Susan Hiller: Die Gedanken sind frei. Neue Galerie. (Hier noch ein tolles Bild von der Arbeit).
Und so sähs bei mir aus:
Juli 29th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Auf der documenta ist’s wie daheim im Arbeitszimmer #d13 § permalink
Susan Hiller: Die Gedanken sind frei. Neue Galerie. (Hier noch ein tolles Bild von der Arbeit).
Und so sähs bei mir aus:
Mai 3rd, 2012 § 1 comment § permalink
Wie letztens gepostet, haben die Intendanten im Deutschen Bühnenverein ein Experiment unternommen, um einen Fuß ins kalte Netz zu strecken. Zusammen mit Jovoto wurde ein “Creative Crowdsourcing” Projekt gestartet, bei dem die Plattform-Mitglieder keine geringere Frage beantworten sollten, als “Was ist das Theater der Zukunft?”. Das hat natürlich einiger Vordiskussionen bedurft im Kreis der Intendanten. Eine Klausurtagung mit eingeladenen Experten. Und Abstimmungsrunden, was man denn sinnvoll findet und was nicht. Solche Dinge wollen reiflich überlegt sein.
Zum Ergebnis lässt sich so wahnsinnig viel nicht sagen. Einige der auf der Veranstaltung vorgestellten Ideen waren einigermaßen originell oder schräg. Richtig angekommen sind sie bei den Theaterleuten, die die Ideen vorstellten, nicht. Letztlich, so hieß es, sei das Publikum so digital ja noch nicht, sondern informiere sich über Theater eher aus der gedruckten Zeitung. Weswegen man die “neuen Medien” mit Fingerspitzengefühl anpacken müsse. Selbst wenn man aus Fairnessgründen keine weiteren verbalen Auffälligkeiten wiedergibt, lässt sich schon hier ein ganz fundamentales Problem feststellen. Die Theaterleute auf dem Podium haben die Relevanz der — mit ca. 20 Jahren sicher nicht mehr “neuen” Medien — nicht erkannt. Sie geben sich mit dem Printpublikum zufrieden, ohne darüber nachzudenken, das dieses mit den Zeitungen selbst verschwinden könnte.
Der Ideenwettbwerb hatte für die panelanwesenden Theaterleute in etwa die praktische Relevanz wie der Malwettbewerb eines Sparkassenverbandes. Hübsche Dinge — aber doch nichts fürs Tagesgeschäft. Marketing und Werbung könne man sicher mit cleveren Ideen anreichern, um “junge Leute” (eine grauenvolle Formulierung von älteren Herrschaften, die die Welt nicht mehr verstehen) besser zu erreichen. Aber der Auftrag des Theaters sei ja nun doch, tradierte Inhalte in neue Gewänder zu kleiden. Das tue man ja schon. Etwa indem Figuren nur als Projektionen auf der Bühne präsent sein lasse. Und twittern und posten auf Facebook — tue man ja auch schon. Aber da könne man sicher noch etwas mehr tun. In Sachen Werbung.
Das wirkliche Desaster aber …
Auf der re:publica versammeln sich etwa 4.000 kreative, gesellschaftsinteressierte, politisch interessierte, in vielerlei Sinne kreative, vorwärts denkende und avantgardistische Köpfe. Und von diesem 4.000 haben es gerade einmal gut 30 (Panelteilnehmer und Orgateam abgezogen) in die Veranstaltung geschafft. In Zahlen: Dreißig. Eine zeitlich relativ gut gelegene (Warten auf die Lobo-Sause) Veranstaltung über das Theater lockt gerade einmal 30 Zuhörer an. Vielleicht sind die Theaterleute schon zu sehr gewohnt vor leeren Sälen zu spielen — der Saal 4 auf der re:publica bot geschätze 300 Sitzplätze — als dass es ihnen noch auffiele: Die katastrophale und gähnende Leere aber war ein überdeutliches Statement der “jungen Leute” dazu, was sie vom Theater halten. Und wenn Theaterleute nicht beginnen zu verstehen, dass Theater in der entstehenden Netzgesellschaft (das Wort fiel immerhin einmal) nicht heißt, andere Werbung zu machen, die PR twittern zu lassen und noch ein paar Projektoren mehr aufzustellen, sondern dass es vielmehr darum geht, als gesellschaftliche und sich als gesellschafts“kritisch” verstehende Institution die künstlerische und intellektuelle Auseinandersetzung zu suchen, die eigenen künstlerischen Mittel und organisatorischen Prozesse zu überprüfen, grundsätzlich und umfassen infrage zu stellen und gegebenenfalls neu zu erfinden, kurz: Theater in der Netzgesellschaft zu werden — dann werden die Theater über kurz oder lang so leer sein, wie heute Saal 4 auf der re:publica. Und das haben sie auch so verdient.
Gewonnen hat am Ende übrigens — Hamlet. Kein Witz. Vorgestellt wurde eine “argumented (sic!) reality” app fürs iPad, mit der User interaktiv … äh … irgendwie entscheiden können, woran Hamlet stirbt. Oder so. Egal. Der Gewinner darf sich freuen, das Preisgeld sei ihm gegönnt. Realisiert wird das vermutlich nicht. Und wenn doch: Geld bekommt er vermutlich nicht dafür. Außer dem Preisgeld.
Erfreulicherweise ergab sich nach diesem Kasperlethater eine spannende Unterhaltung mit Christian Römer von der Boell-Stiftung, bei der ich am 25. Mai an einer Podiumsveranstaltung zum Urheberrecht teilnehmen werde, und @twena Tina Lorenz, auf deren Vortrag “Theater und digitale Medien – ein Trauerspiel” morgen um 11.15 ich mich sehr freue. Dieses Posting ist als Folge dieses Gesprächs zu verstehen.
April 24th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Bühnenverein mit Ideenwettbewerb auf der #rp12 § permalink
Mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, dass der Deutsche Bühnenverein nicht nur Partner der re:publica 2012 ist, sondern dort sogar einen zusammen mit jovoto umgesetzten Ideenwettbewerb für das Theater der Zukunft unter dem Motto “TheaterInteraction” veranstaltet und präsentiert, ist die Tatsache, dass ich das bisher völlig übersehen habe. Woran das auch immer liegen mag. Wenn ich recht zähle, sind immerhin schon 42 Vorschläge eingereicht. Was ja nicht nichts ist. Ich hoffe es zu schaffen, mir die Prämierungssession am 02.05. um 18:45 anzuschauen.
Außerdem kündigt Tina Lorenz einen Vortrag für den 03.05. dort an mit dem » Read the rest of this entry «
März 17th, 2012 § 1 comment § permalink
Leider wird die Aufmerksamkeit in der Kulturdebatte gerade durch das von mir zuletzt hier und auf nachtkritik verissene “Kulturinfarkt”-Buch geprägt. Dagegen möchte ich eine Lesempfehlung aussprechen, die zeigt, dass der Themenkomplex nicht nur polemisch zugespitzt angegangen werden, sondern intelligent und vielschichtig reflektiert werden kann — und tatsächlich in “der Kultur” reflektiert wird. Ich meine das Jahrbuch 2011 des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft: Digitalisierung und Internet, das den Kongress “netz. macht. kultur.” dokumentiert und sogar im Vortrag von Bernd Neumann die Reichweite der gedanklichen, praktischen und institutionellen Herausforderung aufreißt:
Das Internet hat die Art und Weise revolutioniert, wie wir an Informationen gelangen, Informationen verarbeiten und mitinander kommunizieren. Es ermöglicht neue Geschäftsmodelle, ist eine faszinierende Quelle gesellschaftlicher Teilhabe an Kunst und Kultur und auch ein großer Arbeitsmarkt. Wir befinden uns mitten in der größten technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzung seit der Entwicklung des Buchdrucks, deren Auswirkungen sich heute noch gar nicht richtig überblicken lassen. (102)
Die zahlreichen Beiträge dieses Bandes machen das aktuelle, zukunftsweisende Spannungsfeld von Kulturpolitik in der Netzgesellschaft auf, erforschen und reflektieren es, ohne sich bloß polemisch abzuarbeiten. Hier geht es um Partizipation und Offenheit, neue Formen von Kulturvermittlung, Institutionen, Förderung und Kunstschaffen — auch wenn der permanente Disput ums Urheberrecht etwas nervtötend ist, weil er nicht wirklich zu einer gangbaren Vision gelangt. Die Beiträge stellen sich der Gegenwart und der Zukunft. Und sie befragen Bestehendes und denken über Neuerungen im Bestehenden nach. Wer also interessiert daran ist, wie sich Kunst und Kultur in Bewegung bringen lassen, wo die Probleme und Herausforderungen, wo aber auch die spannenden Tendenzen zu finden sind, der sollte lieber das lesen.
Zum Beispiel Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung, der seine Behörde revolutionieren will:
Es reicht nicht, die aufgeworfenen Fragen auf kultur- und » Read the rest of this entry «
März 16th, 2012 § 2 comments § permalink
So, jetzt hab ichs gelesen: „Der Kulturinfarkt“ von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knösel und Stephan Opitz. Schnurriges Büchlein. Vier Verwaltungsfuzzis treffen sich in der Kneipe Wirtschaft und kotzen sich einfach mal richtig aus. Der Eine zieht über Verwaltung und Förderung vom Leder. Der Andere entdeckt seine Liebe zur marktliberalen Ökonomie (und langweilt alle damit). Der Nächste lässt seine unglückliche Vergangenheit an Adorno aus. Und der Vierte versucht, sein gesellschaftliches Anliegen irgendwie reformuliert zu retten. Das Ganze zerfällt nicht nur stilistisch. Auch inhaltlich sind sich die apokalyptischen Schreiber offenbar ziemlich uneins. Man ist sosehr überzeugt von der eigenen Meinung, dass man nicht mehr merkt, dass man gar nicht einer Meinung ist. Warum sie das in ein Buch und einen gemeinsamen Text zwingen mussten – schleierhaft. Die skandalisierte Etathalbierung ist eigentlich eher vernachlässigbar. Ansonsten lustige Ausfälle gegen ein Gebilde, dass sie „die Kultur“ nennen, die es aber leider nicht gibt. Es sei denn, man einige sich darauf, Kultur sei alles, was in öffentlichen Hauhaltsdokumenten unter der Position „Kunst und Kultur“ zu finden ist. Zitat: „Dabei kritisieren wir weder Personen noch Projekte noch Institutionen als Einzelne; wir benutzen sie höchstens zur Illustration.“ (173) Solche Generalisierungen und unverbindliche Allgemeinheiten haben zwar den Vorteil, immer irgendwas oder irgendwen zu treffen, aber leider nie das Ganze, das sie zu beschreiben behaupten. Mangels konkreter Objekte läuft der Rant ins Leere. Das tut er gelegentlich kurzweilig und nicht uninspirierend. Gelegentlich hohl, dümmlich oder gezwungen. Und kann – um beim feuilletonistisch aufgegriffenen » Read the rest of this entry «
Februar 22nd, 2012 § 1 comment § permalink
Gestern erschien auf nachtkritik.de (hier) ein Artikel von mir zu der in theateraffinen und antirassistischen Krisen im Netz heftig geführten Debatte zum Thema “Blackfacing”, der Praxis also, weiße Darsteller durch Gesichtsbemalung “Schwarze” darstellen zu lassen. Die Erbittertheit dieser in zahllosen Kommentaren und Beiträgen ausgetragenen Diskussion wartet mit der einigermaßen überraschenden Situation auf, dass beide Seiten sich in der Ablehnung des Rassismus zutiefst einig sind, auf der einen Seite aber rassistische Praktiken von Antirassisten angeprangert und nachvollziehbar begründet werden, andererseits sich Theaterleute mit Verweis auf “harmlose” Theatertraditionen verteidigen, für die ebensogute Argumnte ins Feld zu führen sind. In dem Artikel unternehme ich — mit einer Volte über die Luhmann’sche Figur des “Unterschieds, der einen Unterschied macht” — den Versuch, die gemeinsame Quelle von Rassismus und einer rollenzentrierten Theatertradition freizulegen, mit dem Ziel zu einer gründlicheren Reflexion der Fragestellung und möglichen Konsequenzen für Theaterpraxis zu kommen.
Da der Artikel umfangreich ist und sich vermutlich hier im Blog schlecht lesen lässt, gibt es ihn hier als PDF-Download.
Um die Debatte un das ewige Krisen in sich ähnelnden Kommentaren nicht über zusätzliche Plattformen zu zerstreuen, deaktiviere ich in diesem Posting ausnahmsweise die Kommentarfunktion und lade zu Kommentar und Diskussion auf nachtkritik.de ein.
Nachtrag: Inzwischen ist ein interessanter weiterer Text von Jürgen Bauer zu der Diskussion auf nachtkritik.de (hier) erschienen, der sich mit den Erscheinungsformen von Blackfacing differenziert auseinander setzt.
Wer hier lesen möchte, kann das im Folgenden tun: » Read the rest of this entry «
November 3rd, 2011 § Kommentare deaktiviert für Partizpiation: Publikum bestimmt Thalia-Spielplan mit § permalink
Auf nachtkritik ist hier gerade zu lesen, dass das Hamburger Thalia Theater vier Positionen des nächsten Spielplans durch das Publikum bestimmen lassen will. Das klingt interessant — hat aber den einen oder anderen Pferdefuß, den es im Auge zu behalten gibt, der zugleich einige empirische Hinweise auf die Fallstricke der organisierten Partizipation geben.
Zunähst: Die Beteiligung findet offenbar im Wege der Vorschlagseinreichung per Mail oder Brief an das Theater statt. Das heißt: Das Theater sammelt einen Haufen an Ideen. So weit, so fein. Ob dabei sehr viel auftauchen wird, das den Dramaturgen nicht selbst eingefallen wäre, sei dahin gestellt. Der zweite chritt scheint dann eine Urnenwahl im haus zu sin. Damit will man offenbar sicherstellen, dass nur tatsächliches Publikum, und nicht etwa Kids aus Irgendwo die Wahl bestimmen. Zudem behält sich die Dramaturgie vor, besonders wichtige oder interessante Vorschläge direkt auszuwählen — nunja, Demokratie kann man sich auch einfach machen.
Die Probleme dabei
Zunächst ist natürlich der Vorwahlprozess etwas intransparent, da die Vorschläge offenbar einer Prüfung unterzogen werden (wie der Hinweis auf Direktauswahl interessanter Vorschläg nahe legt). Aber das ist vielleicht das kleinere Problem — glauben wir der Dramaturgie doch durchaus, dass die Veranstaltung fair abläuft.
Das eigentliche Problem ist ein anderes: Zu erwarten ist, dass eine große Zahl von » Read the rest of this entry «
Oktober 5th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Spielzeitstart – Ein paar nicht einmal mehr wütende Gedanken dazu § permalink
Es ist ruhig geworden hier auf dem Blog. Das hat vordergründig damit zu tun, dass ich ziemlich beschäftigt bin mit Dingen, die wenig mit Theater, dafür mehr mit der Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs zu tun haben. Eigentlich aber komme ich beim Nachdenken darüber, warum mir auch die Motivation fehlt, das eine oder andere, was halb geschrieben oder noch ganz im Kopf ist, zu verfertigen und zu posten zu einer (mich selbst)) ziemlich deprimierenden Folgerung.
Was es so um und über Theater zu lesen und zu hören gibt, interessiert mich nicht. Gar nicht. Es reicht nicht einmal hin, mich darüber aufzuregen, mich damit auseinander zu setzen, oder Anderes vorzustellen oder zu fordern.
Die Spielzeiteröffnungen und Vorblicke sind von einer solchen Belanglosigkeit und ermüdenden Arroganz, die Berichte darüber von solcher pflichterfüllenden Abarbeitung geprägt, dass ich nicht weiß, was überhaupt am Theater mir eine Vision geben könnte, die mich nicht nur in Aktuelles zöge, sondern mir eine Vorstellung davon gibt, warum ich mich längerfristig damit beschäftigen sollte. Woran liegt das?
Spielzeitvorschauen
In dem wider besseres Wissen und zur Unfreude zukünftiger Umzugshelfer erworbenen Jahrbuch Theater Heute findet sich zweierlei Ernüchterndes wenn nicht Abstoßendes:
September 6th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Aus dem Maschinenraum: “Der Marienthaler Dachs” — zweiter Akt fertig § permalink
Vierzehn Monate Arbeit stecken drin: Der zweite Akt vom “Marienthaler Dachs” ist, naja, in Rohform fertig. Jetzt noch der Dritte und dann ist das endlich von der Leiste. Alles in allem bisher ungefähr 2,5 Jahre Arbeit. Frage mich, ob irgendeine Dramaturgie irgendwann irgendwo sich die Arbeit macht, das auch nur anzusehen. Im Endzustand wird es auf A2 oder A1 ausgedruckt, vier, teilweise fünf parallele Handlungsorte und Handlungsstränge, die die Besucher einladen, sich von Ort zu Ort zu begeben, sich ihre eigene Geschichte zusammenzusurfen oder zu ‑flanieren. Oder in der Wirtschaft ein Bier zu nehmen. Inspired by “Die Arbeitslosen von Marienthal”, einem der wahrscheinlich größten Bücher des 20.Jahrhunderts.
Anyway, ich bin jetzt erst mal platt.
August 10th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Feuer in London, Finanzkrise, Erzählmacht und ctrl-Gewinn § permalink
Im Diskussionsthread meines Gastbeitrags auf nachtkritik (hier) fragte ein Kommentator, ob jene im Artikel geforderte Konzentration des Theaters auf das umgebende Gesellschaftliche in der Netzgesellschaft eine Politisierung beinhalte. Ich hatte mit einem Link auf meinen zwei Jahre alten Text Das Politische zurück ins Theater (hier downloadbar) darauf geantwortet. Dort hatte ich am Beispiel der Geschichtenerstellung rund um den Amoklauf von Winnenden zu zeigen versucht, wie sehr sich das Politische gerade in der Genese eines verbindlichen Dramas zeigt und zugleich verbirgt – in der Dramaturgie. Angesichts von Ereignissen, die das geübte Erzählen der Medien herausfordern und zu unterbrechen scheinen, laufen die Print‑, Radio- und Massenmedien geradezu hysterisch zu einer Hochform auf, die sich darin zeigt, dass unterschiedliche Erzählungsansätze ausprobiert werden. Und gerade der genaue Blick auf diese Erzählungen und ihre Entstehung, ihre Dramaturgie und ihre Implikationen sind es, die ein Theater zu fokussieren hat, das das Politische aufnehmen will.
Wie wird „London“ beobachtet
Es ist bedauerlich, dass gerade jetzt Klaus Kusanowsky in eine Blogpause abgetaucht ist, wäre doch aus seinem scharfen Blick auf das Beobachten vermutlich einiges an provokanten Einsichten über die Form der Beobachtung dessen, was in London sich gerade vollzieht, zu erwarten. Wie beobachten Medien die Ereignisse in London, Manchester und Birmingham? Wie beschreiben sie ihre Beobachtung, welches Drama bauen sie daraus und versuchen, es als gültige Beobachtung zu etablieren? Wird die Geschichte von Unterprivilegierten erzählt, deren ungerichtete Wut sich nunmehr „blind“ in einem Aufstand entlädt – den Aufständen in Los Angeles 1992 oder der Pariser Banlieue vergleichbar? Handelt es sich um eine englische Form der Sozialproteste, wie sie auch in Spanien zu beobachten sind? Artikuliert sich hier also soziale Ungleichheit in flammenden Fanalen? Oder handelt es sich um „Banden“, die die gegenwärtige Unübersichtlichkeit, die Unfähigkeit der sommerlich schläfrigen Ordnungsautoritäten ausnutzen, um maifertags- und hooliganhafte Randale und Krawalle anzuzetteln? Die göttliche Ina Bergmann, vormalige Würstchenbudenbesitzerin in London und einzigartige Nachtjournal-Moderatorin des ZDF, die verlängertes Wachbleiben durch unvergleichlichen Moderationsstil und Kugelschreiberartistik belohnt, brachte Montagabend sowohl die Referenz auf L.A. und Paris wie auch die Beschreibung des Geschehens als Bandenkrawall. Noch ist die Erzählung nicht ganz fertig. Noch herrscht Unsicherheit über die Einordnung. Noch ist der Raum des Politischen offen und nicht gänzlich definiert.
Spiegel Online etwa schwankt in der Bewertung der Ereignisse ähnlich wie die „Märkte“, die sich gerade am DAX austobten:
Am 07.08. schrieb man: „Aufgebrachte Bewohner setzten in der Nacht zum Sonntag mindestens zwei Polizeiwagen, einen Doppeldeckerbus sowie ein Gebäude in Brand.“ (hier)
Am 08.08.: Beobachter erklärten, die Polizei hätte große Probleme gehabt, die Randalierer unter Kontrolle zu bekommen. (hier)
Am 09.08.: Plündernde und brandschatzende Banden, die in der Nacht zum Sonntag im Nordlondoner Stadtteil Tottenham die Randale begonnen hatten, waren schon in der Nacht zum Montag in weitere Stadtteile weitergezogen. (hier)
Auch am 09.08.: Warum explodiert die Gewalt in England? Das Gefälle zwischen Arm und Reich wird immer größer, ethnische Minderheiten fühlen sich gezielt schikaniert. Eine ganze Generation sieht sich abgehängt — und ist geeint im Hass auf Eliten und Polizei. (hier)
Beim Blogger christiansoeder findet der Zusammenprall der Erzählungen ein einem einzigen Tweet Platz:
Es ist nicht einfach ein Wechsel des Beschreibungsvokabluars – sondern jede dieser Beschreibungen instituiert tendenziell ein Drama, dessen nächste Schritte bereits mehr oder minder unausgesprochen mitschwingen. Die dramatischen Formen sind zu sehr etabliert, um das zu übersehen. Mit „aufgebrachten Bewohnern“ ist anders zu verfahren, als mit „plündernden Banden“. Dabei geht es gar nicht darum, wer oder was die Beteiligten „wirklich“ oder „in Wahrheit“ sind. Das lässt sich von hier aus sowieso nicht beurteilen (das macht die Macht der Tele-Medien aus). Zudem lässt sich scheinbar auch kein „Anführer“ befragen, der erklären könnte, welchen Kollektivmotiven die Aktivitäten folgen. Es lässt sich aber sehr wohl erkennen, welche politischen Dimensionen dahinter stecken: Das Drama der „aufgebrachten Bewohner“ zöge nach sich eine Diagnose des » Read the rest of this entry «