerie. (Hier noch ein tolles Bild von der Arbeit).
Und so sähs bei mir aus:
Juni 23rd, 2012 § § permalink
Macht man sich den Spaß, den von Kusanowsky (hier) aufgenommenen Ball hinsichtlich der Reflexion der Ereignisse um das vieldiskutierte (Nicht-)Tor im Spiel Ukraine-England wiederum anzunehmen und steil auf die abschließenden Torheiten zuzuspielen, käme man wohl mit dem folgenden Gedanken in Strafraumnnähe:
Fast schon letztendlich lässt sich der Diskurs um das Geschehen reduzieren auf eine dahinter liegende Grundannahme, nämlich diejenige, ein (Schieds)Richter habe die Wahrheit herauszufinden, um ein gerechtes Spielergebnis zu ermöglichen. Die Alternativformulierung, der dieser Grundannahme wiederspricht und die an die Wurzeln der Moderne rührt, wäre: Der (Schieds)Richter hat nach bestem Wissen und Gewissen spielregelkonforme Entscheidungen zu fällen. Letzteres müsste den Verzicht auf Wahrheitsanspruch einschließen. Heißt: Das Urteil ist nicht die Wiedergabe einer Wahrheit, sondern eine abschließende Entscheidung unter den Bedingungen „nach menschlichem Ermessen“. Ersteres dagegen beansprucht ein Endurteil, das das menschliche Ermessen lediglich als Fehlerquelle und damit Quelle der Unsicherheit betrachtet. Darin schließt die scheinbar nur um Fußball kreisende Debatte durchaus nahtlos an die rechtliche Debatte um das Gerichtsurteil an. Hat der Richter die Aufgabe, im Prozess die Wahrheit zu finden? Oder hat er ein Urteil „beyond reasonable doubt“ zu fällen? Ist das Urteil der Abschluss eines Prozesses? Oder ist das Ende des Prozesses die Offenbarung bzw. Offenbarwerdung und Unverborgenheit der Wahrheit? Folgt das Urteil den Regeln der Strafprozessordnung? Oder unterliegt das Urteil dem Wahrheitsanspruch? Im ersteren Falle schlösse das Urteil die Möglichkeit des Fehlers im Prozess ein (worauf Kusanowsky im Namen der sportlichen Fairness abhebt). Das Ergebnis könnte niemals Wahrheit, sondern nur höchste Wahrscheinlichkeit oder Menschenmögliches sein. Letzteres wäre ein Urteil, dessen menschlicher Anteil so weit zu reduzieren wäre, dass eigentlich nur das Gottesurteil ein sinnvolles Verfahren wäre.
Wahrheit und Wirklichkeit
Obwohl weder Fußball, noch bürgerliche Gerichte es (vordergründig!) mit metaphysischen Wahrheiten zu tun haben, findet doch gelegentlich ein diskursive Verwechslung von Wahrheit und Wirklichkeit statt. Die Wahrheit herauszufinden heißt, wie es „wirklich“ gewesen ist. Und die Wahrheit zu sagen fordert die adaequatio verbi et rei, also eine Form sprachlicher Aussagenwahrheit, in der das, was gesagt wird, wiedergeben soll, was wirklich oder wahrhaftig gewesen ist. Die Unsicherheit, Widersprüchlichkeit und Störanfälligkeit menschlicher » Read the rest of this entry «
Juni 20th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Digitaljournalismus statt #lsr – Aufruf zur Rettung von nachtkritik.de § permalink
Zugegeben, die Headline dieses Postings ist so reißerisch, wie eine schlechte BILD (darf ich den Namen noch erwähnen, ohne verklagt zu werden?) Schlagzeile. Allerdings ist hier wie dort auch das Ziel ähnlich: es soll nicht nur informiert, sondern agitiert werden.
Zur Sache: nachtkritik.de ist DAS deutschsprachige Theater- und Theaterkritikportal im Netz. Es wurde vor über fünf Jahren von erfahrenen und printrenommierten Theaterkritikern gegründet und bringt jeden Morgen Kritiken zu den wichtigsten Theaterpremieren des vergangenen Abends. Zudem werden dort die heißesten Kommentardebatten über ästhetische, theater- und kulturpolitischen Themen geführt. Zusammen mit der Redaktion sorgen mehrere Dutzend freie Kritiker, verteilt über das ganze Land, dafür, dass nicht nur die „Zentren“ des Theatergeschehens, sondern auch die Provinz Beachtung und Aufmerksamkeit findet. Nachtkritik lebt im Wesentlichen von dem (positiv formuliert) Idealismus und der (kritisch gesagt) Selbstausbeutung aller Macher, um ein kostenloses, hoch professionelles und journalistisches Angebot zu schaffen.
Um die Mittel selbst für diesen recht spärlichen Honorare zu generieren, nutzt nachtkritik Werbebanner, bekommt Unterstützung etwa von der Bucerius-Stiftung – und ist auf Spenden angewiesen. Aktuell werden 25.000 Euro benötigt, um den Betrieb von nachtkritik auch in der nächsten Spielzeit zu ermöglichen. Davon sind nach vier Wochen nicht einmal 4.000 Euro zusammengekommen.
Für mich ist nachtkritik nicht nur als Kulturplattform spannend und faszinierend. Für mich steht vielmehr gerade in den aktuellen Umständen, der Debatten um Urheber- und Leistungsschutzrechte mehr auf dem Spiel bei der Farge, ob nachtkritik das Überleben gelingt.
Nachtkritik ist – neben einigen anderen Angeboten wie carta oder netzpolitik – ein Vision vom unabhängigen Digitaljournalismus der Zukunft Heißt: Wenn es nicht gelingt, eine solche Plattform jenseits traditioneller Erlösmodelle dauerhaft am Leben zu erhalten, schwindet mein grundsätzlicher Optimismus was die Zukunft von Qualitätsjournalismus im Netz jenseits industriegesellschaftlicher Produktions- und Distributionsmechanismen angeht. Nicht weil vom Theaterjournalismus etwa die Zukunft von irgendetwas abhinge (abgesehen von den Stadttheatern, die man finden mag, wie man will). Sondern weil nachtkritik symbolisch stehen kann für die entscheidende Frage:
Kann Journalismus mit hohem Anspruch, mit intensiver Debattenkultur, ohne Verlage und ihre lobbybearbeiteten Gesetzeswerke zukünftig ökonomisch leben oder nicht? Können Journalisten ohne Verlags- und Vertriebshintergründe zukünftig selbstorganisierte Angebote in einer Form betreiben, dass auch eine zumindest existenzsichernde Finanzierung dabei herauskommt – oder ist dieses ganze Netz letztlich nur ein Hobbyraum?
Um dafür einen zukunftsweisenden Beitrag zu leisten, braucht es mehr als Lippen- oder Twitterbekenntnisse. Es braucht in paar Euro (die sogar steuerlich abzugsfähig sind, da nachtkritik gemeinnützig ist). Man muss sich nicht für Theater interessieren, um ein Statement zur Zukunft des anspruchsvollen (Kultur-)Journalismus im Netz per Spende abzugeben. Man muss nachtkritik nicht jederzeit zustimmen, muss nicht einmal mit der Grundlinie oder der Inhaltsauswahl einverstanden sein, um zu verstehen und per Spende zu goutieren, dass eine Inhaltsdebatte nur dann sinnvoll geführt werden kann, wenn die Erstellung der Inhalte gesichert ist. Man muss nachtkritik nicht einmal lesen, um ein Statement für einen zukunftsweisenden Digitaljournalismus abzugeben, indem man ein paar Euro springern lässt.
Wer als Schauspieler darauf angewiesen ist, dass Menschen ein paar Euro Eintritt zahlen, sollte eine Spende in Höhe eines Eintrittsgeldes beisteuern, um zukünftig netzöffentliche Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit zu bekommen. Wer als Intendant vom Fortbestehen der Stadttheaterkultur abhängig ist, sollte einen Wochenlohn (Brutto – Steuern gibt’s ja zurück; bei einem Frankfurter Intendantengehalt von 240.000+X — wie nachtkritik gerade berichtet — wären also ca. 5.000+X fällig!) dafür springen lassen. Wer als Journalist um die Zukunft des Journalismus besorgt ist, sollte sich eine Packung Zigaretten verkneifen und dafür einen fünfer springen lassen. Wer die Debatte um das Leistungsschutzrecht besorgt verfolgt, sollte seinen Beitrag für eine Plattform leisten, die sich über Erwähnungen, Verlinkungen, Zitierungen freut, statt sie juristisch zu verfolgen.
Und wer gar kein Geld, aber eine Twitter-Followerschaft hat, sollte wenigstens mit einem Retweet dafür sorgen, dass solventere Follower aufmerksam werden – und Geld rauslassen. Es geht um lächerliche 25.000 Euro. Das sind 5.000 Spenden zu 5 Euro.
Plase Donate here and retweet.
Disclosure: Ich gehöre der Redaktion nicht an, bin aber mit Redakteuren persönlich bekannt und habe Beiträge für nachtkritik geschrieben. Das dafür bezogene Honorar geht selbstverständlich als Spende zurück an nachtkritik.
Juni 19th, 2012 § § permalink
Heute Abend spielten bei der Fußball-Europameisterschaft England und die Ukraine gegeneinander in einem Entscheidungsspiel, einem Spiel also, dass darüber abschließend Auskunft geben sollte, welche der vier Mannschaften in der Gruppe in die nächste Runde einziehen würde, welche beiden ausscheiden. Am Ende scheidet nun die Ukraine aus. Und daran hatte eine Einzelentscheidung einen gewissen Anteil: In der 61. Minute schoss der ukrainische Spieler Devic aufs englische Tor, der englische Spieler Terry … und da fängt die Tragödie an. Terry kommt artistisch an den Ball und schlägt ihn vom Tor weg. Die Frage: War der Ball im Tor und wird entsprechend für die Ukraine gewertet oder war er nicht im Tor? Diese Entscheidung in diesem Entscheidungsspiel zu fällen war die Aufgabe des Torrichters, eines neuerdings an der Torlinie postierten Unparteiischen, der nichts anderes zu tun hat als zu beobachten und zu entscheiden, ob ein Ball die Torlinie überquerte oder nicht. Und dieser Torrichter entschied: Der Ball war nicht hinter der Linie, es ist kein Tor für die Ukraine zu zählen.
Die Entscheidung schafft Tatsachen
Es handelt sich also um ein Entscheidungsspiel bei dem in einer entscheidenden Szene eine hoch spielrelevante Entscheidung zu treffen war, die auf dem Urteil einer einzelnen Person beruhte. Und diese Entscheidung ist wiederum überprüfbar durch die Fernsehtechnik. Denn nicht nur ein Torrichter wurde so positioniert, dass kein weiteres Wembley-Tor geschehen könnte. Sondern auch eine Fernsehkamera wurde so positioniert, dass eine genaue Beobachtung der Situation des Balls im Verhältnis zur Torlinie möglich wird. Und die Bilder dieser Kamera zeigten in Zeitlupe bzw. Standbild, dass der Ball hinter der Linie war. Man könnte nun sagen: Die Spielbeteiligten leben in der Gnade der Ignoranz, die Fernsehzuschauer verfügen über die technische All- oder zumindest Mehrwissenheit. Nun ist es aber so, dass diese Bilder offenbar auch wieder ins Stadion selbst übertragen und dem Publikum, den Spielern und den Unparteiischen gezeigt werden. Es entsteht eine hochgradig seltsame Situation: » Read the rest of this entry «
Mai 13th, 2012 § § permalink
Jetzt hat auch der Art Directors Club (ADC), der Kreativverband der Werbeindustrie (dessen Mitglied ich bin) zur Urheberrechtsdebatte Stellung bezogen. Und sich ziemlich blamiert.
Ich hatte den letzten Tagen das Vergnügen, als Juror für den ADC Dialogwerbearbeiten des letzten Jahres unter Kreativgesichtspunkten mit zu jurieren. Nette Sache. Bei der gestrigen Preisverleihung hatte ich dann das noch grössere Vergnügen, wenn nicht die Ehre, die großartige Anzeige des ADC zum Tod Vicco von Bülows zu laudatieren.
Weit weniger vergnüglich, um nicht zu sagen ärgerlich unreflektiert fand ich dagegen die Stellungnahme des ADC Vorstandssprechers Jochen Rädeker zum Urheberrecht. Mit pathetischem Unterton forderte er ein starkes Urheberrecht zum Schutz der Kreativen. Es könne ja wohl nicht sein, dass sich jeder einfach ohne Bezahlung kreative Leistung downloade.
Das ist enorm dumm. Aus zwei Gründen:
- Dürfte der Werbeindustrie nicht daran gelegen sein, die Leistungen ihrer Kreativen, von Textern, Designern, Drehbuchautoren, Musikern, Programmieren nach Prinzipien des geistigen Eigentums der Schöpfer behandeln zu lassen. Wäre ja nett, wenn ein Texter gegen ein Unternehmen zu Felde zöge weil seine Headline oder sein Claim nicht in der von ihm/ihr geschaffenen Form erscheint, wenn Drehbücher vom Kunden oder Vorgesetzten umgeschrieben, Musik verhunzt wird. Von finanziellen Ansprüchen an die Verwerter wollen wir mal schweigen.
Richtig ärgerlich daran ist, dass eigentlich die Werbeindustrie schon lange mit nach-urheberrechtlichen Prinzipien arbeitet. Werbemaßnahmen enstehen seit » Read the rest of this entry «
Mai 3rd, 2012 § § permalink
Wie letztens gepostet, haben die Intendanten im Deutschen Bühnenverein ein Experiment unternommen, um einen Fuß ins kalte Netz zu strecken. Zusammen mit Jovoto wurde ein “Creative Crowdsourcing” Projekt gestartet, bei dem die Plattform-Mitglieder keine geringere Frage beantworten sollten, als “Was ist das Theater der Zukunft?”. Das hat natürlich einiger Vordiskussionen bedurft im Kreis der Intendanten. Eine Klausurtagung mit eingeladenen Experten. Und Abstimmungsrunden, was man denn sinnvoll findet und was nicht. Solche Dinge wollen reiflich überlegt sein.
Zum Ergebnis lässt sich so wahnsinnig viel nicht sagen. Einige der auf der Veranstaltung vorgestellten Ideen waren einigermaßen originell oder schräg. Richtig angekommen sind sie bei den Theaterleuten, die die Ideen vorstellten, nicht. Letztlich, so hieß es, sei das Publikum so digital ja noch nicht, sondern informiere sich über Theater eher aus der gedruckten Zeitung. Weswegen man die “neuen Medien” mit Fingerspitzengefühl anpacken müsse. Selbst wenn man aus Fairnessgründen keine weiteren verbalen Auffälligkeiten wiedergibt, lässt sich schon hier ein ganz fundamentales Problem feststellen. Die Theaterleute auf dem Podium haben die Relevanz der — mit ca. 20 Jahren sicher nicht mehr “neuen” Medien — nicht erkannt. Sie geben sich mit dem Printpublikum zufrieden, ohne darüber nachzudenken, das dieses mit den Zeitungen selbst verschwinden könnte.
Der Ideenwettbwerb hatte für die panelanwesenden Theaterleute in etwa die praktische Relevanz wie der Malwettbewerb eines Sparkassenverbandes. Hübsche Dinge — aber doch nichts fürs Tagesgeschäft. Marketing und Werbung könne man sicher mit cleveren Ideen anreichern, um “junge Leute” (eine grauenvolle Formulierung von älteren Herrschaften, die die Welt nicht mehr verstehen) besser zu erreichen. Aber der Auftrag des Theaters sei ja nun doch, tradierte Inhalte in neue Gewänder zu kleiden. Das tue man ja schon. Etwa indem Figuren nur als Projektionen auf der Bühne präsent sein lasse. Und twittern und posten auf Facebook — tue man ja auch schon. Aber da könne man sicher noch etwas mehr tun. In Sachen Werbung.
Das wirkliche Desaster aber …
Auf der re:publica versammeln sich etwa 4.000 kreative, gesellschaftsinteressierte, politisch interessierte, in vielerlei Sinne kreative, vorwärts denkende und avantgardistische Köpfe. Und von diesem 4.000 haben es gerade einmal gut 30 (Panelteilnehmer und Orgateam abgezogen) in die Veranstaltung geschafft. In Zahlen: Dreißig. Eine zeitlich relativ gut gelegene (Warten auf die Lobo-Sause) Veranstaltung über das Theater lockt gerade einmal 30 Zuhörer an. Vielleicht sind die Theaterleute schon zu sehr gewohnt vor leeren Sälen zu spielen — der Saal 4 auf der re:publica bot geschätze 300 Sitzplätze — als dass es ihnen noch auffiele: Die katastrophale und gähnende Leere aber war ein überdeutliches Statement der “jungen Leute” dazu, was sie vom Theater halten. Und wenn Theaterleute nicht beginnen zu verstehen, dass Theater in der entstehenden Netzgesellschaft (das Wort fiel immerhin einmal) nicht heißt, andere Werbung zu machen, die PR twittern zu lassen und noch ein paar Projektoren mehr aufzustellen, sondern dass es vielmehr darum geht, als gesellschaftliche und sich als gesellschafts“kritisch” verstehende Institution die künstlerische und intellektuelle Auseinandersetzung zu suchen, die eigenen künstlerischen Mittel und organisatorischen Prozesse zu überprüfen, grundsätzlich und umfassen infrage zu stellen und gegebenenfalls neu zu erfinden, kurz: Theater in der Netzgesellschaft zu werden — dann werden die Theater über kurz oder lang so leer sein, wie heute Saal 4 auf der re:publica. Und das haben sie auch so verdient.
Gewonnen hat am Ende übrigens — Hamlet. Kein Witz. Vorgestellt wurde eine “argumented (sic!) reality” app fürs iPad, mit der User interaktiv … äh … irgendwie entscheiden können, woran Hamlet stirbt. Oder so. Egal. Der Gewinner darf sich freuen, das Preisgeld sei ihm gegönnt. Realisiert wird das vermutlich nicht. Und wenn doch: Geld bekommt er vermutlich nicht dafür. Außer dem Preisgeld.
Erfreulicherweise ergab sich nach diesem Kasperlethater eine spannende Unterhaltung mit Christian Römer von der Boell-Stiftung, bei der ich am 25. Mai an einer Podiumsveranstaltung zum Urheberrecht teilnehmen werde, und @twena Tina Lorenz, auf deren Vortrag “Theater und digitale Medien – ein Trauerspiel” morgen um 11.15 ich mich sehr freue. Dieses Posting ist als Folge dieses Gesprächs zu verstehen.
April 9th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Postdramatiker-Interview im aktuellen Magazin des Deutschen Theaters Berlin § permalink
Im Anschluss an die Blackfacing-Debatte und meinen Artikel “Das Politische im Ästhetischen” auf nachtkritik bzw. hier im Blog, hat mich Sonja Anders, Chefdramaturgin am Deutschen Theater Berlin, per Email-Interview noch einmal zu der Debatte selbst und zur Veränderung des Theaters durch das Netz, den Übergang von der Massenmediengesellschaft zur Netzgesellschaft befragt. Hier gibts das Interview als PDF-Download