Das eigentliche Problem hinter „Streetview“ – zwischen privat und öffentlich: theatrale Socialität

August 19th, 2010 § 2 comments

Die gera­de geführ­te Debat­te rund um Goog­le Street­view ent­behrt nicht einer gewis­sen Komik – und zwar sowohl auf Sei­ten der Kri­ti­ker wie der Ver­tei­di­ger. Sie ent­spannt sich schein­bar auf der Ach­se pri­vat-öffent­lich und kann doch auf die­ser Ach­se weder ver­stan­den, noch wirk­lich in ihrer tat­säch­li­chen Trag­wei­te ent­fal­tet wer­den. Es fehlt der wesent­li­che Begriff zwi­schen pri­vat und öffentlich.

Fas­sa­den sind öffentlich

Auf Sei­ten der Befür­wor­ter herrscht schein­bar gro­ße Ver­blüf­fung dar­über, dass die Fas­sa­de eines Hau­ses von irgend­je­man­dem zur „Pri­vat­sphä­re“ gerech­net wer­den könn­te. Schließ­lich kann doch pro­blem­los jeder Mensch an jedem Haus vor­bei­ge­hen, es betrach­ten, ohne dabei von den Bewoh­nern des Ein­griffs in die Pri­vat­sphä­re beschul­digt zu wer­den. War­um also soll­te das digi­ta­le Abbild die­ses Hau­ses nun plötz­lich „pri­vat“ sein – wäh­rend doch ver­mut­lich auch die Ver­tei­di­ger der Pri­vat­sphä­re sehr ger­ne die Mög­lich­kei­ten einer Real­bild-Navi­ga­ti­on, einer Besuchs­pla­nung, einer Woh­nungs­su­che usw. nut­zen wer­den. Gro­ßes Unver­ständ­nis. Nicht unberechtigt.

Fas­sa­den sind Teil eines Pro­fils von mir

Auf der ande­ren Sei­te die­je­ni­gen, die ein Pro­blem damit haben. Ich möch­te sagen, dass ich dazu gehö­re. Und zwar Ange­sichts sol­cher Diens­te wie yas­ni oder 123people.de. Die­se Diens­te agg­re­gie­ren per­so­nen­be­zo­ge­ne Infor­ma­tio­nen, die im Netz zugäng­lich sind. Nach Ein­ga­be des Namens erschei­nen alle mit die­sem Namen ver­bun­de­ne Pro­fil­bil­der aus Social Net­works, Twit­ter, MySpace, Face­book und Goog­le Bil­der­su­che. Zudem sind mit die­sem Namen vor­han­de­ne Adress- und Tele­fon­buch­ein­trä­ge ver­knüpft, pri­va­te Home­pages, Ver­öf­fent­li­chun­gen, Such­tref­fer aus News und Web, selbst Ama­zon-Wunsch­lis­ten, Vide­os, Instant Mes­sa­ging und Sky­pe sowie Blogs und die mit mir in Social Net­works ver­bun­de­nen Freunde.

Zukünf­tig wird hier auch noch die Fas­sa­de des Wohn­hau­ses oder alle ver­füg­ba­ren Wohn­häu­ser der Ver­gan­gen­heit auf­tau­chen. Und sie wer­den über die Jah­re wach­sen. Denn die Per­so­nen­such­ma­schi­nen wer­den natür­lich über die Jah­re hin­weg zuneh­mend „klü­ger“ und voll­stän­di­ger. Neben dem aktu­el­len Snaphshot wird eine His­to­rie ent­ste­hen (die­se Per­so­nen­such­ma­schi­nen sind erst eini­ge Jah­re am Start – noch ist da bei hin­rei­chend häu­fi­gen Namen eini­ges an Fal­ses ent­hal­ten). Man könn­te auf die Idee kom­men, die­se Diens­te zu ver­bie­ten – was über­haupt nichts bringt. Denn wenn die kos­ten­lo­sen, all­ge­mein ver­füg­ba­ren Ange­bo­te aus dem Netz ver­schwin­den, wer­den Soft­ware-Anbie­ter sol­che Tech­no­lo­gien ein­fach als Desk­top-Engi­nes anbie­ten. Sei es jeder­mann, nur Unter­neh­men oder nur staat­li­chen Stel­len. Die Büch­se der Pan­do­ra lässt sich nicht verschließen.

Das ver­öf­fent­lich­te Private

Nun – wo ist das Pro­blem? Das Pro­blem lässt sich als privat/öffentlich nicht fas­sen. Denn schließ­lich bin ich es doch, der all die­se Infor­ma­tio­nen „öffent­lich“ gemacht hat. Aller­dings habe ich sie nicht unbe­dingt „netz­öf­fent­lich“ gemacht. Gehen wir nun davon aus, dass ich in einer lau­en Som­mer­nacht – wie über 2 Mil­lio­nen Deut­sche – einen Account auf poppen.de ein­ge­rich­tet habe. Oder vor eini­gen Jah­ren bei fri­end­scout, edar­ling, adult­fri­end­fin­der, im Depres­si­ons­fo­rum, im Aids-Selbst­hil­fe­fo­rum, in einem Pro­dukt­kri­tik-Por­tal, bei Holi­day­check usw. Und gehen wir wei­ter­hin davon aus, dass auch die­se Daten mit­tel­fris­tig zugäng­lich sein wer­den. Spä­tes­tens dann, wenn die Klar­na­men-Pflicht ein­ge­führt wird. Oder wenn die Peo­p­le-Such­ma­schi­nen sich mit der Mög­lich­keit der Suche nach bestimm­ten „Pseud­ony­men“ nach­rüs­ten, die es in ande­ren berei­chen schon gibt. Ich kann jetzt schon eine gan­ze Rei­he vor­han­de­ner Platt­for­men dar­auf­hin durch­su­chen las­sen, ob dort ein bestimm­tes Pseud­onym ange­mel­det ist. Ver­knüp­fe ich die Ergeb­nis­se die­ser Suche mit der Per­so­nen­su­che, ist Durch­läs­sig­keit her­ge­stellt. Und ich kann sie durch Bücher‑, Video‑, Musik­prä­fe­ren­zen nach Belie­ben anrei­chern. Damit ist das eigent­li­che Pro­blem aber noch immer nicht zugänglich.

Das feh­len­de Ele­ment: Die Socialitäten

Wo ist also das Pro­blem – ich habe mich doch öffent­lich gemacht? Das Pro­blem ist, dass „pri­vat und „öffent­lich“ nicht funk­tio­nie­ren. Zwi­schen Pri­vat und Öffent­lich gehört – abge­lei­tet aus dem Begriff des „Social Web“ das Sozia­le. Und zwi­schen schein­bar ein­heit­li­cher pri­va­ter „Iden­ti­tät“ und öffent­li­cher „Per­son“ gehört ein Bün­del an Socia­li­ties. Rif­kin hat den nach­mo­der­nen Men­schen als „prot­e­i­sche Per­sön­lich­keit“ (in Access – Das Ver­schwin­den des Eigen­tums; bes. S. 270 ff)) bezeich­net. Ich zitie­re der Ein­fach­heit hal­ber Wiki­pe­dia:

Nach die­ser Theo­rie zeich­net sich der moder­ne Men­schen­typ dadurch aus, dass er extrem anpas­sungs­fä­hig und fle­xi­bel ist. Er besitzt kei­nen klar umris­se­nen Cha­rak­ter, son­dern schlüpft in vie­le Rol­len. Abso­lu­te Wahr­hei­ten exis­tie­ren für ihn nicht, Poli­tik oder sozia­les Enga­ge­ment ist ihm zuwi­der. Er hält sein gan­zes Leben für eine ein­zi­ge Büh­ne, auf der er Rol­len aufführt.

Damit ist der Sache näher zu kom­men – und inter­es­san­ter Wei­se taucht hier die Meta­pher der „Büh­ne“ auf (spä­ter im Arti­kel auch die „thea­tra­li­sche Per­sön­lich­keit“) – wohl unre­flek­tiert aber sehr zutref­fend. Denn wie vor Kur­zem hier aus­ge­führt ist „das Sozia­le“ imho der Raum des Thea­ters und Thea­ter das Labor des Sozia­len. Zurück zum gegen­wär­ti­gen Thema.

Socia­li­tä­ten jen­seits der Identität

Schon­vor dem Netz zer­split­ter­te der moder­ne, fle­xi­ble und mobi­le Mensch in ein Bün­del von (nicht: Iden­ti­tä­ten son­dern) Socia­li­tä­ten. Das heißt in ein Bün­del von Ver­hal­tens­wei­sen, die mehr oder min­der bewusst in Bezie­hung zu bestimm­ten ande­ren Socii ein­ge­nom­men wer­den. Es ist eine rein kom­mu­ni­ka­ti­ve Grö­ße. Die Socia­li­tät eines Arbeit­neh­mers deckt sich nicht mit der Sozia­li­tät des Ehe­gat­ten, Vaters, Sei­ten­sprin­gers, Exfreun­des, Elter oder des Kin­des. In jeder die­ser Bezie­hun­gen ist eine ande­re, zumeist bewusst zu ler­nen­de Sozia­li­tät von­nö­ten. Selbst gegen­über Vor­ge­setz­ten, gleich­ran­gi­gen Kol­le­gen und Unter­ge­be­nen sind min­des­tens drei­er­lei Socia­li­tä­ten am Wer­ke, zumeist noch deut­lich mehr. Denn die­se Socia­li­tät ist nicht ein­fach die sozio­lo­gi­sche „Rol­le“, die ein Plu­ri­ver­sum von ange­nom­me­nen Iden­ti­tä­ten unter­stellt. Son­dern sie ist Ergeb­nis einer Kommunikationsbeziehung.

Online-Socia­li­tä­ten

Mag das für die Off­line-Welt noch ein­fach beherrsch­bar sein, indem man dar­auf ach­tet, zu einer Par­ty nur die Socia­li­täts­part­ner ein­zu­la­den, die eini­ger­ma­ßen kon­gru­ent sind, so lie­gen die Din­ge in der (eben nicht gänz­lich von der Off­line-Welt zu tren­nen­den) Online­welt etwas anders. Neh­men wir Face­book als Bei­spiel. Dort con­nec­tet sich der User mit Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, Freun­den, viel­leicht ehe­ma­li­gen Schul­freun­den, Kol­le­gen, ggf. Vor­ge­set­zen – und mit Geschäfts­part­nern oder Kun­den. Das heißt: Ein gro­ßes Socia­li­tä­ten­bün­del ver­ei­nigt sich. Und führt zu nicht gerin­gem Stress. Denn die Socia­li­tät etwa des Geschäfts­part­ners stellt ande­re Anfor­de­run­gen als der ehe­ma­li­ge Klas­sen­ka­me­rad, der mit „Ej du alte Sau“ auf die Pinn­wand pol­tert. Die Socia­li­tät des Kol­le­gen stellt ande­re Anfor­de­run­gen als die des Geschwis­ters. Und es steht jeder­zeit die Gefahr im Rau­me, jen­seits des all­ge­mein Zugäng­li­chen Öffent­li­chen in „Pri­vat­nach­rich­ten“ Erklä­run­gen für bestimm­te Ver­hal­tens- oder Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ri­tua­le zu errich­ten. Face­book ist nun nur eine, und dazu eine sehr gut beherrsch­ba­re Platt­form (etwa durch Pri­va­cy-Ein­stel­lun­gen mit Lis­ten­funk­tio­nen usw.). Die Bün­de­lungs­mög­lich­kei­ten durch Per­so­nen­su­chen stellt vor eine ganz ande­re Her­aus­for­de­rung: Der Pro­teus wird plötz­lich mit der Iden­ti­täts­an­for­de­run­gen einer mit­tel­al­ter­li­chen Dorf­ge­mein­schaft kon­fron­tiert. Das Mul­ti­ver­sum der Socia­li­tä­ten, das unter ver­schie­de­nen Pseud­ony­men oder doch zumin­dest auf ver­schie­de­nen Platt­for­men aus­ge­tra­gen wur­de – wird nun plötz­lich in ein „Image“ zusam­men­ge­führt, das natür­lich vor­ne und hin­ten inkon­gru­ent ist, weil kein gemein­sa­mer „Kern“, kei­ne ein­fa­che „Iden­ti­tät“ vor­han­den ist, die den Swin­ger mit dem Onkel, die Schwes­ter mit der Che­fin, den ehe­ma­li­gen Casa­no­va mit dem jetzt treu­sor­gen­den Gat­ten ver­ei­nigt. Und es fin­det – und damit sind wir bei Goog­le Street­view – die­se Ver­knüp­fung als zwangs­wei­se Grenz­über­tre­tung statt. Denn die Ver­ei­ni­gung der Socia­li­tä­ten geschieht ohne mein Zutun. Das Ver­spre­chen des Net­zes, in per­sön­li­cher Frei­heit sich zu ent­fal­ten endet in einer Zwangs­zu­sam­men­le­gung aller ver­streu­ten Daten – und derer sind erheb­lich mehr, als der eine oder ande­re sich träu­men las­sen mag.

Socia­li­tä­ten als Infor­ma­ti­ons­ba­sis für Dritte

Und es grei­fen eben nicht nur Socia­li­täts­part­ner dar­auf zu – son­dern eben­so Drit­te, die in kei­ner Socia­li­tät zu mir ste­hen, für die viel­mehr die­se Socia­li­tät zu einer rei­nen Pro­fil­in­for­ma­ti­on wird: Der nächs­te Ver­mie­ter, der Anbie­ter einer Berufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rung, einer Haft­pflicht- oder Rechts­schutz­ver­si­che­rung, das Kre­dit­in­sti­tut. Plötz­lich erstellt jeder Sur­fer eine Socia­li­täts­ak­te, die umfang­rei­cher ist, als jede Daten­samm­lung jemals hät­te sein kön­nen. Und sie wird von den Akten­in­hal­ten selbst gepflegt.

Wie umge­hen mit der infor­ma­tio­nel­len Iden­ti­fi­zie­rung des Sozialitätenbündels

Wie damit umge­hen? Das Netz ver­las­sen – in der Hoff­nung, es möge nichts „Schlim­me­res“ hin­zu­kom­men? Eine eige­ne „Netz­so­cia­li­tät“ erschaf­fen, die von vorn­her­ein eine insze­nier­te Kunst­fi­gur ist? Gele­gent­li­chen Namens­wech­sel (wie Goog­le-Chef Eric Schmidt etwa hier vor­schlug)? Nichts von alle­dem ist hilf­reich. Des­we­gen kann die Lösung nur aus einer gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Debat­te rund um die Socia­li­tä­ten kom­men. Und muss sich fra­gen: Wie soll das Netz sein und funk­tio­nie­ren? Wer soll was ein­se­hen können?

Street­view und die Socialität

Zurück zu Street­view: Die Haus­fas­sa­de ist nicht „pri­vat“ – aber sie geht poten­zi­ell in mei­ne Socia­li­tä­ten ein. Die ehe­ma­li­gen Schul­freun­de, die aktu­el­len Kol­le­gen und Vor­ge­setz­ten, die erst­mals geda­te­te Flam­me, der zukünf­ti­ge Arbeit­ge­ber, die Ver­si­che­rung machen sich aus die­sem Bild ein Teil ihres Gesamt­bil­des, mit dem sie mir in einer Socia­li­tät ent­ge­gen­tre­ten. Schon jetzt nut­zen Aus­kunftei­en wie SchuFa oder Cre­dit­re­form die Wohn­ge­gend um Kre­dit­wür­dig­kei­ten zu berech­nen. Schon jetzt klas­si­fi­zie­ren die Tele­fon­rech­ner in Call­cen­tern die „Wer­tig­keit“ eines ein­ge­hen­den Anrufs per Tele­fon­num­mer nach Wohn­la­ge: Die gut­bür­ger­li­che Lage bekommt schnel­ler einen Kon­takt als das nie­der­wer­ti­ge Quar­tier. Zukünf­tig wird der Anru­fer beim Call­cen­ter-Agen­ten mit kom­plet­tem Web-Daten­satz schon beim ers­ten Anruf sicht­bar sein (Rück­wärts­su­che plus yasni/123people) – inklu­si­ve Haus­fas­sa­de. Das macht in die­ser Socia­li­tät Ver­si­che­rung-Kun­de einen gewal­ti­gen Unter­schied. Und der Kun­de hat kei­ner­lei Macht über die Infor­ma­tio­nen, die der ande­ren Sei­te der Socia­li­tät ver­füg­bar sind.

Bio­me­trie für Jeder­mann – Socia­li­tä­ten­bün­del inklusive

Noch wei­ter: Inzwi­schen lau­fen ers­te Beta­tests für Gesichts­er­ken­nung auf dem Mobil­te­le­fon. ZDnet mel­de­te (hier) ein Apple-Patent dazu. Das heißt: Ein erkann­tes Gesicht kann mit einer Per­son ver­bun­den wer­den. Die Per­son über Per­so­nen­such­ma­schi­nen voll­ends iden­ti­fi­ziert und umfas­send beschrie­ben wer­den. Das ist so lan­ge eine hüb­sche Spie­le­rei, wie es sich um Men­schen han­delt, mit denen Socia­li­tät weder ange­dacht ist, noch besteht, noch bestan­den hat. Erst wenn die Socia­li­tät ein­tritt, wird das Socia­li­täts­bün­del, das ich nun­mehr für den ande­ren bin, zu einem rei­nen Stressfaktor.

Socia­li­tä­ten und Privatspäre

Nach­trag: Beim Durch­le­sen fällt mir auf, dass ich nicht klar gemacht habe, war­um das nicht ein­fach als „Pri­vat­sphä­re“ zu bezeich­nen ist. Die ein­fa­che Ant­wort: Weil es kei­ne Pri­vat­sphä­re gibt. Die Ent­schei­dung, dass etwas pri­vat sei, zieht nach sich, dass ich es aus einer Socia­li­tät exklu­die­re. „Pri­vat“ bedeu­tet vor allem „Ver­zei­hung, das ist mir zu pri­vat, dar­über gebe ich kei­ne Aus­kunft“. Und der­lei Pri­vat­hei­ten gibt es zu vie­le – was pri­vat ist, bestimmt die Socia­li­tät. Pri­vat­sphä­re gegen­über dem Kol­le­gen ist eine ande­re als gegen­über der Vor­ge­setz­ten, als gegen­über dem Kun­den, als gegen­über dem ehe­ma­li­gen Schul­freund. Mit die­sem Schul­freund aber mögen wie­der­um Din­ge geteilt sein, die selbst unter Ehe­gat­ten ins „Pri­va­te“ fal­le und eben dort dem Ande­ren nicht zugäng­lich gemacht wer­den sol­len. Ganz zu schwei­gen den Kin­dern, die kei­nes­falls alles wis­sen sol­len, was die Exfreundinnen/Exfreunde viel­leicht wis­sen. Das Pri­va­te ist kein kohä­ren­te Sphä­re, son­dern wird durch die Socia­li­tät erschaf­fen. Es ist das, was in der Socia­li­tät nicht vor­kommt – oder die Qua­li­tät der Socia­li­tät ent­schei­dend ver­än­dert – etwa wenn eine Bezie­hung zu einer Kollegin/einem Kol­le­gen beginnt (die in der Socia­li­tät der Ehe­gat­ten wie­der­um ver­mut­lich nichts zu suchen hat …), sich eine Exfreun­din als neue Kun­din vor­stellt, ein ehe­ma­li­ger Schul­ka­me­rad Chef wird usw. Was „das Pri­va­te“ ist, lässt sich nicht fassen.

Socia­li­tä­ten und Öffentlichkeit

Zugleich ist aber die Socia­li­tät eben auch nicht die Öffent­lich­keit – weil das Pri­va­te und Nicht­pri­va­te eben durch die Socia­li­tät bestimmt sind und das was als „öffent­lich“ in einer Socia­li­tät (unter Kol­le­gen) erschei­nen mag, in einer ande­ren Socia­li­tät (gegen­über einer Ver­si­che­rung) pri­vat zu sein hat.

Rund um Street­view ent­spinnt sich eine sym­bo­li­sche Pseu­do­de­bat­te, die eigent­lich um Socia­li­tä­ten in Zei­ten des Net­zes zu füh­ren wäre.

§ 2 Responses to Das eigentliche Problem hinter „Streetview“ – zwischen privat und öffentlich: theatrale Socialität"

  • kusanowsky sagt:

    “Rund um Street­view ent­spinnt sich eine sym­bo­li­sche Pseu­do­de­bat­te, die eigent­lich um Socia­li­tä­ten in Zei­ten des Net­zes zu füh­ren wäre.” — Debat­ten wer­den geführt oder nicht. Zu glau­ben, es gäbe “Pseu­do­de­bat­te” hie­ße eine über­ge­ord­ne­te Urteils­kom­pe­tenz dar­über zu bean­spru­chen, wor­über eigent­lich und rich­ti­ger­wei­se debat­tiert wer­den sollte.
    Viel­leicht könn­te man alter­na­tiv danach fra­gen, wodurch die Debat­te bewegt wird. Dabei liegt es natür­lich nahe, die Unter­schei­dung von öffentlich/privat her­an­zu­zie­hen. Es wäre dann aber nicht wich­tig, ob die Unter­schei­dung stimmt oder nicht, denn sie wird ja in jedem Fall benutzt — wer woll­te sagen, dass sie “unstim­mi­ger­wei­se” benutzt wird? Dage­gen wird man viel­leicht eher fün­dig, wenn man danach fragt, was durch Bei­be­hal­tung der Unter­schei­dung sicht­bar wird, das vor­her so nicht gese­hen wer­den konn­te. Was tritt mit die­ser Unter­schei­dung als Pro­blem auf? Die Ant­wort könn­te lau­ten: Zum Pro­blem wird das, was durch die­se Unter­schei­dung als Pro­blem aus­ge­schlos­sen wur­de, näm­lich die Schutz­be­dürf­tig­keit von Men­schen. Die Unter­schei­dung konn­te im Ent­wick­lungs­pro­zess der indus­trie-kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft des­halb attrak­tiv wer­den, weil sie die Schutz­be­dürf­tig­keit auf der Sei­te der Pri­vat­heit ver­an­ker­te. Pri­vat­heit war Schutz, der gewähr­leis­tet wer­den konn­te, weil die Schutz­ver­let­zung enor­me Hür­den zu über­win­den hat­te, wie etwa die Not­wen­dig­keit des Ein­d­ri­gens, Ver­fol­gens, Denun­zie­rens; Maß­nah­men, die immer dar­an gebun­den waren, dass ein Kör­per lokal gebun­de­ne Zugriffs­mög­lich­kei­ten auf Pri­vat­da­ten ent­spre­chen­der Doku­men­te haben muss­te. Man den­ke als Bei­spiel an die Arbeit eines Pri­vat­de­tek­tivs. Was noch vor 10 Jah­ren eine mühe­vol­le Arbeit des Sam­melns und Aus­wer­tens von lokal ver­streu­ten Daten war, ist heu­te in nur einem Bruch­teil der sel­ben Zeit mit jedem PC irgend­wo auf der Welt möglich.
    Das Inter­net macht mit sei­nen Mög­lich­kei­ten die Kon­tin­genz des Unter­schei­dungs­sche­mas privat/öffentlich sicht­bar. Das Inter­net trägt zur einer “Ent­schleie­rung der Ver­hält­nis­se” (K. Marx) bei; man kann jetzt etwas sehen, das auch vor­her schon ein Pro­blem war, aber durch die Wie­der­ho­lung des sel­ben Unter­schei­dungs­ver­fah­rens durch Repro­duk­ti­on invi­si­bi­li­siert wur­de. Man konn­te sich immer sicher blei­ben, dass Pri­vat­heit schütz­bar sei, weil die Schutz­ver­let­zung öffent­lich bemerk­bar wer­den konn­te. Die­ser Zusam­men­hang kehr sich nun um: die Schutz­ver­let­zung (etwa durch Inter­net-Stal­king) kann jetzt selbst durch Pri­vat­heit geschützt vor­ge­nom­men werden.

  • […] und Öffent­lich­keit 24. August 2010 von Kus­anow­sky Bei Post­dra­ma­ti­ker fin­det man einen aus­führ­li­chen Arti­kel, der sich mit der Dis­kus­si­on um Goog­le Street View beschäf­tigt, und dabei die Unter­schei­dung von […]

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