Das Beben der Medien: Persönlichkeitsrechte und Auflagenhöhe

März 23rd, 2010 § 1 comment

Das Zit­tern und Schlot­tern in den tra­di­tio­nel­len Medi­en ist gewal­tig — gera­de rauscht durch alle Ticker, dass die Münch­ner Abend­zei­tung, eine fes­te Lokal­grö­ße in Mün­chen, ihre Redak­ti­on aus wirt­schaft­li­chen Grün­den um 25% ver­klei­nert (taz, SpOn). Gleich­zei­tig ver­öf­fent­licht SpOn einen ful­mi­nan­ten Bet­tel­ar­ti­kel (hier), in dem die geneig­ten Leser des Online-Maga­zins argu­men­ta­tiv davon über­zeugt wer­den sol­len, Ad-Blo­cker zu deak­ti­vie­ren und bit­te­schön die Wer­bung rund um die (sonst nicht mehr) kos­ten­los les­ba­ren Arti­kel zu beach­ten und zu bekli­cken. Die in die­sem Blog hier beschrie­be­ne Abwärts­spi­ra­le oder Digi­ta­le Dis­rup­ti­on (z.B. Pos­ting hier) fin­det sich in die­sem SpOn Arti­kel in ein paar Bul­let­points — als Zusam­men­fas­sung von “The Sta­te of the News Media” des PEW Pro­ject for Excel­lence in Journalism:

Die Sym­pto­me der Medienkrise:

  • Der seit Jah­ren schwä­cheln­de Wer­be­markt ist in der Kri­se regel­recht kollabiert.
  • Medi­en müs­sen sich statt aus Wer­be­um­sät­zen (Zei­tun­gen in Deutsch­land 2009: minus 13 Pro­zent) zuneh­mend aus Ver­kaufs- und Ver­triebs­er­lö­sen refi­nan­zie­ren, wer­den also teu­rer. Der Kun­de ist aber nur bedingt zah­lungs­be­reit. Das bedeu­tet unter dem Strich ein Umsatz­mi­nus (US-Zei­tun­gen 2009: minus 26 Pro­zent in einem Jahr).
  • Medi­en kön­nen auf­grund der ein­bre­chen­den Umsät­ze auch weni­ger in die Qua­li­tät des Ange­bots inves­tie­ren, weil ihnen schlicht die Pus­te aus­geht. 2009 gaben US-Medi­en 1,6 Mil­li­ar­den Dol­lar weni­ger für Redak­tio­nen aus als vor zehn Jah­ren; immer mehr Jour­na­lis­ten wech­seln von fes­ten in freie (und oft pre­kä­re) Beschäftigungsverhältnisse.
  • Die Wer­be-Etats im soge­nann­ten Media-Mix ver­schie­ben sich zuneh­mend von Off­line- zu Online-Medi­en, zugleich aber bucht und bezahlt die Wer­be­wirt­schaft online weni­ger als off­line: Der Wer­be­ku­chen schrumpft, obwohl die Reich­wei­te steigt.
  • Die Haupt­nutz­nie­ßer von Wer­bung online sind nicht Medi­en, son­dern Dienst­leis­ter, die zu Wer­be­trä­gern wur­den: 42 Pro­zent der welt­wei­ten Online-Wer­be­um­sät­ze flie­ßen allein Goog­le zu. Ins­ge­samt lan­den laut Zeni­thOp­ti­me­dia, Teil des zweit­größ­ten Media-Agen­tur­netz­werks Publi­cis, 53 Pro­zent der welt­wei­ten Web-Wer­be­gel­der bei den Such­ma­schi­nen: Die soll­ten wis­sen, wovon sie reden, denn sie sind die Dienst­leis­ter, die sol­che Wer­be­etats verteilen.
  • Online-Medi­en sind nicht ein­fach nur ein neu­es Medi­um im Ange­bot, son­dern haben das Poten­ti­al, alte Medi­en zu erset­zen, und tun dies zuneh­mend auch: Ins­be­son­ders Tages­zei­tun­gen ver­lie­ren immer mehr Leser­schaft an News-Web-Seiten.

Damit ist das Krank­heits­bild beschrie­ben. (Quel­le)

Kann man kaum kür­zer und bes­ser sagen. Und sowohl die Mel­dung der Abend­zei­tung (die ja nur eine unter vie­len ver­gleich­ba­ren Kür­zungs­mel­dun­gen ist) als auch die­je­ni­ge von SpOn, die ver­sucht die Off­line-Ver­lus­te durch Online-Wer­bung her­ein­zu­ho­len, bewei­sen ein­dring­lich, dass dem so ist. ABER.

Aber was viel dra­ma­ti­scher ist, ist die Fol­ge: Die rapi­de Ver­schlech­te­rung der Qua­li­tät der Medi­en. Um nicht zu sagen: Die skan­da­lö­se Ver­skan­da­li­sie­rung, Ver­fla­chung, Ver­bou­le­var­dung. Die Bereit­schaft, jour­na­lis­ti­sche Grund­sät­ze  über Bord zu wer­fen, nur um durch Mel­dun­gen Auf­merk­sam­keit (heißt: Leser, heißt: poten­zi­el­le Wer­be­klicks) zu gene­rie­ren. Und damit zu einem ande­ren Bericht von ges­tern — ein­ber Ver­ge­wal­ti­gungs­mel­dung. Spre­chen wir nicht davon, um wen es geht. Lesen wir einen Abschnitt aus der SpOn-Mel­dung dazu:

Die Mann­hei­mer Staats­an­walt­schaft nann­te im Hin­blick auf die Per­sön­lich­keits­rech­te des Beschul­dig­ten kei­ne Namen, bestä­tig­te aber das Ermitt­lungs­ver­fah­ren gegen einen 51-jäh­ri­gen Jour­na­lis­ten und Mode­ra­tor wegen des Ver­dachts der Vergewaltigung.

Wenn ein Jour­na­list einen sol­chen Pas­sus schreibt — ist ihm bewusst, dass er gera­de mit Per­sön­lich­keits­rech­ten spielt. Und sie schmäh­lich miss­ach­tet. Was die Mann­hei­mer Staats­an­walt­schaft tun­lichst unter­lässt — SpOn scheißt drauf, um eine gei­le Mel­dung zu ver­brei­ten. Mit Namen und Foto wird der Beschul­dig­te gezeigt. Noch bevor irgend­je­mand die Zeit hat­te, auf der Gund­la­ge jour­na­lis­ti­scher Recher­che über­haupt Erkun­di­gun­gen ein­zu­ho­len, mel­det SpOn schon. Und nimmt bil­li­gend die zer­stö­rung einer Kar­rie­re oder eines Lebens ins Kauf — denn noch ist der Ver­haf­te­te ein Ver­däch­ti­ger. Und noch gel­ten in die­sem Lan­de Unschulds­ver­mu­tun­gen bis ein Gericht das Gegen­teil feststellt.Wie ist das ver­ein­bar mit dem Pres­se­ko­dex Zif­fer 1:” Die Ach­tung vor der Wahr­heit, die Wah­rung der Men­schen­wür­de und die wahr­haf­ti­ge Unter­rich­tung der Öffent­lich­keit sind obers­te Gebo­te der Presse” ?

Die ande­ren Online-Medi­en las­sen sich natür­lich nicht lum­pen und bla­sen ins sel­be Horn. Die Suche nach dem Nach­na­men des Beschul­dig­ten gene­rie­ren in die­sem Moment bei Goog­le News 527 Tref­fer. 527 Online-Medi­en also, die einen Beschul­dig­ten öffent­lich an den Pran­ger stel­len. Noch­mal: Einen BESCHULDIGTEN. Der die­sen Makel nie wie­der los­wer­den wird. Viel­leicht hat er ihn zurecht. Viel­leicht hat er ihn zu Unrecht. Das zu ent­schei­den obliegt nicht den Medi­en — die mit der Mel­dung aber nicht nur impli­zit bereits ein Urteil gefällt und ver­kün­det haben. Son­dern die damit auch gleich die Stra­fe bewir­ken: Die ver­mut­lich lebens­lan­ge öffent­li­che Äch­tung des Beschuldigten.

Es sind Momen­te wie die­se, wo ich mir wün­sche, die “Qua­li­täts­me­di­en” wür­den nicht lang­sam dahin­sie­chend kre­pie­ren. Son­dern in einer Super­no­va heu­te Nach­mit­tag um halb vier ver­glü­hen und von die­sem Plan­ten ver­schwin­den. Es sind wirt­schaft­li­che Grün­de, die die Medi­en dazu brin­gen: Auf­la­gen, Page­Views — und Klicks auf Wer­be­ban­ner. Ich weiß nicht, wie Medi­en­ver­tre­ter sich heu­te noch zur Kri­ti­kern von “gie­ri­gen Ban­kern” auf­schwin­gen kön­nen — wenn sie selbst im Namen der Ver­kaufs­zah­len ihrer jäm­mer­li­chen Medi­en ohne Skru­pel Men­schen öffent­lich hinrichten.

§ One Response to Das Beben der Medien: Persönlichkeitsrechte und Auflagenhöhe

  • Postdramatiker sagt:

    Es ist 16.30 — und kei­ne Super­no­va hat die Medi­en ins­ge­samt ver­schwin­den las­sen. Aber klei­ne­re Son­nen­win­de fegen durch den Blät­ter­wald: Der Jah­res­zei­ten-Ver­lag (Petra, Meri­an, Prinz, Für Sie u.a.) ent­lässt ALLE Redak­teu­re. Nur die Füh­rungs­kräf­te blei­ben und fül­len ihre Hef­te mit­hil­fe frei­er Mit­ar­bei­ter. Mehr als 70 Stel­len — weg. Und das tut mir leid für die Betroffenen.
    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,685258,00.html

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