Leistungsschutz und Urheberrecht in der frühen Digitalökonomie

August 8th, 2010 Kommentare deaktiviert für Leistungsschutz und Urheberrecht in der frühen Digitalökonomie

Die sonst so häu­fig zurecht von mir geschmäh­te Yel­low­pos­til­le SpON kam ges­tern- wohl weil im Som­mer­loch ein­fach alles her­hal­ten muss, was die wer­be­ver­kauf­ten Sei­ten füllt — tat­säch­lich mit etwas Inter­es­san­tem und ins­be­son­de­re Selbst­re­fe­ren­ti­el­lem um die Ecke. Ver­ges­sen wir nicht: Spie­gel und SpON sind die markt­gän­gi­gen Mar­ken des Spie­gel-Ver­lags, der ein wirt­schaft­li­ches Unter­neh­men dar­stellt. Und zwar indem er die Tex­te von Autoren ver­öf­fent­licht und dafür von der wer­be­trei­ben­den Indus­trie und/oder von Nut­zern Geld ver­langt.  Der Ver­lag ver­wer­tet die Urhe­bun­gen sei­ner Autoren. Ure­ber­recht einer­seits — Ver­wer­tungs­recht ande­rer­seits. Und neu­er­dings möch­ten die Ver­la­ge ein Leis­tungs­schutz­recht, um auch im Inter­net durch Infor­ma­ti­ons­ver­knap­pung und Mono­po­li­sie­rung noch Kapi­tal aus die­sen Urhe­bun­gen zu zie­hen. So weit die nüch­ter­ne Beschreibung.

Nun kommt in der Rubrik Spie­gel Wissenschaft/Geschichte ein Arti­kel unter dem Titel “Explo­si­on des Wis­sens” von Frank Tha­de­usz um die Ecke, der im Sum­ma­ry anteasert:

Hat Deutsch­land im 19. Jahr­hun­dert einen indus­tri­el­len Auf­stieg erlebt, weil das Land kein Urhe­ber­recht kann­te? Mit die­ser Ana­ly­se sorgt ein Münch­ner Wirt­schafts­his­to­ri­ker für Aufsehen.

Das klingt, als wol­le besag­ter Wis­sen­schaft­ler Eck­hard Höff­ner die Urhe­ber ent­eig­nen. Tat­säch­lich aber geht es um das “Copy­right” — nicht ganz das­sel­be wie das Urhe­ber­recht — son­dern viel ähn­li­cher dem deut­schen Ver­wer­tungs­recht, heißt dem Recht zur Ver­viel­fäl­ti­gung von Urge­ho­be­nem. Das betrifft letzt­lich zwar auch die Autoren, die kein Geld für ihre Wer­ke sahen. Aber es betrifft in viel stär­ke­rem Maße die Ver­la­ge, denen der Pro­fit den Bach hin­ab­schwamm. Das soll­te man tun­lichst tren­nen. Tha­de­usz schreibt von der Lon­do­ner Ver­le­ger­kul­tur, die vom 1710 ein­ge­führ­ten Copy­right geschützt waren:

Die pro­mi­nen­tes­ten Ver­le­ger in Lon­don ver­dien­ten trotz­dem präch­tig und fuh­ren teils mit ver­gol­de­ten Drosch­ken umher. Ihre Kun­den waren Rei­che und Adli­ge, die Bücher als rei­ne Luxus­gü­ter betrach­te­ten. In den weni­gen vor­han­de­nen Biblio­the­ken wur­den die kost­ba­ren Foli­an­ten zum Schutz vor Die­ben an den Bücher­re­ga­len festgekettet.

Anders dage­gen in Deutsch­land, wo es noch kein durch­setz­ba­res Ver­wer­tungs­recht gab:

In Deutsch­land hin­ge­gen saßen den Ver­le­gern Pla­gia­to­ren im Nacken, die jede Neu­erschei­nung ohne Furcht vor Stra­fe nach­dru­cken und bil­lig ver­kau­fen durf­ten. Erfolg­rei­che Ver­la­ge reagier­ten mit Raf­fi­nes­se auf die Abkup­fe­rer und ersan­nen eine Form der Publi­ka­ti­on, wie sie noch heu­te üblich ist: Sie gaben edle Aus­ga­ben für Wohl­ha­ben­de her­aus und güns­ti­ge Taschen­bü­cher für die Masse.

Da schau mal einer an: Kein Ver­wer­tungs­recht (kein Leis­tungs­schutz­recht) — schon wer­den die Bücher bil­li­ger und an die Mas­sen vertrieben:

“So viel tau­send Men­schen in den ver­bor­gens­ten Win­keln Teutsch­lands, wel­che unmög­lich, der theu­ren Prei­se wegen, an Bücher kau­fen den­ken konn­ten, haben nach und nach eine klei­ne Biblio­thek mit Nach­dru­cken zusam­men­ge­bracht”, notier­te der His­to­ri­ker Hein­rich Ben­sen ver­zückt. Die Aus­sicht auf eine brei­te Leser­schaft moti­vier­te vor allem Wis­sen­schaft­ler, ihre For­schungs­er­geb­nis­se zu ver­brei­ten. “Eine völ­lig neue Form der Wis­sens­ver­mitt­lung setz­te ein”, ana­ly­siert Höffner.

Wenn die Ver­la­ge nicht auf geschütz­te Ver­wer­tungs­rech­te pochen kön­nen — beschleu­nigt sich sogar die Wis­sens­ver­mitt­lung. Und was geschah, als sich das “Urhe­ber­recht” durchsetzte?

Die deut­schen Ver­le­ger reagier­ten auf die neue Lage aller­dings ähn­lich restrik­tiv wie ihre Kol­le­gen in Eng­land: Sie schraub­ten die Buch­prei­se in die Höhe und schaff­ten den Bil­lig­markt ab.

Übri­gens: Die Urhe­ber (also Autoren) sahen dadurch auch nicht viel mehr Geld. Was soll also die­se schwach­sin­ni­ge Debat­te um Leis­tungs­schutz­rech­te noch? Sie ist nur durch­setz­bar unter pro­fit­ori­en­tier­ter Ver­knap­pung des Gutes, das vie­le Leu­te als den wich­tigs­ten “Roh­stoff” der Gegen­wart und nähe­ren Zukunft begrei­fen. Des Wis­sen. Noch wich­ti­ger: Autoren — was wollt ihr noch mit Ver­la­gen (Thea­ter­ver­la­ge aus­ge­nom­men, das ist eine ande­re Geschich­te …)? Kein Geld bekommt ihr auch ohne Ver­la­ge. Zum Bei­spiel: den Spiegel-Verlag …

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