Die Antiquiertheit des szenisches Schreibprozesses – Antwort an Frank Kroll

Januar 7th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Die Antiquiertheit des szenisches Schreibprozesses – Antwort an Frank Kroll § permalink

Frank Kroll, Lei­ter des Suhr­kamp Thea­ter­ver­lags, hat mir mit einem Kom­men­tar auf den zwei­ten Teil zum Pos­ting „Die Anti­quiert­heit des sze­ni­schen Schreib­pro­zes­ses“ geant­wor­tet. Ich habe Frank Kroll, der erfreu­li­cher­wei­se wie­der hier zu blog­gen begon­nen hat,  auf den Autoren­thea­ter­ta­gen 2002 in Ham­burg als aus­ge­spro­chen klu­gen und sehr ange­neh­men Men­schen ken­nen­ge­lernt, woll­te des­we­gen auch ent­spre­chend sinn­voll auf sei­nen Kom­men­tar ant­wor­ten – was lei­der vom Umfang her eini­ger­ma­ßen aus dem Ruder lief. Des­we­gen habe ich mich ent­schie­den, mei­ne Ant­wort in meh­re­re Pos­tings zu zer­tei­len und in den nächs­ten Tagen suk­zes­si­ve hier zu veröffentlichen.

 

UPDATE: Der ers­te Bei­trag ist jetzt hier online: Die (Neu)Entfaltung der sze­ni­schen Kraft – eine Ant­wort an Frank Kroll, Teil 1

 

Die Antiquiertheit des szenischen Schreibprozesses II

November 22nd, 2012 § 4 comments § permalink

Thea­ter ist ganz selbst­ver­ständ­lich ein kol­la­bo­ra­ti­ver Pro­zess, aus dem, über­ra­schen­der­wei­se, nur eine Funk­ti­on nahe­zu kom­plett aus­ge­schlos­sen ist: die Schrei­ber. Das sorgt dafür, dass „eigen­stän­di­ge“ Tex­te ent­ste­hen, mit denen Thea­ter meis­tens in die­ser Form, mit die­ser Beset­zung, in die­ser Tona­li­tät nichts anfan­gen kön­nen. Und es sorgt auch, auf­grund der damit ver­bun­de­nen Unge­wiss­heit hin­sicht­lich der Finan­zie­rung der eige­nen Arbeit, dafür, dass Schrei­ber nach eini­gen Tex­ten auf­ge­ben. Wer wäre so dumm, seri­en­wei­se Tex­te zu pro­du­zie­ren, die kei­ne Abneh­mer fin­den? Die nur ein paar­mal auf einer Neben­stät­te gespielt wer­den? Die, selbst wenn sie Ein­nah­men erbrin­gen, die­se Ein­nah­men – auf­grund der lang­wie­ri­gen Vor­lauf­zei­ten – so spät kom­men, dass inzwi­schen irgend­ein Brot­job ange­nom­men wer­den muss? Der übli­cher­wei­se durch­aus für eine Aus­las­tung in einem Maße sorgt, dass kon­zen­trier­tes Schrei­ben dann nicht mehr mög­lich ist. Dass die ers­ten Arbei­ten direkt eine Per­fek­ti­on haben, dass meh­re­re Häu­ser sie spie­len, ist zumeist nur dem jähr­li­chen Hype-Autor gegönnt. Der zwei oder drei Tex­te spä­ter dann wie­der in der Ver­sen­kung ver­schwin­det. Oder einer Hand­voll Groß­au­to­ren von der Kate­go­rie Hand­ke, Strauß, Jeli­nek, die „es geschafft“ haben.

Hin­ter die­sem Umgang mit Schrei­bern und Tex­ten schlum­mert noch immer der Mythos vom Ori­gi­nal­ge­nie, vom aus sich selbst und ein­sam schaf­fen­den Schrift­stel­ler, der in sei­nem Stüb­chen den Kampf mit sich und der Welt auf­nimmt und als Sieg die­ses Kamp­fes einen Text vor­legt. Die­sen Mythos gilt es zu zer­trüm­mern. Weil er der Arbeits­wei­se der Gegen­wart nicht » Read the rest of this entry «

Die Antiquiertheit des szenischen Schreibprozesses I

November 22nd, 2012 § Kommentare deaktiviert für Die Antiquiertheit des szenischen Schreibprozesses I § permalink

Die Funk­ti­on des Autors im Stadt­thea­ter der Gegen­wart ist nichts weni­ger als eine Para­do­xe. Einer­seits als Publi­kums­ma­gnet auf Spiel­plä­ne und Pla­ka­ten ein­ge­setzt, ist „der Autor“ und sei­ne Aukt­ori­a­li­tät, sei­ne Herr­schaft über Sinn und Gestalt der Auf­füh­rung (in einem nai­ven Ver­ständ­nis die­ser Begrif­fe, die jeweils ein­zeln und in ihren Zusam­men­spiel aller­dings zu befra­gen wären) doch in keins­ter Wei­se mehr garan­tiert. Regie ver­steht sich nicht mehr als blo­ße Inter­pre­ta­ti­on, schon gar nicht als einer Treue gegen­über dem Text­werk ver­pflich­tet. Das Selbst­ver­ständ­nis moder­ner und post­dra­ma­ti­scher Regie umfasst expli­zit den Anspruch eines frei­en Umgangs mit vor­lie­gen­den sprach­li­chen Arte­fak­ten, inklu­si­ve der Strei­chung oder Umstel­lung, des text­li­chen Mesh-ups, der Ein­be­zie­hung nicht ori­gi­när für die Büh­ne geschrie­be­ner Tex­te wie Roma­ne, Dreh­bü­cher oder Doku­men­te und Text­sor­ten unter­schied­lichs­ter Pro­ve­ni­enz. Das sorgt für den Reich­tum des aktu­el­len Thea­ters, auch wenn gele­gent­lich noch immer Häup­ter sich recken, die dem Autor und sei­ner Inten­ti­on das Pri­mat zurück ertei­len wol­len (wie zuletzt und wie­der ein­mal Kehl­mann). Die­se Schlach­ten kön­nen als geschla­gen, » Read the rest of this entry «

Der Marienthaler Dachs – vom Verlag angenommen

Oktober 8th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Der Marienthaler Dachs – vom Verlag angenommen § permalink

Zu mei­ner nicht gerin­gen Freu­de hat der Ver­lag der Autoren sich letz­te Woche ent­schie­den, den Mari­en­tha­ler Dachs ins Ver­lags­pro­gramm auf­zu­neh­men. Damit ist zwar zunächst nicht sehr viel, aber doch eini­ges gewon­nen. Solan­ge Thea­ter sich nicht dazu durch­rin­gen, sich durch das Gebir­ge zu bewe­gen, das die­ser Text ist, solan­ge sie nicht ver­ste­hen, war­um es ein sol­ches Gebir­ge ist und war­um es Lau­ne und Lust machen könn­te, Gebir­ge im Thea­ter zu durch­wan­dern, solan­ge sie den Vor­be­rei­tungs­auf­wand und das Risi­ko scheu­en, so lan­ge bleibt die­ser Text nur ein papier­nes Gebirge.

Immer­hin fast vier Jah­re – seit Novem­ber 2008 – hat die Arbeit an die­sem Text gedau­ert. Um über­haupt dar­an arbei­ten zu kön­nen, war ein neu­er Rech­ner mit zwei Bild­schir­men nötig. Zudem zeig­te sich die sehr unschö­ne Begren­zung » Read the rest of this entry «

Der Bühnenverein auf der re:publica — ein Kasperltheater #rp12

Mai 3rd, 2012 § 1 comment § permalink

Wie letz­tens gepos­tet, haben die Inten­dan­ten im Deut­schen Büh­nen­ver­ein ein Expe­ri­ment unter­nom­men, um einen Fuß ins kal­te Netz zu stre­cken. Zusam­men mit Jovo­to wur­de ein “Crea­ti­ve Crowd­sour­cing” Pro­jekt gestar­tet, bei dem die Platt­form-Mit­glie­der kei­ne gerin­ge­re Fra­ge beant­wor­ten soll­ten, als  “Was ist das Thea­ter der Zukunft?”. Das hat natür­lich eini­ger Vor­dis­kus­sio­nen bedurft im Kreis der Inten­dan­ten. Eine Klau­sur­ta­gung mit ein­ge­la­de­nen Exper­ten. Und Abstim­mungs­run­den, was man denn sinn­voll fin­det und was nicht. Sol­che Din­ge wol­len reif­lich über­legt sein.

Zum Ergeb­nis lässt sich so wahn­sin­nig viel nicht sagen. Eini­ge der auf der Ver­an­stal­tung vor­ge­stell­ten Ideen waren eini­ger­ma­ßen ori­gi­nell oder schräg. Rich­tig ange­kom­men sind sie bei den Thea­ter­leu­ten, die die Ideen vor­stell­ten, nicht. Letzt­lich, so hieß es, sei das Publi­kum so digi­tal ja noch nicht, son­dern infor­mie­re sich über Thea­ter eher aus der gedruck­ten Zei­tung. Wes­we­gen man die “neu­en Medi­en” mit Fin­ger­spit­zen­ge­fühl anpa­cken müs­se. Selbst wenn man aus Fair­ness­grün­den kei­ne wei­te­ren ver­ba­len Auf­fäl­lig­kei­ten wie­der­gibt, lässt sich schon hier ein ganz fun­da­men­ta­les Pro­blem fest­stel­len. Die Thea­ter­leu­te auf dem Podi­um haben die Rele­vanz der — mit ca. 20 Jah­ren sicher nicht mehr “neu­en” Medi­en — nicht erkannt. Sie geben sich mit dem Print­pu­bli­kum zufrie­den, ohne dar­über nach­zu­den­ken, das die­ses mit den Zei­tun­gen selbst ver­schwin­den könnte.

Der Ideen­wettb­werb hat­te für die panel­an­we­sen­den Thea­ter­leu­te in etwa die prak­ti­sche Rele­vanz wie der Mal­wett­be­werb eines Spar­kas­sen­ver­ban­des. Hüb­sche Din­ge — aber doch nichts fürs Tages­ge­schäft. Mar­ke­ting und Wer­bung kön­ne man sicher mit cle­ve­ren Ideen anrei­chern, um “jun­ge Leu­te” (eine grau­en­vol­le For­mu­lie­rung von älte­ren Herr­schaf­ten, die die Welt nicht mehr ver­ste­hen) bes­ser zu errei­chen. Aber der Auf­trag des Thea­ters sei ja nun doch, tra­dier­te Inhal­te in neue Gewän­der zu klei­den. Das tue man ja schon. Etwa indem Figu­ren nur als Pro­jek­tio­nen auf der Büh­ne prä­sent sein las­se. Und twit­tern und pos­ten auf Face­book — tue man ja auch schon. Aber da kön­ne man sicher noch etwas mehr tun. In Sachen Werbung.

Das wirk­li­che Desas­ter aber …

Auf der re:publica ver­sam­meln sich etwa 4.000 krea­ti­ve, gesell­schafts­in­ter­es­sier­te, poli­tisch inter­es­sier­te, in vie­ler­lei Sin­ne krea­ti­ve, vor­wärts den­ken­de und avant­gar­dis­ti­sche Köp­fe. Und von die­sem 4.000 haben es gera­de ein­mal gut 30 (Panel­teil­neh­mer und Orga­team abge­zo­gen) in die Ver­an­stal­tung geschafft. In Zah­len: Drei­ßig. Eine zeit­lich rela­tiv gut gele­ge­ne (War­ten auf die Lobo-Sau­se) Ver­an­stal­tung über das Thea­ter lockt gera­de ein­mal 30 Zuhö­rer an. Viel­leicht sind die Thea­ter­leu­te schon zu sehr gewohnt vor lee­ren Sälen zu spie­len — der Saal 4 auf der re:publica bot geschät­ze 300 Sitz­plät­ze — als dass es ihnen noch auf­fie­le: Die kata­stro­pha­le und gäh­nen­de Lee­re aber war ein über­deut­li­ches State­ment der “jun­gen Leu­te” dazu, was sie vom Thea­ter hal­ten. Und wenn Thea­ter­leu­te nicht begin­nen zu ver­ste­hen, dass Thea­ter in der ent­ste­hen­den Netz­ge­sell­schaft (das Wort fiel immer­hin ein­mal) nicht heißt, ande­re Wer­bung zu machen, die PR twit­tern zu las­sen und noch ein paar Pro­jek­to­ren mehr auf­zu­stel­len, son­dern dass es viel­mehr dar­um geht, als gesell­schaft­li­che und sich als gesellschafts“kritisch” ver­ste­hen­de Insti­tu­ti­on die künst­le­ri­sche und intel­lek­tu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung zu suchen, die eige­nen künst­le­ri­schen Mit­tel und orga­ni­sa­to­ri­schen Pro­zes­se zu über­prü­fen, grund­sätz­lich und umfas­sen infra­ge zu stel­len und gege­be­nen­falls neu zu erfin­den, kurz: Thea­ter in der Netz­ge­sell­schaft zu wer­den — dann wer­den die Thea­ter über kurz oder lang so leer sein, wie heu­te Saal 4 auf der re:publica. Und das haben sie auch so verdient.

Gewon­nen hat am Ende übri­gens — Ham­let. Kein Witz. Vor­ge­stellt wur­de eine “argu­men­ted (sic!) rea­li­ty” app fürs iPad, mit der User inter­ak­tiv … äh … irgend­wie ent­schei­den kön­nen, wor­an Ham­let stirbt. Oder so. Egal. Der Gewin­ner darf sich freu­en, das Preis­geld sei ihm gegönnt. Rea­li­siert wird das ver­mut­lich nicht. Und wenn doch: Geld bekommt er ver­mut­lich nicht dafür.  Außer dem Preisgeld.

Erfreu­li­cher­wei­se ergab sich nach die­sem Kas­per­let­ha­ter eine span­nen­de Unter­hal­tung mit Chris­ti­an Römer von der Boell-Stif­tung, bei der ich am 25. Mai an einer Podi­ums­ver­an­stal­tung zum Urhe­ber­recht teil­neh­men wer­de, und @twena Tina Lorenz, auf deren Vor­trag “Thea­ter und digi­ta­le Medi­en – ein Trau­er­spiel” mor­gen um 11.15 ich mich sehr freue. Die­ses Pos­ting ist als Fol­ge die­ses Gesprächs zu verstehen.

(As)soziologisches Theater: Die Arbeitslosen von Marienthal und die Verlierer von Wittenberge

März 12th, 2012 § Kommentare deaktiviert für (As)soziologisches Theater: Die Arbeitslosen von Marienthal und die Verlierer von Wittenberge § permalink

Vor etwa 80 Jah­ren bra­chen Sozio­lo­gen in den öster­rei­chi­schen Ort Mari­en­thal nahe Wien auf, um eine sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Stu­die über ein im Gan­zen arbeits­lo­ses Dorf zu ver­fas­sen. Es ent­stand eines der wich­tigs­ten lite­ra­ri­schen Wer­ke des 20. Jahr­hun­derts, die Stu­die „Die Arbeits­lo­sen von Mari­en­thal“ (Buch, Wiki­pe­dia, Mate­ria­li­en). Anders als der Name des Ortes, blei­ben die Bewoh­ner im Buch anonym. Kei­ne Namen, kei­ne Cha­rak­te­ri­sie­run­gen, die Frem­den die Iden­ti­fi­zie­rung Ein­zel­ner ermöglichten.

Vor eini­gen Jah­ren brach nun erneut eine Grup­pe von Sozio­lo­gen, beglei­tet von Thea­ter­leu­ten, auf, um die­se Stu­die nach­zu­spie­len, zu wie­der­ho­len, zu erneu­ern. Unter Lei­tung von Heinz Bude besuch­ten sie Wit­ten­ber­ge in Bran­den­burg, um eine Stu­die über eine Ver­lie­rer­stadt anzu­stel­len, in der Aus­gangs­la­ge fast ähn­lich zu Mari­en­thal. Im direk­ten Ver­gleich der dar­aus ent­stan­de­nen Bücher ist das Wit­ten­ber­ge-Buch „Über­Le­ben im Umbruch“ (hier die Pro­jekt­web­sei­te)  zunächst eine her­be Ent­täu­schung.  Die beob­ach­te­ten Bewoh­ner woll­ten nicht so recht mitspielen.

In Mari­en­thal konn­ten die For­scher noch ver­schlei­ern, was ihre wah­re Absicht war. Mit Mit­teln nach­rich­ten­dienst­li­cher Agen­ten­tä­tig­keit konn­ten sie sich ein­schleu­sen, das Ver­trau­en der Bewoh­ner gewin­nen und Ein­sich­ten über das beob­ach­te­te Leben gene­rie­ren, bei dem die Beob­ach­te­ten sich nicht beob­ach­tet wähn­ten – und sich des­we­gen nicht für die Beob­ach­tung inszenieren:

Es war unser durch­gän­gig ein­ge­hal­te­ner Stand­punkt, daß kein ein­zi­ger unse­rer Mit­ar­bei­ter in der Rol­le des Repor­ters und Beob­ach­ters in Mari­en­thal sein durf­te, son­dern daß sich jeder durch irgend­ei­ne, auch für die Bevöl­ke­rung nütz­li­che Funk­ti­on in das Gesamt­le­ben ein­zu­fü­gen hat­te. (28)

Viel­fäl­ti­ge Tricks kamen zur Anwen­dung, die die unver­stell­te Mei­nung oder die wah­re Situa­ti­on der Men­schen zum Vor­schein brin­gen soll­te: Insti­tu­tio­nen und Initia­ti­ven wur­den geschaf­fen. Selbst die ein­ge­rich­te­ten ärzt­li­chen Behand­lun­gen dien­ten zur Erhe­bung von Mate­ri­al. Man gewinnt „unauf­fäl­li­ge Ein­bli­cke“, „Ver­trau­en“, „Kon­trol­le“, ver­schafft sich Auf­zeich­nun­gen durch Schnitt­zei­chen­kur­se, lockt Mäd­chen durch einen Turn­kurs an und horcht Eltern in der Erzie­hungs­be­ra­tung aus. Im Ver­lauf des Tex­tes fin­den sich gele­gent­lich Erklä­run­gen, wel­cher krea­ti­ver Metho­den man sich bedien­te, um das Ver­trau­en der Bevöl­ke­rung zu gewin­nen und ver­deckt Infor­ma­tio­nen zu sam­meln. Ein Beispiel:

Die Erhe­bungs­ar­beit in Mari­en­thal begann damit, daß wir hun­dert Fami­li­en einen Haus­be­such abstat­te­ten, um sie nach ihren beson­de­ren Wün­schen bei einer von uns geplan­ten Klei­der­ak­ti­on zu fra­gen. Die­se Besu­che wur­den dazu benutzt, durch Beob­ach­tun­gen und Gesprä­che Mate­ri­al über die Grund­hal­tung die­ser Fami­li­en zu sam­meln. Als dann die Klei­der bei uns abge­holt wur­den, frag­ten wir die Betref­fen­den nach ihren Lebens­ge­schich­ten, die gewöhn­lich breit­wil­lig erzählt wur­den. Die­sel­ben » Read the rest of this entry «

Die Blackfacing-Theaterdebatte: Das Politische im Ästhetischen (postdramatiker auf nachtkritik.de)

Februar 22nd, 2012 § 1 comment § permalink

Ges­tern erschien auf nachtkritik.de (hier) ein Arti­kel von mir zu der in thea­ter­af­fi­nen und anti­ras­sis­ti­schen Kri­sen im Netz hef­tig geführ­ten Debat­te zum The­ma “Black­fa­cing”, der Pra­xis also, wei­ße Dar­stel­ler durch Gesichts­be­ma­lung “Schwar­ze” dar­stel­len zu las­sen. Die Erbit­tert­heit die­ser in zahl­lo­sen Kom­men­ta­ren und Bei­trä­gen aus­ge­tra­ge­nen Dis­kus­si­on war­tet mit der eini­ger­ma­ßen über­ra­schen­den Situa­ti­on auf, dass bei­de Sei­ten sich in der Ableh­nung des Ras­sis­mus zutiefst einig sind, auf der einen Sei­te aber ras­sis­ti­sche Prak­ti­ken von Anti­ras­sis­ten ange­pran­gert und nach­voll­zieh­bar begrün­det wer­den, ande­rer­seits sich Thea­ter­leu­te mit Ver­weis auf “harm­lo­se” Thea­ter­tra­di­tio­nen ver­tei­di­gen, für die eben­so­gu­te Argum­nte ins Feld zu füh­ren sind. In dem Arti­kel unter­neh­me ich — mit einer Vol­te über die Luhmann’sche Figur des “Unter­schieds, der einen Unter­schied macht” — den Ver­such, die gemein­sa­me Quel­le von Ras­sis­mus und einer rol­len­zen­trier­ten Thea­ter­tra­di­ti­on frei­zu­le­gen, mit dem Ziel zu einer gründ­li­che­ren Refle­xi­on der Fra­ge­stel­lung und mög­li­chen Kon­se­quen­zen für Thea­ter­pra­xis zu kommen.

Da der Arti­kel umfang­reich ist und sich ver­mut­lich hier im Blog schlecht lesen lässt, gibt es ihn hier als PDF-Down­load.

Um die Debat­te un das ewi­ge Kri­sen in sich ähneln­den Kom­men­ta­ren nicht über zusätz­li­che Platt­for­men zu zer­streu­en, deak­ti­vie­re ich in die­sem Pos­ting aus­nahms­wei­se die Kom­men­tar­funk­ti­on und lade zu Kom­men­tar und Dis­kus­si­on auf nachtkritik.de ein.

Nach­trag: Inzwi­schen ist ein inter­es­san­ter wei­te­rer Text von Jür­gen Bau­er zu der Dis­kus­si­on auf nachtkritik.de (hier) erschie­nen, der sich mit den Erschei­nungs­for­men von Black­fa­cing dif­fe­ren­ziert aus­ein­an­der setzt. 

Wer hier lesen möch­te, kann das im Fol­gen­den tun: » Read the rest of this entry «

Aus dem Maschinenraum: “Der Marienthaler Dachs” — zweiter Akt fertig

September 6th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Aus dem Maschinenraum: “Der Marienthaler Dachs” — zweiter Akt fertig § permalink

Vier­zehn Mona­te Arbeit ste­cken drin: Der zwei­te Akt vom “Mari­en­tha­ler Dachs” ist, naja, in Roh­form fer­tig. Jetzt noch der Drit­te und dann ist das end­lich von der Leis­te. Alles in allem bis­her unge­fähr 2,5 Jah­re Arbeit. Fra­ge mich, ob irgend­ei­ne Dra­ma­tur­gie irgend­wann irgend­wo sich die Arbeit macht, das auch nur anzu­se­hen. Im End­zu­stand wird es auf A2 oder A1 aus­ge­druckt, vier, teil­wei­se fünf par­al­le­le Hand­lungs­or­te und Hand­lungs­strän­ge, die die Besu­cher ein­la­den, sich von Ort zu Ort zu bege­ben, sich ihre eige­ne Geschich­te zusam­men­zu­sur­fen oder zu ‑fla­nie­ren. Oder in der Wirt­schaft ein Bier zu neh­men. Inspi­red by “Die Arbeits­lo­sen von Mari­en­thal”, einem der wahr­schein­lich größ­ten Bücher des 20.Jahrhunderts.
Any­way, ich bin jetzt erst mal platt.

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Von der Internation zur Netion: Überlegungen zum Raum des Politischen und zur postdramatischen Opensourcokratie

August 18th, 2011 § 4 comments § permalink

In der neu­es­ten ARD/ZDF-Online­stu­die bin ich über einen Ver­tip­per gestol­pert, der mir sehr gefiel:

Nicht nur die gele­gent­li­che zeit­ver­setz­te Nut­zung von Fern­seh­sen­dun­gen oder Aus­schnit­ten dar­aus via Inter­nat hat sich seit 2008 von 14 Pro­zent auf 29 Pro­zent ver­zwei­facht, … (hier Sei­te 4f.)

Das „Inter­nat“ ist ein wun­der­ba­res Bild für die tra­di­tio­nel­le, doku­ment­ba­sier­te Nati­on: Räum­li­ches Zusam­men­woh­nen unter Auf­sicht von Auto­ri­tä­ten, Zugangs- und Aus­gangs­be­schrän­kun­gen und auto­ri­tä­re Fest­le­gun­gen sowohl der For­men und Regeln sowohl des Zusam­men­le­bens als auch des­sen, was zu leh­ren und zu ler­nen, zu wis­sen und zu kön­nen ist. Die Nati­on war (und ist noch) ein Inter­nat, Inter­na­tio­na­li­tät die Zusam­men­ar­beit von Inter­na­ten. (N.B.: Viel­leicht ist es gar kein Zufall, dass die erfolg­reichs­te Roman­se­rie der letz­ten Jah­re gera­de in einem Inter­nat spielt, einem letz­ten zau­ber­haf­ten Traum die­ser nur noch als his­to­ri­sche Wohl­fühl­re­mi­nis­zenz tau­gen­den Lebens­form). Die Leit­dif­fe­ren­zen, die die­ses Inter­nat aus­mach­ten, wer­den nun von der Inter­ne­tio­na­li­tät kas­siert: Raum­gren­zen, Auto­ri­täts­po­si­tio­nen, ver­bind­li­che Regeln und Wahr­hei­ten fin­den sich nicht vor-geschrie­ben in der Neti­on. Weni­ger Orga­ni­sa­ti­on, ist sie eher Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on oder Auto­poie­sis. Die herr­schen­de Lehr­mei­nung wird zur geteil­ten Mei­nung, die ver­bind­li­che Erzäh­lung wird, wie letz­tens geschrie­ben, in einem Geflecht von Erzäh­lun­gen auf­ge­löst, die zwar noch erzählt wer­den, für die es aber immer schwie­ri­ger wird, sich durch­zu­set­zen. Noch mag zeit­ver­setz­tes Anse­hen der Mas­sen­me­di­en einen Rest sol­cher Erzähl­macht im Inter­nat zei­gen. Aber – aller litan­ei­haft wie­der­hol­ten Beteue­run­gen in der ARD/ZDF-Stu­die zum Trotz – es wird mehr und meh­re eine Erzäh­lung unter vie­len ande­ren. In der Stu­die heisst es auch (hier auf Sei­te 15):

Wenn es dar­um geht, ein Mas­sen­pu­bli­kum zu mobi­li­sie­ren, reicht kein Medi­um an das Fern­se­hen heran.

Das ist natür­lich eine wun­der­ba­re Ver­dre­hung der Tat­sa­chen – denn Mas­sen­me­di­en mobi­li­sie­ren natür­lich nicht wirk­lich. Es reicht viel­mehr kein ande­res Medi­um an die Fähig­keit der Mas­sen­me­di­en her­an, die Mas­sen zu immo­bi­li­sie­ren. Man sitzt still im Inter­nat ein­ge­sperrt und glotzt fern.

End­li­che und unend­li­che Diskussion

Zu den Kern­fä­hig­kei­ten der immo­bi­li­sie­ren­den Inter­na­ti­on gehör­te es, Dis­kus­sio­nen dra­ma­tisch auf­zu­be­rei­ten, auf den binä­ren Ent­schei­dungs­punkt zuzu­spit­zen und dann durch Ent­schei­dung zu been­den. Die Viel­falt des Stim­men- und Erzäh­lungs­ge­wirrs ist nichts Neu­es. Die Inter­na­ti­on führ­te nur einen Pro­zess ein, der eben die Grau­tö­ne in Schwarz/Weiß über­führ­te und dann Schwarz oder Weiß, Schwarz oder Rot als Kern­al­ter­na­ti­ven her­aus­stell­te. Die­se Reduk­ti­on fand ins­be­son­de­re über die mög­lichst öffent­li­che Debat­te (in Par­la­men­ten oder Mas­sen­me­di­en) statt. Erst wird debat­tiert, dann kann abge­stimmt wer­den. Und damit ist fest-gesetzt was Gesetz wird. Die­se Fähig­keit eig­net der Neti­on nicht, in der die Debat­ten aus­ufern durch ten­den­zi­ell unend­li­che Ver­meh­rung der Debat­ten­teil­neh­mer, Debat­ten­platt­for­men und Debat­ten­bei­trä­ge. Das ist das Pro­blem, das sich mit der ent­ste­hen­den Neti­on auf­tut und das nicht ein­fach » Read the rest of this entry «

Von der dokumentarischen Erzählung zur Spekulation: Börsencrashs, Medienhypes, Ende des Dramas

August 14th, 2011 § 2 comments § permalink

Von dem weiss­gar­nix-Mit­blog­ger Frank Lüb­ber­ding ist in der FAZ hier  ein Arti­kel zu lesen, in dem er mit gewis­ser Wut Medi­en Mit­schuld gibt an den Ver­wer­fun­gen an der Bör­se. Dabei scheint er die­se Behaup­tung ansatz­wei­se für unge­heu­er­lich oder skan­da­lo­gen zu hal­ten. Mit einer For­mu­lie­rung, die hier aus dem Blog stam­men könn­te, schreibt er:

Die Finanz­märk­te wer­den aber als ein […] Dra­ma insze­niert. […]Die Medi­en lau­schen jedem State­ment und posau­nen es in die Welt. Um die inhalt­li­che Rele­vanz sol­cher Stel­lung­nah­men geht es nicht. Die größ­te Posau­ne in die­sem Orches­ter ist der Online-Ticker. […]  Jedes Kata­stro­phen-Sze­na­rio bekommt sei­ne Plau­si­bi­li­tät, weil es mit den Erwar­tun­gen des Publi­kums über­ein­stimmt. Es ist süch­tig gewor­den nach Neu­ig­kei­ten. So machen die Medi­en aus der Vola­ti­li­tät eines Han­dels­ta­ges ein Dra­ma, das sich bes­tens ver­mark­ten lässt

Und als eine Art Quint­essenz lässt sich lesen:

Medi­en und Märk­te leben in einer sym­bio­ti­schen Beziehung.

Das klingt nach einer klu­gen Ein­sicht – aber das Rab­bit Hole geht tie­fer, als Lüb­ber­ding zumin­dest an die­ser Stel­le andeu­tet. Es ist kein Zufall, dass der Begriff der Spe­ku­la­ti­on sowohl in der  Finanz­welt wie in der Medi­en­welt gera­de als Gesamt­zu­stands­be­schrei­bung die­nen kann. Sowohl die media­le als auch die finanz­markt­li­che Spe­ku­la­ti­on lässt sich von unsor­tier­ten Neu­ig­kei­ten (Lüb­ber­dings Live-Ticker) und Gerüch­ten zum Han­deln ver­lei­ten. Der Bör­sia­ner kauft oder ver­kauft, der Jour­na­list haut eine ver­kauf­ba­re oder nicht-ver­kauf­ba­re Mel­dung raus.

Märk­te und Medi­en – und Politik

Das selt­sa­me sin­gu­la­re tan­tum „die Märk­te“ lebt mit dem ande­ren sin­gu­la­re tan­tum „die Medi­en“ nicht nur in einer sym­bio­ti­schen Bezie­hung. Viel­mehr sind media­le und märkt­li­che Spe­ku­la­ti­on letz­ten Endes das­sel­be. „Die Märk­te“ reagie­ren auf Mel­dun­gen der Medi­en. Es gibt kei­nen Trad­ersaal ohne Ticker und Lauf­bän­der, die aus Medi­en­in­hal­ten gespeist wer­den. Ähn­lich den ein­ge­blen­de­ten Akti­en­kur­sen fun­gie­ren die durch­lau­fen­den Mel­dun­gen aus den unter­schied­li­chen Quel­len und Ecken der Welt als Hand­lungs­grund­la­ge für Trader. „Die Märk­te“ hän­gen ab von „den Medi­en“. Zugleich lie­fern sie wie­der­um Mel­dun­gen für „die Medi­en“. Gera­de in schein­bar kri­sen­haf­ten  Situa­tio­nen wie in den letz­ten Wochen kon­zen­trie­ren sich „die Medi­en“ auf die Han­dels­ver­läu­fe an der Bör­se. „Der DAX“ wird mit sei­nen Bewe­gun­gen zum Haupt­ge­gen­stand der Live-Ticke­rei. Dabei ist der DAX sel­ber nichts als ein kom­mu­ni­ka­ti­ons­er­mög­li­chen­des Kon­strukt. Wie ande­re Indi­ces auch, bil­det er eine mehr oder min­der zufäl­li­ge Aus­wahl von Unter­neh­mens-Akti­en­wer­ten ab und gene­riert damit einen zeit­lich dar­stell­ba­ren Ver­lauf. Er hat kei­ne Aus­sa­ge – es sei denn, er wird in eine Erzäh­lung inte­griert. Die Erzäh­lung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on und Ent­wick­lung etwa. Die­se Erzäh­lung erzäh­len „die Medi­en“. Und sie erzäh­len sie im poli­ti­schen Umfeld und lei­ten dar­aus Hand­lungs­auf­for­de­run­gen an „die Poli­tik“ ab. Etwa die­je­ni­ge, die Staats­ver­schul­dung zu korrigieren.

Die “Ent­kopp­lung von der Realwirtschaft”

Gele­gent­lich lässt sich in Kom­men­ta­ren die Dia­gno­se oder die Kri­tik lesen und hören, dass „die Märk­te“ sich von der Real­wirt­schaft abge­kop­pelt hät­ten. Dar­in schwingt die Erwar­tung mit, dass der Akti­en­wert eines Unter­neh­mens gefäl­ligst sei­ne wirt­schaft­li­che Situa­ti­on wie­der zu spie­geln habe. Als wäre der Akti­en­wert eine Art Wirt­schafts­ther­mo­me­ter, das in einer quan­ti­fi­zier­ten Anga­be unum­stöß­lich zeigt, wel­chen Wert ein Unter­neh­men hat. So naiv das schon immer gewe­sen sein mag – die­se Kop­pe­lung ist nur eine der mög­li­chen Kop­pe­lun­gen. Not­wen­dig war und ist sie nicht. Denn der Wert einer Aktie wird nicht von einer Rating­kom­mi­si­on bestimmt, son­dern von Han­deln­den Akteu­ren, die den Preis der Aktie unter sich aus­ma­chen. Die gele­gent­li­che auf­ge­reg­te Ver­blüf­fung, dass Kur­se „fun­da­men­tal gesun­der“ oder „grund­so­li­der Unter­neh­men“, die viel­leicht sogar kon­stan­ten Gewinn abwer­fen, sinkt, wäh­rend Phan­ta­sie­un­ter­neh­men wie die­je­ni­gen der High­tech-Bubble vor der Jahr­tau­send­wen­de, ins Uner­mess­li­che stei­gen, zeigt die noch vor­han­de­ne Nai­vi­tät bei eini­gen Beob­ach­tern. Sie sind den alten Erzähl­for­men noch ver­haf­tet. Sie glau­ben noch an das Drama.

Die Macht der Erzählung

In der Hoch­zei­ten der Doku­ment­ge­sell­schaft war es Auf­ga­be der Mas­sen­me­di­en, nicht nur die als Nach­rich­ten zu prä­sen­tie­ren­den Gescheh­nis­se aus­zu­wäh­len, son­dern ins­be­son­de­re auch, eine Geschich­te dar­aus zu gene­rie­ren, die sich von „Aus­ga­be zu Aus­ga­be“ (der Zei­tung, der Radio- oder Fern­seh­nach­rich­ten­sen­dung) wei­ter erzäh­len ließ. Die­se Geschich­te setz­te aus Gescheh­nis­sen an und lei­te­te dar­aus Vor­bli­cke auf mög­li­cher­wei­se Gesche­hen­des bzw. For­de­run­gen an die Akteu­re ab, wie denn zu han­deln sei. Im Cha­os des All­tags sorgt das Medi­um für Ori­en­tie­rung. Aus den Hand­lungs­for­de­run­gen wird Druck auf ver­ant­wort­li­che poli­ti­sche Akteu­re gene­riert, indem man sich der will­fäh­ri­gen Oppo­si­ti­on bedient. Irgend­ei­ner von denen wird schon etwas for­dern, das in die media­le Sto­ry passt.

Die­se Erzähl­kunst war auch im Bereich der Bör­se gefragt. Die Kurs­be­we­gun­gen soll­ten von Zei­chen­deu­tern – den Augu­ren der römi­schen Anti­ke durch­aus ver­gleich­bar – auf­ge­nom­men und in eine Erzäh­lung ein­ge­fügt wer­den. Es sind die Erzäh­lun­gen, die jeden Abend in den Bör­sen­be­richt­erstat­tun­gen der Fern­seh­ka­nä­le statt­fin­den, eben­so die Erzäh­lun­gen in den » Read the rest of this entry «

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