Fernsehen als umgekehrtes Missionarstum #MediaDivina

Februar 22nd, 2013 Kommentare deaktiviert für Fernsehen als umgekehrtes Missionarstum #MediaDivina

Das Ver­hält­nis von Nähe und Fer­ne, von Nip­kows Ort A und Ort B und die Über­tra­gung der Bot­schaft ist his­to­risch nicht neu. Abge­se­hen davon, dass es ver­mut­lich bereits so lan­ge, wie Men­schen und/oder Stäm­me wan­der­ten, wie Fern­han­del betrie­ben wur­de, wie Regen­ten mit­ein­an­der kom­mu­ni­zier­ten, den Aus­tausch von Nach­rich­ten gab, gab es auch die orga­ni­sier­te Nach­rich­ten­ver­brei­tung lan­ge schon. Die­je­ni­ge durch kirch­li­che Mis­sio­na­re. Inter­es­sant ist nun im Ver­gleich Fern­se­hen ver­sus christ­li­che Mis­si­on zweierlei:

Einer­seits zunächst natür­lich die Sen­de­rich­tung. Wäh­rend christ­li­che Mis­sio­na­re in die Welt aus­schwärm­ten, um die gute Nach­richt mit mehr oder min­der star­kem Nach­druck zu ver­brei­ten, die Emp­fän­ger der Bot­schaft also in der Fer­ne lagen, in die die Mis­sio­na­re reis­ten und an die sie sich annä­her­ten, ist es im Fern­se­hen genau anders her­um. Die „gute Nach­richt“, die nicht immer – das wird der zwei­te Unter­schied sein – „gut“ ist, wird aus der Fer­ne ver­kün­det für die Nahen. Das umge­kehr­te Mis­sio­nar­s­tum des Fern­se­hens macht aus der Fer­ne selbst die Nach­richt, die sie an ihren Ursprungs­ort oder in ihre Ursprungs­re­gi­on zurück­sen­det. Als Korrespondent.

Zugleich ist die grund­le­gen­de Qua­li­tät der Nach­richt eine ande­re. Soll­te die „gute Nach­richt“ der Mis­sio­na­re eine Heils­bot­schaft sein, die in die Wirr­nis und Wil­de der Fer­ne die reli­giö­se Ver­si­che­rung der christ­li­chen Leh­re brach­te, so ist die Fern­seh­nach­richt unge­fähr das genaue Gegen­teil. Die Fern­seh­nach­richt ist grund­sätz­lich (von Aus­nah­men abge­se­hen, die dann aber zu rela­tiv kur­zen Geschich­ten wer­den) eine „schlech­te Nach­richt“. Unfäl­le, Abstür­ze, Wir­bel­stür­me, Affä­ren, Skan­da­le, Wirt­schafts­kri­sen, Not und Elend sind der domi­nie­ren­de Inhalt der Fern­seh­nach­richt, der wel­che Heils­ver­spre­chung eigent­lich zuge­hört? Ist es wirk­lich nur die­je­ni­ge des „anders­wo haust der Schre­cken, bei dir im Wohn­zim­mer ist es sicher“? Oder ist es die grund­sätz­li­che Ver­un­si­che­rung, die in die Zuschau­er­schaft gesät wer­den will mit der quo­ten­brin­gen­den Fol­ge, dass erst die Fort­set­zung der Geschich­te das (viel­leicht doch nie­mals erfol­gen­de) Hap­py End brin­gen wird?

Der Ange­los des Evan­ge­li­ums sprach: Sehet, ich ver­kün­di­ge euch heu­te eine gro­ße Freu­de.“ Der Repor­ter hin­ge­gen ver­kün­det – in sei­nen Stern­stun­den das pure Grau­en. Und man fragt sich: Was ist eigent­lich das Ver­gnü­gen an sol­chen tra­gi­schen Gegen­stän­den im Fern­se­hen? Ist es die Ein­ord­nung in die gro­ße Metaer­zäh­lung der Nach­rich­ten­spre­cher? Die Tat­sa­che, dass alles, was an Schlech­tem sich zuträgt, ohne jeden gött­li­chen Ein­griff, allein durch inner­welt­li­che Kau­sa­li­tät erklärt und damit sei­ner skan­da­lö­sen Spit­ze beraubt wer­den kann?

Selbst Pro­dukt der Tech­nik, fokus­sie­ren die­je­ni­gen Mel­dun­gen, die als “Kata­stro­phe” erlebt wer­den, in über­ra­schend häu­fi­ger Zahl Tech­ni­sches. Dar­auf wies Mary-Anne Doane tref­fend hin:. In “Infor­ma­ti­on, Kri­se, Kata­stro­phe”, den drei Grund­be­stand­tei­len der Fern­seh­nach­richt, schreibt sie über die Katastrophe:

Die Kata­stro­phe scheint (…) immer etwas mit Tech­no­lo­gie und ihrem poten­zi­el­len Kol­laps zu tun zu haben. Und sie ist immer mit der Fas­zi­na­ti­on des Todes behaf­tet, so daß man die Kata­stro­phe letzt­lich als die Ver­bin­dung des Ver­sa­gens von Tech­no­lo­gie und der dar­aus resul­tie­ren­den Kon­fron­ta­ti­on mit dem Tod defi­nie­ren könn­te. (In: Fahle/Engell, S.111)

Neben­bei: Fah­le Engel (die Her­aus­ge­ber mögen mir das Wort­spiel ver­zei­hen) ist ein wun­der­vol­ler Begriff für die Nach­rich­ten­spre­cher. Aller­dings wäre, denkt man das Zitat wei­ter, die ulti­ma­ti­ve Kata­stro­phe der Aus­fall des Fern­se­hens selbst. Dazu dann mehr in “Media Divina”.

Die Kata­stro­phen der Tech­no­lo­gie also — und man müss­te Ergän­zen die Irr­läu­fe von Men­schen. Neben dem Flug­zeug­ab­sturz ist der Amok­lauf so etwas wie der zen­tra­le Topos der Nach­rich­ten. Gege­be­nen­falls noch erwei­ter­bar durch die Natur­ka­ta­stro­phe. Das sind die kata­stro­phisch-tra­gi­schen Nach­rich­ten in einer Fern­seh-Welt, die reli­giö­se Geschich­ten nicht als Heils­ver­spre­chen bereit­hält. Und die, anders als Kant und Schil­ler, das Erha­be­ne nicht mehr als Ergeb­nis des Sie­ges des Ver­stan­des über die Sinn­lich­keit fei­ern kön­nen. Oder viel­leicht doch? Als Auf­he­bung der (schein­bar) sinn­lo­sen Kata­stro­phe im Sinn der Nach­rich­ten­er­zäh­lung darüber?

 

 

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