One Laptop per Hartz IV — Empfänger

Juli 15th, 2010 Kommentare deaktiviert für One Laptop per Hartz IV — Empfänger

Wie­der ein schon län­ger geplan­tes Pos­ting — das aus aktu­el­lem Bericht­an­lass jetzt kommt. SpOn mel­det (Hier) eine soli­da­ri­sche Initia­ti­ve von einem Ham­bur­ger Ehe­paar (unter dem däm­li­chen Titel “Hartz IV Com­pu­ter: Ich schenk dir das Tor zur Welt), das weg­ge­wor­fe­ne oder defek­te Rech­ner her­rich­tet und Hartz IV- Emp­fän­gern schenkt. Umso soli­da­ri­scher des­we­gen, weil die Schen­ken­den selbst von Harzt IV leben — eine Form von Selbst­hil­fe also. Über die­se Selbst­hil­fe woll­te ich nicht blog­gen, aber die dahin­ter ste­hen­de, von SpON kurz auf­ge­grif­fe­ne Fra­ge nach der Rele­vanz von Rech­ner und Inter­net­an­schluss gera­de für die­je­ni­gen, die im her­kömm­li­chen Sin­ne “drau­ßen” also ins­be­son­de­re ohne Job sind.

In Anleh­nung an Nicho­las Negro­pon­tes ambi­tio­nier­tes “One Lap­top per Child” (hier) muss die For­de­rung und die sinn­vol­le Fort­ent­wick­lung der Arbeits­lo­sen­ver­mitt­lung der Paro­le fol­gen: One Lap­top per Arbeits­lo­sem. Heißt: Wer sich arbeits­los mel­det oder mel­den will — bekommt (wenn nicht vor­han­den) einen Lap­top in die Hand gedrückt und die Behör­de zahlt ihm einen breit­ban­di­gen Internetanschluss.

Oha — jetzt die Faul­pel­ze auch noch mit hoch­wer­ti­ger Elek­tro­nik beschen­ken? End­rö­mi­sche Tur­bo­de­ka­denz? Kann nur den­ken oder rufen, wer den digi­ta­len Wan­del noch immer nicht ver­stan­den hat. Selbst wenn es nur dar­um geht, sich sur­fen­der- und video­schau­en­der­wei­se mit dem Netz ver­traut zu machen. Selbst das recht­fer­tigt bereits die Inves­ti­ti­on. Denn es wird nicht mehr lan­ge Arbeits­plät­ze geben, die nicht in irgend­ei­ner Wei­se mit kom­ple­xer Elek­tro­nik und ihrer Bedie­nung, mit Ver­net­zung und elek­tro­ni­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on zu tun hat. Wer dar­in kei­ne Rou­ti­ne hat — bleibt drau­ßen. Die Job­ver­mitt­lung und Stel­len­su­che ist weit­ge­hend ein Online-Vor­gang gewor­den. Selbst das Arbeits­amt arbei­tet mas­siv am Aus­bau elek­tro­ni­scher Infra­struk­tu­ren. Wozu noch Arbeits­lo­se aufs Amt bestel­len — wenn sie auch per Lap­top-Web­cam erreich­bar sind? Oder per Mail (statt por­to­pflich­ti­ger Brie­fe) usw. Und der Ide­al­fall lau­tet: Arbeits­su­chen­de suchen sich kei­ne neue Fir­ma son­dern schlie­ßen sich einem Netz­werk (übri­gens der Nach­fol­ge­be­griff für das völ­lig über­kom­me­ne Kon­zept der “Fir­ma” oder des “Betriebs” im Dienst­leis­tungs­zeit­al­ter) von frei­schaf­fen­den Leis­tern an. Um es mit Marx zu sagen, der hier ein neu­es Sta­di­um des Kapi­ta­lis­mus beschreibt (ohne es zu ahnen), näm­lich die Netz­wer­k­öko­no­mie (Boltanski/Chiapello):

Sowie näm­lich die Arbeit ver­teilt zu wer­den anfängt, hat Jeder einen bestimm­ten aus­schließ­li­chen Kreis der Tätig­keit, der ihm auf­ge­drängt wird, aus dem er nicht her­aus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kri­ti­scher Kri­ti­ker und muß es blei­ben, wenn er nicht die Mit­tel zum Leben ver­lie­ren will — wäh­rend in der kom­mu­nis­ti­schen Gesell­schaft, wo Jeder nicht einen aus­schließ­li­chen Kreis der Tätig­keit hat, son­dern sich in jedem belie­bi­gen Zwei­ge aus­bil­den kann, die Gesell­schaft die all­ge­mei­ne Pro­duk­ti­on regelt und mir eben dadurch mög­lich macht, heu­te dies, mor­gen jenes zu tun, mor­gens zu jagen, nach­mit­tags zu fischen, abends Vieh­zucht zu trei­ben, nach dem Essen zu kri­ti­sie­ren, wie ich gera­de Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kri­ti­ker zu wer­den. (…) In der wirk­li­chen Gemein­schaft erlan­gen die Indi­vi­du­en in und durch ihre Asso­zia­ti­on zugleich ihre Frei­heit. (Deut­sche Ideo­lo­gie 33 und 74)

Zu begrei­fen, dass der Zugang zur Gesell­schaft heu­te bereits und mit jedem Tag zuneh­mend über das Netz geschieht, ist das Wich­tigs­te, um nicht nur die Fra­ge nach dem “Was arbei­test du?” zu beant­wor­ten (die zukünf­tig nicht mehr gleich­be­deu­tend sein wird mit der Ant­wort auf die Fra­ge “Wovon lebst du?” — denn die eine Arbeit kann und wird es nicht mehr sein) son­dern auch die Fra­ge nach der Zukunft. War­um stei­ner­ne Arbeits­äm­ter statt Ser­vice­platt­for­men mit der Mög­lich­keit, sich unter­ein­an­der aus­zu­tau­schen — über Ideen, Qua­li­fi­ka­tio­nen, Mög­lich­kei­ten? War­um kei­ne Job­an­ge­bots-Twit­ter­chan­nel für ein­zel­ne Berufs­grup­pen, deren Updates ich auto­ma­tisch in allen für mich infra­ge kom­men­den Berufs­grup­pen erhal­te? War­um nicht eine Form der “Hil­fe zur Selbst­hil­fe”, die einen Bun­des­phra­sen­mi­nis­ter und Kame­ra­kind Gui­do ver­mut­lich Arm in Arm mit Micha­el Alt­wei­ber­som­mer und Gre­gor Gysen­trieb mar­schie­ren lie­ße (beängs­ti­gen­de Alli­anz allerdings …)?

Und zugleich damit die Chan­ce zu bie­ten, den Rech­ner für Akti­vi­tä­ten im Netz zu nut­zen, die nicht unmit­tel­bar lukra­tiv sind? War­um nicht an der mei­nungs­bil­dung in Foren und ande­ren Platt­for­men mit­ar­bei­ten? War­um sich nicht lokal orga­ni­sie­ren um etwas in Gang zu set­zen, sich gegen­sei­tig zu unter­stüt­zen. Oder mei­net­we­gen auch nur Skat­run­den zu bil­den oder Fuß­ball zu spie­len. Einer ver­scher­belt sei­nen Lap­top und ver­säuft ihn? Na und — dann surft jemand anders damit und nutzt eine Chan­ce. Zwei­ten Lap­top gibts eben nicht. Der Lap­top geht kaputt? Na und — ent­we­der gibts einen Job­su­chen­den mit IT-Kennt­nis­sen. Oder das Amt repa­riert. Haupt­sa­che jeder, der nichts zu tun hat, hat Zugang zu einem Rech­ner und mög­li­cher­wei­se lukra­ti­ven Tätigkeiten.

War­um nicht ein­mal etwas Sinn­vol­les tun? One Lap­top per Hartz IV — das rech­net sich! Sogar ökonomisch.

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