Winnenden, Kachelmann, Brunner — und wenn es nur diese drei Fälle sind (und nicht einige mehr, die mir gerade nicht einfallen), zeigt sich in den letzten Monaten immer mehr, wie unglaublich unseriös auch die “seriösesten” journalistischen Medien inzwischen wurden. Das hat natürlich mit vorschneller Berichterstattung bei minimaler Faktenlage zu tun — vielleicht gar um dem Nachrichten-Takt des Online-Journalismus zu folgen, der als erster mit “Eilmeldungen” heraus kommen will, noch bevor dazu überhaupt ein Artikel geschrieben wurde. Titanic hat das mit dem Corinna Harfouch Martina Gedeck Spoof auf der Bundesteletubbiwahl (SpON) wunderbar zur Parodie genutzt (hier eine Bildstrecke).
Neben diesem “handwerklichen” Problem scheint mir aber ein Fundamentaleres viel wichtiger: Das dramaturgische Problem. Im Freitag ist heute einer der typischen “medienkritischen-wir-müssen-uns-auch-selbst-fagen-ob-wir-alles-richtg-gemacht-haben”-Artikel zu lesen (von denen demnächst garantiert auch einige zur Rolle der Medien bei den Fehlentscheidungen im Vorfeld der Loveparade erscheinen werden; die FR beginnt heute hier damit). Ich zitiere aud dem Freitag einen Abschnitt:
In der Tat folgt vieles in der massenmedialen Aufbereitung des Falles Brunner der Dramaturgie eines filmischen Heldenepos, wie man es standardmäßig im Kino serviert bekommt. (hier)
Genau das ist das Problem — die Perpetuierung eines letztlich archaischen (ich würde sagen: shakespeare’schen) dramaturgischen Modells. Definierte Charaktere, daraus eine Geschichte mit Anfang-Mitte-Ende in genau dieser Reihenfolge, Zusammenfügung nach Gesetzen der (kinogeformten, dramatischen) Wahrscheinlichkeit und Plausibilität (von der vor 2500 Jahren schon Aristoteles sprach: Die Geschehnisse müssten nicht wahrheitsgetreu sondern nach Gesetzmäßigkeiten der Wahrscheinlichkeit zusammengefügt werden).
Das wird zwar an diesen Fällen der öffentlichen Zurückruderei, in denen die Geschichte ob ihrer Unhaltbarkeit beim Autauchen neuer Fakten als “Geschichte” erscheint, erkennbar — dieselbe Dramaturgie ist aber als Grundbestandteil medialer Nachrichtenberichte ubiquität anzutreffen. Bis hin in die Schurkenstücke, die Tagesschau und heute, Bild und Süddeutsche rund um die politisch Handelnden, Lady Merkel und Malvolio Westerwelle, täglich aufführen. Dem sich die politisch Handelnden inzwischen so sehr gefügt haben, dass keine Trennung zwischen medialem und Politischem mehr zu erkennen ist, weil die Medienprofis der Politik ihre Rollen einnehmen bzw. hinter den Kulissen das Stück zu bestimmen versuchen. Politik ist heute reine Medienarbeit — und gleichzeitig entsteht, weil “die Öffentlichkeit” glaub, bestens informiert zu sein, eine Hal- und Schattenwelt der Geheimdienste und Geheimnachrichten, wie es sie in der politischen Geschichte in dieser Form nie gab. Aber an das Treiben auf der Hinterbühne kommt niemand heran.
Heißt nicht etwa, die “Wirklichkeit” durch Wahl eines anderen (post)-dramatischen Modells besser beschreiben zu können. Oder vielleicht doch? Sie vielleicht auf unterschiedlichen Sendern jedenfalls unterschiedlich konstruieren, diese “Wirklichkeit”.
Weiteres dazu in “Das Politische zurück ins Theater” (hier als PDF) .