November 29th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Nach dem Drama – kommt was? § permalink
Wiewohl schon die Frage nach dem „nach“ eigentlich noch eine zutiefst dramatische ist, ist sie legitim. Und die Ausrufung des Postdramas, so sie nicht nur ein gewandter Wortwitz belieben soll, ist nicht die hinrichende Antwort darauf.
- Er: Nein. Das Spiel.
- Sie: Das Postdrama?
- Er: Was kommt nach dem Drama.
Das Drama ist nicht nur eine Form, es ist zugleich Ausdruck einer Ideologie. Und einer Weltsicht, die es zumindest zu befragen, wenn nicht zu bekämpfen gilt.Das Drama sieht den Helden und seinen Antagonisten. Einige Hilfsfiguren. Es sieht einen Kampf oder ein Ziel. Es hat Anfang, Mitte und vor allem: ein Ende, das aus der Geschichte selbst begründet ist. So wollte es Großvater Aristoteles auch von der Tragödie:
„Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt. Eine Mitte ist, was sowohl selbst auf etwas anderes folgt als auch etwas anderes nach sich zieht. Demzufolge dürfen Handlungen, wenn sie gut zusammengefügt sein sollen, nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden, sondern sie müssen sich an die genannten Grundsätze halten.“ (Poetik)
Im Gegensatz dazu das Spiel: Das beginnt und endet zwar auch. Aber Beginn und Ende sind nahezu willkürlich gewählt. Denken wir nur an das Fußballspiel oder den » Read the rest of this entry «
November 23rd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Der Heilligenschrein der Gesellschaft § permalink
… ist das Theater. Dochdoch. Natürlich. Nicht wirklich überraschend? Dennoch. Dennoch. Wo kann Gesellschaft entstehen? Wo sich in Versammlung konstituieren? In der politischen Demonstration auf der Straße? Sicherlich. Aber das setzt bereits vorab konstituiertes Gemeinsames voraus. Ein gemeinsames Anliegen etwa. Und eine Gesellschaft wird nicht nur durch ein Anliegen Gesellschaft. Die gesellschaftliche Autopoiesis setzt keinen Rekurs auf eine oder von einer gemeinsamen Sache voraus. Kann sie nicht. Sie zerfiele, wäre die Sache erreicht. Oder geschwunden. (Müsste man jetzt auf Tönnies Gemeinschaft und Gesellschaft referenzieren? Weiß ich nicht.)
Konstituiert sich Gesellschaftlichkeit in der Menge und als Erfahrung von Gemeinschaftlichkeit im Fußballstadion? In der Kirche? Beides scheinen die letztverbliebenen Orte einer Entstehung von Gemeinde zu sein. Gläubige oder Fans. Anhänger und Schlachtenbummler. Jeder erscheint zu seinem Dienst regelmäßig. Und ist auch in der Ferne doch irgendwie mental dabei. Nicht nur Identität wird gestiftet. Sondern eben auch Gemeinschaft. Aber ist das eine Gemeinschaftlichkeit, die auf das Politische blicken kann? Fußball ist dezidiert außerpolitisch. Und Religion und Kirche sind viel zu individualistisch auf das egoistische Seelenheil des Einzelnen fixiert (Nietzsche schon witterte » Read the rest of this entry «
November 23rd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Ende der Friedenspflicht, liebe Theater! § permalink
Und dabei waren sie doch so nett, die Theater. Zur Lokalpolitik. Brav wurde Kürzungen zugestimmt. Brav GmbHs gegründet, brav gespart an den Produktionsbudgets und den Personalkosten. Brav sich entschuldigt wenn dem Großkritiker der Block aus der Hand genommen wird. Brav sich gerechtfertigt, wenn die Namen von Milliardären vorgelesen werden. Brav war man, so brav. Und nun hats nichts genützt. Das erste Theater wankt und fällt unter den Streichen des fiskalen Rotstifts. Das Wuppertaler Theater geht – über den Jordan (Nachtrag: Unter heftiger Anteilnahme auf Nachtkritik). Und sogleich findet sich ein Politikwissenschaftler, der das einen richtigen Anfang findet und anderen Städten Nachahmung empfiehlt. Herrjeh, da war doch ein Konzeptdramaturg am Werk. Ein Politikwissenschaftler! Wo doch das Theater. So. Politisch. Wichtig. Ist. Oder nicht?
Liebe Theater, möchtet ihr vielleicht vor dem Sterben wenigstens noch einmal ein ganz klein wenig politisch aufsässig werden? Nur einmal? Wos doch jetzt eh nicht mehr drauf ankommt. Vielleicht. Denn wenn die Krise nicht in den Theatern ankommt — werden die Theater in der Krise enden. Weggespart. Wo wir doch alle. Sparen. Müssen.
Es passt zu diesem Tag sehr gut die Meldung unseres Kriegähnlichkeitsministers Guttenberg, dem Erfinder des Hochdrucks mit beweglicher Heißluft, die da besagt, dass es ein Ende haben muss mit ausnahmsweisen Auslandseinsätzen. Nein – nicht mit den Einsätzen. Sondern damit, dass sie für eine Ausnahme erklärt und gehalten werden. Bellum perpetuum – 1000jähriger Krieg. Da ist Deutschland dabei. Schließlich ist der Krieg der Vater aller … ja was eigentlich? Aller Toten? Aller Gottsverlassenen Idioten aus dem Hause Guttenberg?
November 23rd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Digitale Disruption 3 — Schwinden der Arbeit § permalink
„Lothar Späth und der frühere McKinsey-Manager Herbert A. Henzler haben im Jahr 1993 eine Berechnung angestellt: Was würde passieren, schöpfte man das technisch machbare Automationspotenzial in der Bundesrepublik voll aus? Die Antwort: Eine Arbeitslosigkeit von 38 Prozent wäre normal. Eindrucksvoll bestätigte eine weitere Studie der Universtität Würzburg im Jahr 1998 die Annahme der Autoren: Allein im Bankensektor liegt das Automationspotenzial bei mehr als 60 Prozent, im Handel immer noch bei mehr als der Hälfte des gegenwärtigen Beschäftigungsstands. In diesen und vielen anderen Sektoren ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Potenziale ausgenutzt werden.“ ) BrandEins 07/2005: Der Lohn der Angst)
Gesetzt den Fall es sei so. Gesetzt den Fall Späth, Rifkin und der Bericht der Bayerisch-Sächsischen Zukunftskommission hätten recht. Gesetzt den Fall, die Arbeit im klassischen Sinne käme an ein Ende. Wie soll die Finanzierung der Gemeinschaft und jedes Einzelnen gesichert werden, die als nahezu gottgebene Selbstverständlichkeit von der Arbeit abhängig betrachtet wird? Dabei ist nicht vom Ende des Reichtums die Rede — nur vom Ende der Arbeit. Wo sind die politischen Rezepte, die glaubhafte Lösungen erarbeiten? Das Herunterschrauben der Niedriglöhne bis eine Vollzeittätigkeit staatlicher Zuschüssen bedarf, um als Lebensunterhalt zu genügen, ist diese Lösung nicht. Sie färbt lediglich Arbeitslosenstatistiken schön. Das bestehende Wirtschaftssystem kommt mit weniger menschlicher Arbeitskraft aus, als zur Verfügung steht. Wohin also mit diesen “Überflüssigen”. Aus Wirtschaftssicht handelt es sich um Überflüssige, die » Read the rest of this entry «
November 22nd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Digitale Disruption 2 § permalink
Neben dem Kulturbruch, den die Disruption beschreibt, steht auch die wirtschaftliche Disruption, für die der Name Deflation zu schwach wäre, im Raume. Die Disintermediation, der Wegfall von Teilen der Wertschöpfungskette, der aus den Ketten wieder die Zweierbeziehung mittelalterlicher Wochenmärkte im globalen Dorf des Netzes entstehen lässt, führt zu einem gewaltigen Kostensturz in der Produktion und Distribution der Wirtschaft. Digitalisierbare Güter lassen sich direkt vom Herstellerrechner auf den Kundenrechner oder das iPhone übertragen. Nichtdigitalisierbare Güter bedürfen des stationären Handels nicht mehr, sondern werden virtuell im Internet feilgeboten. Und im Zweifelsfall erst hergestellt, nachdem sie konfiguriert und bestellt wurden. Dieses „On Demand“ System, von dem IBM schon seit einem halben Jahrzehnt spricht, ist allenthalben Realität. Im KfZ-Bau sowieso. Aber auch in allen anderen Bereichen. Noch nicht bei den Lebensmitteln. Aber ansonsten nahezu überall.
Und das heißt: Die Kostenspirale dreht sich rasant abwärts. Die Maschinen produzieren effizienter. Die Abteilungen von F+E über Produktion über Lagerlogistik über Lieferlogistik und Preisgestaltung ist dabei, sich in ein gemeinsames gewaltiges IT-System zu integrieren, bei dem die Registrierkasse die Bestellung in Auftrag gibt (tut sie schon), die Produktionsplanung daraus die Bestellung an Material und die Personalplanung ableitet (tut sie schon, nennt sich ERP), die Logistik wiederum die nötigen Transportmittel bucht und ihre Wege plant. Das gesamte vernetzte System sorgt für einen Grad an Effizienz, wie es nicht mal bei den Heinzelmännchen geherrscht haben dürfte. Und der Grad der » Read the rest of this entry «
November 22nd, 2009 § Kommentare deaktiviert für Digitale Disruption § permalink
Um den Epochenwandel zu beschreiben, in dem wir uns befinden, ist der Begriff der Digitalen Disruption wunderbar brauchbar. Er lässt die Frage nach Evolution oder Revolution nicht nur offen – er überspringt sie. Denn die Verhältnisse sind tatsächlich mehr als revolutionär. Sie sind disruptiv. Wie eine Eisscholle, die auseinanderbricht und deren beide Teile in unterschiedliche Richtungen davon treiben. Nicht um jemand damit Angst zu machen, die untergehende Restscholle spaltet immer neue Teile ab, die in die rettenden Regionen abtreiben. Zugleich spalten sich von den eigentlich rettenden Teilen immer wieder solche ab, die in den Untergang sich aufmachen. Das Bild sollte einfach sein, wird kompliziert. Was will es sagen: Zwischen Netzwelt und Nichtnetzwelt gibt es einen Bruch. Einen tiefen Bruch, Zwischen Generationen. Zwischen Unternehmensmodellen und Wirtschaftssystemen. Zwischen Staatsformen. Zwischen Lebens- und Arbeitsformen. Das Neue und das Alte ähneln einander nicht. Das Neue ist keine Form des Alten. Es ist ganz anders. Und das macht es schwer, die erkämpften Standards hochzuhalten und anzubringen, wo sich ihre Anwendbarkeit verunklart. Ist der Selbständige und Freiberufler » Read the rest of this entry «
November 15th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Tribalisation und Schrifttheater § permalink
Sich dem real existierenden zuzuwenden kann jederzeit eine gute Idee sein. Ob es eine gute Idee ist, die eigenen Forschungsinteressen bruchlos auch dem Publikum vorstellen zu wollen und “die Realität” oder “reale Experten” oder “authentische Menschen” auf die Bühne zu stellen, heißt: zu glauben, der Forschungsprozess bleibe als Gespielter oder Inszenierter noch immer Forschungsprozess oder eine Teilnahme an Realprozessen und theatraler Flagge entschleiere noch immer diese Prozesse. Man müsse also die Realität nur auf die Bühne bringen oder die Theaterzuschauer in die Realität als Betrachter setzen. Man hüte sich hier vor Naivität. Denn ähnlich wie Midas verwandelt auch Theater alles was es berührt. Nicht in Gold. Aber in Theater. “Realität” hat Platz im Theater — schließlich ist Theater relativ “real”. Aber beide verweben sich komplex ineinander, sodaß Realität im Theater keine Realität mehr ist sondern zu einer anderen oder etwas anderem als Realität wird.
Nun aber – was folgt daraus? Die radikale Hinwendung zum direkt Umgebenden realen führt zur radikalen Lokalisierung und Personalisierung von Theater. Anders gesagt: Tribalisierung. Stammesbildung wie zu Zeiten der Neuberin. Mehr oder minder mobile Schauspieltruppen, wie sie durch Lessings Initiativen für stehende Bühnen bekämpft wurden. Und zwar aus gutem (nicht im Überleben der Schauspieler gegründeten) Antrieb. Gleichzeitig mit dieser Form des stehenden Theaters, das sich der Literatur zuwandte, entstand der Rechtsstaat. Mählich und » Read the rest of this entry «
November 15th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Wirtschaftsdämmerung § permalink
Nehmen wir an, das grundsätzlich stabile Wirtschaftssystem werde nicht ab und an durch Krisen erschüttert. Sondern das grundsätzlich instabile Wirtschafssystem werde lediglich zeitweise durch pausenhafte Momente der Ruhe charakterisiert. Die selektive und grundsätzlich positive Wahrnehmung der Menschen führe lediglich dazu, die stabilen Zwischenzeiten fälschlich für eine Basis zu halten.
Die Schwierigkeit besteht darin, den Beginn der gegenwärtigen Krisen zu finden. Nicht nur aus geschichtsphilosophischer Schwäche des Blicks. Finanzkrise alias Old Economy Krise. Davor die New Economy Krise alias Börsenkrise. Davor die Rationalisierungskrisen, Ölkrisen, Japankrise, Fernostkrise. Gibt es irgendwo im Netz vielleicht eine Aufstellung der Krisen? Ich behaupte: Sie fügen sich fast bruchlos aneinander bis hin zur Erfindung der Dampfmaschine, Eisenbahn usw. Die Wirtschaftskrise und damit die Krise der Arbeit und Arbeitslosigkeit ist 200 Jahre alt.
Unterbrochen wird diese Krise nur durch die Kriege und ihre Zerstörungen – inklusive der darauf folgenden Wiederaufbauphasen, die in ihrer letzten Phase zu einer Reichtumspause führen. Heißt: Wenn alles aufgebaut ist und die Routine dazu führt, dass trotzdem wie blöde weiter geschuftet wird – führt dies zu einer Phase des großen Wohlstands. Deutschland in den 60er/70er Jahren. Danach gibs schon wieder abwärts. Und diese Abwärtsbewegung hält an und setzt sich fort. Geschichtsphilosophisch betrachtet.
November 14th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Von der Geschichte zum Netz und zum Spiel § permalink
Wenn das „Ende der Geschichte“ nicht substanzialistisch die Vollendung des Weltgeschehens, sondern vor allem das Ende der Geschichte als Form meint (und dabei nicht auf Erinnerung verzichtet), also das Ende der geschichtsphilosophischen, eschatologischen, teleologischen, dekadenzlogischen Erzählungen – dann ist dieFrage, was das Heraufziehen des Netzes als Nachfolgeform der Geschichte für Implikationen haben wird.
Luhmann ist der vorausschauende Beschreiber dieses Paradigmas im Namen des „Systems“. Étienne Souriau nannte es „Jeu“ oder (nach Gozzi/Polti) “situation”. Die Strukturalisten mögen es Struktur genannt haben. Wo die Geschichte das Nebeneinander zeigte, zeigt das Netz das Nebeneinander. Wo die Geschichte das ungleichzeitig Folgende zeigte, zeigt das Netz das gleichzeitig Interdependente. Das Spiel (übrigens ist das Spiel kein Gegensatz zum Ernst!). Weitere Überlegungen folgen. Zu Souriau gibts Einiges in meinem Text “Etienne Souriaus Theorie dynamischer Theatersituationen”
November 12th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Arbeit oder Muße — die Frage nach dem Ziel des Fortschritts § permalink
Seit schriftliche Überlieferungen existieren, tauschen Autoren ihre Meinungen aus darüber, ob es besser sei, ein Leben in Muße zu führen (und dementsprechend Arbeit eher Sklaven gebühre) oder nur Arbeit das Leben sinn- und wertvoll mache. Wert oder Strafe. Die eine Gesellschaft verurteilt ihre Häftlinge zur Zwangsarbeit. Die anderen sperrt sie in Arbeitslosigkeit ein. Bei Otium finden sich wundervolle Zitate dazu. Folgende Frage steht im Raum (und solte auch in den Bühnenraum):
Hat nun der technische Fortschritt das Ziel, die Produktivität der Arbeitskraft zu erhöhen? Oder die Effizienz des Mitteleinsatzes? Soll bei gleicher Arbeit mehr rauskommen – oder dasselbe mit weniger Arbeit erledigt werden. Schafft der technische Fortschritt mehr Freizeit oder mehr Reichtum?
Unsere Gegenwart wird nicht zuletzt durch diesen nicht thematisierten Gegensatz in der Spannung gehalten, die sie zu zerreißen droht. Denn die Mehr-Leistungs- » Read the rest of this entry «