Der Bühnenverein auf der re:publica — ein Kasperltheater #rp12

Mai 3rd, 2012 § 1 comment § permalink

Wie letz­tens gepos­tet, haben die Inten­dan­ten im Deut­schen Büh­nen­ver­ein ein Expe­ri­ment unter­nom­men, um einen Fuß ins kal­te Netz zu stre­cken. Zusam­men mit Jovo­to wur­de ein “Crea­ti­ve Crowd­sour­cing” Pro­jekt gestar­tet, bei dem die Platt­form-Mit­glie­der kei­ne gerin­ge­re Fra­ge beant­wor­ten soll­ten, als  “Was ist das Thea­ter der Zukunft?”. Das hat natür­lich eini­ger Vor­dis­kus­sio­nen bedurft im Kreis der Inten­dan­ten. Eine Klau­sur­ta­gung mit ein­ge­la­de­nen Exper­ten. Und Abstim­mungs­run­den, was man denn sinn­voll fin­det und was nicht. Sol­che Din­ge wol­len reif­lich über­legt sein.

Zum Ergeb­nis lässt sich so wahn­sin­nig viel nicht sagen. Eini­ge der auf der Ver­an­stal­tung vor­ge­stell­ten Ideen waren eini­ger­ma­ßen ori­gi­nell oder schräg. Rich­tig ange­kom­men sind sie bei den Thea­ter­leu­ten, die die Ideen vor­stell­ten, nicht. Letzt­lich, so hieß es, sei das Publi­kum so digi­tal ja noch nicht, son­dern infor­mie­re sich über Thea­ter eher aus der gedruck­ten Zei­tung. Wes­we­gen man die “neu­en Medi­en” mit Fin­ger­spit­zen­ge­fühl anpa­cken müs­se. Selbst wenn man aus Fair­ness­grün­den kei­ne wei­te­ren ver­ba­len Auf­fäl­lig­kei­ten wie­der­gibt, lässt sich schon hier ein ganz fun­da­men­ta­les Pro­blem fest­stel­len. Die Thea­ter­leu­te auf dem Podi­um haben die Rele­vanz der — mit ca. 20 Jah­ren sicher nicht mehr “neu­en” Medi­en — nicht erkannt. Sie geben sich mit dem Print­pu­bli­kum zufrie­den, ohne dar­über nach­zu­den­ken, das die­ses mit den Zei­tun­gen selbst ver­schwin­den könnte.

Der Ideen­wettb­werb hat­te für die panel­an­we­sen­den Thea­ter­leu­te in etwa die prak­ti­sche Rele­vanz wie der Mal­wett­be­werb eines Spar­kas­sen­ver­ban­des. Hüb­sche Din­ge — aber doch nichts fürs Tages­ge­schäft. Mar­ke­ting und Wer­bung kön­ne man sicher mit cle­ve­ren Ideen anrei­chern, um “jun­ge Leu­te” (eine grau­en­vol­le For­mu­lie­rung von älte­ren Herr­schaf­ten, die die Welt nicht mehr ver­ste­hen) bes­ser zu errei­chen. Aber der Auf­trag des Thea­ters sei ja nun doch, tra­dier­te Inhal­te in neue Gewän­der zu klei­den. Das tue man ja schon. Etwa indem Figu­ren nur als Pro­jek­tio­nen auf der Büh­ne prä­sent sein las­se. Und twit­tern und pos­ten auf Face­book — tue man ja auch schon. Aber da kön­ne man sicher noch etwas mehr tun. In Sachen Werbung.

Das wirk­li­che Desas­ter aber …

Auf der re:publica ver­sam­meln sich etwa 4.000 krea­ti­ve, gesell­schafts­in­ter­es­sier­te, poli­tisch inter­es­sier­te, in vie­ler­lei Sin­ne krea­ti­ve, vor­wärts den­ken­de und avant­gar­dis­ti­sche Köp­fe. Und von die­sem 4.000 haben es gera­de ein­mal gut 30 (Panel­teil­neh­mer und Orga­team abge­zo­gen) in die Ver­an­stal­tung geschafft. In Zah­len: Drei­ßig. Eine zeit­lich rela­tiv gut gele­ge­ne (War­ten auf die Lobo-Sau­se) Ver­an­stal­tung über das Thea­ter lockt gera­de ein­mal 30 Zuhö­rer an. Viel­leicht sind die Thea­ter­leu­te schon zu sehr gewohnt vor lee­ren Sälen zu spie­len — der Saal 4 auf der re:publica bot geschät­ze 300 Sitz­plät­ze — als dass es ihnen noch auf­fie­le: Die kata­stro­pha­le und gäh­nen­de Lee­re aber war ein über­deut­li­ches State­ment der “jun­gen Leu­te” dazu, was sie vom Thea­ter hal­ten. Und wenn Thea­ter­leu­te nicht begin­nen zu ver­ste­hen, dass Thea­ter in der ent­ste­hen­den Netz­ge­sell­schaft (das Wort fiel immer­hin ein­mal) nicht heißt, ande­re Wer­bung zu machen, die PR twit­tern zu las­sen und noch ein paar Pro­jek­to­ren mehr auf­zu­stel­len, son­dern dass es viel­mehr dar­um geht, als gesell­schaft­li­che und sich als gesellschafts“kritisch” ver­ste­hen­de Insti­tu­ti­on die künst­le­ri­sche und intel­lek­tu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung zu suchen, die eige­nen künst­le­ri­schen Mit­tel und orga­ni­sa­to­ri­schen Pro­zes­se zu über­prü­fen, grund­sätz­lich und umfas­sen infra­ge zu stel­len und gege­be­nen­falls neu zu erfin­den, kurz: Thea­ter in der Netz­ge­sell­schaft zu wer­den — dann wer­den die Thea­ter über kurz oder lang so leer sein, wie heu­te Saal 4 auf der re:publica. Und das haben sie auch so verdient.

Gewon­nen hat am Ende übri­gens — Ham­let. Kein Witz. Vor­ge­stellt wur­de eine “argu­men­ted (sic!) rea­li­ty” app fürs iPad, mit der User inter­ak­tiv … äh … irgend­wie ent­schei­den kön­nen, wor­an Ham­let stirbt. Oder so. Egal. Der Gewin­ner darf sich freu­en, das Preis­geld sei ihm gegönnt. Rea­li­siert wird das ver­mut­lich nicht. Und wenn doch: Geld bekommt er ver­mut­lich nicht dafür.  Außer dem Preisgeld.

Erfreu­li­cher­wei­se ergab sich nach die­sem Kas­per­let­ha­ter eine span­nen­de Unter­hal­tung mit Chris­ti­an Römer von der Boell-Stif­tung, bei der ich am 25. Mai an einer Podi­ums­ver­an­stal­tung zum Urhe­ber­recht teil­neh­men wer­de, und @twena Tina Lorenz, auf deren Vor­trag “Thea­ter und digi­ta­le Medi­en – ein Trau­er­spiel” mor­gen um 11.15 ich mich sehr freue. Die­ses Pos­ting ist als Fol­ge die­ses Gesprächs zu verstehen.

Theater als moralische Anstalt und unmoralisches Unternehmen – Teil 2

April 29th, 2012 § 1 comment § permalink

Nun also den bereits eigent­lich im letz­ten Pos­ting geplan­ten Rezen­si­ons­text zu „Unter­neh­mens­ethik für den Kul­tur­be­trieb – Per­spek­ti­ven am Bei­spiel öffent­lich recht­li­cher Thea­ter“ von Dani­el Ris, der nicht im enge­ren Sin­ne Rezen­si­on sein wird. Dazu hat die lite­ra­ri­sche Form der aka­de­mi­schen Mas­ter­ar­beit zu vie­le Eigen­ge­setz­lich­kei­ten, die zwar aka­de­misch begut­ach­tet wer­den, nicht aber rezen­siert wer­den kön­nen. Sie mögen ner­vig sein, gehö­ren aber zu die­ser Form. Dazu gehört die ein­lei­ten­de und für das eigent­li­che Ziel doch eher einen Umweg dar­stel­len­de Auf­ar­bei­tung unter­schied­li­cher Ethi­ken im All­ge­mei­nen und Ansät­zen für Unter­neh­mens­ethik im Beson­de­ren. Muss man so machen, macht er gründ­lich. So weit so gut.

Span­nend wird das Büch­lein an ande­rer Stel­le, in sei­nem empi­ri­schen Teil. Ris hat es geschafft, Inter­views mit einem Dut­zend Inten­dan­ten zu füh­ren und die­se zu ihren ethi­schen oder all­ge­mei­nen Grund­sät­zen der Mit­ar­bei­ter- und Unter­neh­mens­füh­rung zu befra­gen.  Es sind Klaus Zehelein (Prä­si­dent des Büh­nen­ver­eins), Ulrich Khuon (DT Ber­lin), Mar­tin Kusej (Staats­schau­spiel » Read the rest of this entry «

Postdramatiker-Interview im aktuellen Magazin des Deutschen Theaters Berlin

April 9th, 2012 § Kommentare deaktiviert für Postdramatiker-Interview im aktuellen Magazin des Deutschen Theaters Berlin § permalink

Im Anschluss an die Black­fa­cing-Debat­te und mei­nen Arti­kel “Das Poli­ti­sche im Ästhe­ti­schen” auf nacht­kri­tik bzw. hier im Blog, hat mich Son­ja Anders, Chef­dra­ma­tur­gin am Deut­schen Thea­ter Ber­lin, per Email-Inter­view noch ein­mal zu der Debat­te selbst und zur Ver­än­de­rung des Thea­ters durch das Netz, den Über­gang von der Mas­sen­me­di­en­ge­sell­schaft zur Netz­ge­sell­schaft befragt. Hier gibts das Inter­view als PDF-Download

(As)soziologisches Theater: Die Arbeitslosen von Marienthal und die Verlierer von Wittenberge

März 12th, 2012 § Kommentare deaktiviert für (As)soziologisches Theater: Die Arbeitslosen von Marienthal und die Verlierer von Wittenberge § permalink

Vor etwa 80 Jah­ren bra­chen Sozio­lo­gen in den öster­rei­chi­schen Ort Mari­en­thal nahe Wien auf, um eine sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Stu­die über ein im Gan­zen arbeits­lo­ses Dorf zu ver­fas­sen. Es ent­stand eines der wich­tigs­ten lite­ra­ri­schen Wer­ke des 20. Jahr­hun­derts, die Stu­die „Die Arbeits­lo­sen von Mari­en­thal“ (Buch, Wiki­pe­dia, Mate­ria­li­en). Anders als der Name des Ortes, blei­ben die Bewoh­ner im Buch anonym. Kei­ne Namen, kei­ne Cha­rak­te­ri­sie­run­gen, die Frem­den die Iden­ti­fi­zie­rung Ein­zel­ner ermöglichten.

Vor eini­gen Jah­ren brach nun erneut eine Grup­pe von Sozio­lo­gen, beglei­tet von Thea­ter­leu­ten, auf, um die­se Stu­die nach­zu­spie­len, zu wie­der­ho­len, zu erneu­ern. Unter Lei­tung von Heinz Bude besuch­ten sie Wit­ten­ber­ge in Bran­den­burg, um eine Stu­die über eine Ver­lie­rer­stadt anzu­stel­len, in der Aus­gangs­la­ge fast ähn­lich zu Mari­en­thal. Im direk­ten Ver­gleich der dar­aus ent­stan­de­nen Bücher ist das Wit­ten­ber­ge-Buch „Über­Le­ben im Umbruch“ (hier die Pro­jekt­web­sei­te)  zunächst eine her­be Ent­täu­schung.  Die beob­ach­te­ten Bewoh­ner woll­ten nicht so recht mitspielen.

In Mari­en­thal konn­ten die For­scher noch ver­schlei­ern, was ihre wah­re Absicht war. Mit Mit­teln nach­rich­ten­dienst­li­cher Agen­ten­tä­tig­keit konn­ten sie sich ein­schleu­sen, das Ver­trau­en der Bewoh­ner gewin­nen und Ein­sich­ten über das beob­ach­te­te Leben gene­rie­ren, bei dem die Beob­ach­te­ten sich nicht beob­ach­tet wähn­ten – und sich des­we­gen nicht für die Beob­ach­tung inszenieren:

Es war unser durch­gän­gig ein­ge­hal­te­ner Stand­punkt, daß kein ein­zi­ger unse­rer Mit­ar­bei­ter in der Rol­le des Repor­ters und Beob­ach­ters in Mari­en­thal sein durf­te, son­dern daß sich jeder durch irgend­ei­ne, auch für die Bevöl­ke­rung nütz­li­che Funk­ti­on in das Gesamt­le­ben ein­zu­fü­gen hat­te. (28)

Viel­fäl­ti­ge Tricks kamen zur Anwen­dung, die die unver­stell­te Mei­nung oder die wah­re Situa­ti­on der Men­schen zum Vor­schein brin­gen soll­te: Insti­tu­tio­nen und Initia­ti­ven wur­den geschaf­fen. Selbst die ein­ge­rich­te­ten ärzt­li­chen Behand­lun­gen dien­ten zur Erhe­bung von Mate­ri­al. Man gewinnt „unauf­fäl­li­ge Ein­bli­cke“, „Ver­trau­en“, „Kon­trol­le“, ver­schafft sich Auf­zeich­nun­gen durch Schnitt­zei­chen­kur­se, lockt Mäd­chen durch einen Turn­kurs an und horcht Eltern in der Erzie­hungs­be­ra­tung aus. Im Ver­lauf des Tex­tes fin­den sich gele­gent­lich Erklä­run­gen, wel­cher krea­ti­ver Metho­den man sich bedien­te, um das Ver­trau­en der Bevöl­ke­rung zu gewin­nen und ver­deckt Infor­ma­tio­nen zu sam­meln. Ein Beispiel:

Die Erhe­bungs­ar­beit in Mari­en­thal begann damit, daß wir hun­dert Fami­li­en einen Haus­be­such abstat­te­ten, um sie nach ihren beson­de­ren Wün­schen bei einer von uns geplan­ten Klei­der­ak­ti­on zu fra­gen. Die­se Besu­che wur­den dazu benutzt, durch Beob­ach­tun­gen und Gesprä­che Mate­ri­al über die Grund­hal­tung die­ser Fami­li­en zu sam­meln. Als dann die Klei­der bei uns abge­holt wur­den, frag­ten wir die Betref­fen­den nach ihren Lebens­ge­schich­ten, die gewöhn­lich breit­wil­lig erzählt wur­den. Die­sel­ben » Read the rest of this entry «

Die Blackfacing-Theaterdebatte: Das Politische im Ästhetischen (postdramatiker auf nachtkritik.de)

Februar 22nd, 2012 § 1 comment § permalink

Ges­tern erschien auf nachtkritik.de (hier) ein Arti­kel von mir zu der in thea­ter­af­fi­nen und anti­ras­sis­ti­schen Kri­sen im Netz hef­tig geführ­ten Debat­te zum The­ma “Black­fa­cing”, der Pra­xis also, wei­ße Dar­stel­ler durch Gesichts­be­ma­lung “Schwar­ze” dar­stel­len zu las­sen. Die Erbit­tert­heit die­ser in zahl­lo­sen Kom­men­ta­ren und Bei­trä­gen aus­ge­tra­ge­nen Dis­kus­si­on war­tet mit der eini­ger­ma­ßen über­ra­schen­den Situa­ti­on auf, dass bei­de Sei­ten sich in der Ableh­nung des Ras­sis­mus zutiefst einig sind, auf der einen Sei­te aber ras­sis­ti­sche Prak­ti­ken von Anti­ras­sis­ten ange­pran­gert und nach­voll­zieh­bar begrün­det wer­den, ande­rer­seits sich Thea­ter­leu­te mit Ver­weis auf “harm­lo­se” Thea­ter­tra­di­tio­nen ver­tei­di­gen, für die eben­so­gu­te Argum­nte ins Feld zu füh­ren sind. In dem Arti­kel unter­neh­me ich — mit einer Vol­te über die Luhmann’sche Figur des “Unter­schieds, der einen Unter­schied macht” — den Ver­such, die gemein­sa­me Quel­le von Ras­sis­mus und einer rol­len­zen­trier­ten Thea­ter­tra­di­ti­on frei­zu­le­gen, mit dem Ziel zu einer gründ­li­che­ren Refle­xi­on der Fra­ge­stel­lung und mög­li­chen Kon­se­quen­zen für Thea­ter­pra­xis zu kommen.

Da der Arti­kel umfang­reich ist und sich ver­mut­lich hier im Blog schlecht lesen lässt, gibt es ihn hier als PDF-Down­load.

Um die Debat­te un das ewi­ge Kri­sen in sich ähneln­den Kom­men­ta­ren nicht über zusätz­li­che Platt­for­men zu zer­streu­en, deak­ti­vie­re ich in die­sem Pos­ting aus­nahms­wei­se die Kom­men­tar­funk­ti­on und lade zu Kom­men­tar und Dis­kus­si­on auf nachtkritik.de ein.

Nach­trag: Inzwi­schen ist ein inter­es­san­ter wei­te­rer Text von Jür­gen Bau­er zu der Dis­kus­si­on auf nachtkritik.de (hier) erschie­nen, der sich mit den Erschei­nungs­for­men von Black­fa­cing dif­fe­ren­ziert aus­ein­an­der setzt. 

Wer hier lesen möch­te, kann das im Fol­gen­den tun: » Read the rest of this entry «

Nach Wulff Rücktritt — jetzt wird über die nächste Bundesregierung entschieden

Februar 17th, 2012 § 1 comment § permalink

Eine klei­ne Spe­ku­la­ti­on, die zeigt, wie jetzt das Polit­schach begin­nen wird, das über die nächs­ten Bun­des­re­gie­rung ent­schei­den kann (und wird). Es geht dabei zunächst um fol­gen­de Namen: Wal­ter Stein­mei­er, Peer Stein­brück, Sig­mar Gabri­el und Josch­ka Fischer. Und natür­lich die Kanzlerin.

Die Stein­mei­er-Eröff­nung

Es könn­te sogar aus Gabri­el-Krei­sen lan­ciert wer­den: der Vor­schlag, den ehe­ma­li­gen Außen­mi­nis­ter Stein­mei­er ins Ren­nen um den die Bun­des­prä­si­dent­schaft zu schi­cken. Das wird auf jeden Fall für Dis­kus­sio­nen sor­gen und hät­te min­des­tens zwei mög­li­che Fol­gen. Ers­tens könn­te die Debat­te ohne nach­fol­gen­de Nomi­nie­rung Stein­mei­er als “erfolg­lo­sen Fast­kan­di­da­ten” öffent­lich so beschä­di­gen, dass er für eine anschlie­ßen­de Kanz­ler­kan­di­da­tur unmög­lich, die Kanz­ler­kan­di­da­tur nur als “zwei­te Wahl” oder “letz­te Chan­ce” wirkt. Die ande­re Vari­an­te: Er kan­di­diert und wird wirk­lich Bun­des­prä­si­dent. Dann wäre er eben­falls als Kanz­ler­kan­di­dat nicht verfügbar.

Das Inter­es­se von Ange­la Mer­kel könn­te in bei­den Fäl­len lie­gen: Einer­seits einen eini­ger­ma­ßen popu­lä­ren poten­zi­el­len Kanz­ler­kon­kur­ren­ten von der Bewer­ber­lis­te zu strei­chen; ande­rer­seits könn­te sie mit Stein­mei­er als Bun­des­prä­si­dent wohl auch ganz gut leben. Ihr Nach­teil: Es wäre klar, dass nach der nächs­ten Wahl eine gro­ße Koali­ti­on kommt. Der Vor­teil: Da die SPD das Bun­des­prä­si­den­ten­amt besetzt, wür­de Mer­kel Kanz­le­rin blei­ben. Schach durch die Dame.

Der Stein­brü­cken­sprin­ger­zug

Wenn Stein­meir nicht schnell genug genannt wird oder sehr schnell absagt, wird Stein­brück als nächs­ter poten­zi­el­ler Kan­di­dat im Raum ste­hen. Da sei­ne Kanz­ler­kan­di­da­tur ver­mut­lich eher unwahr­schein­lich ist, wird er Bedenk­zeit brau­chen, die ihn in die Dis­kus­si­on bringt, aus der er nicht als Kani­dat her­vor­ge­hen wird — dafür pola­ri­siert er zu sehr. Aber bereits sei­ne öffent­li­che Ableh­nung als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat wird ihn schwer genug beschä­di­gen, dass er weder als Kanz­ler­kan­di­dat antre­ten kann noch eine tra­gen­de Rol­le im Bun­des­tags­wahl­kampf spie­len wird. Gabri­el wäre früh­zei­tig einen Unsi­cher­heits­fak­tor los. Die Kanz­le­rin hat hin­rei­chend Ver­wir­rung gestif­tet, indem sie Stein­brück eine Zeit lang neu­tral oder inter­es­siert als Prä­si­dent­schafts­ka­di­da­ten gehan­delt hat, dass die SPD geschwächt in den Wahl­kampf zieht.

Die Fischer-Vari­an­te

Noch spricht kei­ner von ihm — aber Josch­ka Fischer kann auch ins Gespräch kom­men. Das wür­de der Dame Mer­kel ein zen­tra­les Feld auf dem Brett sichern, von dem aus sie in alle Rich­tun­gen schla­gen kann: Fischer wird (sofern er nicht » Read the rest of this entry «

Das Thalia und die Spiel(plan)verderber 2: Durch Leiden wird man Demokrat

Dezember 5th, 2011 § 1 comment § permalink

Inter­es­san­tes tut sich rund um die soge­nann­ten Demo­kra­ti­sie­rungs­ver­su­che des Tha­lia Thea­ters – und es beginnt ein Thea­ter rund um das Thea­ter, das ver­mut­lich weit­aus inter­es­san­ter ist als die Fra­ge, was denn am Ende wirk­lich gewin­nen wird.  Natür­lich ist Klug­scheis­se­rei hin­ter­her ein­fa­cher als die soli­de Orga­ni­sa­ti­on eines Par­ti­zi­pa­ti­ons­pro­zes­ses – die­se Ein­fach­heit erlau­be ich mir eben­so wie das Recht, mei­ne anfäng­li­che Beein­druckt­heit jetzt der nüch­ter­nen Betrach­tung wei­chen zu las­sen. Denn zu beob­ach­ten ist hier zunächst ein zukünf­ti­ger Lehr­buch­fall miss­ver­stan­de­ner Demo­kra­ti­sie­rung, den zu betrach­ten sich lohnt jen­seits der blo­ßen und letzt­lich ziem­lich irrele­van­ten Fra­ge, was an eini­gen Aben­den in einem Ham­bur­ger Thea­ter dem­nächst läuft. Zudem ist hier das eigent­lich ers­te Erschei­nen eines zukunfts­träch­ti­gen Thea­ters fest­zu­stel­len, von dem am Ende die­ses Pos­tings zu han­deln sein wird.

Das Pro­jekt: Mehr Demo­kra­tie gewagt – oder nur Lux und Dollerei?

Das Tha­lia beschreibt die Akti­vi­tät als Demo­kra­ti­sie­rung eines Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­mens. Der Inten­dant äußert hier im Inter­view sein Inter­es­se dar­an, was denn das Publi­kum wirk­lich sehen will – und sei es Har­ry Pot­ter. Anders lie­ße sich beschrei­ben: Die von einem demo­kra­ti­schen Gemein­we­sen – der Stadt Ham­burg – als ver­ant­wort­li­che Lei­ter einer städ­ti­schen Ein­rich­tung Ein­ge­setz­ten ent­zie­hen sich ein Stück weit der ihnen vom Gemein­we­sen zuge­wie­se­nen Auf­ga­be der inhalt­lich-kon­zep­tio­nel­len Aus­rich­tung die­ser Insti­tu­ti­on und der damit ver­bun­de­nen Ver­ant­wor­tung der von den Bewoh­nern des Gemein­we­sens auf­ge­brach­ten Finanz­mit­tel. Man lässt eine nicht begrenz­te und unde­fi­nier­te Grup­pe von Men­schen dar­über ent­schei­den, was statt­fin­den soll. Wir spie­len, was irgend­wer will.  Was auch immer, wer auch immer. Es muss nur eine aus­rei­chend gro­ße Zahl von Stim­men zusam­men­kom­men. Man könn­te die Bewoh­ner Ham­burgs eben­so gut dazu ver­pflich­ten, Regen­schir­me auf­zu­span­nen, wenn es in Aus­tra­li­en reg­net. Die Fremd­be­stim­mung durch die – sich selbst als unde­mo­kra­tisch ver­ste­hen­de – Thea­ter­lei­tung wird poten­zi­ell abge­ge­ben in eine ande­re Fremd­be­stim­mung durch irgendwen.

Was heißt demo­kra­ti­sche Ent­schei­dung? Wer ent­schei­det was für wen in demo­kra­ti­schen » Read the rest of this entry «

Bundestrojaner und polizeiliches Spekulantentum

Oktober 10th, 2011 § 1 comment § permalink

Bei Klaus Kus­an­wos­ky fin­det sich hier ein Bei­trag über den Bun­destro­ja­ner, der nicht nur lesens­wert ist, son­dern gleich­zei­tig inter­es­san­te Erwei­te­run­gen zulässt, führt man ihn eng mit Kus­anow­skys Aus­füh­run­gen zum Doku­ment in der Moder­ne. Wäh­rend Kus­anow­sky sich auf das Paar Freiheit/Sicherheit im Bezug auf das staat­li­che Gewalt­mo­no­pol wid­met, scheint mir die Fort­füh­rung mit dem Blick auf den „Kri­mi­nel­len“, von dem er spricht, den er aber nicht wei­ter defi­niert, vielversprechend.

Hät­te die Poli­zei es mit Kri­mi­nel­len zu tun, wären die Pro­ble­me erheb­lich gerin­ger. Der „Kri­mi­nel­le“ aber ist das Ergeb­nis eines Doku­men­ta­ti­ons­pro­zes­ses mit heut­zu­ta­ge höchst gere­gel­ten Ver­fah­rens­wei­sen zur Erzeu­gung des Doku­ments „Kri­mi­nell“: Gemeint ist der Gerichts­pro­zess, der durch Rich­ter durch­ge­führt das Ver­fah­ren umfasst, aus einem Beschul­dig­ten oder „Ange­klag­ten“ einen doku­men­tier­ten Kri­mi­nel­len also Tat­schul­di­gen zu machen. Bereits hier – und das ist viel­leicht für den Doku­ment­be­griff selbst nicht ganz unin­ter­es­sant – ist zu sehen, dass die Doku­men­te der Moder­ne nie­mals der Cha­rak­ter der end­gül­ti­gen Gül­tig­keit tra­gen kön­nen, son­dern nur hohe Pro­ba­bi­li­tät, die durch wei­te­re Gerichts­in­stan­zen über­prüf­bar sein muss. Die Beru­fungs­in­stanz führt das Doku­men­ta­ti­ons­ver­fah­ren erneut durch. Die Revi­si­ons­in­stanz wie­der­um über­prüft ledig­lich, ob die Ver­fah­rens­durch­füh­rung der Vor­in­stanz Doku­men­ter­zeu­gungs­ge­recht ope­rier­te oder nicht. Dar­in liegt ein wich­ti­ger Zug der Moder­ne. Sie erzeugt Doku­men­te – aber mit dem gleich­zei­ti­gen Bewusst­sein, dass das Doku­ment nicht gül­tig sein könn­te oder zu einem spä­te­ren Zeit­punkt (etwa durch das Auf­tau­chen neu­er Bewei­se durch neu zuge­las­se­ne Beweis­ver­fah­ren wie den DANN-Test) als ungül­tig erscheint, weil es noch immer von der Vor­aus­set­zun­gen, aus denen her­aus es erzeugt wur­de, abhän­gig bleibt.

Die gött­li­chen Gerichts­ur­tei­le des Vor­mit­tel­al­ters such­ten nach Letzt­gül­tig­keit – indem sie Gott zumu­te­ten, in einen erwart­ba­ren Ablauf (das Ver­bren­nen eines Kör­pers im Feu­er) ein­zu­grei­fen und gegen natur- und men­schen­wis­sen­schaft­li­che Erfah­rung wun­der­tä­tig die Nicht­schuld zu bewei­sen. Erst in den Pro­zes­sen der Inqui­si­ti­on wur­de die­ses Ver­fah­ren inso­weit abge­wan­delt, dass der Beschul­dig­te not­wen­dig ein Geständ­nis able­gen muss­te, um voll­gül­tig ver­ur­teil­bar zu sein. Dass das nicht in blut­rüns­ti­gen Fol­ter­or­gi­en wahn­sin­ni­ger Inqui­si­to­ren mün­de­te, » Read the rest of this entry «

Aus dem Maschinenraum: “Der Marienthaler Dachs” — zweiter Akt fertig

September 6th, 2011 § Kommentare deaktiviert für Aus dem Maschinenraum: “Der Marienthaler Dachs” — zweiter Akt fertig § permalink

Vier­zehn Mona­te Arbeit ste­cken drin: Der zwei­te Akt vom “Mari­en­tha­ler Dachs” ist, naja, in Roh­form fer­tig. Jetzt noch der Drit­te und dann ist das end­lich von der Leis­te. Alles in allem bis­her unge­fähr 2,5 Jah­re Arbeit. Fra­ge mich, ob irgend­ei­ne Dra­ma­tur­gie irgend­wann irgend­wo sich die Arbeit macht, das auch nur anzu­se­hen. Im End­zu­stand wird es auf A2 oder A1 aus­ge­druckt, vier, teil­wei­se fünf par­al­le­le Hand­lungs­or­te und Hand­lungs­strän­ge, die die Besu­cher ein­la­den, sich von Ort zu Ort zu bege­ben, sich ihre eige­ne Geschich­te zusam­men­zu­sur­fen oder zu ‑fla­nie­ren. Oder in der Wirt­schaft ein Bier zu neh­men. Inspi­red by “Die Arbeits­lo­sen von Mari­en­thal”, einem der wahr­schein­lich größ­ten Bücher des 20.Jahrhunderts.
Any­way, ich bin jetzt erst mal platt.

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Von der Internation zur Netion: Überlegungen zum Raum des Politischen und zur postdramatischen Opensourcokratie

August 18th, 2011 § 4 comments § permalink

In der neu­es­ten ARD/ZDF-Online­stu­die bin ich über einen Ver­tip­per gestol­pert, der mir sehr gefiel:

Nicht nur die gele­gent­li­che zeit­ver­setz­te Nut­zung von Fern­seh­sen­dun­gen oder Aus­schnit­ten dar­aus via Inter­nat hat sich seit 2008 von 14 Pro­zent auf 29 Pro­zent ver­zwei­facht, … (hier Sei­te 4f.)

Das „Inter­nat“ ist ein wun­der­ba­res Bild für die tra­di­tio­nel­le, doku­ment­ba­sier­te Nati­on: Räum­li­ches Zusam­men­woh­nen unter Auf­sicht von Auto­ri­tä­ten, Zugangs- und Aus­gangs­be­schrän­kun­gen und auto­ri­tä­re Fest­le­gun­gen sowohl der For­men und Regeln sowohl des Zusam­men­le­bens als auch des­sen, was zu leh­ren und zu ler­nen, zu wis­sen und zu kön­nen ist. Die Nati­on war (und ist noch) ein Inter­nat, Inter­na­tio­na­li­tät die Zusam­men­ar­beit von Inter­na­ten. (N.B.: Viel­leicht ist es gar kein Zufall, dass die erfolg­reichs­te Roman­se­rie der letz­ten Jah­re gera­de in einem Inter­nat spielt, einem letz­ten zau­ber­haf­ten Traum die­ser nur noch als his­to­ri­sche Wohl­fühl­re­mi­nis­zenz tau­gen­den Lebens­form). Die Leit­dif­fe­ren­zen, die die­ses Inter­nat aus­mach­ten, wer­den nun von der Inter­ne­tio­na­li­tät kas­siert: Raum­gren­zen, Auto­ri­täts­po­si­tio­nen, ver­bind­li­che Regeln und Wahr­hei­ten fin­den sich nicht vor-geschrie­ben in der Neti­on. Weni­ger Orga­ni­sa­ti­on, ist sie eher Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on oder Auto­poie­sis. Die herr­schen­de Lehr­mei­nung wird zur geteil­ten Mei­nung, die ver­bind­li­che Erzäh­lung wird, wie letz­tens geschrie­ben, in einem Geflecht von Erzäh­lun­gen auf­ge­löst, die zwar noch erzählt wer­den, für die es aber immer schwie­ri­ger wird, sich durch­zu­set­zen. Noch mag zeit­ver­setz­tes Anse­hen der Mas­sen­me­di­en einen Rest sol­cher Erzähl­macht im Inter­nat zei­gen. Aber – aller litan­ei­haft wie­der­hol­ten Beteue­run­gen in der ARD/ZDF-Stu­die zum Trotz – es wird mehr und meh­re eine Erzäh­lung unter vie­len ande­ren. In der Stu­die heisst es auch (hier auf Sei­te 15):

Wenn es dar­um geht, ein Mas­sen­pu­bli­kum zu mobi­li­sie­ren, reicht kein Medi­um an das Fern­se­hen heran.

Das ist natür­lich eine wun­der­ba­re Ver­dre­hung der Tat­sa­chen – denn Mas­sen­me­di­en mobi­li­sie­ren natür­lich nicht wirk­lich. Es reicht viel­mehr kein ande­res Medi­um an die Fähig­keit der Mas­sen­me­di­en her­an, die Mas­sen zu immo­bi­li­sie­ren. Man sitzt still im Inter­nat ein­ge­sperrt und glotzt fern.

End­li­che und unend­li­che Diskussion

Zu den Kern­fä­hig­kei­ten der immo­bi­li­sie­ren­den Inter­na­ti­on gehör­te es, Dis­kus­sio­nen dra­ma­tisch auf­zu­be­rei­ten, auf den binä­ren Ent­schei­dungs­punkt zuzu­spit­zen und dann durch Ent­schei­dung zu been­den. Die Viel­falt des Stim­men- und Erzäh­lungs­ge­wirrs ist nichts Neu­es. Die Inter­na­ti­on führ­te nur einen Pro­zess ein, der eben die Grau­tö­ne in Schwarz/Weiß über­führ­te und dann Schwarz oder Weiß, Schwarz oder Rot als Kern­al­ter­na­ti­ven her­aus­stell­te. Die­se Reduk­ti­on fand ins­be­son­de­re über die mög­lichst öffent­li­che Debat­te (in Par­la­men­ten oder Mas­sen­me­di­en) statt. Erst wird debat­tiert, dann kann abge­stimmt wer­den. Und damit ist fest-gesetzt was Gesetz wird. Die­se Fähig­keit eig­net der Neti­on nicht, in der die Debat­ten aus­ufern durch ten­den­zi­ell unend­li­che Ver­meh­rung der Debat­ten­teil­neh­mer, Debat­ten­platt­for­men und Debat­ten­bei­trä­ge. Das ist das Pro­blem, das sich mit der ent­ste­hen­den Neti­on auf­tut und das nicht ein­fach » Read the rest of this entry «

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