Nachtrag zur Thalia-Spielplanwahl: Interview Joachim Lux

April 13th, 2013 Kommentare deaktiviert für Nachtrag zur Thalia-Spielplanwahl: Interview Joachim Lux

In einem ges­tern vom Deutsch­land­ra­dio Kul­tur gesen­de­ten Inter­view nimmt der Tha­lia-Inten­dant Joa­chim Lux noch ein­mal Stel­lung zu der Spiel­plan­wahl, mit der vor andert­halb Jah­ren die Spiel­zeit 12/13 teil­wei­se durch das Publi­kum gestal­tet wer­den soll­te. Die Beru­hi­gung aller Gemü­ter durch die ver­stri­che­ne Zeit tut der Sache offen­bar gut. In dem Inter­view sind durch­aus eini­ge anre­gen­de Gedan­ken zu fin­den. (Inter­view hier als Text hier als Audio)

“Kunst und Demo­kra­tie pas­sen ein­fach nicht zusammen.”

Das ist eine enorm stei­le The­se, die Lux mit der Auto­no­mie des Künst­ler­sub­jekts begrün­det, das tue, was es selbst wol­le, wäh­rend Demo­kra­tie dar­in bestün­de, das man tue, was ande­re woll­ten. Das klingt ein­leuch­tend — und fin­det sich ja auch bestä­tigt in der For­schungs­ar­beit von Dani­el Ris, der her­aus­fand, dass sich die Thea­ter­in­sti­tu­tio­nen zwar in der Demo­kra­tie befin­den und zur Demo­kra­tie ver­hal­ten, in ihrer inter­nen Orga­ni­sa­ti­on aber dazu ten­die­ren, nicht nur weit­ge­hend auf demo­kra­ti­sche Mit­be­stim­mung zu ver­zich­ten, son­dern auch öko­no­mi­sche Hand­lungs­mus­ter an den Tag legen, die in glei­cher Wei­se in der frei­en Wirt­schaft rea­li­siert auf brei­te Ableh­nung sto­ßen wür­den. Dar­über hat­te ich unter dem Titel “Thea­ter als mora­li­sche Anstalt und unmo­ra­li­sches Unter­neh­men” vor eini­ger Zeit  geschrie­ben  (hier Teil 1 und Teil 2).

Inter­es­sant aber wird die Aus­sa­ge, befragt man sie auf ihre Vor­aus­set­zun­gen, unter­stellt sie doch, dass Kunst noch immer und not­wen­di­ger­wei­se das auto­no­me Sub­jekt bedeu­te und dass die­se Auto­no­mie schlecht­hin aso­zi­al oder zumin­dest anti­de­mo­kra­tisch sei. Auto­no­me Sub­jek­te kön­nen tun und las­sen, was sie wol­len — und das tun sie auch. Damit es aber Kunst wird, was sie tun, waren immer schon ande­re Mecha­nis­men am Wer­ke, sozia­le oder auch Markt­me­cha­nis­men, die der Auto­no­mie des Sub­jek­tes ent­zo­gen sind. Ein Buch zu schrei­ben, Regis­seur oder Inten­dant wer­den zu wol­len — all das liegt im Ein­fluss­be­reich auto­no­mer Sub­jek­te. Ob das Buch ein Kunst­werk wird, der Bewer­ber Inten­dant wird, liegt nicht in sei­ner Hand, aon­dern bezieht sozia­le, poli­ti­sche, öko­no­mi­sche Pro­zes­se ein.

Lux nimmt in die­sem Sin­ne sei­ne stei­le The­se auch ein Stück zurück, wenn er kurz danach sagt: “Nun ist die beson­de­re Situa­ti­on von Thea­tern, die das — wir natür­lich trotz­dem in Per­ma­nenz tun, was das Publi­kum auch möch­te, weil sonst säße näm­lich nie­mand unten im Saal. Inso­fern ist die­se ideo­lo­gi­sche Kon­fron­ta­ti­on natür­lich gar nicht mal so rich­tig.” Ohne das tat­säch­lich in gan­zer Tie­fe dis­ku­tie­ren zu kön­nen oder zu wol­len, wäre es in jedem Fal­le inter­es­sant, die­ses Span­nungs­ver­hält­nis aus­zu­lo­ten, das hier die alte Gegen­über­stel­lung von Kunst­au­to­no­mie und “Markt” oder “Demo­kra­tie” doch auf­weicht. Wenn das Ent­ste­hen von Kunst noch nie allein in der Hand des Künst­lers lag, son­dern immer schon vor­aus­setz­te, dass es Rezi­pi­en­ten (Kri­ti­ker, Exü­per­ten, Käu­fer, Zuschau­er, Besu­cher usw.) gab, die bereit waren, es als Kunst anzu­er­ken­nen und zu betrach­ten, dann ist viel­leicht der alte Traum von der Auto­no­mie schon immer auf einem Auge blind gewe­sen. Und man müss­te sich fra­gen, wie es kam, dass die­ser Traum oder die­se Illu­si­on gedank­lich eine der­art star­ke Macht bekom­men konn­te, wel­che Funk­ti­on also der Göt­ze des auto­no­men Künst­lers ein­nahm — und ob es in die­ser Wei­se Sinn macht, an ihm fest zu hal­ten. Zumal Thea­ter nie­mals das Werk eines Ein­zel­nen war, wie der Blick auf die Pro­duk­ti­ons­be­tei­lig­ten jeder Arbeit schnell klar macht. Thea­ter war jeder­zeit ein kol­la­bo­ra­ti­ver Akt. Ob das heißt, dass er demo­kra­tisch war, ist eine ande­re Frage.

“Ich fin­de, die­se Wahl ist eher eine Art poli­ti­sche Kunst­ak­ti­on gewe­sen.” (Lux)

Aus die­ser Per­spek­ti­ve hat­te ich sei­ner­zeit vor­ge­schla­gen, die Spiel­plan­wahl als “Das Dra­ma der Demo­kra­tie” mit dem Mühl­hei­mer Dra­ma­ti­ker­preis aus­zu­zeich­nen: Das Tha­lia und die Spiel(plan)verderber 2: Durch Lei­den wird man Demo­krat. Inso­fern stim­me ich Lux zu, dass der Per­spek­tiv­wech­sel hin zur künst­le­ri­schen Akti­on hoch­gra­dig sinn­voll ist. Lux weiter:

Wir leben in einer Zeit, in der Demo­kra­tie wahn­sin­nig viel und oft defi­zi­tär wahr­ge­nom­men wird von den Men­schen, die sagen, die Insti­tu­tio­nen sind so ent­frem­det. Und ich will mehr Bür­ger­be­tei­li­gung, ich will mehr Inter­net­fo­ren. Ich will mehr mit­be­stim­men, was pas­siert. Und das führt sofort zu der Pro­ble­ma­tik, ob denn die­se neu­en Betei­li­gungs­for­men über­haupt geeig­net sind, die­ses Defi­zit auszugleichen.
Und ich glau­be, dass die­se Akti­on, ich sag mal wirk­lich, als Kunst­ak­ti­on, die­ses Dilem­ma im Rah­men von einem klei­nen und gar nicht wich­ti­gen Bereich, näm­lich dem eines Thea­ters, die­ses Dilem­ma noch mal beson­ders plas­tisch und deut­lich gemacht hat.

Dem ist wenig hin­zu­zu­fü­gen — außer der Wunsch, die­ses The­ma wei­ter zu ver­fol­gen. Und zwar sowohl als Refle­xi­on über gesell­schaft­li­che Demo­kra­tie, wie auch über den Göt­zen des auto­no­men Künstlers.

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