Die Lektüre von Boltanski/Chiapello bringt mich zurück zu den länger nicht mehr verfolgten Überlegungen zur Netzdramaturgie (hier). Im neuen Geist des Kapitalismus führen die Autoren eine Epochenfolge an, die zugleich eine Epochenfolge der “dramatischen” oder nicht-mehr-dramatischen Literatur sein könnte:
Das Sozialleben wird von nun an nicht mehr — wie noch in der familienkapitalistischen Welt — als eine Reihe von Rechten und Pflichten gegenüber einer erweiterten Familiengemeinschaft dargestellt, und auch nicht — wie es für die Industriewelt galt — als eine abhängige Beschäftigung innerhalb eines Hierarchiegefüges, in dem man sich hocharbeitet und bei strikter Trennung zwischen Berufsleben und Privatsphäre seine gesamte Karriere durchläuft. In einer vernetzten Welt besteht das Sozialleben vielmehr aus unzähligen Begegnungen und temporären, aber reaktivierbaren Kontakten mit den unterschiedlichsten Gruppen, wobei diese Verbindungen gegebenenfalls eine sehr beträchtliche soziale, berufliche, geographische Distanz überbrücken. Anlass für solche Verbindungen bietet das Projekt. […] Die Projekte ermöglichen die Produktion und die Akkumulation in einer Welt, die, wenn sie lediglich aus Konnexionen bestünde, ohne Halt, ohne Zusammenschlüsse und ohne feste Formen ständig im Fluss befindlich wäre. Alle würde von dem steten Strom der Bahnungen dahin gerissen, die angesichts ihrer Fähigkeit, alles miteinander in Verbindung zu bringen, unablässig verteilen und auflösen, was sich in ihnenverfängt. (149)
Finde ich eine ziemlich gute Beschreibung der Netzdramaturgie etwa von Sich Gesellschaft leisten. Und werde einmal darüber nachdenken, wie sich Netzwerke, die meines Erachtens aus sich selbst heraus wuchern und wachsen, zu sozialen Systemen, die wesentlich durch die Differenz zur Umwelt beschrieben werden und sich ausdifferenzieren anstatt zu wachsen, verhalten.