Immer wieder mal flammen hier und da Debatten rund um die Privatsphäre auf. Sei es bei Google Streetview. Sei es in Sachen Facebook. Im Wesentlichen zeigen sich diese Debatten als erschreckend niveaulos. Der (zumeist aus öffentlich-rechtlicher Ecke) gespeisten Warn-Mahn-Zeigefingerheberei treten auf der anderen Seite die Neo-Hippies und Verfechter der Freien Datenliebe unter der Sigle der Post Privacy entgegen. Allen gemeinsam ist dabei, dass jeder ein aus unterschiedlichsten Fakten und Fiktionen gemischtes eigenes Süppchen kocht und dem andern möglichst brühwarm über den Kopf schüttet – das niemals auf seine Ingredienzien befragt wird. Die Lage ist – unübersichtlich. Und sie ist zudem: komplex. Denn es treten in diesem Postdrama verschiedene „Big Player“ auf, die auf wundersame Weise wie Kippfiguren ihr eigenes Erscheinungsbild ändern ohne sich selbst zu verändern. Der Betrachter oder Beobachter beobachtet sie nur jeweils verschieden.
Die Player sind: Der User (verstanden nicht als Mensch+Internet, sondern als Netzmensch). Die User. Der Staat. Das Unternehmen – zum Beispiel Facebook. So simpel hintereinander aufgeschlüsselt entbehrt das Postdramatis Personae bereits nicht einer gewissen Skurrilität. Seis drum. Die Betrachtungsweise ist nun in vielen Texte eine, die im Wesentlichen aus unguten oder sauguten Gefühlen gespeist ist, gelegentlich mit Moralin gewürzt wird. Und am Ende irgendwann auf die Frage von Recht und Gesetz kommt. Damit sind schon drei nicht unkomplizierte Betrachtungsweisen im Spiel: Individuelle Präferenzen (mit dem Anspruch auf die Toleranz der Anderen), verbreitete Moralvorstellungen (mit dem Anspruch auf Beachtung durch Andere behaftet), und unbedingt geltende Gesetze. Alle drei sind grundsätzlich nicht harmonisch. Wie individuelle Ansprüche nicht moralisch und nicht unbedingt gesetzeskonform sein müssen, so sind Moralvorstellungen und Gesetze keinesfalls deckungsgleich (jedenfalls außerhalb von Staaten, die durch religiöse Fundamentalisten in Beschlag genommen wurden). Individueller Anspruch und Gesetz und Moral treffen regelmäßig konfligierend aufeinander. Sonst wärs vermutlich recht langweilig im Leben.
Trotz alledem aber sind auch alle Bereiche wiederum ursächlich miteinander verwoben. Ins positive Recht müssen gewisse Moralvorstellungen eingehen (und das Recht muss sich veränderten Moralvorstellungen anpassen, im Gegensatz zur katholischen Kirche). Die Moralvorstellungen müssen mit individuellen Ansprüchen vereinbar sein. Nur dadurch bleiben sie veränderlich. Wenn auch der einzelne individuelle Anspruch keine rechtsverändernde Kraft haben muss (und meist nicht haben wird) wird doch ein Bündel solcher Ansprüche durchaus dafür sorgen können, dass ein Rechtssystem sich verändert. Demonstrationen, Aufstände, Revolten, Umstürze . Dabei handelt es sich übrigens nicht um eine Anhäufung von Subjekten, schon gar nicht um die Konstitution eines gemeinsamen „revolutionären Subjekts“. Bleiben wir stattdessen vorläufig bei der Bestimmung, dass es sich um „psychische Systeme“ handelt, die sich zu einer Masse psychischer Systeme häuft – und vielleicht ein gemeinsames soziales, revolutionäres System wird. Ob diese Bestimmung langfristig tragfähig ist – wird sich zeigen müssen.
Ich habe mir vorgenommen, in einer Reihe von Postings Fragen nachzugehen, die sich mir im Zusammenhang mit Facebook aufdrängen, in der Hoffnung (zumindest für mich) Klarheit hinsichtlich einiger sich permanent um sich selbst drehender Debatten zu finden. Dabei liegt ein Fokus auf der Frage, inwieweit vor Facebook ein „Schutz“ möglich und oder nötig ist bzw. ob Facebook ein Instrument der Emanzipation und – wie man mit Blick auf Ägypten hier und da las – Befreiung hin zur Demokratie ist. Und welche Rolle Gesetz und Staat hierbei spielen dürfen, spielen sollten, nicht spielen dürfen.