Januar 28th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Sich Gesellschaft leisten — Brecht § permalink
Da “Sich Gesellschaft leisten” sich anzuschicken scheint, auf der einen oder anderen Bühne realisiert zu werden, ein guter Zeitpunkt für ein verblüffend passgenaues Brecht-Zitat:
Beziehungen der Menschen untereinander
Die meisten Beziehungen leiden darunter und gehen oftmals dadurch in die Brüche, daß der zwischen den betreffenden Menschen bestehende Vertrag nicht eingehalten wird. Sobald zwei Menschen zueinander in Beziehung treten, tritt auch, in den allermeisten Fällen stillschweigend, ihr Vertrag in Kraft. Dieser Vertrag regelt die Form der Beziehung. Er kann nur aus zwei Punkten bestehen, aber er ist trotzdem ein Vertrag, und jeder der Kontrahenten muß zum mindesten diesen Minimalvertrag einhalten, sofern er sich nicht der Gefahr aussetzen will, daß die andere Seite, Anstoß daran nehmend, ihren Vertrag und damit die sich darauf gründende Beziehung aufhebt. Was zuerst da ist, ist immer die Beziehung, der Vertrag setzt dann ein, wenn zum mindesten eine Seite erkannt hat, welchen Wert die andere Seite für ihn hat. Die menschlichen Verträge leiden meistens unter dem Nachteil, daß es wohl zwei Ausfertigungen von einem Vertrag gibt, aber die beiden Ausfertigungen voneinander abweichen. So hat zum Beispiel A. in seiner Vertragsurkunde in Bezug auf B. stehen, er verlange, daß B., mit dem er jede Woche einmal zum Pokerspielen zusammenkommt, ein erstklassiger Pokerspieler ist, daß er » Read the rest of this entry «
Januar 26th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Manche Dinge scheinen sich nie zu ändern — zum Beispiel die Veränderung § permalink
Die alte Form des Dramas ermöglicht es nicht, die Welt so darzustellen, wie wir sie heute sehen.
Brecht, Über experimentelles Theater, 47.
Das liegt allerdings nicht daran, dass die dramatische Form sich nicht geändert hätte. Sondern dass die Welt und ihre Ansicht sich unter der egwandelten Form wiederum weiter bewegt haben. Postwelt. Postdramaturgie. Postdrama. Postpostdrama. Whatsoeverdrama.
Januar 25th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Die Frage der Form § permalink
Können wir in der Form des Jambus über Geld sprechen?
Brecht, Über experimentelles Theater, 54
Januar 24th, 2010 § Kommentare deaktiviert für “Das Theater ist tot” — Brecht § permalink
Das Theater mag in den letzten Jahren einige vereinzelte erträgliche Aufführungen gehabt haben, ein oder zwei Leute, die in einem neuen Theater Gutes leisten könnten, mögen ihre Eignung gezeigt haben. Aber im ganzen ist das Theater so tot, als es nur sein kann. Das ist eine unangenehme Auffassung für alle, die noch beim Theater sind, aber eine auch noch so gemäßigte Zufriedenheit mit dem Theater, so wie es jetzt ist, wäre lediglich der Beweis einer beklagenswerten Anspruchslosigkeit. Ja, jedes kleinste Zeichen von Zufriedenheit mit diesem Theater bei einem, der drin war, würde nur seine Uneignung für wirkliches Theater klar erweisen. Und die allgemeine ungeschminkte Unzufriedenheit, die immer mehr um sich greift, ist darum das einzige Zeichen von Zukunft, die das Theater vielleicht noch hat.
Brecht, 1926/27 (Schriften Bd 21, S.133f)
Hm. Zeit, Brecht intensiver zu lesen. Irgendwie war er ein Blogger. Und Nachtkritik wär vermutlich nach seinem Geschmack gewesen …
Januar 22nd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Liebeserklärung § permalink
.. an nachtkritik.de . Nicht so sehr wegen der Artikel. Jaja, gut gut. Artikel. Kritiken. Klug, reflektiert, manchmal besser, manchmal weniger gut geschrieben. Meistens besser als die meisten anderen Kritiken.
Sondern wegen der Kommentare. Ja — Falk Richter hat recht, diesem Furor unsicher entgegen zu treten. Ja — ich bin gespannt, wie’s mir geht, wenn mein Name auftauchen sollte könnte würde dürfte müsste. Abwarten. ABER: Die Verve, die Leidenschaft und die Unerbittlichkeit, mit der hier rund ums Theater, über Theater, für und wider Theater oder Aufführungen gefochten, geprügelt, gepöbelt, gestritten wird — ist aller Liebe wert.
Wenn dieses Feuer auf den Theaterbetrieb übergriffe, Theater wieder beginnen würden, die Lust an der Provokation und der Auseinandersetzung als hohes Gute zu empfinden — dann würde der schlafende Drache wieder zu Leben erwachen. Und vielleicht nur ein ganz subjektives Gefühl: Die Zeit des Theaters kehrt zurück. Die Ansprüche und Erwartungshaltungen an Theater steigen. Und das ist auch gut so! Und auf nachtkritik bricht der Morgen an.
Januar 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Post-Drama der Arbeitslosigkeit § permalink
Als Nachtrag oder Beitrag zum Thema “niederwertige Arbeit” und Verschiebung der Debatte hin auf die fundamentale politische Dimension im Folgenden ein Auszug aus “Das Politische zurück ins Theater” (Vortrag im Frankfurter Autorentheater 03.Mai 2009). Zur Frage inwiefern Arbeitslosigkeit den politischen Herrschern und (sich-sebst-ver-)Göttern die Stellung in einer Weise rauben könnte, wie es für den christlichen Gott durch das Erdbeben von Lissabon 1755 geschah:
[…] Die politischen Nicht-Götter, die keine Könige sind, stehen kurz und haarscharf vor der Dämmerung. Der Ring der Macht droht ihnen vollends abhanden zu kommen, weil die Geschichte und Erzählung, die sie trägt, schwindet und zwar rapide. Es ist die Erzählung der Arbeit. Ein Glaube, der Anstrengung fordert und dafür gerechte Entlohnung verspricht. Eine diesseitige Religion mit diesseitigem, materiellem Lohn. Oder eben sein Entzug bei Versündigung gegen die Forderungen dieses Glaubens.
Die traditionelle Erzählung von der Arbeit lautet: Iss als Kind brav dein Tellerchen leer, sitz gerade, kippel nicht, pass in der Schule fein auf, sei nicht aufsässig oder frech, lerne und sei strebsam, widersprich den Lehrern nicht, dann wirst du einen » Read the rest of this entry «
Januar 20th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Die Arbeit der Deutschen — eine Spekulation § permalink
Vielleicht gibt es zu dem Thema bereits Studien, Abhandlungen, Aufsätze, Dissertationen. Vielleicht suche ich danach, wenn Zeit dafür ist. Allemal aber zulässig ist, die zu verifizierende oder zu korrigierende These zu formulieren. Ein Antwortversuch auf die Frage: Warum hat in Deutschland und für die Deutschen die Arbeit einen so eminent moralischen, existenziellen und angstbesetzten Wert?
Das kann keine Angst vor dem biologischen Tod sein. Arbeitslosigkeit in Deutschland bedroht nicht die zoé, das “nackte Leben” von dem Agamben in Homo Sacer handelt. Anders als in Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg steht dieses nackte Leben nicht auf dem Spiel. Versicherungen und Sozialfürsorge schützen vor dem Absturz. Verglichen mit den Lebensbedingungen arbeitender Menschen in anderen Teilen der Welt oder auch mit Lebensbedingungen der Geschichte ist der Zustand der Arbeitslosigkeit in Deutschland sicherlich nicht lebensbedrohend. Trotzdem ist die “Angst vor Arbeitslosigkeit” die vermutlich verbreitetste und die Deutschen am ehesten einigende Massenemotion. In diesem Lande lassen sich viele oder alle Vieles oder Alles gefallen — nicht aber die Bedrohung ihrer Arbeitsplätze. Mit dem Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen lässt sich nahezu jedes politische Anliegen durchsetzen. Und was oder wer Arbeitsplätze zu bedrohen droht — ist chancenlos.
Natürlich lässt sich auf eine lange historische Tradition referenzieren, die in Deutschland der Wert der Arbeit hoch gehalten und noch gesteigert hat. Seien es religiöse Hintergründe (über die Verquickung von Protestantismus und Arbeit hat Max Weber Einschlägiges gesagt), der philosophische Idealismus der » Read the rest of this entry «
Januar 16th, 2010 § § permalink
Herr Koch, seines Zeichens gewählter Ministerpräsident in Hessen und angeblicher Nutznießer eines jüdischen Vermächtnisses, das sich leider später als illegale Parteispende erwies, fordert in einem Interview der WiWo mit dem hübschen Titel “Politik muss notwendige Härte haben” eine Arbeitspflicht für Hartz IV-Empfänger. Zitat aus dem Interview:
Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung. Dass er eben nicht bloß zu Hause sitzt.
So blubbern die Altlasten aus dem Schacht Roland. Gegenforderung meinerseits: Denkpflicht für Politiker. Nennen wir also Herrn Koch den Bundesarbeitsdienstminister. Wie wollen wirs machen, Herr Koch? Autobahnen bauen, die kein Mensch braucht? Denn diejenigen, die benötigt werden, werden von Menschen gebaut, die dafür in Lohnverhältnissen stehen (ohne allerdings davon garantiert ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Mindestlohnfrage — Sie wissen, schon …?). Bauen wir eine notwendige Autobahn mit Kocharbeitsdienstlern, werden die Lohnempfänger nichts mehr zu bauen haben und sich hinten in der Hartz IV Schlange anstellen. Natürlich könnten Hartz IV-Empfänger auch — ganz modern — Datenautobahnen bauen. Auch schön. Oder » Read the rest of this entry «
Januar 15th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Interessante Zahlen: Wachstum abwärts § permalink
Angesichts der auch in diesem Blog in letzter zeit diskutierten und anderswo beobachteten kritischen Betrachtung der Wachstumsgläubigkeit ist ein Artiker in der FR vom 14.01. nicht ganz uninteressant. Will heißen: gar nicht unbedingt der Artikel selbst, sondern eine zugehörige Grafik, die das Wachstum des letzten halben Jahrhunderts in Deutschland wiedergibt. Und bei aller Vorsicht gegenüber der Statistiken und daraus erstellter Grafiken ist doch ein sehr interessanter Verlauf zu sehen. Die allmähliche Abflachung des “Wachstums”, die Verkürzung des Wachstumszeiten, die Vertiefung der Wirtschaftseinbrüche. Es ergibt sich die Form eines Dinosaurierschwanzes — eine recht ausgestorbene Spezies mithin:

Das alles übrigens, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit relativ kontinuierlich » Read the rest of this entry «
Januar 14th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Elend der Theater/Kritik: Theater Heute § permalink
Lange, lange und zum großen Missgefallen von Umzugshelfern war ich Abonnent von Theater Heute. Sagen wir mal so um die 15 Jahre lang. Dann bestellte die großzügige Geschenkabostifterin dasselbe ein. Und die Lieferungen fanden nicht mehr statt. Ich kann nicht sagen, dass das ein tiefer Einschnitt in meinem Leben gewesen wäre. Eigentlich hab ichs kaum bemerk. Und dann kommt aber doch ab und an der Gedanke: Naja, man müsste wohl mal reinschauen. Und man geht zum Bahnhof, um es sich zu kaufen. Und schaut herein. Und vergleicht. Auf der einen Seite nachtkritik.de. Auf der anderen Theater Heute. Um es vorweg zu sagen: gäbe es nur die letzteres, würde ich in keinem Theater Deutschlands mehr ein Abonnement abschließen. Aus Sorge, diese Horte der Langweile lägen in ihren letzten Zügen und hauchten vielleicht in meiner Anwesenheit ihr Leben gänzlich aus. Erst angesichts der heftigen Debatten in den Kommentaren von nachtkritik keimt ein wenig Hoffnung auf, dass Interesse an Theater und kritisches Umgehen damit anderes sein könnte als ewige Selbstbenabelung und Etatkrämerei. Ein Blick auf Theater Heute.
Und gleich noch eines vorweg: Dass eine Zeitung heutzutage glaubt, ohne eine vernünftige Internetpräsenz inklusive Dialogmöglichkeit auskommen zu können, spricht eigentlich für sich. Erschütternde 9,80 Euro für ein Zeitung, die von studentischen Publikationen locker geschlagen würde. An Langeweile in etwa » Read the rest of this entry «