Warum es für die Theater um Leben und Tod geht

Mai 17th, 2011 § 1 comment

Die letz­ten Jah­re haben ver­schie­de­ne Wirt­schafts­zwei­ge enorm durch­ge­schüt­telt. Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men mit ver­al­te­ten Geschäfts­mo­del­len sind an den Abgrund getau­melt oder abge­stürzt. Wir befin­den uns in einer Zeit rasan­ten Wan­dels. Dies vor­weg zu bemer­ken soll nicht dahin füh­ren, Thea­ter als Wirt­schafts­un­ter­neh­men zu bestim­men. Es soll ledig­lich die Umbruch­si­tua­ti­on bestim­men, in der es Thea­ter zu betrach­ten gilt.

Letz­tens hat­te ich – etwas übel­lau­nig – Thea­tern das Enden des inne­ren Siech­tums durch finan­zi­el­le Aus­trock­nung oder insti­tu­tio­nel­le Schlie­ßung an die Wand mene­te­kelt. Län­ge­res und inten­si­ve­res Nach­den­ken füh­ren nun dazu, die­ser düs­te­ren Visi­on zuneh­mend mehr Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit zu attes­tie­ren. Auch wenn der Rou­ti­ne­be­trieb in den bestehen­den Häu­sern dazu ver­lei­tet, das eige­ne Wei­ter­exis­tie­ren als beque­me Selbst­ver­ständ­lich­keit anzu­se­hen: es ist dem nicht so. Aus dem Bestand lässt sich der Fort­be­stand weder fol­gern noch for­dern. Das hat meh­re­re Grün­de, die offen­sicht­lich den Thea­ter­schaf­fen­den nicht wirk­lich klar gewor­den sind. Sie wer­den erst voll­ends sicht­bar, wenn das Bestehen­de vor der Folie sei­nes Her­kom­mens betrach­tet und also in eine „his­to­ri­sche“ Erzäh­lung ein­ge­ord­net wird – ohne dass damit aller­dings Anspruch auf „die“ Geschich­te „des“ Thea­ters erho­ben würde.

Tat­säch­lich ist die deut­sche (Stadt-)Theaterlandschaft kei­ne in his­to­ri­schen Dimen­sio­nen lang exis­tie­ren­de. Jen­seits der Le Roi s’amuse Hof­thea­ter in ita­lie­ni­scher Tra­di­ti­on ent­stan­den die deut­schen Stadt­thea­ter seit dem aus­ge­hen­den 18. Und beson­ders im 19. Jahr­hun­dert als Insti­tu­tio­nen einer erstar­ken­den und immer zah­lungs­kräf­ti­ger wer­den­den Bür­ger­lich­keit, die sich Abend­un­ter­hal­tung wünsch­te. Das heißt zwei­er­lei: Thea­ter ist mit einer Form von Bür­ger­lich­keit und mit dem Inter­es­se an Abend­un­ter­hal­tung ver­bun­den. Die Thea­ter­däm­me­rung der Gegen­wart nun hat mit bei­dem zu tun. Und mit einem Dritten.

 

Das Ende des Unterhaltungstheaters

Als Thea­ter als bür­ger­li­che Abend­un­ter­hal­tung sei­nen Sie­ges­zug im 19. Jahr­hun­dert antrat, erfüllt es einen bestimm­ten Zweck: Das Stadt-Bür­ger­tum, zu Geld gekom­men, woll­te nach (sonntag)nachmittäglichem Lust­wan­deln sich auch abend­li­cher Kurz­weil hin­ge­ben. Kauf­leu­te, Beam­te, Ange­stell­te, Ärz­te, Anwäl­te und Nota­re, Grund­be­sit­zer, mitt­le­re und gro­ße Unter­neh­mer ver­lang­ten nach Mög­lich­kei­ten, das mehr oder min­der hart erar­bei­te­te Ein­kom­men in Ver­gnü­gen umzu­mün­zen. Schau­spiel, Oper, Ope­ret­te – nicht ganz frei vom Ruch des Unschick­li­chen und für unver­hei­ra­te­te Frau­en nicht Geeig­ne­ten – lock­ten das Eta­blis­se­ment an wie Mot­ten das Licht. Wenn man was erle­ben woll­te, muss­te man ins Theat­re gehen. Eine nahe­zu mono­po­lis­ti­sche Posi­ti­on in Sachen Abend­an­ge­bot, für das es nun Geld, Zeit und Inter­es­se gab.

Heu­te ist das Mono­pol gefal­len. Der Kino­film ist zum all­ge­mein akzep­tier­ten Kunst­werk gewor­den, ins Kino zu gehen ist eine kul­tu­rell akzep­tier­te Abend­tä­tig­keit, die nicht nur finan­zi­ell güns­ti­ger zu haben ist, son­dern die zudem einer Indus­trie­men­ta­li­tät näher kommt, die sich nicht auf die Über­ra­schung des Pro­dukt­kaufs auf dem Bau­ern­markt ein­lässt, son­dern indus­tri­ell pro­du­zier­te Mas­sen­wa­re wegen ihrer Garan­tier des iden­ti­schen Geschmacks kauft. Ein Film kann nicht schief gehen. Ein Film in Mün­chen ist der­sel­be wie in Ham­burg. Der Film, den der Kri­ti­ker vor drei Wochen sah der­sel­be wie heu­te. Und John Way­ne ist nie­mals indis­po­niert. Das Risi­ko des tech­nisch repro­du­zier­ten Kunst­werks ist gerin­ger als das des jeden Abend neu erste­hen­den, das zudem unter dem­sel­ben Titel in Ham­burg ganz anders ist als in Bot­trop. Es hat im Übri­gen nicht die gesell­schaft­li­che Funk­ti­on des Thea­ters, von der gleich zu han­deln sein wird.

Dazu kommt das Fern­se­hen, das nicht nur die Repro­du­zier­bar­keit des Films in sich auf­nimmt, son­dern durch heu­ti­ge Kanal­viel­falt auch das Risi­ko redu­ziert, im „fal­schen Film“ gefan­gen zu sein. Zudem ist es weder ein finan­zi­el­les Risi­ko, sich für ein Pro­gramm zu ent­schei­den, noch for­dert es das Ver­las­sen des Hau­ses. Der Fern­seh­staat ist ein ande­rer Staat, als der Theaterstaat.

Der Fern­seh­staat in sei­ner ers­ten Aus­prä­gung, als es nur eine klei­ne Zahl an Kanä­len und ein zeit­lich begrenz­tes Pro­gramm gab, war ein Staat, der in sich die Bür­ger gleich­schal­te­te. Wer in den 70er Jah­ren auf­wuchs, wird mit Sesam­stra­ße, Bie­ne Maja, Pinoc­chio, Schwein­chen Dick, Plum­per­quatsch, Hase Cäsar, Väter der Kla­mot­te, Män­ner ohne Ner­ven, Wes­tern von Ges­tern, Bugs Bun­ny, Colt Severs, Dem Fahn­der, Lin­den­stra­ße und so wei­ter auf­ge­wach­sen sein. Eine gan­ze Gene­ra­ti­on inhalt­lich gleich­ge­schal­tet. Die Nati­on als Fern­seh­pu­bli­kum, deren älte­re Gene­ra­tio­nen Dur­bridge Kri­mis, Ohnes­org Thea­ter, Mil­lo­witsch, Komö­die am Ku’damm, Fuß­ball­spie­le, Dall­i­dal­li, Gro­ßer Preis, EWG, Was bin ich, Ken­nen Sie Kino, Mil­lio­nen­spiel, Ein Herz und eine See­le, Fuß­ball WM schau­ten. Und als sym­bo­li­sche Kon­sti­tu­ti­ons­sen­dung, deren gemein­schafts­stif­ten­de Kraft kaum zu über­schät­zen ist, die Lan­dung auf dem Mond. In die­sem Moment ent­stand die west­li­che Welt als Fernsehwelt.

Thea­ter  war hier zwar einer­seits Fern­sehin­halt, sogar mit Live­über­tra­gun­gen. Ande­rer­seits war es ein hoff­nungs­los pro­vin­zi­el­les und loka­les Unter­fan­gen, das sich durch sei­ner De-Fokus­sie­rung eig­ne­te, von Revo­lu­tio­nä­ren und Revo­luz­zern über­nom­men zu wer­den. Zwar war es eine Art Medi­um und mit Mas­sen­wir­kung aus­ge­stat­tet (was es für die Auf­rüh­rer inter­es­sant mach­te), zugleich stand es aber hin­rei­chend wenig im öffent­li­chen Fokus, um kei­ne poli­ti­schen Kul­tur­kämp­fe bei Beset­zung lei­ten­der Funk­tio­nen durch Per­so­nal zu pro­vo­zie­ren, das nicht unbe­dingt den Anfor­de­run­gen her­kömm­li­cher Pro­por­ze genüg­te. So liegt im Ent­ste­hen der Thea­ter-Erneue­rung eigent­lich schon der Nach­weis, das Thea­ter sei­ne gesell­schaft­li­che Rele­vanz nahe­zu ein­ge­büßt hat­te. Thea­ter war leich­te Beu­te für Revo­lu­tio­nä­re – anders als Fern­seh­an­stal­ten, Zei­tun­gen, Par­la­men­te. Die Laut­stär­ke und Pro­vo­kanz der Macher über­tünch­te die Über­kom­men­heit der Institution.

Video­re­kor­der und DVD Play­er sorg­ten für Stär­kung des hei­mi­schen Unter­hal­tungs­pro­gramms mit gleich­zei­ti­ger Stär­kung der Indi­vi­dua­li­tät der Abend­ge­stal­tung. Der Fern­se­her, gestar­tet als Natio­nal­pro­gram­mie­rer, wird zuneh­mend zum Altar der Indi­vi­dua­li­tät auf Jeder­manns Haus­schrein. Aus „hast du auch gese­hen“ wird „hab ich gese­hen, musst du dir auch mal aus­lei­hen“. Gleich­zei­tig erleb­te der Stamm­tisch eine natio­na­le Renais­sance in Form der auf­kom­men­den Restau­rant-Kul­tur, die erst über ita­lie­ni­sche und grie­chi­sche Loka­le dafür sorg­te, dass die wie­der­um immer rei­cher wer­den­de Klein­bür­ger­schaft sich aus­wärts für noch eini­ger­ma­ßen klei­nes Geld ver­kös­ti­gen konn­te. Zugleich fan­den sich Freun­des­krei­se zusam­men, die nach der Gleich­schal­tung auch hier die Frag­men­tie­rung der Gesell­schaft beför­der­ten und zu einer zel­lu­lä­ren Frag­ment­ge­sell­schaft vol­ler „neu­er Unüber­sicht­lich­keit“ führten.

Ein Gegen­pro­gramm schu­fen dazu Mas­sen­me­di­en als zu ihrem gro­ßem Glück die Wie­der­ver­ei­ni­gung eine The­ma­tik der Gesell­schaft­lich­keit und Zusam­men­ge­hö­rig­keit auf­brach­te, die eigent­li­che kei­ne Tages­ord­nung hat­te und gleich­zei­tig zu ras­sis­ti­schen, natio­na­lis­ti­schen Aus­schluss­be­we­gun­gen führ­te, die in Deutsch­land bis­her noch immer mit der natio­na­len The­ma­tik ein­her­ge­gan­gen sind. Und immer ein­her gehen werden.

Die­se natio­na­le The­ma­ti­sie­rung des Natio­na­len und die dar­auf fol­gen­de Debat­te rund um Natio­nal­öko­no­mien, Brut­to­ins­lands­pro­duk­te, Natio­nalrbeits­lo­sig­kei­ten, Natio­nal­ver­schul­dung, Natio­nal­schul­bil­dung, Natio­nal­si­cher­heit schaff­te es sogar, die mäch­tigs­te Umwäl­zung zu über­de­cken, die seit Mit­te der 90er Jah­re auch in Deutsch­land statt­fand: Das Zeit­al­ter der Inter­ak­ti­vi­tät und des Internet.

Die Mensch-Mensch-Inter­ak­ti­on wur­de ergänzt durch eine fröh­li­che Mensch-Maschi­ne-Inter­ak­ti­on, die nicht mehr nur das An- und Aus­schal­ten umfass­te, wie noch beim Toas­ter oder Fern­se­her, son­dern gegen­sei­ti­ge „Reak­ti­on“ mit­ein­an­der kop­pel­te. Der Mensch agier­te, die Maschi­ne reagier­te und zwang wie­der­um den Men­schen zur Reak­ti­on. Was bereits in den spä­ten 70ern und 80ern als Tele­spie­le für Ver­brei­tung sorg­te, wur­de nun als Com­pu­ter­spiel oder Com­pu­ter­pro­gram­mie­rung zu einem neu­en Beschäf­ti­gungs­feld, das kei­ner­lei Gesell­schaft­lich­keit mehr impli­zier­te, es sei denn, die Mensch-Maschi­ne-Dya­de sei geeig­net, Gesell­schaft­lich­keit zu kon­sti­tu­ie­ren. Thea­ter steigt an die­ser Stel­le sowohl for­mal als auch inhalt­lich aus. Es kann weder mit einer ent­spre­chen­den Inter­ak­ti­vi­tät auf­war­ten, noch haben Thea­ter­ma­cher sich dar­um bemüht, die­se kul­tur­ge­schicht­li­che Epo­ché zu reflek­tie­ren. Im Ver­gleich zu die­sen Inter­ak­ti­ons­for­men, die Men­schen und Maschi­nen umfasst, wirkt Thea­ter unge­fähr wie die Male­rei­en von Las­caux in einer 3D-Kino­zeit. Man schaut sie sich aus paläo­his­to­ri­schen Erwä­gun­gen an. Aber sie sind weder aus die­ser Welt noch von die­ser Zeit. Als Unter­hal­tungs­an­ge­bot hat Thea­ter aus­ge­dient. Und Stadt­ge­sell­schaf­ten kon­sti­tu­ie­ren sich bes­ten­falls in Fußballstadien.

Nun kann man die Fra­ge stel­len, wie Thea­ter in die­se Unter­hal­tungs­welt wie­der ein­dringt. Als mul­ti­me­dia­les Muscial? Als ubi­qui­tä­re, die Thea­ter ver­las­sen­de Ver­an­stal­tung à la Rimi­ni. Als „Ver­fil­mung“ kul­tu­rell hoch­wer­ti­ger Roma­ne? Als Mom­u­men­ta­li­tät (wie das Kino mit Ben Hur auf das Fern­se­hen reagier­te)? Ich habe mei­ne Ant­wort. Ande­re mögen ihre eige­ne finden.

Im nächs­ten Teil wird es dar­um gehen, wie das Thea­ter sei­ne Funk­ti­on für die Kon­sti­tu­ti­on von Bür­ger­lich­keit ver­lor (bzw. die Bür­ger­lich­keit, die sich im Thea­ter kon­sti­tu­ier­te verschwand).

§ One Response to Warum es für die Theater um Leben und Tod geht

  • Postdramatiker sagt:

    Zu die­sem Arti­kel gabs einen Spam-Kom­men­tar, den ich natür­lich nicht als nicht-Spam klas­si­fi­zie­ren kann, der aber so schön ist, dass ich ihn wenigs­tens zitie­ren will:

    Ja wenn da mal so ein­fach ware.Das Suchen und Buchen gestal­te­te sich mehr als schwie­rig. Das Retro­ho­tel das wir ange­mailt haben mel­de­te sich dann doch schon nach vier Tagen und zwei­ma­li­ger Nach­fra­ge kei­ne Zim­mer frei. Ein Fah­rer empor­te sich dann Jetzt steht der auch noch im Weg..Ich habe ihm dann freund­lich emp­foh­len flott wei­ter­zu­fah­ren und noch ein scho­nes Rest­le­ben gewunscht.

What's this?

You are currently reading Warum es für die Theater um Leben und Tod geht at Postdramatiker.

meta