Ich betrachte es schlicht als Hilflosigkeit, wenn Theater sich Regisseure und Gruppen ins Haus holen, die mehr zu bieten haben, als die Neuinterpretation des Altbekannten. Texte zu zetrümmern, zu remixen, zu sampeln, als Pasticcio zu mischen, zu destrukturieren und zu restrukturieren, Romane und Filmdrehbücher zu adaptieren ist nichts anderes als Hilflosigkeit. Weil einerseits den postdramatischen (oder eher hochdramatischen) Lebensverhältnissen kein dramatischer Text ansatzweise gerecht werden kann. Andererseits hab ich gerade vergessen. Was ich jedenfalls sagen wollte: Die Dinge sind zu komplex geworden, um sie den Vereinfachungs-Anforderungen des Dramas noch anpassen zu können. Vor 150 Jahren lebten die Menschen im dreidimensionalen euklidschen Raum. Es gab ein geschichtliches vorher-nachher (was zumeist auch hier hieß: deswegen). Es gab ein gesellschaftliches Nebeneinander. Und ein hierachisches Übereinander. Das von der Postmoderne postulierte Ende der Geschichte ist ein Ende der Geschichte, wie wir sie kennen Es ist eine Krise des Erzählens von Geschichte in klassischer rhetorischer Hinsicht (vgl. Hayden Whites Metahistory), Das Fatale daran: Mangels angemessener Formen für ein anderes Geschichte- oder Geschichtenerzählen gehen die zu erzählenden Dinge unter. Opfergeschichten lasen sich heute nicht mehr erzählen, weil das Geschichtenerzählen nicht mehr funktioniert — die Opfer aber gibt es noch » Read the rest of this entry «
Jenseits des dreidimensionalen Dramas
Oktober 29th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Jenseits des dreidimensionalen Dramas § permalink
Ach, wieder die Formdebatte?
Oktober 20th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Ach, wieder die Formdebatte? § permalink
Die heftigen Repliken auf mein erstes Posting möchte ich zum Anlass nehmen, etwas klar zu stellen: Formdebatte — ja. Aber das ist nicht der Kern der Sache. Zumal die Form nicht einfach nur als Form eines autonomen Inhalts misszuverstehen ist. Niemand würde bei einer Diskussion um Demokratie und Diktatur ausrufen: Ach, es geht ihnen nur um die Form des Staates? Wie langwelig. Die Form ist mehr als eine bloß ästhetische oder geschmacksbasierte Debatte um Reim oder Nichtrein, Einheiten oder Vielheiten. Vielmehr ist die Frage der Form die Frage der Zeit und der Wirklichkeit (ohje ohje … Wirklichkeit?). Die Form des ehemaligen Dramas muss sich grundlegend verändern, weil sich die Zeit grundlegend verändert hat, in der es spielt. Weil die Wirklichkeit eben auch nicht mehr ist, was sie (vermutlich auch niemals) war.
Postdrama — warum?
Oktober 15th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Postdrama — warum? § permalink
Noch als dieses Blog installiert wurde, war die eigentliche Absicht, Theater zu kritisieren und wo nötig zu schmähen für die Langeweile, die all überall um die dickvermauerten Häuser wölkt. Vielleicht sind sie im Innersten kurzweilig und auf der Höhe der Zeit (ihr vielleicht sogar voraus). Von außen betrachtet aber wecken sie den Eindruck historischer Museen. Das 19. Jahrhundert feiert fröhlich Premiere jeden Tag (und das wäre noch fast die neuzeitlichste Periode). IbsenStridbergTschechowHorvath und wie die ganzen Untoten heißen mögen wesen auf den Brettern die längst nichts mehr bedeuten (würden sie doch wenigstens Nichts bedeuten, wo sie Welt schon lange nicht mehr be-deuten und mit Deutung versehen können) vor sich hin.
Wie gesagt: Das war gerade noch das Motiv Und während es sich installierte, das WordPress, änderte es sich. Zumindest partiell. Denn zur Kritik gestellt gehören natürlich nicht die theatralen Ansätze, die sich postdramatisch geben. Sondern die noch viel zu dramatischen Ansätze der gegenwärtigen Stückschreiberei. Wiederum hier eine Korrektur: Mangels Kenntnis der gegenwärtigen Stückwerke gehören die Grundlagen dramatischen Schreibens auf den Dramatisch geworfen, seziert, obduziert, kremiert und beerdigt. Das Drama ist totlangweilig. Es zeitigt das Postdrama. Nicht aus modischen Gründen. Zeit ist für das Postdrama, weil die Zeit nicht mehr dramatisch und eben deswegen schon nicht mehr Zeit ist. Exit tempus ipse. Incipt postdrama.
Mission Statement
Oktober 11th, 2009 § Kommentare deaktiviert für Mission Statement § permalink
Postdramatiker ist ein Blog, das es mit Theater ernster meint als mit der Wahrehit (wo nötig). Postdramatiker fordert: die Auseinandersetzung. Elengchos und Polemos. Streit, wo Streit nötig ist, weil im unbedachten Wort des Streites gelegentlich Ungedachtes hervorbricht, das in der bedenklichen Situation bedenkenswert oder schon denkbar ist. Postdramatiker fordert nicht nur die Auseinandersetzung mit und den Streit um die Beiträge hier. Postdramatiker fordert insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Bestehenden. Sei es Theater oder Gesellschaft. Die bedingungslose Affirmation und ornamentale Umspielung des Bestehenden mag solange gerechtfertigt sein, wie das bejahte Bestehende bestehen bleibt. Nun zeigt sich aber, dass das Bestehende nicht nur keinen Bestand hat, sondern sich ändert. Und so affirmiert die Affirmation des Bestehenden in der Wiederholung eben nicht das Bestehende sondern das schon verlorene und wird traditionalistisch, rückständig, veraltet. Also muss das Bestehende darauf befragt werden, ob es noch Bestand hat, haben kann und soll. Die Welt„ auf die sich das bestehende Theater bezieht, existiert nicht mehr. Da nun aber jederzeit eine Gruppe fordern wird, das Bestehende bestehen zu lassen (wiewohl es schon nicht mehr bestand haben mag), eine andere (vielleicht noch nicht in Theatern eingewanderte) Gruppe fordert, das Bestehende möge Neues entstehen und dem Entstehen Platz geben lassen, ist um das Bestehende eine Auseinandersetzung zu führen. Wenn nicht ein Streit. Postdramatiker fordert diesen Streit. Ende der Friedenspflicht. Anfang der Auseinandersetzung.
Postdramatiker heißt auch: Überleben in Geröllfeldern, an Textwänden, an denkfirn- und traditionspatinabedeckten Hängen. Heißt: Ausrutscher, Abstürze als Programm. Heißt: alles außer ausgetretene Pfade. Heißt: den Ort finden, wo die Linien zusammenlaufen. Den höchsten Aussichtspunkt. Ohne künstlichen Süß- oder Sauerstoff. Kein Expeditions- sondern reiner Alpinstil. Heißt: Linearstil durchbrechen, theatrale Raumordnung zum letzten Mal aufheben. Heißt verstehen, dass der Gedanke des Netzes vermutlich die Ordnung der Geschichte ablöst, ablösen wird oder bereits abgelöst hat. Postdramatiker heißt: nicht Geschichte schreiben sondern Netze. Im Übrigen ist Postdramatiker keine natürliche, sondern eine künstliche Person.