Ein hochdramatisches Stück — mit etwas langweiligem und langatmigem ersten Tag.
Geplant ist, dass die nächsten Tage täglich hier erscheinen. Sie sind noch nicht fertig — das ist aber manchmal so bei Urhebungen. Und nun: Vorhang auf.
Erster Akt: Menschen haben Ideen und erfinden oder produzieren Dinge. Sie schreiben Texte, malen Bilder, komponieren Musik, fotografieren, musizieren und so weiter. Der Urheber all dieser Dinge hat das Urheberrecht daran. Ihm gehört die Idee. Wenn er sie weitergibt und sie verbreitet gehört jederzeit dazu gesagt, wer der Urheber ist. So weit so einfach. Ein ideelles Anrecht.
Zweiter Akt: Menschen suchen Ideen und Unterhaltung. Sie möchten sich lange Abende mit Musik oder Büchern vertreiben, die gute Nachricht der Religion lesen, das Neueste aus aller Welt mitbekommen. Sie wünschen sich Bilder, Fotos und so weiter. So weit so schön.
Dritter Akt: Menschen entdecken, dass sich die Ideen der einen gut dazu eignen, das Bedürfnis der anderen zu erfüllen. Sie haben keine Idee außer einer einzigen: Wir bringen Ideen und daraus entstehende Werke von denen, die sie sich ausgedacht haben zu denen, die sie sich wünschen. Die Organisation der Verbreitung lassen wir uns bezahlen – und ein bisschen mehr. Wir sorgen dafür, dass möglichst viele Menschen erfahren, welch tolle Werke sie von uns bekommen können. Außerdem sorgen wir auch für die physikalische Vervielfältigung des Werkes und knüpfen an diesen physikalischen Gegenstand die Produktförmigkeit: Das physische Buch, die physische Platte wird gegen Geld angeboten.
Vierter Akt: Die Menschen aus dem ersten Akt stellen fest, dass man zwischen zwei Ideen was essen muss. Irgendwo wohnen. Kleiden. Und so weiter. Und dass da ja Leute im dritten Akt aufgetreten sind, die sich für die Verbreitung ihrer Ideen bezahlen lassen – und davon ganz gut leben. Warum sollen nur die Verbreiter (die sich inzwischen Verlage, Galeristen, Musikproduzenten usw. nennen) davon leben können und nicht auch diejenigen, die ihre Zeit investieren, um Ideen zu haben und auszuarbeiten. Sie lassen sich also die Nutzung ihrer Werke vergüten. Das kommerzielle Verwertungsrecht kommt zum Urheberrecht hinzu. Jetzt muss aus dem Geld, das die Menschen des dritten Aktes (im Folgenden: Verleger) von den Menschen des zweiten Aktes (im Folgenden: Rezipienten) kassieren ein Teil an die Menschen des ersten Aktes (im Folgenden: Urheber) abgetreten werden. Die Tantieme. Kunst- und Büchermarkt entstehen, drumherum die Kulturindustrie.
Fünfter Akt: Es treten weitere Mediatoren auf – denen des dritten Aktes vergleichbar, aber etwas anders. Sie betreiben Radiostationen und spielen dort Musik. Sie verleihen Bücher in Bibliotheken. Sie drucken Reproduktionen von Bildern. Zudem erscheinen Vervielfältigungsmaschinen: Kassettenrecorder, Fotokopierer. Die alle müssen nun auch einen Obolus an die Urheber zahlen, obwohl sie nicht im engsten Sinne deren Ideen kommerziell abrechenbar (also: gegen Einzelstückbezahlung) nutzen. Die Verwertungsgesellschaften (VG Wort, GEMA usw) entstehen nach 1965 auf Grundlage des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes.
Damit endet der erste Abend des Bühnenspiels. Alles scheint in wunderbarer Harmonie und Ordnung — aber halt. Was ist das? Schreck. Graus. Ohnmacht: das Internet erscheint!
Wir setzen fort mit dem zweiten Abend