Lange, lange und zum großen Missgefallen von Umzugshelfern war ich Abonnent von Theater Heute. Sagen wir mal so um die 15 Jahre lang. Dann bestellte die großzügige Geschenkabostifterin dasselbe ein. Und die Lieferungen fanden nicht mehr statt. Ich kann nicht sagen, dass das ein tiefer Einschnitt in meinem Leben gewesen wäre. Eigentlich hab ichs kaum bemerk. Und dann kommt aber doch ab und an der Gedanke: Naja, man müsste wohl mal reinschauen. Und man geht zum Bahnhof, um es sich zu kaufen. Und schaut herein. Und vergleicht. Auf der einen Seite nachtkritik.de. Auf der anderen Theater Heute. Um es vorweg zu sagen: gäbe es nur die letzteres, würde ich in keinem Theater Deutschlands mehr ein Abonnement abschließen. Aus Sorge, diese Horte der Langweile lägen in ihren letzten Zügen und hauchten vielleicht in meiner Anwesenheit ihr Leben gänzlich aus. Erst angesichts der heftigen Debatten in den Kommentaren von nachtkritik keimt ein wenig Hoffnung auf, dass Interesse an Theater und kritisches Umgehen damit anderes sein könnte als ewige Selbstbenabelung und Etatkrämerei. Ein Blick auf Theater Heute.
Und gleich noch eines vorweg: Dass eine Zeitung heutzutage glaubt, ohne eine vernünftige Internetpräsenz inklusive Dialogmöglichkeit auskommen zu können, spricht eigentlich für sich. Erschütternde 9,80 Euro für ein Zeitung, die von studentischen Publikationen locker geschlagen würde. An Langeweile in etwa meinen letzten Leseerfahrungen der “Deutschen Bühne” gleich. Interesse, Begeisterung, Neugier für das, worum es Theatern geht (was nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit dem Theater selbst ist) — Fehlanzeige. Eigentlich spricht das Bild auf Theaterheute.de für sich und sagt alles:
“Hier finden sich nur historische Inhalte”. “Schauspieler und Dramaturgen geben Einblicke in den Prozess der Probenarbeit.” “Alle Premierentermine”. “Ein Überblick über die interessantesten Premieren”. Und jetzt soll ich das dann bestellen. Ich kann allerdings auch noch das Inhaltsverzeichnis darunter lesen — und hätte es tun sollen, bevor ich zum Bahnhof gestiefelt bin. Ich hätte es wissen müssen. Nichts davon ist auch nur ansatzweise interessanter als die berufsinformierenden Schriften der Arbeitsämter in Deutschland. Hinter den Kulissen. Auf der Probe. Hier ums Theater kämpfen. Da gehts um Etats. Irgendwie scheints wohl auch Aufführungen gegeben zu haben, die da besprochen werden. Ansonsten — ist man wohl entschlossen, sich mit der Finanzkrise den Berg hinunter treiben zu lassen.
Nun war ich beim Bahnhof, hab das Geld ausgegeben. Und werde nachdem ich das Wunschzettelchen des angeblichen Kulturstaatsministers Ramses II. überblättert und mich auch nicht ins Inhaltsverzeichnis vertieft habe auf Seite 5 mit der Frage konfrontiert: “Was machen eigentlich Theaterregisseure?” Darf ich sagen, dass mich diese Frage vor Lachen vom Stuhl gefegt hat? Und Entsetzen. Liebe Redaktion. Ihr seid im 51. Jahrgang (weiß das Impressum zu verkünden) und stellt euch JETZT diese Frage? Gut — verbuchen wirs als Naivität des Verfassers, als stilistischen Ausrutscher. Decken wir den Vorhang der Großzügigkeit drüber und blättern um. Und fange den Artikel selbst zu lesen an:
Die Legende erzählt, dass die ersten Dramaturgen ihre Büros in vergessenen Dachzimmern hatten. Wenn einer im Theater mal eine Frage zum Text hatte, musste er sich durch lange Korridore und über Hintertreppen von Etage zu Etage durchfragen, um dann eine scheue Figur beinverknotet in alten Texten vertieft vorzufinden, die prompt Antwort wusste. Allerdings vergaß der Bote, meistens ein Praktikant, auf dem langen Weg zurück zur Probebühne, was der Dramaturg gesagt hatte. […] Heute sind Dramaturgen näher dran an den Probenprozessen.
Das ist der Beginn des Aufmacherartikels von Theater Heute. Die Legende erzählt, dass diese Zeitung mal besser war. Und schrieb. Wovon redet dieser Mensch? Strauß, Wiens, Beil, Kipphardt — mal gehört? Wer davon ist die scheue Figur? Und wer ist heute “näher dran”. Überspringen wir diesen Artikel und verbuchen ihn in Gänze unter der Rubrik “Ausrutscher”.
Bernd Stegemanns Bericht über die Arbeitsweisen von Wieler und Stemann — langweilig. Meinetwegen. Druckts halt. Ich les es nicht. Aber vielleicht muss man ja auch nicht alles lesen. Als nächstes erzählt Eva Behrend von einem Abend, den sie offenbar im Theater verbracht hat. Im Wiener Akademietheater sogar. Da ist so manches auf der Bühne passiert. Was nicht weiter überrascht. Wie auch der Rest des Artikels. Frau Behrend — warum zum Teufel schreiben Sie diesen Artikel. Und warum soll ich ihn lesen? Warum schreiben Sie Sätze wie diesen:
Dagegen wäre <Der Idiot> (2008, ebenfalls Zürich) einfach eine äußerst konventionelle Form von Quasi-Stanislawski-Theater gewesen, hätte Monika Pomale den vollständigen Hausrat einer russischen Adelsfamilie im 19.Jahrhundert nicht in den spröden Beton der Schiffbauhalle verpflanzt und auch noch mit purpurrotem Samtvorhang davon abgegrenzt.
Wow! Da haben wir Schwein gehabt, dass sie das geschafft hat. Apropos “spröder Beton” — weiter lese ich diesen Text nicht. Je weiter die Leseversuche vorangehen, desto zäher wird der Beton. Eva Behrendts Sammelbesprechung versucht offenbar das mangelnde Interesse der Autorin, sich mit einzelnen Inszenierungen auseinanderzusetzen, durch Masse (5 Inszenierungen auf einen Textschlag) zu kompensieren. Leider wird aber nur die Langeweile gesteigert. Routiniert reibungsfrei runtergeschrieben.
Dann folgt immerhin ein ganz lesenswertes (und sogar lesbares) Schauspielerporträt von Werner Wölbern, geschrieben von Till Briegleb. Ich würde mir wünschen, dass am Ende des Beitrags eine URL abgedruckt wäre, unter der ich mir vielleicht ein Gespräch zwischen den beiden anschauen könnte. Oder ein paar Ausschnitte aus der Arbeit von Wölbern. Das wäre schön. Fast schon modern. Fast schon “Theater heute” — aber bei Theater heute finden sich im Netz ja leider nur “historische Inhalte”. Und auf eine Webseite mit dem unglaublich blödsinnigen Titel “kultiversum” weigere ich mich zu gehen. Trotzdem — Briegleb macht neugierig.
Franz Willes Stück über Oliver Kluck — beginnt seltsam, wird fast interessant. Und stürzt dann ab in einen Text, den frustrierte Personaler in Unternehmen vor 40 Jahren mal als “Lebenslauf” akzeptiert hätten. Das Wort “uraufgelesen” allerdings ist sehr schön! So viel Zeit muss sein. Im Übrigen die Frage: Warum?
Dann das nächste Porträt. Und dann ein Text, der einen Zipfel Gegenwart jenseits der Theatermauern erhaschen will. Die ins Theater eindringende Wirklich- und ‑samkeit “heute”. Wuppertal. Beschreibung der finanzklammen Lage. Hinweis auf die bedrohte “Kulturversorgung” — was für ein Wort! Diagnose “Die Krise hat die Theater erreicht.” Aha. Welche eine Überraschung. Denn in Anbetracht der vorhergehenden Artikel dieser Ausgabe scheint Theater doch etwas zu sein, das weder heute noch hier noch überhaupt in einem realen Raum stattfindet. Als würde das Theater heute in Takatukaland um sich selbst kreisen können, sollen oder müssen nimmt Theater heute es in den gelangweilten Blick. Und warum eigentlich soll ein Theater, wie es aus den Beschreibungen dieses kritikversorgenden Leitmediums mit 15.000 Exemplaren Auflage herausschaut, eigentlich überleben? Warum sollte ein Theater nicht durch die Krise in seiner Existenz bedroht sein, wenn zugleich über 6 Millionen Menschen Hartz IV beziehen. In Zahlen: SECHS MILLIONEN. Wenn in Berlin 35,9% der Kinder von Sozialhilfe leben müssen (Quelle: BrandEins). Warum soll eine so grundlangweilige Institution, wie es Theater heute gemäß Theater heute zu sein scheinen, überleben? Gibt es einen solchen Grund? Macht es Sinn, diesen Grund herauszufinden? Hat Theater in der Krise etwas zu suchen, zu sagen, zu finden? Oder ist es so lleonceundlenalebenüberdrusslangweilig, wies aus diesem Druckwerk spricht?
Ich schließe Artikel und Augen mit dem Fazit: Das Abo von Theater heute wird nicht wieder aufgenommen. Der Erwerb wird nicht wiederholt. Die satte, sarkastisch-zynische Vorschau aufs Februarheft (“Immer schön authentisch blieben…”, “Neue Stücke von alten Bekannten”, “Alle paar Jahre wird William Shakespeare mal wieder als Pseudonym entlarvt…) lässt das nächste Hochglanzdesaster erahnen. Die gesparten Euro werde ich spenden. Irgendjemandem, bei dem die Krise schon viel länger angekommen ist.
Und packende Diskussionen rund um Theater — nur noch auf nachtkritik.
P.S. Bevor irgendjemand auf dumme Gedanken kommt. Ich bin mit nachtkritik in keinster Weise verbunden, den Machern nicht verpflichtet, erwarte mir weder Gegengabe noch Besprechung. Nur weiterhin die Plattform für Verbalschlägereien rund um Theater und seine Welt. Wie diesen rund um Peymann und Goldoni. Oder die 11 Kommentar-Highlights des Jahres 09. Unglaublich, wie viel Kraft die Debatte um Theater heute entfalten kann.