Kriminaliätsstatistik 2010 — oder: Wie Medien Angst und Meinung machen

Mai 20th, 2011 Kommentare deaktiviert für Kriminaliätsstatistik 2010 — oder: Wie Medien Angst und Meinung machen

Mit guten Nach­rich­ten las­sen sich weder Print­aus­ga­ben ver­kau­fen noch Klicks har­ves­ten. Nein — abends zu skan­da­li­sie­ren: “Düs­te­re Aus­sich­ten: Son­nen­un­ter­gang steht kurz bevor” ist noch immer eine bes­se­re Mel­dung als “Auch heu­te wie­der: Son­nen­auf­gang”. Den Beweis tritt heu­te unser all­seits belieb­tes “Polit”-Magazin Spie­gel mit sei­ner Online-Stief­to­cher Spon (hier) an. Die Über­schrift zur Kri­mi­nal­sta­tis­tik 2010:

Das klingt nach Kra­cher-Sto­ry. Kri­mi­na­li­tät. Rekord­wert. Inter­net. Der flüch­tig drü­ber huschen­de Leser nimmt mit, dass Deutsch­land immer kri­mi­nel­ler wird. Und dass das Netz ganz beson­ders schlimm ist. Nun kann selbst Spon nicht ver­mei­den, hin­ter eine Head­line auch einen Arti­kel zu schrei­ben. Und der kommt wie­der­um nicht umhin, ein bis­serl mehr Inhalt zu lie­fern. Natür­lich erst, nach­dem der Son­nen­un­ter­gang wei­ter in schwär­zes­ten Far­ben gemalt wird:

Der Com­pu­ter wird immer häu­fi­ger zum Tat­werk­zeug von Kri­mi­nel­len: Die Com­pu­ter­kri­mi­na­li­tät ist im ver­gan­ge­nen Jahr in Deutsch­land um mehr als zwölf Pro­zent auf rund 84.400 Fäl­le gestie­gen — die bis­lang höchs­te regis­trier­te Zahl. Der star­ke Anstieg ist vor allem dar­auf zurück­zu­füh­ren, das deut­lich häu­fi­ger als 2009 Daten aus­ge­späht und abge­fan­gen wurden.

Schlot­tern wir? Wir schlot­tern! Dun­kel­heit. Lan­ge Schat­te. Düs­te­re Gestal­ten. Mei­ne Daten, mei­ne Daten! Oh Herr, der Son­nen­un­ter­gang ist nahe! Doch dann, ein klei­nes Kerzlein:

Zahl der regis­trier­ten Straf­ta­ten auf dem tiefs­ten Stand seit 1993

Huch. Hat da ein Redak­teur nicht auf­ge­passt? Schwe­re Straf­ta­ten wie gefähr­li­che und schwe­re Kör­per­ver­let­zung, Raub, räu­be­ri­scher Erpres­sung und räu­be­ri­scher Angriff auf Kraft­fah­rer (und was ist mit Fahr­rad­fah­rern …? wer­den auch Fah­rer von Elek­tro­au­tos …), Mord sind: zurück­ge­gan­gen. Nach­dem dann die deut­schen Sün­den­pfuh­le Frank­furt, Ham­burg, Ber­lin ange­pran­gert wur­den, wird noch nach­ge­scho­ben, dass auch die Auf­klä­rungs­quo­te auf einem Rekord­stand ist. Aber — das soll­ten wir nicht glau­ben. Gute Nach­rich­ten? Pah! Die GdP weiss es besser:

Gewerk­schaft der Poli­zei: “Sta­tis­ti­ken kön­nen mani­pu­liert werden”

Ach was. Gewerk­schaft der Sta­tis­ti­ker: Poli­zis­ten kön­nen auch mani­pu­liert wer­den. Von ihren Inter­es­sen bei­pi­els­wei­se. Und Jour­na­lis­ten auch. Von Klick­zah­len , die zu erhö­hen sie sich nicht schä­men, der Panik­ma­che Vor­schub zu leis­ten. Ist das “Qua­li­täts­jour­na­lis­mus”, der durch Leis­tungs­schutz­rechts­mau­ern geschützt wer­den muss — oder ein­fach Schrott­pres­se? Der GdP-Cheff erklär­te im Rund­funk (und wird bei Spon zitiert): “Es hat sich seit lan­gem erwie­sen, dass die­se Sta­tis­tik nicht das ent­spre­chen­de Sicher­heits­ge­fühl und das Sicher­heits­ge­sche­hen in Gän­ze wie­der­gibt.” Natür­lich nicht. Das Sicher­heits­ge­fühl wird geprägt von Mas­sen­ver­dum­mungs­waf­fen wie Spon, die über Kri­mi­na­li­täts-Rekord­wer­te titeln. Und die dabei das Inter­net als Ter­ror­netz­werk verteufeln.

Zum guten Schluss die Ein­ord­nung des Cybercrime-“Rekordwertes”: Es wur­den 2010 in der Kri­mi­nal­sta­tis­tik “rund 5,9 Mil­lio­nen” Straf­ta­ten ver­zeich­net. Davon waren (sie­he oben) “rund 84.400” Fäl­le von Com­pu­ter­kri­mi­na­li­tät. Kann es sein, dass der Son­nen­un­ter­gang eine Cere­bra­le Eclip­se der Qua­li­täts­me­di­en beschreibt? Son­nen­fins­ter­nis im Gehirn? Die es in Kauf nimmt, das “Sicher­heits­ge­fühl” so zu beein­flus­sen, dass sich die Vor­rats­da­ten­spei­che­rungs­in­itia­ti­ven, Stop-Schil­der und was der­glei­chen mehr ist auf eine zit­tern­de Mas­se trifft, die glaubt, der media­le Son­nen­un­ter­gang (der kei­ner ist) sei der bevor­ste­hen­de Welt­un­ter­gang und nur dra­ko­ni­sche Selbst­gei­ße­lung bür­ger­li­cher Frei­heits­rech­te stim­me die Göt­ter der Ver­bre­chens­vor­beu­ge gnädig?

P.S. Und ganz ärger­lich für all die Skan­da­li­sie­run­gen der letz­ten Mona­te: “Über­durch­schnitt­lich stark ist die Zahl tat­ver­däch­ti­ger Jugend­li­cher (14 bis unter 18 Jah­re) gesun­ken — um 6,9 Pro­zent.” Mist. Wo doch in allen Talk­shows die Fra­ge nach der explo­die­ren­den Jugend­ge­walt im Ange­den­ken an Rich­te­rin Hei­sig meist in Anwe­sen­heit von Heinz Busch­kow­sky beka­kelt und mira­kelt wird.

P.P.S.: Ich habe recht viel von Spon zitie­rend über­nom­men. Tau­che ich jetzt als kri­mi­nel­ler Ver­let­zer des Leis­tungs­schutz­rechts auch in der nächs­ten Sta­tis­tik auf?

Good night and good luck, Spon.

Nach­trag: Gera­de auf tagesschau.de noch einen ech­ten Knal­ler gefun­den. Vom Vor­sit­zen­den einer ande­rer Polizeigewerkschaft:

Auch der Chef der Deut­schen Poli­zei­ge­werk­schaft DPolG, Rai­ner Wendt, moniert, die Zahl der Straf­ta­ten sei fak­tisch gestie­gen, nicht gesun­ken. Die Dun­kel­zif­fer wür­de ausgeblendet.

War das Rai­ner Wendt oder doch Rei­ner Schwach­sinn? Das Dun­ke­le der Dukel­zif­fer liegt dar­an, dass sie nicht augeblen­det wer­den kann, weil sie kei­ne Dun­kel­zif­fer wäre, wenn man sie ein­blen­den wür­de. Und da die Dun­kel­zif­fer nie­mand kennt — auch nicht Herr Wendt — kann ihre Aus­blen­dung kein Beleg dafür sein, dass die Kri­mi­na­li­täts­sta­tis­tik eigent­lich höher ist. Herr Schwach­sinn hät­te also genau­so­gut sagen kön­nen: “Sie könn­te auch höher sein. Ich weiß es aber nicht.” Ein abso­lu­ter Kra­cher. Wenns schon kei­nen Son­nen­un­ter­gang und kei­ne Dun­kel­heit gibt, dann doch wenigs­tens die Dun­kel­zif­fer. Oder wie man auch sagen könn­te: Irgend­wo ist immer Nacht. Herr­jeh, und sol­che Typen sind die obers­ten Ver­tre­ter unse­rer Ordnungshüter …

Und tages­schau fand übri­gens nicht nur 84.000 Inter­net­straf­ta­ten, son­dern “knapp 225.000”. Inklu­si­ve Dunkelziffer?

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