Bürgerliche Empörung nur im Internet? Falsch: Die Straße lebt.

Februar 26th, 2014 Kommentare deaktiviert für Bürgerliche Empörung nur im Internet? Falsch: Die Straße lebt.

In der Frank­fur­ter Neu­en Pres­se war ges­tern hier eine inter­es­san­te Sta­tis­tik zu sehen: die Zunah­me ange­mel­de­ter Demons­tra­tio­nen im Ver­lauf der  letz­ten zehn Jah­re. Im Haupt­ar­ti­kel liegt der Fokus auf Frank­furt. Ein wei­te­rer Text stellt zudem eini­ge Zah­len aus ande­ren Städ­ten dar. Und das Ergeb­nis ist erstaun­lich. Von 2004 bis 2012 hat sich die Zahl ange­mel­de­ter Demos in Frank­furt nahe­zu ver­fünf­facht. Die gele­gent­lich zu hören­de oder zu lesen­de Ein­schät­zung, die #Auf­schrei-Kul­tur des Net­zes wür­de dazu füh­ren, dass sich Pro­test zu einer Pro­test­si­mu­la­ti­on wan­delt, dass also Unmut nur get­wit­tert und damit ent­schärft wür­de, bestä­tigt sich nicht. Im Gegenteil.

 

Die FNP lis­tet eini­ge Berich­te über Demons­tra­tio­nen aus der letz­ten Zeit auf. Es fin­den sich beispielsweise:

  • Demo gegen Nah­rungs­mit­tel­spe­ku­la­ti­on (Link)
  • Anti-Späh-Demo (Link)
  • Soli­da­ri­täts­de­mo für die Tür­kei (Link)
  • Block­upy-Groß­de­mo (Link)

Als wich­tigs­te The­men berich­tet die FNP die Finanz­kri­se und den Aus­bau dess Frank­fur­ter Flug­ha­fens. Der Anstieg ver­blüfft — unter ande­rem auch den Frank­fur­ter Sozio­lo­gen Sieg­hard Neckel, den der Arti­kel dahin­ge­hend zitiert, dass sei­ner Ein­schät­zung nach das Inter­net die Stra­ßen­pro­test­kul­tur offen­bar nicht nur nicht ver­min­dert, son­dern sogar befördert.

Stuttgart, Berlin, Köln, München, Hamburg

Ähn­li­che Ent­wick­lun­gen las­sen sich, so die FNP in einem ergän­zen­den Arti­kel hier, auch in ande­ren Groß­städ­ten in Deutsch­land feststellen:

  • in Stutt­gart stie­gen die ange­mel­de­ten Demos von 520 (2009) auf 1400 (2013) wie­wohl die Hoch­pha­se der S21-Pro­tes­te vor­bei ist.
  • in Ber­lin gab es 2013 ein Rekord­hoch mit 5047 Demos, die die FNP vor allem auf den Flug­ha­fen­bau zurückführt
  • in Köln stie­gen die Zah­len von 350 (2009) auf 621 (2013)
  • in Mün­chen von 821 (2010) auf 1345 (2013)
  • in Ham­burg von 998 (2010) auf 1782 (2013)

Auch wenn sta­tis­tisch natür­lich aus einer zuneh­men­den Zahl von ange­mel­de­ten Demos nicht unbe­dingt und direkt auf stei­gen­de Teil­neh­mer­zah­len zu schlie­ßen ist, ist doch der Ent­wick­lungs­trend span­nend. Städ­ti­sche Bür­ger­schaf­ten wan­dern eben nicht ins Netz ab, um ihre Wün­sche, ihren Wil­len oder ihre For­de­run­gen kund zu tun. Sie gehen auf die Stra­ße. Gege­be­nen­falls unter­stützt von den digi­ta­len Mög­lich­kei­ten, die sol­che Ver­an­stal­tun­gen schnel­ler ver­ab­re­den, pla­nen, orga­ni­sie­ren  und öffent­lich ver­brei­ten las­sen. Der rea­le Raum wird nicht ent­po­li­ti­siert durch einen digi­ta­len Pro­testraum — viel­mehr wan­delt sich offen­bar auch die tra­di­tio­nel­le Pro­test­kul­tur zu einer Pro­test­kul­tur der Netz­ge­sell­schaft, die sich über digi­ta­le Kanä­le ver­bin­det, Mei­nun­gen pro­zes­siert und aus­tauscht — um sich dann im Rea­len sicht­bar zu zei­gen. Eine Ver­bin­dung von Phy­si­schem und Rea­lem — über die ich im Vor­trag in Mann­heim als Uto­pie für ein Thea­ter der nächs­ten Gesell­schaft ange­spro­chen hat­te — ist also so abwe­gig nicht.

 

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