Finanzwissenschaft — Firlefanzwissenschaft. Rechnen Sie mit dem schlimmsten. Oder auch nicht.

April 17th, 2013 Kommentare deaktiviert für Finanzwissenschaft — Firlefanzwissenschaft. Rechnen Sie mit dem schlimmsten. Oder auch nicht.

In der Süd­deut­schen Zei­tung fin­det sich heu­te hier ein knap­per Arti­kel, bei des­sen Lek­tü­re mir der Unter­kie­fer auf den Boden gefal­len wäre, hät­te die Tisch­plat­te ihn nicht unsanft gebremst. Seit einer Stu­die des Har­vard-Öko­no­men, Schach-Groß­meis­ters und ehe­ma­li­gen Chef­öko­no­men des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds Ken­neth Rog­off und der Har­vard-Pro­fes­so­rin Car­men Rein­hart galt in der Volks­wirts­haft der Grund­satz: Ver­schul­det sich ein Staat mit mehr als 90% sei­ner jähr­li­chen Wirt­schafts­leis­tung, geht es abwärts (hier ist die Stu­die down­load­bar). Dar­auf geht der Glau­bens­satz zurück, der gera­de in den süd­eu­ro­päi­schen Län­dern wie Grie­chen­land genau zu jener Spar­po­li­tik führt, die die­se Län­der in eine Abwärts­spi­ra­le stürzt. Die soge­nann­ten Märk­te, im Ver­trau­en auf die­se Stu­die, erhö­hen die Zin­sen für Län­der mit die­ser Schul­den­quo­te (aus Glau­bens­grün­den), stei­gen­de Zin­sen belas­ten den Haus­halt, zudem wird der Staat zu den bekann­ten Spar­maß­nah­men getrie­ben, die eine ohne­hin in der Kri­se befind­li­che Wirt­schaft noch wei­ter in den Abgrund trei­ben. Die Fol­gen für die Bür­ger sind hin­läng­lich bekannt.

Jetzt erschien eine ande­re Stu­die (hier down­load­bar), die nicht etwa ein­fach die 90%-Regel pro­ble­ma­ti­sier­te, son­dern gar behaup­te­te, die­se Regel sei auf­grund feh­ler­haf­ter Berech­nun­gen, ja des man­gel­haf­ten Umgangs mit Excel zu ver­dan­ken. Es wür­den aus uner­klär­li­chen Grün­den bestimm­te Daten aus­ge­blen­det, unter­schied­li­che Betrach­tungs­zeit­räu­me mit­ein­an­der ver­gli­chen. Das Ergeb­nis der neu­en Stu­die: Über 90% Ver­schul­dung sinkt das Wachs­tum nicht etwa um 0,1% pro Jahr (wie Rogoff/Reinhart sta­tu­ier­ten), nein es steigt um 2,2%. Dar­auf haben Rogoff/Reinhart inzwi­schen hier in einem eige­nen Text geant­wor­tet. Das Resul­tat: Doch, doch, wie hat­ten bestimmt schon recht. Aber man muss noch­mal nach­schau­en. Wir hat­ten ja nie von Kau­sa­li­tät gere­det, son­dern nur von der Asso­zia­ti­on zwei­er Zah­len­phä­no­me­ne. Das klingt im Ori­gi­nal so:

By the way, we are very careful in all our papers to speak of “asso­cia­ti­on” and not “cau­sa­li­ty” (…) Of cour­se much fur­ther rese­arch is nee­ded as the data we deve­lo­ped and is being used in the­se stu­dies is new. Nevert­hel­ess, the weight of the evi­dence to date –inclu­ding this latest com­ment — seems enti­re­ly con­sis­tent with our ori­gi­nal inter­pre­ta­ti­on of the data in our 2010 AER paper. (Quel­le)

Ja klar. Ruhig mal ganz in Ruhe for­schen. In der Zwi­schen­zeit aber mal wei­ter Süd­eu­ro­pa ver­wüs­ten. Kann ja nicht scha­den. Dass auf sol­cher “Wis­sen­schaft” und einer der­ar­ti­gen Grund­hal­tung poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen auf­ge­baut wer­den, die gan­ze Län­der in die Ver­elen­dung schickt, hal­te ich für einen Skan­dal. Auf Fir­le­fanz lässt sich kei­ne Poli­tik aufbauen.

 

 

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