Thesen zum Theater: Theater ist das Soziale (erster Versuch)

Juli 26th, 2010 Kommentare deaktiviert für Thesen zum Theater: Theater ist das Soziale (erster Versuch)

{Vor­be­mer­kung: In der Kate­go­rie “The­sen zum Thea­ter” sol­len in die­sem Blog Gedan­ken auf Trag­fä­hig­keit getes­tet und zur Kri­tik und Über­ar­bei­tung gestellt wer­den. Jede The­se bleibt vor­läu­fig. Wie auch die­se Bemerkung.}

Übli­cher­wei­se wird das Öffent­li­che dem Pri­va­ten ent­ge­gen­ge­setzt und als aus­schlie­ßen­de Oppo­si­ti­on ver­stan­den. Das Pri­va­te als das Nicht-Öffent­li­che, das Öffent­li­che als das Nicht-Pri­va­te.. Wiki­pe­dia dazu:

Pri­vat (von lat. pri­vat­us, PPP von pri­va­re, „abge­son­dert, beraubt, getrennt“, pri­va­t­um, „das Eige­ne“ und pri­vus, „für sich bestehend“) bezeich­net Gegen­stän­de, Berei­che und Ange­le­gen­hei­ten, die nicht mehr der All­ge­mein­heit gehö­ren bzw. offen­ste­hen, son­dern nur einer ein­zel­nen Per­son oder einer ein­ge­grenz­ten Grup­pe von Per­so­nen, die unter­ein­an­der in einem inti­men bzw. einem Ver­trau­ens­ver­hält­nis ste­hen. Im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch wird pri­vat meist als Gegen­satz von “öffent­lich” gebraucht.

Pri­vat­heit ist die Berau­bung des/vom Öffent­li­chen. Öffent­lich­keit hin­ge­gen ist:

Öffent­lich­keit bezeich­net im wei­tes­ten Sin­ne die Gesamt­heit aller Umstän­de, die für die Bil­dung der Öffent­li­chen Mei­nung von Bedeu­tung sind, wobei der all­ge­mein freie Zugang zu allen rele­van­ten Gege­ben­hei­ten sowie deren unge­hin­der­te Dis­ku­tier­bar­keit ent­schei­den­de Kri­te­ri­en sind. Sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Dis­kurs­theo­rien ver­ste­hen unter Öffent­lich­keit auch die Gesamt­heit der poten­ti­ell an einem Gesche­hen teil­neh­men­den Per­so­nen. Im Pro­zess­recht bezeich­net Öffent­lich­keit sowohl die Tat­sa­che, dass eine Gerichts­ver­hand­lung auch unbe­tei­lig­ten Per­so­nen zugäng­lich ist, als auch den Kreis der einer Gerichts­ver­hand­lung bei­woh­nen­den, nicht direkt betei­lig­ten Zuschau­er. „Sphä­re der zum Publi­kum ver­sam­mel­ten Pri­vat­leu­te“ (Haber­mas: Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit), „Netz für die Kom­mu­ni­ka­ti­on von Inhal­ten und Stel­lung­nah­men (…), das sich nach der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­dich­te, der Orga­ni­sa­ti­ons­kom­ple­xi­tät, und Reich­wei­te nach Ebe­nen dif­fe­ren­ziert, von der epi­so­dischen Knei­pe (…) bis zur abs­trak­ten, über Mas­sen­me­di­en her­ge­stell­ten Öffent­lich­keit“ (Haber­mas: Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit) „Öffent­li­che Ver­samm­lung“, „öffent­li­che Kund­ge­bung“, „öffent­li­che Ver­hand­lung“ (vor Gericht), im Gegen­satz zu „unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit“. Die Öffent­lich­keit von mög­lichst vie­len Ereig­nis­sen ist damit ein demo­kra­ti­sches Prin­zip. Pres­se und Rund­funk haben die Auf­ga­be, durch Berich­te, Repor­ta­gen oder Direkt­über­tra­gun­gen die Öffent­lich­keit auch über wei­te Stre­cken hin­weg her­zu­stel­len. Von „inne­rer Öffent­lich­keit“ spricht man im Zusam­men­hang von grö­ße­ren Grup­pen, Ver­ei­nen, Unter­neh­men oder sons­ti­gen Orga­ni­sa­tio­nen und Kör­per­schaf­ten. Sie bezeich­net die Gesamt­zahl der betref­fen­den Per­so­nen und unter­liegt den­sel­ben Gesetz­mä­ßig­kei­ten und orga­ni­sa­to­ri­schen Grund­mus­tern wie die „äuße­re Öffent­lich­keit“, wird aber von die­ser getrennt und unter Berück­sich­ti­gung des spe­zi­el­len Infor­ma­ti­ons­be­darfs bedient.

Die fein­sin­ni­ge Unter­schei­dung zwi­schen “inne­rer Öffent­lich­keit” und “äuße­rer Öffent­lich­keit” nimmt dabei etwas ins Visier (und ver­fehlt es), dem nach­zu­ge­hen ist. Eine Schicht zwi­schen Pri­vat­heit und Öffent­lich­keit. Die pri­va­te oder viel mehr noch: pri­va­ti­sier­te Öffent­lich­keit einer Grup­pe, eines Ver­eins, eines Unter­neh­mens, won der die “inne­re Öffent­lich­keit ” redet, reicht dabei nicht aus — reden wir eher von der ver­öf­fent­lich­ten oder öffent­li­chen Pri­vat­heit. Die Trans­pa­renz des Pri­va­ten ins Öffent­li­che hin­ein, gleich­zei­tig die Reduk­ti­on der Öffent­lich­keit bis an den Rand des Pri­va­ten. Aber nicht etwa von der media­len “Ver­öf­fent­li­chung”, heißt der Erstel­lung von “Doku­men­tar­ma­te­ri­al” in einem pri­va­ten Raum, das hin­ter­her ver-öffent­licht wird. Nicht den Geheim­nis­ver­rat. Die­se bestä­ti­gen viel­mehr durch die Ille­ga­li­tät der Grenz­über­tre­tung die Gren­ze und zie­hen sie umso kla­rer. Zu reden ist viel­mehr vom Bereich zwi­schen “öffent­lich” und “pri­vat”.

Es fehlt die Beschrei­bung der Schnitt­stel­le . Gesetzt es sei die Wand der Woh­nung (des Pri­vat­rau­mes also) oder des Autos: was ist dann die Wand? Und was wenn es die stei­ner­ne Wand nicht mehr gibt — oder nur für eine Sei­te gibt. Wenn also die vier­te Wand halb­durch­läs­sig ist. Trans­pa­rent für die Öffent­lich­keit — intrans­pa­rent für die dar­in Leben­den. Der Alb­traum dder Schüt­zer der Pri­vat­späh­re — tota­le Über­wa­chung. Leben auf dem Prä­sen­tier­tel­ler. Auf der Büh­ne.  Das ist der Unter­schied zum Papa­raz­zo-Film, der zwei­zei­ti­gen Ver­öf­fent­li­chung des woan­ders statt­fin­den­den Privaten.

Auf der trans­pa­ren­ten Büh­ne wis­sen die Dar­stel­ler, dass sie eine Rol­le spie­len. Inter­es­sant genug , dass die Sozio­lo­gie mit dem Begriff der Rol­le ope­riert und sie expli­zit vom Thea­ter über­nimmt. Denn die­se Rol­le wird der (poten­zi­el­len) Öffent­lich­keit dar­ge­bo­ten — und sie wird im Aus­tausch mit Öffent­lioch­keit ein­ge­nom­men oder gespielt. Es ist ein ver­öf­fent­lich­tes Pri­va­tes, das aber in der Ver­öf­fent­li­chung nicht mehr ein­fach pri­vat ist, son­dern  jen­seits des Intim­rau­mes poten­zi­ell durch öffent­li­che Beob­ach­ter geteilt wird — dann aber durch­aus bewußt ein­ge­setzt und genutzt wird. Es ist “das Sozia­le” — ein Raum, in dem Pri­vat­heit statt­fin­det, die aber für alle Betei­lig­ten unter dem Mög­lich­keits­vor­be­halt des Öffent­li­chen steht. Han­de­le im Sozi­al­raum jeder­zeit so, dass du es ertra­gen könn­test, dass die gesam­te Öffent­lich­keit dabei zuschaut, auch wenn du meinst, du han­del­test privat.

Es sind die Beob­ach­ter, die den Pri­vat­raum zum öffent­li­chen Raum machen. Es ent­steht eine eige­ne Schicht, eine trans­pa­ren­te Wand (dem Pan­op­ti­kum Fou­caults ver­wandt), die das Pri­va­te durch Beob­ach­tung nicht ganz ins Öffent­li­che ver­wan­deln — aber doch ins Sozia­le.  Und indem im Thea­ter die Beob­ach­ter im Publi­kum sich ins Pri­va­te des Dar­ge­stell­ten ver­tie­fen, wer­den sie selbst Teil des Sozia­len, indem sie die Rol­le des Beob­ach­ters ein­neh­men. Und wer­den nach dem Vor­gang, im Durch­gang durch den Applaus­rausch, der sie aus dem Sozia­len gemein­schafts­raum der Thea­ter­vor­stel­lung zurück­holt, zu einem ande­ren Sozi­al­raum, indem die Beob­ach­ter sich nun gegen­sei­tig beob­ach­ten kön­nen, in ihrer sti­lis­tisch “gesell­schaft­lich” auf­ge­ta­kel­ten Kör­per­lich­keit, in der der wel­ke Kör­per durch Schmin­ke und Kos­tüm zur sozia­len Rol­le wird.

Das ist zugleich übri­gens  die Struk­tur des Inter­nets — eine Form von Pri­vat­heit, die jeder­zeit sub spe­cie publi­ci­ta­tis ope­riert. Nur dass die Öffent­lich­keit zumeist gera­de nicht hin­schaut. Aber jeder­zeit hin­schau­en kann — und jeder­zeit sso gehan­delt, gepos­tet, gebloggt, geshared wer­den muss, als wür­den nicht nur die inti­men und pri­va­ten “Freun­de” zuse­hen, son­dern die Welt­öf­fent­lich­keit, die bei der Betrach­tung aus der Öffent­lich­keit her­aus aber selbst wie­der­um — pri­va­ter wird.  Bzw. sozi­al. Das zu ver­ste­hen, dass also das Inter­net ein Raum zwi­schen pri­vat und öffent­lich ist und damit sozi­al- wie es die Rede von Social Net­works oder Social Media sagt — wür­de vie­ler­lei Ver­wir­rung kas­sie­ren. Vor­aus­ge­setzt man ver­stün­de, was “sozi­al” ist. Und dass es das Thea­ter selbst ist.

Ich bin noch nicht ganz über­zeugt von mei­ner Argu­men­ta­ti­on. Macht sie Sinn? Oder geht sie schief? Jemand eine Idee?

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