Juni 29th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Boltanski/Ciapello über die vernetzte Welt § permalink
Da ich in letzter Zeit die Reflxion über die Netzdramaturgie etwas habe schleifen lassen, wenigstens eine zitierende Anknüpfiung an die soziologische Dimension, an Boltanski/Chiapello Der neue Geist des Kapitalismus:
Mehrere Indizien deuten […] darauf hin, dass die Netzmetapher allmählich eine neue, allgemeingültige Gesellschaftskonzeption darstellt. [187;…] Die Entwicklung der hier so genannten konnexionistischen Welt und das allmähliche Entstehen einer projektbasierten Polis, durch die sich diese Welt einer Gerechtigkeitsnorm beugen muss, bilden die wesentliche normative Basis, auf der der neue Geist des Kapitalismus beruht. [205;…] Im Mietverhältnis tritt eine dritte Komponente des Besitzes in den Vordergrund: das vollgültige, aber befristete Nutzungsrecht. In einer vernetzten Welt muss man dieser und nur dieser Komponente seine ganze Aufmerksamkeit widmen […] Das Mietverhältnis ist die Form, die dem Projekt, der Montage für eine befristete Zeit entspricht. [207;…] In einer vernetzten Welt […] verschwindet die Unterscheidung zwischen Privat- und Berufsleben tendenziell unter dem Eindruck einer doppelten » Read the rest of this entry «
Juni 28th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Ätschivederci Leistungsschutzrecht § permalink
Heute findet die Anhörung des Bundesjustizministeriums zum Thema Leistungsschutzrecht (wikipedia) statt. Zeitungsverleger, IT- und Online-Verbände diskutieren miteinander und mit dem Ministerium die Frage, ob und in welcher Weise die Leistungen von Zeitungsverlagen im digitalen Zeitalter geschützt werden können. Insbesondere was Zitate (Copy+Paste, Abtippen — auch umformuliert?) und Übernahmen angeht. Bei Carta (hier) wird diese Veranstaltung live bebloggt.
Da ich mir das Wochenende über einige Gedanken zum Thema Leistungsschutz, Urheberrecht (wikipedia), Copyright (wikipedia) usw. gemacht habe, verlinke ich auf die Debatte. Und werde hoffentlich so weit kommen, meinen Gedankengang in den nächsten Tagen wiederzugeben.
Mir ist — soviel vorab — aber zunehmend deutlich, dass es für dias herkömmliche Verlagsmodell keinerlei Zukunft gibt. Die künstliche Unterscheidung zwischen Journalisten und Bloggern (ein Kategorienfehler, der Kompetenz gegen Vertriebsplattform stellt — ist ein bloggender Journalist ein bloggender Journalist oder schließen sich Journalismus und Bloggertum aus?), der krampfhafte Versuch » Read the rest of this entry «
Juni 25th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Trier ist erstaunlich rührig — nächste Tagung zu postdramatischem Theater § permalink
Ich bin verblüfft, erstaunt, überrascht, erfreut, dass sich die kürzlich erst von mir entdeckte Stadt Trier al ein echtes Zentrum theatraler und insbesondere postdramatischer Reflexion entpuppt. Gerade fand ich beim Herumsurfen einen ziemlich interessanten (wenn auch schon abgelaufenen) Call for Papers für eine spannende Konferenz im November:
Theater des Anderen. Geschlecht und Alterität im postdramatischen Theater.
… [Das] postdramatische Drama und Theater ist – so unsere Ausgangsbeobachtung – durch eine spezifische Auseinandersetzung mit Alteritäten gekennzeichnet. Dies betrifft die Kategorie Geschlecht ebenso wie Ethnizität oder körperliche ‚Normalität’. Die Tagung zielt darauf zu untersuchen, wie sich dies erstens in der dramaturgischen Konzeption von » Read the rest of this entry «
Juni 24th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Der Fluch der nicht-entfremdeten, selbstverwirklichenden Arbeit § permalink
Was haben Utopisten und Freiheitskämpfer nicht geträumt: von einer Arbeitswelt ohne Entfremdung. Ohne Roboterisierung und Mechanisierung des Menschen. In der der Arbeiter nicht mehr nur das Teil als seelenloses Teil produziert, sondern als Teil eines Ganzen wahrgenommen, anerkannt, gewürdigt wird — und selbst den Stolz darauf genießen kann, sich in ein ganzes Nicht-Ich (mit)entäußert zu haben, aus dem er sich selbst anblickt und als Ich verwirklichen kann. Eine Arbeitswelt, die den ganzen Menschen mit all seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten, mit Herz und Hirn einbezieht und seine Unersetzlichkeit und Einzigkeit herausstellt.
Ein schöner — Albtraum, wie sich zunehmend zeigt. Schon Boltanski/Chiapello haben darauf hingewiesen, dass der Geist des Kapitalismus sich gerne von seinen Kritikern und Gegnern inspirieren und revitalisieren lässt. So auch von den 68er-Forderungen nach nicht-entfremdeter, selbstverwirklichende Arbeit. Und die Konsequenz? Beschreibt im Freitag gestern ein schöner Artikel (hier) von Prof. Andreas Lange (hier) vom Deutschen Jugendinstitut (hier). Ich erlaube mir, einen Absatz zu zitieren (Hervorhebungen von mir):
Im Überblick gesehen bedingen Prozesse der Entgrenzung des Wirtschafts- und Arbeitssystems, dass gegenüber dem Referenzzeitraum der sechziger bis achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts erstens der relative Anteil von Arbeitsplätzen mit den Merkmalen Autonomie und » Read the rest of this entry «
Juni 23rd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Boltanski/Chiapello: Kapitalismus und Kapitalismuskritik als Geschwisterpaar § permalink
Bin zunehmend beeindruckt von Boltanski/Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus. Insbesondere von den gegenseitigen Abhängigkeiten beider voneinander und der These, dass der kapitalistische Geist sich letztlich der antikapitalistischen Kritik und der Einwände bedient, um sich weiter zu entwickeln. Für mich etwa verständlich bei der Überwindung der Ölindustrie durch ökologische Kritik und der Schaffung neuer Geschäfts- und Gewinnfelder in der Öko-Energieindustrie. Oder in der Reaktion auf den Vorwurf entfremdeter Arbeit durch stärkere Einbeziehung des “ganzen Menschen” in der lean Industry.
Besonders spannend finde ich dabei momentan ihre Theorie der Kapitalismuskritik, die sie zunächst aus einer “im Grunde sentimentalen Empörung » Read the rest of this entry «
Juni 22nd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Das Politische als Groschenroman — Frank Schirrmacher in der FAZ § permalink
Lieber Frank Schirrmacher,
Sie werden sich natürlich niemals auf dieses kleine Dorfblog verirren. Dennoch einige Bemerkungen zu Ihrem fast lichtvollen Artikel “Wie man ein verdammt guter Politiker wird” in der FAZ (hier). Darin attestieren Sie, ausgehend von der Frage, ob Gauck oder Wulff das Präsidialrennen gewinnen werden, Wulff die Untauglichkeit zum Romanhelden und fordern eine Politik die sich den Romanschematen entzieht. Soweit so hell. Sie lassen aber fatalerweise eines außer Acht — den Schreiber des Romans. Sie beschäftigen sich mit der Figur Wulff — aber die Frage nach dem Romancier unterbleibt (Wulff ist daran beteiligt, zweifellos. Davon gleich mehr).
Eher im Vorbeigehen streifen Sie die Frage “Handelt die Politik nicht vielmehr nach dem Drehbuch, das wir ihr schreiben?” — ohne aber anzugeben, wer das “wir” ist. Beziehen Sie es bitte nicht auf das Wahlvolk, beziehen Sie es auf die Mediatoren, die Geschichtenmacher, die Fernseh- und Presseleute, die tatsächlich die Geschichten und “Stories” erzählen, die das Agenda Setting betreiben. Und beziehen Sie die folgenden Ausführungen zu den Gesetzen der Politstory auf diese Mediatoren (ich umgehe absichtlich den Begriff “Medien”):
Die Gesetze sind streng, aber einfach. Das Wichtigste: Keine Geschichte ohne Charaktere. Man muss Figuren schaffen, die die Leser interessant und glaubwürdig finden. „Wenn sie das nicht sind, klappt der Leser das Buch zu, und das wär’s dann gewesen.“ Es ist nicht zynisch, Techniken des Unterhaltungsromans auf die Politik anzuwenden. Es ist genau das, was die Öffentlichkeit tut. Eine Öffentlichkeit, die kurioserweise dabei selbst immer am besten wegkommt, denn sie will nichts anderes als die Wahrheit und eine Politik, die an die Kinder und Enkel denkt.
So ist es. Die Mediatoren hängen noch in den alten Kategorien des Schundromans. Oder der shakespear’schen Personenbildung. Und lesen wir weiter, um auf die Beteiligung der Gaucks und Wulffs zu kommen:
Ehe man die Politiker in Bausch und Bogen verachtet – und die Argumente gegen Wulff sind nichts anderes als ein Dementi gegen praktisch jeden einzelnen Politiker des Westens ab dem Jahrgang 1949 –, sollte man sehen, wie sehr sie den Erwartungen eines Publikums folgen, das von der Politik an eine Seele gemahnt werden will, die es nur im Roman findet. Wir wollen Wahrheit über Legislaturperioden hinaus? Dann rede man mit Peer Steinbrück und über die Frage der Rente mit 67. Es geht um unsere Kinder und Enkel? Dann rede man mit Biedenkopf oder Miegel. Der Selbstbetrug der Gesellschaft ist abenteuerlich.
Es sind die Mediatoren, die diese Geschichten erzählen wollen — und die poiltischen Akteure sind viel zu sehr darauf angewiesen, dass die richtigen, passenden und spannenden Geschichten über sie erzählt werden, um einfach Figuren zu sein. Wir sind bei Diderots Jacques le fataliste: “Jacques disait que son maître disait que tou que se passe ici-bas eatît écrit la-haut” (aus dem Kopf zitiert, wird ggf korrigiert). Politiker handeln in einem Schundroman, den sie nicht selber schreiben, versuchen aber sowohl durch direkten Einfluss auf die Autoren wie auch durch die Anlieferung dramaturgiegeeigneter “Pressemeldungen” und Hintergrundgespräche Einfluss auf die Geschichten zu nehmen. Diese politische Gesichte, die uns jeden Abend aus den Nachrichten entgegenflimmert oder von den Zeitungs-Seiten und ‑Sites begegnet ist ein Bildschirm, auf den von zwei Seiten gemalt wird: Mediatoren und politische Handelnde, Erzähler und Erzählte. So schreiben Sies ja selbst:
Und die Politiker lernen schnell: Wenn man vom Held erwartet, dass er Drachen tötet, dann bläst sich der Politiker halt für ein paar Tage einen Gummidrachen auf, ehe er wieder die Luft rauslässt.
Aber wer sind die Drehbuchschreiber und Geschichtenerzähler, die Dramaturgen — wenn nicht die Mediatoren in Presse und Rundfunk? Wer baut die Drehbücher, die Sie wie folgt beschreiben:
Die Geschichten werden Drehbücher, indem die Autoren neue Protagonisten auf die Bühne rufen, in einer Geschwindigkeit wie niemals zuvor, und so kommt es, dass aus einem fragmentarischen Dialog in einem Flugzeug mithilfe von Trittin und ein paar aus der Kulisse tretenden Hinterbänklern die Geschichte vom Rücktritt eines Präsidenten wird.
Sie, Herr Schirrmacher in Ihrer Funktion als Herausgeber der FAZ, sind dabei natürlich selbst einer der Chefdrehbuchschreiber und Storyliner. Sie erzählen Ihre eigene Arbeitsweise und diejenige Ihrer Branche:
Politische Erzählungen folgen nicht politischen, sondern strengen ästhetischen Gesetzen. Sie haben nichts mit der „Wahrheit“ zu tun, nicht mit dem, was wirklich so gewesen ist, oder gar der Abwägung von Meinungen – im Gegenteil, sie brauchen Zuspitzung, Konflikt und Spannungsbögen, sie folgen Gesetzen ausgefeiltester Berechnung. Wir sind im Begriff, nur noch eine Politik zu honorieren, die dieser Aufmerksamkeitsökonomie folgt.
Und schließen — und deswegen gefällt mir Ihr Artikel wirklich gut — mit einer kurzen Volte in Richtung derer, denen die Dramaturgie gerade abhanden kommt. Die Geschichte derer, die mit dem Happy End begannen und nun auf die Katastrophe oder Krise zusteuern:
Wenn die, die ihm (Wulff) jetzt sein ungebrochenes Leben vorwerfen, erkennen würden, dass die Generation der Babyboomer, der Geburtsjahrgänge 1955–1970, einer Fabel folgt, die mit allen Gesetzen der Literatur bricht: Ihr Leben begann mit einem Happy End und kommt jetzt erst an einen harten, wirklich schweren Anfang, den Anfang, vor dem das ganze Land steht.
daraus ziehe ich für mcih die Konsequenz, dass der gegenwart nur nach postromanesk, postdramaturgisch und postdramatisch beizukommen ist. Aber wie sollen Mediatoren, die ganr nicht anders können, als Geschichten zu erzählen (selbst wenn sie gerade keine erzählen wollten), in diese Postness gelangen? Das wäre eine spannende Frage, deren Beantwortung von Ihnen lesen zu dürfen, Herr Schirrmacher, mich ernsthaft sehr freuen würde.
Ihr Postdramatiker
P.S. Ich brüste mich ja gerne der Besserwisserei — deswegen möchte ich natürlich nicht unterlassen, geneigte verirrte Leser, die dieses Blog aus welchen Gründen auch immer fanden, auf diesen Text von Anfang Mai 2009 zu verweisen, in dem ich mich über die Dramaturgisierung des Politischen, die unterschiedlichen Beteiligten, die Immergleichheit der Dramaturgien und das Ende des Dramaturgischen in der Lebenswelt der Menschen ziemlich breit verbreitet habe: Das Politische zurück ins Theater. Kostenlos zum Runterladen und Lesen hier.
Juni 22nd, 2010 § Kommentare deaktiviert für Definition von Theater (normativ) § permalink
Theater ist das Labor der praktischen Vernunft.
Juni 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für “Arbeit ist heute vor allem ein Spiel zwischen Personen.” § permalink
Ein Zitat des unvermeidlichen Norbert Bolz in einem Betrag aus 2004 für SWR2 mit dem Titel “Welche Arbeit braucht der Mensch? — Überlegungen zur Dienstleistungsgesellschaft” (hier)
Weiters gefällt mir die folgende Aufzählung (besodners Punkt 3):
Da ist erstens die Globalisierung der Wirtschaft, deren Schlüsselfiguren sich denn auch Global Players nennen lassen; da ist zweitens die Immaterialisierung der Produkte und der deshalb wachsende Beratungsbedarf; da ist drittens die Virtualisierung der Arbeitsverhältnisse, die Telecommuter und Kommunikationsnomaden ein Selbstbewusstsein verleiht, das der frühere Greatful Dead und jetzige Internet-Guru John Barlow auf die Formel gebracht hat: Wenn Du etwas » Read the rest of this entry «
Juni 21st, 2010 § Kommentare deaktiviert für Theatrale Werktreue und der Glaube an Objektivität § permalink
Bei der verbreiteten Forderung nach theatraler “Werktreue” haben wir es nicht mit einer ästhetischen, sondern einerm nahezu religiösen Imperativ zu tun. Werktreue verstanden hier als die Forderung, eine Theateraufführung möge das, was sich der Autor gedacht oder vorgestellt habe ungebrochen und “unverfälscht” wiedergeben. Hinter dieser Forderung steht der Glaube an das Vorliegen einer objektiven Welt oder einer Welt der Objektivität, die durch objektive Repräsentation zu jeder Zeit und an jedem Ort objektiv wiedergegeben werden könnte. Das Grunddogma der Medien als “Medien”. Wenn Luhmann lakonisch formuliert, was wir über die Welt wüssten, wüssten wir aus den Medien — schließt er Werktreueprediger an: aber es muss unbedingt die unverstellt wiedergegebene Welt sein (hier hören wir Luhmann lachen).
Die Nachrichtengläubigkeit setzt voraus, dass Medien dem Dargestellten durch die Darstellung nichts hinzufügen oder weglassen. Zum Beispiel keine individuelle Interpretation oder Darstellungsweise. Schon gar keine künstlerische. Nicht » Read the rest of this entry «
Juni 20th, 2010 § Kommentare deaktiviert für Netzdramaturgie, vernetzte Welten, Systeme § permalink
Die Lektüre von Boltanski/Chiapello bringt mich zurück zu den länger nicht mehr verfolgten Überlegungen zur Netzdramaturgie (hier). Im neuen Geist des Kapitalismus führen die Autoren eine Epochenfolge an, die zugleich eine Epochenfolge der “dramatischen” oder nicht-mehr-dramatischen Literatur sein könnte:
Das Sozialleben wird von nun an nicht mehr — wie noch in der familienkapitalistischen Welt — als eine Reihe von Rechten und Pflichten gegenüber einer erweiterten Familiengemeinschaft dargestellt, und auch nicht — wie es für die Industriewelt galt — als eine abhängige Beschäftigung » Read the rest of this entry «