Wiewohl schon die Frage nach dem „nach“ eigentlich noch eine zutiefst dramatische ist, ist sie legitim. Und die Ausrufung des Postdramas, so sie nicht nur ein gewandter Wortwitz belieben soll, ist nicht die hinrichende Antwort darauf.
- Er: Nein. Das Spiel.
- Sie: Das Postdrama?
- Er: Was kommt nach dem Drama.
Das Drama ist nicht nur eine Form, es ist zugleich Ausdruck einer Ideologie. Und einer Weltsicht, die es zumindest zu befragen, wenn nicht zu bekämpfen gilt.Das Drama sieht den Helden und seinen Antagonisten. Einige Hilfsfiguren. Es sieht einen Kampf oder ein Ziel. Es hat Anfang, Mitte und vor allem: ein Ende, das aus der Geschichte selbst begründet ist. So wollte es Großvater Aristoteles auch von der Tragödie:
„Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt. Eine Mitte ist, was sowohl selbst auf etwas anderes folgt als auch etwas anderes nach sich zieht. Demzufolge dürfen Handlungen, wenn sie gut zusammengefügt sein sollen, nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden, sondern sie müssen sich an die genannten Grundsätze halten.“ (Poetik)
Im Gegensatz dazu das Spiel: Das beginnt und endet zwar auch. Aber Beginn und Ende sind nahezu willkürlich gewählt. Denken wir nur an das Fußballspiel oder den modernen Boxkampf. Es sind keine Dramen – es sind Spiele. Im Gegensatz etwa zu einem modernen Krieg. Der ausbricht und mit einer Niederlage oder einem Unentschieden endet.
Die Theorie des Dramas sieht Hegel und das Fernsehen. Die Theorie des Spiels sieht Luhmann (eigentlich ist dessen größtes Problem seine Entscheidung für den Begriff „System“ – Spiel wäre passender gewesen. Oder Netz), Etienne Souriau, Walter Benjamins Begriff der Konstellation, Aristoteles Begriff des Mythos als “systasis pragmaton”, den kybernetischen Regelkreis (vielleicht) und das Netz. Betrachten wir ein Theaterspiel wie eine Flippermaschine. Die Kugel ist das Geschehen. Die Impulsgeber sind die Figuren.
Ja aber – sind Schach und Tennis kein Spiel? Die haben doch offensichtlich endogene Endzustände. Das Schachmatt. Der letzte gewonnene Punkt. Gute Frage. Schach ist eine Kriegssimulation. Ist das Spiel? Und Tennis? Nunja. Sagen wir Tennis sei kein Spiel sondern ein Zweikampf. Ein Duell ohne Schusswaffen – aber mit Kugeln ausgetragen. Vielleicht ist das Duell neben dem Drama und dem Spiel die dritte Gattung. Und natürlich neben der Tragödie die vierte – der Gegenüberstellung von Einzelnem und Kollektiv.
Gedanken (die weiter zu bedenken seinw erden in der Zukunft):
- Das Drama ist royalistisch-monotheistisch. Das Spiel ist demokratisch-anarchistisch.
- Das Drama ist linear. Das Spiel besteht aus aufeinanderfolgenden Systemzuständen. Orgasmus ist Drama. Kamasutra ist Spiel.
- Das Drama hat eine Hauptfigur. Das Spiel hat gleichberechtigte Akteure.
- Das Drama ist psychologisch. Das Spiel interessiert sich für Psychologie wenn überhaupt nur als Randbedingung.
- Das Drama ist biographisch und fragt nach dem Zeitsinn. Das Spiel ist situativ und fragt nach passageren Höhepunkten.
- Das Spiel kann nur durch äußere Faktoren von seiner Fixiertheit auf die Gegenwart entkoppelt werden – zum Beispiel durch Ranglisten und Tabellen.
- Das Spiel versteht Zeit als Abfolge von Jetztpunkte (und Ereignissen). Das Drama legt Konsistenz und Folgelogik zugrunde.
- Im Drama ist posthoc=propter hoc. Im Spiel gibt es kein posteriores propter. Das Abspiel erfolgt, weil vielleicht etwas daraus entstehen wird. Nicht aus der psychologischen Verfassung des Passgebers.
- Psychologie kann im Spiel nur Umweltbedingung sein. Die Psyche der Spieler ist kein konstituierendes Element.