Friedfertigkeit und Kriegsfertigkeit : Wehrpflichtige in Afghanistan?

Mai 2nd, 2010 § 1 comment

Das letz­tens hier beschrie­be­ne The­ma rund um den Afgha­ni­stan­krieg und die Teil­nah­me der deut­schen Wehr­pflicht­ar­mee dar­an geht mir nicht aus dem Kopf. Ins­be­son­de­re das extrem nach­voll­zieh­ba­re Phä­no­men, dass die deut­schen Staats­bür­ger in Uni­form dort in per­ma­nen­ter Angst (Mer­kel hier) leben, weil sie nicht wis­sen, was sie dort tun und sol­len. Sol­da­ten in Angst – ein Armuts­zeug­nis für die Armee? Die coo­len War­ri­ors der Mari­nes und die schnei­di­gen bri­ti­schen Guards machen einen so ganz ande­ren Ein­druck. Das führt tat­säch­lich auf eine sehr fun­da­men­ta­le Fra­ge – rund um die Demo­kra­tie, die Wehr­pflicht, die Gesellschaft.

Fried­fer­ti­ge ver­sus  Berufskrieger

Wehr­pflich­ti­ge – wie bereits bemerkt „durf­te“ ich die­se Erfah­rung selbst machen – wer­den tech­nisch im Gebrauch von Waf­fen, in sol­da­ti­scher Koor­di­na­ti­on, ein wenig in Fit­ness unter­wie­sen. Das wars. Die Moti­va­ti­on zur Teil­nah­me im Kampf und Inkauf­nah­me aller Gefah­ren und Risi­ken wird vor­aus­ge­setzt: die kol­lek­ti­ve Selbst­ver­tei­di­gung. Orga­ni­sier­te Not­wehr. Wie man will. In unmit­tel­ba­ren Gefah­ren­si­tua­ti­on ver­tei­di­gen sich auch fried­fer­tigs­te Men­schen gegen Angrei­fer. Wehr­pflicht­aus­bil­dung heißt: Fried­fer­ti­gen Kriegs­fer­tig­kei­ten beibringen.

Was nicht geschieht ist: die sys­te­ma­ti­sche Unter­drü­ckung oder Aus­schal­tung der Tötungs­hem­mung. Eben­so wenig die sys­te­ma­ti­sche Umpro­gram­mie­rung der Gefah­ren­wahr­neh­mung und Selbst­ein­schät­zung. Bei­des sind Ziel der Grund­aus­bil­dung von Berufs­ar­meen wie den Mari­nes oder der Legi­on. Es wäre fatal, wür­de die Bun­des­wehr die­se Umpro­gram­mie­run­gen ange­hen. Nach Ende des Wehr­diens­tes wür­den Men­schen aus der Armee ent­las­sen, denen das Zusam­men­le­be in der Gesell­schaft kaum mehr mög­lich ist – eben weil sowohl gelern­te Tötungs­hem­mung als auch Angst­wahr­neh­mung extrem deran­giert sind.  In der gegen­wär­ti­gen Debat­te wird die­ser Unter­schied in der Aus­bil­dung übri­gens durch­aus erwähnt, aller­dings in Form einer „Kri­tik an Ausbildungsdefiziten“.

Kriegs­fer­tig machen

Die Aus­bil­dung von Berufs­ar­meen setzt dar­auf, die Sol­da­ten zu dres­sie­ren. Sitz, Platz, Fass. Still­ge­stan­den, Marsch, Feu­er. Zuneh­mend wird noch „Intel­li­genz“ bzw. Nach­den­ken gefor­dert – tak­ti­sches. Nicht grund­sätz­li­ches! In jeder Situa­ti­on zu gehor­chen. Moti­va­ti­on die­ser Sol­da­ten ist schlicht und ein­fach Geld. Ein Beruf. Ein Aus­kom­men. Eine Art männ­li­che Zwangs­pro­sti­tu­ti­on. Alles ande­re ist Drill und Gehor­sam. Aus Fried­fer­ti­gen wer­den Kriegs­fer­ti­ge gemacht.

Zwei inter­es­san­te Sach­ver­hal­te dazu:

  • Fried­fer­ti­ge im Krieg

Im 2. Welt­krieg haben über­haupt nur über­ra­schend wenig ame­ri­ka­ni­sche Sol­da­ten von ihren Waf­fen Gebrauch gemacht, noch weni­ger gezielt geschos­sen. Dar­auf­hin wur­de die Aus­bil­dung grund­le­gend geän­dert: das geziel­te Schie­ßen auf sehr men­schen­ähn­li­che Zie­le wird als auto­ma­ti­sier­te Stress­re­ak­ti­on antrai­niert: Beschos­sen wer­den – Angst – Stress – Aggres­si­on – Feu­ern. Das ist der ein­ge­schlif­fe­ne Mecha­nis­mus. Letzt­lich: Angst in Aggres­si­ve Gewalt umset­zen. Das soll­te man einer Wehr­pflicht­ar­mee kei­nes­falls bei­brin­gen. Eine Gesell­schaft, in der jede Angst- oder Stress­si­tua­ti­on unmit­tel­bar zu aggres­si­ver Gewalt ohne Tötungs­hem­mung führt – ist ver­mut­lich kei­ne wirk­lich Lebenswerte.

Inter­mez­zo: Die genau­en Zah­len und die genau­en Hin­ter­grün­de (gibt es eine Tötungs­hem­mung oder – wie Reemts­ma vor 4Jahren vor­trug – gibt es sie nicht?) sind nicht so leicht online zu recher­chie­ren. Ich bin auf einen ziem­lich inter­es­san­ten Arti­kel in einem sehr inter­es­san­ten Organ gesto­ßen: Das Ulmer Echo, das Gefan­ge­nen­ma­ga­zin der JVA Düs­sel­dorf Ulmer Höh‘ ver­öf­fent­lich­te im Jahr 2000 einen Arti­kel „Pawlow’s Hund frisst Schuld“, der mit sehr span­nen­den Zah­len auf­war­te­te: Im 2. Welt­krieg ( = all­ge­mei­ne Wehr­pflicht in USA) haben nur ca. 15 von 100 ame­ri­ka­ni­schen Infan­te­ris­ten über­haupt ihre Waf­fe benutzt.  (Die­se Ergeb­nis­se wer­den durch die SALVO und ALCLAD-Stu­di­en des US-Mili­tärs bestä­tigt, die bei der Ent­wick­lung neu­er Hand­feu­er­waf­fen bzw. Schutz­wes­ten fest­stell­ten, dass die meis­ten Gewehr­ge­schoss-Ver­wun­dun­gen im 2. Welt­krieg durch unge­ziel­tes Feu­er bei Über­ra­schungs­kon­tak­ten oder bei Fern­wir­kung auf­tra­ten und kaum geziel­te Schüs­se vor­la­gen – Hin­wei­se dazu in einem inter­es­san­ten Leser­kom­men­tar hier). Auch sehr inter­es­sant die­se Aus­sa­ge „In der Schlacht von Wei­ßen­burg im Elsaß im Krieg 1870/71 schos­sen fran­zö­si­sche Sol­da­ten 48.000 mal, um 404 deut­sche Fuß­sol­da­ten zu töten. Folg­lich benö­tig­ten die Fran­zo­sen 119 Schuß Muni­ti­on für jeden Geg­ner. Da bekannt­lich nicht alle Fran­zo­sen kurz­sich­tig sind, kann auch hier ange­nom­men wer­den, daß ein natür­li­cher Skru­pel zu töten wirk­sam wurde. „
N.B.: Ich glau­be nicht an eine „natur­ge­ge­be­ne“ Tötungs­hem­mung son­dern hal­te sie für eine hohe kul­tu­rel­le Errun­gen­schaft, die sehr schnell wie­der ver­lo­ren wer­den kann.
  • Kriegs­fer­ti­ge in Friedenszeiten

Die Zahl der durch Selbst­mord gestor­be­nen Viet­nam­ve­te­ra­nen ist inzwi­schen höher als die der in Viet­nam gefal­le­nen (zahl­rei­che Quel­len, z.B. SZ hier). Für Viet­nam war die eben beschrie­be­ne ver­än­der­te Aus­bil­dung bereits im Gan­ge, aber noch nicht der­art per­fek­tio­niert wie für die Krie­ge der 90er und des neu­en Jahr­tau­sends. Zu erwar­ten (und an ers­ten Zah­len bereits abzu­le­sen – sie­he hier) ist, dass hier die Rate der Vete­ra­nen, die mit sich und dem Leben im Zivi­len nicht mehr zurecht kom­men, weit­aus höher ist. Rech­nen wir nur für jeden Selbst­mord noch 2–3 Selbst­mord­ver­su­che (SpOn berich­tet von 12.000 Ver­su­chen pro Jahr hier bei 6500 voll­ende­ten Selbst­mor­den laut US-Vete­ra­nen­be­hör­de), eine hand­voll wei­te­rer zer­stör­ter Men­schen (eben­falls laut SpOn-Arti­kel betrifft das 30–40% aller Heim­keh­rer!), die es nicht ein­mal mehr schaf­fen, sich selbst zu töten. Eine bedeu­ten­de Armee von kaput­ten (hier ist die Rede von 65.000 per­ma­nent obdach­lo­sen Viet­nam-Vete­ra­nen im Jahr 2008!) und zugleich nicht unge­fähr­li­chen Men­schen. Ich habe kei­ne Zah­len gefun­den, wie viel Pro­zent ehe­ma­li­ger Sol­da­ten spä­ter wegen Gewalt­ta­ten im Gefäng­nis lan­den (hier heißt es, dass 300.000 Viet­nam­ve­te­ra­nen 1972 im Gefäng­nis saßen – in aller­dings beweg­ten Zeit). Rech­nen wir alle zusam­men – es wer­den erschre­cken­de Zah­len sein. Die Kriegs­fer­ti­gen haben ihre Frie­dens­fer­tig­kei­ten ver­lo­ren. Und die­ses durch psych­ia­tri­sche Beschrei­bun­gen des Zustands als PTBS zum indi­vi­du­el­len Pro­blem von „Erkrank­ten“ zu machen geht natür­lich ange­sichts der Mas­se der Betrof­fe­nen weit an der Sache vor­bei. Es han­delt sich um einen Skan­dal im Span­nungs­feld von Poli­tik und Gesell­schaft: eine Poli­tik, die ihre eige­ne Gesell­schaft aufs Spiel setzt.

Ster­ben und Töten als Beruf

Das ist der Deal wenn sich ein Sol­dat einer Berufs­ar­mee anschließt. Er nimmt den Ver­lust des eige­nen Lebens eben­so bil­li­gend in Kauf wie das Töten ande­rer Men­schen. Nicht aus kol­lek­ti­ver Selbst­ver­tei­di­gung. Son­dern gegen Bezah­lung. Es ist sein Beruf. Und letzt­lich sind die­se Armeen nichts ande­res als natio­nal rekru­tier­te Söld­ner­trup­pen. Das Out­sour­cing die­ser Auf­ga­be an pri­vat­wirt­schaft­li­che Unter­neh­men wie Dyn­Corp, Tri­ple Cano­py oder  Black­wa­ter – heu­te Xe Ser­vices –  ist nur der kon­se­quen­te nächs­te Schritt, den die USA gehen. Frank­reich hat es mit der Legi­on vor­ge­macht. Die USA ent­kop­peln ihre Frem­den­le­gi­on nun auch noch von direk­ter poli­ti­scher Kon­trol­le. War­um soll Black­wa­ter nicht inter­na­tio­nal anbie­ten? War­um nicht auch dem Iran Söld­ner ver­mit­teln. Den Tali­ban? Letzt­lich wer­den irgend­wann die Söld­ner von Black­wa­ter auf bei­den Sei­ten ste­hen. War­ten wir ab, was dar­aus für mensch­li­che Krüp­pel und Zeit­bom­ben werden.

Das heißt?

Die For­de­rung, an der „Hei­mat­front“ möge die Bevöl­ke­rung gefäl­ligst die in Afgha­ni­stan befind­li­chen Staats­bür­ger in Uni­form mit Hel­den­ver­eh­rung und Durch­hal­te­pa­ro­len unter­stüt­zen, ver­sucht die aus guten Grün­den nicht vor­han­de­ne Moti­va­ti­on zu kon­stru­ie­ren. Nach­dem die­se Mit­bür­ger in Kin­der­gar­ten, Schu­le und Fami­lie 18 Jah­re lang zur Fried­fer­tig­keit und fried­li­chen Kon­flikt­lö­sung erzo­gen wur­den. Sol­len sie urplötz­lich Kriegs­fer­tig sein – ohne die ent­spre­chen­de Selbst­ver­tei­di­gungs­mo­ti­va­ti­on. Sinn­lo­sig­keit ist eine furcht­ba­re Unter­trei­bung für die­se Lage. Der Staat schickt die Sol­da­ten zum Töten und Ster­ben, ohne sie dar­auf durch Desen­si­bi­li­sie­rung und reflex­haft ein­set­zen­de Aggres­si­on vor­zu­be­rei­ten. Ohne aber auch auf eine mit denen erlern­ten und zutiefst ver­in­ner­lich­ten ethisch-mora­li­schen Ansprü­chen ver­ein­ba­ren oder gar moti­vier­ten zu kön­nen, was sie zu tun gezwun­gen werden.

Mit dem Staats­bür­ger in Uni­form in einer Wehr­pflicht- und Selbst­ver­tei­di­gungs­ar­mee ist die Abrich­tung zum Kriegs­fer­ti­gen nicht ver­ein­bar – es wür­de eine Gesell­schaft der Aggres­si­vi­tät dar­aus ent­ste­hen. Und das heißt: Ent­we­der man lässt sol­che Spie­le­rei­en mit dem Feu­er und den eige­nen Bür­gern (ums noch­mal zu sagen: der Bür­ger ist der Sou­ve­rän und Herr­scher in der Demo­kra­tie, solan­ge es kei­nen Herr­scher durch Got­tes­gna­den oder eige­ne Gewalt gibt) bzw. been­det das Afgha­ni­stan-Fias­ko sofort. Oder man stellt eine Söld­ner­trup­pe gleich den Mari­nes, der Légion oder der Black­wa­ter-Pri­vat­ar­mee auf. Was natür­lich kei­ne Alter­na­ti­ve ist – auch wenn neo­klas­si­schen Öko­no­men ver­mut­lich jetzt schon das Spar­was­ser im Mun­de zusam­men­läuft. Pri­va­ti­sie­rung der Armee!

Con­clu­sio

In einer Demo­kra­tie haben die Exe­ku­ti­ve (also: die Regie­rung) und die legis­la­ti­ven Par­la­men­te kein Recht, ihren Sou­ve­rän – den Wäh­ler und Bür­ger – aus ande­ren Grün­den als der kol­lek­ti­ven Selbst­ver­tei­di­gung zu einer Wehr­pflicht ein­zu­be­ru­fen. Und er hat eben­so wenig das Recht, die Gesell­schaft dadurch in ihrem fried­li­chen Zusam­men­le­ben zu gefähr­den, dass er Tei­len die­ser Gesell­schaft die kul­tu­rell und erzie­he­risch gelern­te Gewalt- und Tötungs­hem­mung gezielt zu neh­men oder doch zu reduzieren.

Das heißt: Die Bun­des­wehr darf die Sol­da­ten gar nicht in einer Form aus­bil­den, die dem Kriegs­ein­satz (und wenn‘s auch nur umgangs­sprach­li­cher Krieg ist) ange­mes­sen und für die Teil­neh­mer gera­de­zu über­le­bens­wich­tig ist.  Sie den­noch dort­hin zu schi­cken, miss­braucht nicht nur die Wehr­pflicht­ar­mee – es ist zudem ein Akt der Unmensch­lich­keit gegen­über den Sol­da­ten, die zwar ohne die not­wen­di­ge per­sön­li­che Aus­rüs­tung aber den­noch zum Töten und Ster­ben geschickt wer­den. Und deren Rück­kehr sie in eine Geselslchaft kom­men lässt, in der sie kaum mehr “nor­mal” leben können.

§ One Response to Friedfertigkeit und Kriegsfertigkeit : Wehrpflichtige in Afghanistan?

  • Das Problem Medienkompetenz - Cinemaniacs sagt:

    […] Waf­fen erzielt. Ers­tens ist beim genau­en Zie­len ist die Tötungs­hem­mung natür­lich grö­ßer (In der Schlacht von Wei­ßen­burg im Elsaß im Krieg 1870/71 benö­tig­ten die Fran­zo­sen noch durch­schni…) und zwei­tens sind die meis­ten Gefech­te im moder­nen Krieg kei­ne Schlach­ten wie von Weißenburg, […]

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