Mai 14th, 2013 § § permalink
Dass Stadttheater nach dem Muster der Industrieproduktion des 19. Jahrhunderts auch heute noch weitestgehend organisiert sind, hatte ich gelegentlich etwa hier im Blog und auch mit Bezug auf den Stadttheater-Text von Matthias von Hartz auf nachtkritik in meinem Beitrag zur Stadttheater-Debatte auf nachtkritik vorgetragen. Das ist aber nur so sinnvoll, wie man beginnt, sich mit möglichen anderen Strukturen konkret zu befassen. Im Gespräch mit Nadine Portillo von der Schwankhalle kam ich dann dazu, mir konkret vorzunehmen, mich mit moderner Organisationstheorie zu beschäftigen, dem sogenannten “agilen” Prozess, der auch gerne mit dem Stichwort Scrum in Verbindung steht.
Sinn der Auseinandersetzung ist natürlich kein selbstzweckhafter Innovatismus, sondern die Befragung, ob und wie der Einfluss solcher Organisations- und Produktionsmethoden sich im Stadttheater fruchtbar machen ließe. Als Gedankenspiel.
Mit folgenden beiden Büchern leg ich mal los und nehme sie mit in den Urlaub. Mal schauen.
Nachtrag: Sehe gerade erst, dass Christian Henner-Fehr darüber schon vor zwei Jahren Interessantes im Kulturmanagement-Blog geschrieben hat: Hier.
April 22nd, 2013 § § permalink
Wenn also Massenmedien die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben, so konstruieren und darstellen, dass unser Wissen über diese Geselslchaft mehr oder minder aus den Massenmedien stammt (Luhmann) — was bleibt dann einer darstellenden Kunst noch zu konstruieren? Sich ein Bild von der Welt zu machen, kann es kaum sein. Denn gegen das massenmediale Bild von Fernsehen und Zeitungen kann es nicht ankommen, dafür ist Theater zu langsam, ihm fehlen die personellen und finanziellen Mittel. Und das Publikum ist viel zu klein. In diesem Zusammenhang bin ich über einen kleinen Brecht-Text von 1955 gestolpert, der sich dem Problem der Darstellbarkeit der Welt widmet und dazu Stellung bezieht. Was Brecht im Angesicht der atomaren Bedrohung schreibt, lässt sich eventuell auch über die Welt im Angesicht der monetären Bedrohung noch einmal sagen. Ich zitiere ihn in ganzer Länge unkommentiert. Die Fettungen sind allerdings von mir.
Brecht – Über die Darstellbarkeit der Welt auf dem Theater
Mit Interesse höre ich, daß Friedrich Dürrenmatt in einem Gespräch über das Theater die Frage gestellt hat, ob die heutige Welt durch Theater überhaupt noch wiedergegeben werden kann.
Diese Frage, scheint mir, muß zugelassen werden, sobald sie einmal gestellt ist. Die Zeit ist vorüber, wo die Wiedergabe der Welt durch das Theater lediglich erlebbar sein mußte. Um ein Erlebnis zu werden, muß sie stimmen.
Es gibt viele Leute, die konstatieren, daß das Erlebnis im Theater schwächer wird, aber es gibt nicht so viele, die eine Wiedergabe der heutigen Welt als zunehmend schwierig erkennen. Es war diese Erkenntnis, die einige von uns Stückeschreibern und Spielleitern veranlaßt hat, auf die Suche nach neuen Kunstmitteln zu gehen.
Ich selbst habe, wie Ihnen als Leuten vom Bau bekannt ist, nicht wenige Versuche unternommen, die heutige Welt, das heutige Zusammenleben der Menschen, in das Blickfeld des Theaters zu bekommen.
Dies schreibend, sitze ich nur wenige hundert Meter von einem großen, mit guten Schauspielern und aller nötigen Maschinerie ausgestatteten Theater, an dem ich mit zahlreichen, meist jungen Mitarbeitern manches ausprobieren kann, auf den Tischen, um mich Modellbücher mit Tausenden von Fotos unserer Aufführungen und vielen mehr, oder minder genauen Beschreibungen der verschiedenartigsten Probleme und ihrer vorläufigen Lösungen. Ich habe also alle Möglichkeiten, aber ich kann nicht sagen. daß die Dramaturgien, die ich aus bestimmten Gründen nichtaristotelische nenne, und die dazugehörende epische Spielweise die Lösung darstellen. Jedoch ist eines klargeworden: Die heutige Welt ist den heutigen Menschen nur beschreibbar, wenn sie als eine » Read the rest of this entry «
Februar 23rd, 2013 § § permalink
Folgt man der hier im Blog bereits vorgestellten Hypothese, dass Fernsehen im Gebiet der Kunst operiert, speziell in dem Bereich den Kant als „Schematismus“ (hier bzw. hier)beschrieb, jenem Bereich also, in dem sinnliche Anschauungen und Verstandesbegriffe miteinander verbunden und möglichst zur Deckung gebracht werden, so lässt sich ein anderer Blick aufs Fernsehen werfen. Dieser Blick ist ein durchaus Kant-kompatibler und ermöglicht einen erneuten Blick auf das Phänomen der Ereignis- und Katastrophenfixierung von Fernsehnachrichten einerseits, der Mischung von „Nachrichten“ und fiktionalen Formaten andererseits.
In den Blick rückt ein seltsames Verhältnis von Wiederholung und Neuigkeit. Von Vertrautheit und Unvertrautheit, das insbesondere Nachrichten auszeichnet, die ein zeitlich fest definiertes Format (den Begriff von Stanley Cavell aufnehmend) definieren, in dem möglichst Unerwartetes gezeigt wird, ein Format also, in dem Unerwartetes erwartet oder gar gefordert ist. Man setzt sich vor den Fernseher in der Erwartung, das Unerwartete, die Krise, die Katastrophe, das Ereignis geliefert zu bekommen. Und da, wo die Nachrichten selbst nicht „von sich aus“ den Eindruck erwecken, katastrophisch zu sein, da setzt der Bericht alles daran, das Herausragende dessen, was berichtet wir, zu stärken und möglichst zur Katastrophe » Read the rest of this entry «
Februar 23rd, 2013 § Kommentare deaktiviert für Vor dem Fernseher, nach dem Individuum. Ein Schleef-Zitat #MediaDivina § permalink
Über Andreas Wilinks nachtkritik-Besprechung der Bonner Inszenierung von Hauptmanns Ratten durch Lukas Langhof bin ich über eine Passage eines Einar Schleef-Interviews gestolpert, der dort etwas sagt, das bedenkenswert ist. Noch nicht durchdacht hier, aber bedenkenswert in seiner geradzu buddhistischen Schlichtheit und Prägnanz:
Im traditionellen Sprechtheater hat der Schauspieler den Traum vom Individuum zu erfüllen — aber wo gibt’’s denn heute ein Individuum? Das ist eine antiquierte Vorstellung. Wir leben im Massenzeitalter, und das » Read the rest of this entry «
Januar 11th, 2013 § § permalink
Was macht denn Theater aus? Was kann es denn anderes, mehr, besser als Film, Fernsehen, Internet, Videospiele? Wo liegt die Quelle einer einzigartigen Kraft des Theatrons? Natürlich in der livehaftigen Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern. Aber was heißt das schon, wenn das Darstellungspersonal in seiner Darstellung die Livehaftigkeit auf die Simulation eines nicht vorhandenen Screens einschränkt, vor dem die Zuschauer sitzen? In dem Kopräsenz lediglich zur Störungsquelle des Darstellungspersonals durch unbotmäßiges Hüsteln, Flüstern, falsches Gnickern wird, um nicht zu reden von Chips- und Popkorntütenrascheln oder den Geräuschen eines Kaltgetränkegenusses und ganz zu schweigen von der Benutzung digitaler Kommunikationsmedien. Was bleibt von der Kopräsenz, wenn das Publikum nichts anderes ist als potenzieller Störenfried?
Chips? Handys im Zuschauerraum? Wer will das denn? Will ich das? Ich weiß es nicht. Es geht darum auch gar nicht, sondern darum, dass Theater aus seiner Hier- und Jetzigkeit nichts zu machen versteht. Und wenn die Gegenfrage „Ja wie denn“ nicht nur polemisch-rhetorisch im Raum stehen bleibt, sondern vielleicht zum Ansatz eines künstlerischen Forschungsprogrammes wird, wenn zudem das allfällige gelangweilte „machen wir doch alles schon“ weg bleibt und akzeptiert wird, dass das Publikum das, was in dieser Form stattfindet, eben noch (!) nicht » Read the rest of this entry «
Januar 10th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Theater als Ort der Reflexion über die Mitweltzerstörung — Antwort an Frank Kroll, Teil 4 § permalink
Theater ist ein Ort der Gesellschaft in der Gesellschaft, ein Ort, den sich Gesellschaft leistet und in dem sie sich Gesellschaft leistet. Ein Ort in der Gesellschaft außerhalb der Gesellschaft, vielleicht ein Heterotop, was ich vor einiger Zeit einmal hier im Blog vergleichsweise mit der Agrippa-Legende von Titus Livius verglichen hatte. Theater ist der Ort, in dem hinein man aus der Tagesgesellschaft abends hinaustritt, um in die Gesellschaft zurück zu schauen, Reflexion also nicht im einfach bewusstseinsphilosophischen, sondern im durchaus optischen Sinne, in dem sich etwas widerspiegelt, das es außerhalb der Spiegelung nicht gibt. Eine Mimesis, die nichts nach-ahmt, sondern einfach ahmt und durch den Effekt des scheinbaren „nach“ der Ahmung Erkenntnis und Vergnügen miteinander zu verbinden zu vermag. Es ist ein Spiegelbild ohne Vorbild. Aber machen wirs vielleicht auch nicht zu kompliziert. Also anders.
Seit 40 Jahren schaffen wir allmählich ein gesellschaftliches Bewusstsein über Umweltzerstörung und die ungewünschten Folgen der Manipualtion an der physischen Natur. Es ist an der Zeit, für das21. Jahrhundert neben der Umweltzerstörung auch die Mitweltzerstörung in den Blick zu bekommen, die in den letzten fünf Jahren in der sogenannten Finanzkrise ihr gesellschaftliches Fukushima » Read the rest of this entry «
Januar 9th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Die Frage der Zahl der Produktionen — Antwort an Frank Kroll, Teil 3 § permalink
Natürlich stimme ich Frank Krolls Diagnose zu, dass die Anzahl der „Produktionen“ bereits zu hoch ist, um sowohl verträglich für die Mitarbeiter, als auch zuträglich für die Kunst zu sein. Höhere Schnelligkeit kann demnach nicht heißen, noch mehr in noch kürzerer Zeit zu produzieren. Würden Theaterleute nicht mit einer angeborenen Arroganz gegenüber den Erfahrungen nichtkünstlerischer Institutionen, wie es etwa Wirtschaftsbetriebe sind, herumlaufen, hätten sie die Fatalität dieses Prozesses schon längst absehen können: Wenn die Zahl der Kunden gleich bleibt oder sinkt, besteht die einzige Chance zum Wachstum (sprich: zu höheren oder zumindest gleich bleibenden Auslastungsquoten), den verbleibenden Kunden mehr (Inszenierungen) zu verlaufen, ihnen also zusätzliche Kaufanlässe zu bieten. Heißt: Erhöhung der Produktpalette. Geschieht dies bei gleichbleibenden oder sinkenden Budgets, tragen die Konsequenzen die Beschäftigten. Und die Produktqualität. Das ist so einfach, wie nur etwas. Und es ist kein infiniter Prozess, weil irgendwann die hingeschluderten Produkte auch immer weniger » Read the rest of this entry «
Januar 8th, 2013 § § permalink
Es ist an der Zeit, dass die deutsche Gesellschaft (wenn auch nicht unbedingt wieder die Deutsche Gesellschaft) wieder einmal fragte: „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?“.
Und bevor wir uns an die übergeordneten Fragen hinsichtlich des Menschseins begeben, ist also das „stehende“ zu befragen. Denn die zuletzt immer lauter werdende Debatte, die das sogenannte Freie gegen das sogenannte Stadttheater ausspielt, hat mehr oder minder deutlich die Frage nach diesem Stehenden gestellt, sofern das Stehende doch offenbar das alzu Beständige, das Starre, das Nicht-Bewegliche zu bezeichnen schien. Sollte eine Schaubühne also stehen oder nicht vielmehr gehen? Aber das nur als Exergue.
Wozu leisten sich Gesellschaften (ich verwende dieses Wort als leeren Begriff, der nichts meint als das, was er potenziell meinen könnte ohne doch bereits bestimmt zu sein) stehende Institutionen? Wozu dieser Bestand? Nicht wenige davon sollen widerstehen, sollen der Gang der Dinge verlangsamen und aufhalten, der ansonsten en passant zu Ergebnissen führt, die wären sie vorher bedacht worden, nicht eingetreten wären, da unerwünscht oder gefürchtet. Bauämter » Read the rest of this entry «
Januar 7th, 2013 § § permalink
Ich fürchte, die Zeit für „mal ausprobieren“, von der Frank Kroll schreibt, läuft ab. Es geht eher darum, neue Möglichkeiten entschlossen zu ergreifen, um Theater die Kraft (wieder) zu geben, die es hatte oder haben könnte. So menschlich verständlich es ist, dass das Führungspersonal nach jahrzehntelanger Belagerung durch Budgetsparer und Etatkürzer Ermüdungs- und Verschleißerscheinungen zeigt, so inakzeptabel ist es für die Institution und Kunst des Theaters. Es kann nur die Macht der Gewohnheit sein, die den Blick für den Dornröschenschlaf verschleiert, in dem Theater sich befinden. Und der, in dieser Form fortgesetzt, allmählich und unbemerkt in einen Big Sleep übergeht. Es ist eben nicht edler, die Pfeil und Schleudern des Geschicks zu dulden, sondern sich zu waffnen gegen diese See der Plagen und durch Widerstand sie zu beenden. Welchen Weg der Widerstand einschlagen soll – das mag jedes einzelne Theater für sich entscheiden. Nur Widerstand gegen Kameralisten zu leisten aber heißt, die Kräfte auf die falsche Flanke zu konzentrieren. Hier ist nichts zu gewinnen. Schon gar nicht durch späthoneckerhafte „Theater muss sein“ Aufkleber auf Autos.
Die Belagerungssituation entsteht ja nicht etwa aus übermächtigen Gegnern, sondern sie ist selbstgemachter Unbeweglichkeit geschuldet. Allerdings gemischt mit dem fehlenden Blick für mögliche Allianzen – und dazu zähle ich eben die Schreiber (formerly known as Autoren). Nicht in der Form einer Wiedereinsetzung » Read the rest of this entry «
Januar 7th, 2013 § Kommentare deaktiviert für Die Antiquiertheit des szenisches Schreibprozesses – Antwort an Frank Kroll § permalink
Frank Kroll, Leiter des Suhrkamp Theaterverlags, hat mir mit einem Kommentar auf den zweiten Teil zum Posting „Die Antiquiertheit des szenischen Schreibprozesses“ geantwortet. Ich habe Frank Kroll, der erfreulicherweise wieder hier zu bloggen begonnen hat, auf den Autorentheatertagen 2002 in Hamburg als ausgesprochen klugen und sehr angenehmen Menschen kennengelernt, wollte deswegen auch entsprechend sinnvoll auf seinen Kommentar antworten – was leider vom Umfang her einigermaßen aus dem Ruder lief. Deswegen habe ich mich entschieden, meine Antwort in mehrere Postings zu zerteilen und in den nächsten Tagen sukzessive hier zu veröffentlichen.
UPDATE: Der erste Beitrag ist jetzt hier online: Die (Neu)Entfaltung der szenischen Kraft – eine Antwort an Frank Kroll, Teil 1