Die Frage der Zahl der Produktionen — Antwort an Frank Kroll, Teil 3

Januar 9th, 2013 Kommentare deaktiviert für Die Frage der Zahl der Produktionen — Antwort an Frank Kroll, Teil 3

Natür­lich stim­me ich Frank Krolls Dia­gno­se zu, dass die Anzahl der „Pro­duk­tio­nen“ bereits zu hoch ist, um sowohl ver­träg­lich für die Mit­ar­bei­ter, als auch zuträg­lich für die Kunst zu sein. Höhe­re Schnel­lig­keit kann dem­nach nicht hei­ßen, noch mehr in noch kür­ze­rer Zeit zu pro­du­zie­ren. Wür­den Thea­ter­leu­te nicht mit einer ange­bo­re­nen Arro­ganz gegen­über den Erfah­run­gen nicht­künst­le­ri­scher Insti­tu­tio­nen, wie es etwa Wirt­schafts­be­trie­be sind, her­um­lau­fen, hät­ten sie die Fata­li­tät die­ses Pro­zes­ses schon längst abse­hen kön­nen: Wenn die Zahl der Kun­den gleich bleibt oder sinkt, besteht die ein­zi­ge Chan­ce zum Wachs­tum (sprich: zu höhe­ren oder zumin­dest gleich blei­ben­den  Aus­las­tungs­quo­ten), den ver­blei­ben­den Kun­den mehr (Insze­nie­run­gen) zu ver­lau­fen, ihnen also zusätz­li­che Kauf­an­läs­se zu bie­ten. Heißt: Erhö­hung der Pro­dukt­pa­let­te. Geschieht dies bei gleich­blei­ben­den oder sin­ken­den Bud­gets, tra­gen die Kon­se­quen­zen die Beschäf­tig­ten. Und die Pro­dukt­qua­li­tät. Das ist so ein­fach, wie nur etwas. Und es ist kein infi­ni­ter Pro­zess, weil irgend­wann die hin­ge­schlu­der­ten Pro­duk­te auch immer weni­ger Abneh­mer fin­den (wobei das Weg­blei­ben ein­zel­ner Kun­den in die­sem Pro­zess zuneh­mend fata­ler wird, da jeder Besu­cher, der weg­bleibt, sofort zum Aus­fall von einem Dut­zend Kar­ten wäh­rend der Spiel­zeit führt und der aus­fal­len­de Besu­cher zudem noch nega­ti­ve Mund­pro­pa­gan­da betrei­ben wird) und zugleich die Bereit­schaft poten­zi­el­ler Mit­ar­bei­ter sinkt, sich in ein sol­ches irr­sin­ni­ges Hams­ter­rad zu bege­ben. So kurz, so simpel.

Also was dann? Zweierlei

  1. Das den­ken in fer­ti­gen Pro­duk­tio­nen muss auf­hö­ren. War­um muss eine Insze­nie­rung bei der Pre­mie­re „fer­tig“ sein, war­um muss sie mög­lichst iden­tisch repro­du­zier­bar sein, wie ein mecha­ni­sches Kunst­werk? Jaja, Thea­ter ist nie iden­tisch. Was für ein Unsinn. Der Pro­zess ist auf iden­ti­sche Wie­der­ho­lung ange­legt, es ist kein pro­zes­sua­les Kunst­werk, das sich bei den nächs­ten „Auf­füh­run­gen“ ver­än­dert. Wie sinn­los, da doch Thea­ter – wovon spä­ter noch zu han­deln sein wird – ein Kunst­werk der zeit und der koprä­sen­ten Live­haf­tig­keit ist. Ein mie­ser Film in den Kinos bleibt für alle Vor­stel­lun­gen der­sel­be mie­se Film. Thea­ter könn­te anders sein. Wie? Das wäre auszuprobieren.
  2. Die Schnel­lig­keit bezieht sich nicht auf die Auf­ein­an­der­fol­ge der Pro­duk­tio­nen, son­dern auf die Vor­lauf­zei­ten. Den­ken wie die Berufs­feu­er­wehr, nicht wie das Bau­amt. Wo alle Betei­lig­ten dafür bezahlt wer­den, ten­den­zi­ell stän­dig ver­füg­bar zu sein, müss­te die Reak­ti­ons­schnel­lig­keit hoch sein.

 

Die Fra­ge der Qualität

Nicht ganz zu unrecht merkt Frank Kroll an, die text­li­che Pro­duk­ti­on könn­te sich auf das Niveau von Soap Operas im Fern­se­hen hin­ab­be­ge­ben. Dem ist zwei­er­lei ent­ge­gen zu halten:

  1. So schlecht ist das nicht. Es wird Schmon­zes pro­du­ziert, der aber in einer Qua­li­tät, dass zahl­lo­se Men­schen den Schrott nicht nur anschau­en, son­dern sogar Fans davon wer­den und ihren Tages­ab­lauf nach den Sen­de­zei­ten gestal­ten. Schmon­zes ist nicht die natür­li­che Fol­ge der Pro­duk­ti­ons­form, Schmon­zes ist das Ziel. Und das wird hoch pro­fes­sio­nell pro­du­ziert. Mei­ne The­se: Man könn­te in die­ser Pro­duk­ti­ons­wei­se auch ande­res her­stel­len, als Müll.
  2. Selbst wenn es hier und da nur Mit­tel­maß gewor­den wäre: Ich stel­le mir vor, 144 öffent­li­che Büh­nen in Deutsch­land hät­ten bereits im zwei­ten Halb­jahr 2008 begon­nen, die Finanz­in­dus­trie auf die Hör­ner zu neh­men. 144 Spiel­vor­la­gen (nen­nen wir sie der Ein­fach­heit hal­ber nicht Stü­cke oder Tex­te) wären ent­stan­den, vie­le davon viel­leicht mit­tel­mä­ßig. Eini­ge schlecht, eini­ge über­durch­schnitt­lich (ein­fa­che Gauß’sche Ver­tei­lungs­kur­ve). Und die über­durch­schnitt­li­chen Vor­la­gen wären von ande­ren Häu­sern über­nom­men, die mit­tel­mä­ßi­gen von ande­ren Teams in ande­ren Häu­sern umge­ar­bei­tet wor­den – welch eine mäch­ti­ge und lau­te Stim­me hät­te sich erho­ben. Und es hät­te nicht der knor­ri­gen Stim­me Pey­manns bedurft, sich in Inter­views dar­über auf­zu­re­gen, dass er außer der Johan­na nichts Spiel­ba­res zum The­ma Wirt­schaft und Finanz findet.

 

Ich fin­de das ein­leuch­tend. Im nächs­ten Pos­ting dann mehr zu der Fra­ge des ste­hen­den Berufs-Thea­ters in der gesell­schaft­li­chen Mitwelt.

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