UPDATE 05.02.2014: Der Text ist jetzt in einer leicht überarbeiteten Form auf nachkritik.de zu finden: Auf dem Weg zum agilen Theater. Wer sich den Text hier herunterladen möchte (in der unbearbeiteten Vortragsfassung) bitte den Link am Ende dieses Artikels hier auf der Seite benutzen.
Auf Einladung der Dramaturgischen Gesellschaft hatte ich am 25.01.2014 die Ehre, bei der Jahreskonferenz mit dem Titel “wie wollen wir arbeiten?” einen Keynote-Vortrag halten zu dürfen. Diesen möchte ich hier — in der Vortragsfassung — zum Download anbieten.
Der Vortrag gliederte sich in 1+4 Teile:
Prolog
Im Prolog auf Basis der Statistiken des deutschen Bühnenvereins einige Zahlen, die — wie ich meine — eine deprimierende und für den Fortbestand der deutschen Stadttheaterlandschaft gefährliche SItuation erkennen lassen (in den Powerpoint-Slides enthalten).
Im Anschluss an Dirk Baecker dann die Frage: “Wozu Theater?” und eine vorläufige Rahmendefinition:
Theater ist der Ort der Gesellschaft in der Gesellschaft, an dem sich in Gesellschaft über Gesellschaft ästhetisch reflektieren lässt.
Kapitel 1
Ausgehend von einem — als These in den Raum gestellten — Verlust des Bezugs zwischen Theatern und der umgebenden Gesellschaft einige Ausführungen über die — bereits anbrechende und sich als Überforderung und Stress bemerkbar machende — nächste Gesellschaft und das zu ihr gehörige nächste Theater.
Kapitel 2
Ein eher kursorischer Ausflug zu den Themen dieses nächsten Theaters, das sich bei den Themen als dasjenige Theater darstellt, dass über die Mitweltzerstörung reflektiert.
Kapitel 3
Anknüpfend an das bereits recht alte Lamento über die formale Eingeschränktheit der Stadttheater besonders im vergleichzu den Arbeiten der freien Szene, einige Anmerkungen zu den Formaten des nächsten Theater.
Zudem Anknüpfung an neue Fernsehformate, in denen es mit neuen Arbeitsweisen (Stichwort “Writers Romm”) gelingt, dem scheinbar alten und bekannten Medium fernsehen ungeahnte neue Möglichkeiten zu eröffnen. Zudem ein Plädoyer für das komplexe Erzählen.
Kapitel 4
Eine mögliche und meines Erachtens sinnvolle Antwort auf die Tagungsfrage “wie wollen wir arbeiten”: Agilisierung der Abläufe und Reorganisation der internen Strukturen mit Kanban und Scrum.
Zusammenfassung “Agiles Theater” mit den folgenden Punkten:
Über die Dokumente:
Es handelt sich um die Powerpoint-Folien sowie um den Vortragstext (jeweils als PDF).
Das heißt: Es sind Texte, die für den mündlichen Vortrag geschrieben wurden — und entsprechend sind sie formatiert. Und sie orientieren sich nicht unbedingt an Lesbarkeit, sondern an Sprechbarkeit.
Die PDF’s stehen unter Creative Commons Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
Sie dürfen heruntergeladen, ausgedruckt, weitergeleitet werden. Kommerzielle Verwendung, Abdruck (auch gekürzt) bedürfen meiner vorherigen Einwilligung.-
Downloads
Um das Vortragsmanuskript herunterzuladen, hier klicken.
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Hier können Sie sich die Slides ansehen und als PDF herunterladen:
Ich würde mich freuen, wenn Sie nach der Lektüre hier in einem Kommentar Ihre Meinung dazu äußern.
Das ist eine ziemliche tolle Arbeit. Es kommt eine Menge Frischluft ins Thema, wie die Theater wieder mehr Zeitgenossenschaft erhalten können, mehr an die Jetztzeit der Zuschauer herangezogen werden können.
Im Einzelnen “weiß ich nicht so …”. Mir fallen Einwände ein, dabei ist mir der Grundzug des Vortrags sehr sympathsich. Z.B. der grundlegende Gedanke, dass man mit den Beschränkungen der herkömmlichen “Produktionsmethode” schwerlich sich wieder eine lautere Stimme im heutigen Medienkonzert zurückerobern kann. “Gutes Stück”, “spannendes Thema”, “toll gespielt” reicht vielleicht noch, um sich Respekt und ein paar Erfolge zu verdienen, aber es reicht nicht mehr, um als Institution wieder mehr Bedeutung zu bekommen.
“Theater haben die Reflexionskraft über das Gegenwärtige verloren.” Weiß ich nicht, ob das stimmt. Und gilt vlt im gleichen Maße auch für andere Künste? Ich weiß auch gar nicht, ob die Theater sozusagen Reflexion aufführen müssen. Kommt evntl. drauf an, was man darunter versteht. Aber das Theaterleute sich was erklären und dann den Zuschauer vorführen, was sie gedacht haben … so liefe das doch nicht. Das Theater bietet Material für Reflexion an. Das ist ein interaktiver Prozess mit dem Publikum. Und in dieser Interaktivität liegt ja auch der Bezug zu dem, was du dann später sagst — zu den digitalen Reflexionsräumen. Oder anders gesagt: Wann endlich wird das Theater die Zuschauer auffordern, im Theater das Smartphone NICHT auszustellen? Mitfilmen erlaubt. Twittern und facebooken, unbedingt. (Gebimmel abstellen reicht doch …)
“Theater finden die gesellschaftlichen Themen nicht mehr.” Weiß ich auch nicht. Die Themen, die du nennst, sind ja die, die einem als erste einfallen, und ich fürchte eher, solche Themen werden dauernd eingebacken. Brauche ich das im Theater? Das Problem mit dem Themen-Finden kennt man aus dem Fernsehen — nichts schlimmer als die Plumpheit, wenn ein Thema “umgesetzt” werden soll. Ich würde auch das “gesellschaftlich” streichen, jedenfalls soweit dies nur ein anderes Wort für “politisch” sein sollte. Es kann nur darum gehen, die Stoffe zu finden, bei denen das Publikum wach wird und anschließend weiter reden möchte. Das können politische Stoffe sein, aber genauso (scheinbar) unpolitische Erzählungen. Am meisten Sprengkraft entsteht eigentlch immer dann, wenn man Individuelles in den weitergezogenen Kontexten erkennt (Geschichte, gesellschaftliche Strukturen, Mächte etc.).
“Theater sind formal zu eingeschränkt.” Das Argument kennt man in ähnlicher Art von der Malerei oder der Literatur. Die Langeweile mit dem Herkömmlichen wird da auch regelmäßig postuliert. Die Versuche, die Kategorie aufzusprengen, bringen aber meistens kaum mehr, oft nur kleine Pfiffigkeiten. NIx zum Beißen, nichts was einen mehr erschüttern und beschäftigen könnte als ein gutes BIld, ein genauer R0man. Es fällt mir dabei auf, dass du dann die letztlich konventionell dramatisierten US-Produkte für die klassische Glotze im Moment für besonders interessant und weiterführend hältst. Aber was ist da in den USA für jede Entwicklung entscheidend? Die Orientierung aufs Publikum. Herausragend ist da am ehesten die ganz pragmatische und gleichzeitig hoch sensible Beschäftigung mit dem, was das Publikum beschäftigt. Da muss man nicht unbedingt in die Zeitung gucken.
“Theater müssen Organisation und Arbeitsweise ändern”. Ich weiß gar nicht, wie an den gestressten Theatern heute tatsächlich gearbeitet wird. Das Theater war bislang auf der einen Seite eine vom funktionierenden Kollektiv geprägte Kunst, auf der anderen Seite organsatorisch stark durch Funktionsrollen (Spezialisierungen) und eine patriarchalische Struktur bestimmt. Vielleicht kann etwas erreicht werden, wenn die Spezialisierungen aufgeweicht werden?
Dies nur ein paar Gedanken. Grundsätzlich ist ja die Frage, ob das Schicksal des Theaters überhaupt noch in der Hand des Theaters liegt, d.h. ob sich die Theater selbst und alleine retten könnten. Meine Vermutung: Sie müssen sich mehr verknüpfen, z.B. in einer Stadt/Region auch mit Musikern, Künstlern anderer Sparten, sozialen Einrichtungen, anderen Theatern, was weiß ich etc. Also gerade nicht mehr alleine durchkämpfen. Die Kultur einer Stadt nicht mehr so in Silos gegliedert … wobei die Bedingungen vermutlich an jedem Theater anders sind und jedes sich einen eigenen Entwicklungspfad suchen muss.
[…] Zwei einschlägige Bücher von Sven-Oliver Bemmé und Armin Klein zum Projektmanagement im Kulturbereich gehen mit keinem Wort auf die agilen Formen des Projektmanagements ein. Dabei sind diese nicht nur in der Software-Entwicklung längst gang und gäbe, sondern werden abseits vom Hochschulbetrieb auch für das Kulturmanagement diskutiert (s. z.B. hier und hier). […]