Die Burka und die gesetzliche Verhaftung der Frauen in der Opferrolle

Juli 23rd, 2010 § 2 comments

Ich geste­he, dass sich zum Bur­ka- und Kopf­tuch­ver­bot beim mir kei­ne instantan kla­re Mei­nung ein­stellt. Das macht den fol­gen­den Arti­kel viel­leicht ein wenig unüber­sicht­lich — jeden­falls lang.

Kus­anow­sky und weiss­gar­nix schrie­ben unlängst dazu. Kus­anow­skys Gedan­ke, der mir in der Sache tat­säch­lich (jeden­falls von mir) unge­dacht erscheint:

der weib­li­che Kör­per bleibt für sozia­le Beob­ach­tungs­sys­te­me skan­dal­fä­hig. Es ist kei­ne Art von Eman­zi­pa­ti­on mög­lich, die dar­an etwas ändern könn­te, weil alle Eman­zi­pa­ti­ons­be­mü­hun­gen den Skan­dal der Ungleich­wer­tig­keit der Ver­tei­lung von Auf­merk­sam­keit auf anthro­po­ge­ne Umwelt­kom­ple­xi­tät not­wen­dig repro­du­zie­ren müs­sen, um die Legi­ti­mi­tät der Emna­zi­pa­ti­on nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. (hier)

Aller­dings kommt er — dabei ganz Beob­ach­ter und nicht Rich­ter — am Ende natür­lich in die Unent­schie­den­heit hin­sicht­lich der Aus­gangs­fra­ge (mit leich­ter Ten­denz wohl gegen das Bur­ka­ver­bot — wenn ichs recht ver­ste­he). Wenn nicht zur Unent­scheid­bar­keit. Aber die Gleich­stel­lung von Bur­kafor­de­rern und Bur­ka­ver­bie­tern ist bedenkenswert:

Will man behaup­ten, die Bur­ka bezeich­ne einen Ver­hül­lungs­skan­dal, der durch Zwang zur Nicht­sicht­bar­keit ent­steht, wird nun sicht­bar, dass der Zwang zur Ent­hül­lung eben­falls ein Skan­dal ist, weil die so erzeug­te Sicht­bar­keit an der Ober­flä­che das weib­li­chen Kör­pers die Zwang­haf­tig­keit wie­der­holt, die mit die Zwang­haf­tig­keit der Ver­hül­lung entsteht.

Bei weiss­gar­nix (hier (Update 2015: Weiss­gar­nix-Blog inzwi­schen off­line)) fin­det der lust­voll pole­mi­sche Gegen­schlag mit Ver­weis auf hei­mi­sche Tra­di­tio­nen (bay­ri­sche Kirch­gang-Dress­codes; skan­da­lö­se Arsch­ge­wei­he) statt und eine Argu­men­ta­ti­on, hier tobe sich ein “Libe­ra­lis­mus” aus, der das Pri­va­te zu regle­men­tie­ren über­nimmt, das zu regle­men­tie­ren ihm nicht zustün­de. Hin­ter dem er einen rela­tiv spie­ßi­gen wenn nicht reak­tio­nä­ren Feld­zug gegen spie­ßi­ge wenn nicht gar reak­tio­nä­re Tra­di­ti­ons­ge­mein­schaf­ten sieht.

Das läuft in den — wie zumeist bei weiß­gar­nix sehr lesens­wer­ten — Kom­men­tar­de­bat­ten auf die Fra­ge der grund­sätz­li­chen indi­vi­du­el­len Ent­fal­tungs­mög­lich­keit und Frei­heit her­aus. Ist es also eine frei­wil­li­ge (Gruß an die Neu­ro­wis­sen­schaft) Ent­schei­dung der Frau­en, eine Bur­ka zu tra­gen, aus reli­giö­ser Über­zeu­gung? Oder wer­den sie von ihre Gat­ten dazu gezwun­gen und ist dem­ge­mäß die Bur­ka ein skan­da­lös offen­sicht­li­ches Zei­chen der Unterdrückung?

Bur­ka­ver­bot als Opferbefreiung?

Da scheint zunächst der Hund begra­ben: Ist das Ver­bot der Bur­ka die Befrei­ung der Trä­ge­rin? Oder ist es die Ein­schrän­kung ihrer Frei­heit, die reli­giö­se Tracht zu ver­bie­ten? Lässt es sich als “chacun à son gôut” inter­pre­tie­ren? Oder als Rück­fall in Unfrei­hei­ten? Das ist eine Inter­pre­ta­ti­ons- und Bewer­tungs­fra­ge. Ob sol­che Bewer­tun­gen als Geset­zes­grund­la­gen sinn­voll sind, lässt sich treff­lich dis­ku­tie­ren. Ver­mut­lich wür­de erst dann die Debat­te auf­hö­ren, wenn das Gesetz vor­schrie­be, dass auch die Gat­ten ver­schlei­er­ter Frau­en die Bur­ka tra­gen müs­sen. Bei­de oder kei­ner von bei­den. Oder wenn schlicht und ein­fach im Rah­men von Frau­en­häu­sern oder Frau­en­hil­fe­ein­rich­tun­gen Anlauf­stel­len für Frau­en geschaf­fen wer­den, die sich von der Bur­ka ver­ab­schie­den wol­len — und zugleich von ihrem Mann. Oder wo dem Gat­ten in über­zeu­gen­der Dar­le­gung klar gemacht wird, dass in die­sem Land Men­schen die Klei­der­wahl wei­test­ge­hend frei ent­schei­den kön­nen. Sofern sie nicht bei der Bun­des­wehr sind.

Man kann sich der Fra­ge aber auch anders nähern: Ob die Bur­ka­trä­ge­rin­nen — erst durch die Bur­ka zum Opfer wur­den oder ob das Auge der sie betrach­ten­den Befrei­er sie bereits vor­her zum Opfer gemacht hat.

Die eigent­li­che Problematik

Die eigent­li­che Pro­ble­ma­tik liegt ver­mut­lich für die nicht-isla­misch gepräg­ten, auf­ge­klär­ten und der Gleich­be­rech­ti­gung sich ver­pflich­tet haben­den Gesell­schaf­ten anders­wo. Und sie ver­mengt sich mit den Gleich­be­rech­ti­gungs­fra­gen auf unter­grün­di­ge und sehr unan­ge­neh­me Wei­se. Es ist das Pro­blem eines per­for­ma­ti­ven Para­do­xons. Der Kampf um die Gleich­stel­lung der Frau­en muss vor­ab die Frau­en als “das schwa­che Geschlecht” begrei­fen. Zumin­dest als Opfer einer män­ner­do­mi­nier­ten Gesellschaft.Und per­p­etu­iert damit die gesell­schaft­li­che Ein­schät­zung der Frau­en­rol­le als schwach und dominiert.

Damit wird Frau­en in der zemen­tier­ten Opfer­rol­le per­ma­nent der Objekt-Cha­rak­ter attri­bu­iert, aus dem sie sich durch die Gleich­stel­lung befrei­en soll­ten. Will hei­ßen: Solang jeder beim The­ma “häus­li­che Gewalt” das Bild eines Grob­schlächt­lings und eines zar­ten weib­li­chen Wesens mit blau­en Fle­cken im Kopf asso­zi­iert, ist die Sub­jekt-Objekt Bezie­hung als Täter-Opfer fest­ge­schrie­ben. Noch der Gesetz­ge­ber defi­niert im Bur­ka­ver­bot — bzw. bereits in der Dis­kus­si­on des Bur­ka­ver­bots — die Frau­en als schwa­che, den Män­nern jeder­zeit unter­le­ge­ne Geschöp­fe. Und beto­niert die Schwä­che damit (im Nach­trag unten eine Stel­le, die die Schwä­che der Frau von Minis­te­ri­al­sei­te festschreibt).

Ein (lei­der nicht ganz so) kur­zer, befremd­li­cher Exkurs in die Zahlen

Viel­leicht hilft der Ver­weis aufs “Mess­ba­re” im Zusam­men­hang mit Akti­vi­tät und Gewalt­tä­tig­keit: über die Ver­tei­lung der Akti­vi­tät bei­der Gesch­ech­ter geben zwei Stu­di­en des Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­ums hier (Gewalt gegen Frau­en) und hier (Gewalt gegen Män­ner) Aus­kunft — die Täter­schaf­ten sind nahe­zu gleich verteilt:

Jedem vier­ten der befrag­ten rund 200 Män­ner wider­fuhr ein­mal oder mehr­mals min­des­tens ein Akt kör­per­li­cher Gewalt durch die aktu­el­le oder letz­te Part­ne­rin, wobei hier auch leich­te­re Akte ent­hal­ten sind, bei denen nicht ein­deu­tig von Gewalt zu spre­chen ist. Jeder sechs­te der ant­wor­ten­den Män­ner (36 von 196) gab an, ein­mal oder mehr­fach von sei­ner aktu­el­len bzw. letz­ten Part­ne­rin wütend weg­ge­schubst wor­den zu sein.

Die fol­gen­den Hand­lun­gen wur­den jeweils von fünf bis zehn Pro­zent der Män­ner benannt: Sie wur­den von ihrer Part­ne­rin „leicht geohr­feigt“ (18 von 196), „gebis­sen oder gekratzt, sodass es weh tat“ (13 von 196), „schmerz­haft getre­ten, gesto­ßen oder hart ange­fasst“ (10 von 196) oder die Part­ne­rin hat „etwas nach ihnen gewor­fen, das ver­let­zen konn­te“ (10 von 196). Unge­fähr fünf Pro­zent der Befrag­ten haben im Zusam­men­hang mit häus­li­cher Gewalt min­des­tens ein­mal eine Ver­let­zung davon­ge­tra­gen. Der glei­che Anteil von Män­nern hat bei einer oder meh­re­ren die­ser Situa­tio­nen schon ein­mal Angst gehabt, ernst­haft oder lebens­ge­fähr­lich ver­letzt zu wer­den. (hier Sei­te 10f.)

Wer hat jetzt beim Lesen “Och je, die sol­len sich mal nicht so haben …” gedacht? Und dabei das klei­ne zar­te Mäd­chen gese­hen, das wütend auf den Gro­bi­an ein­trom­melt mit Fäus­ten, ver­zwei­felt, geknech­tet, frei­heits­u­chend? Lesen wir noch die nächs­ten Sät­ze dazu:

Kein ein­zi­ger der Män­ner, die ange­ben, häus­li­che Gewalt durch die Part­ne­rin erfah­ren zu haben, hat die Poli­zei geru­fen, obwohl eini­ge der Mei­nung waren, dass die Part­ne­rin dafür bestraft wer­den soll­te. Rund die Hälf­te gibt an, sich in sol­chen Situa­tio­nen mit die­ser Part­ne­rin nie kör­per­lich gewehrt, zum Bei­spiel zurück­ge­schla­gen zu haben. Deut­lich mehr als die Hälf­te gab an, nie mit kör­per­li­cher Gewalt ange­fan­gen zu haben.

“Na, jetzt lügen sie auch noch? Natür­lich haben sie ange­fan­gen. Wer­den es schon ver­dient haben, das sie sich wehrt …?” Wem geht das gera­de durch den Kopf — vol­ler Ste­reo­ty­pen? Wer hat das Objekt-Bild der Frau hin­rei­chend in sein Den­ken ein­ge­brannt? Dann neh­men wir noch die Stu­die zum The­ma “Gewalt gegen Frauen”:

Rund 25 % der in Deutsch­land leben­den Frau­en haben For­men kör­per­li­cher oder sexu­el­ler Gewalt (oder bei­des) durch aktu­el­le oder frü­he­re Bezie­hungs­part­ne­rin­nen oder ‑part­ner erlebt. (Stu­die)

Die abge­frag­ten Kate­go­rie haben die­sel­be Spann­wei­te wie die oben für Män­ner beschriebenen:

Die kör­per­li­chen Gewalt­hand­lun­gen, die im Rah­men der Stu­die abge­fragt wur­den, umfas­sen ein brei­tes Spek­trum an Gewalt­hand­lun­gen, von leich­ten Ohr­fei­gen und wüten­dem Weg­schub­sen über Wer­fen oder Schla­gen mit Gegen­stän­den bis hin zu Ver­prü­geln, Wür­gen und Waf­fen­ge­walt (…). Um Hin­wei­se auf die Schwe­re der erleb­ten kör­per­li­chen Über­grif­fe zu erhal­ten, wur­den unter ande­rem die aus den Gewalt­hand­lun­gen resul­tie­ren­den Ver­let­zungs­fol­gen (…), sowie die Häu­fig­keit und die sub­jek­tiv erleb­te Bedroh­lich­keit der Situa­tio­nen abge­fragt. (ebd.)

Bei der Schwe­re der Gewalt las­sen sich die Zah­len zunächst schwer ver­glei­chen, weil in der Frau­en­stu­die Pro­zen­te von Pro­zen­ten gebil­det werden:

So konn­te anhand der Nach­fra­gen im schrift­li­chen Fra­ge­bo­gen fest­ge­stellt wer­den, dass von den Frau­en, die kör­per­li­che oder sexu­el­le Über­grif­fe durch aktu­el­le oder frü­he­re Bezie­hungs­part­ner erlebt haben, knapp ein Drit­tel (31 %) anga­ben, im bis­he­ri­gen Leben nur eine Gewalt­si­tua­ti­on durch Part­ner erlebt zu haben, wäh­rend 36 % 2 bis 10 Situa­tio­nen nann­ten und ein wei­te­res Drit­tel (33 %) mehr als 10 bis hin zu über 40 Situa­tio­nen. Bei 64 % der Betrof­fe­nen hat­ten die gewalt­sa­men Über­grif­fe durch (Ex-)Partner kör­per­li­che Ver­let­zun­gen von Prel­lun­gen und blau­en Fle­cken bis hin zu Ver­stau­chun­gen, Kno­chen­brü­chen, offe­nen Wun­den und Kopf-/Ge­sichts­ver­let­zun­gen zur Fol­ge; bei 36 % hat­ten sie kei­ne Ver­let­zun­gen zur Fol­ge. (ebd.)

Machen wir die Rech­nung auf: 25% der Frau­en haben in ihrer Bezie­hung Gewalt erlebt. Davon 31% (= 7,75%) ein­mal, ins­ges. 9% mehr als 10mal, 8,25% mehr als 40mal. Schlimm genug. Die Män­ner­stu­die ver­wen­det lei­der ande­re Häu­fig­keits­ka­te­go­rien 6% der Män­ner ein­mal, 8% 2–3mal, 9% über 4mal. Man muss sich über die­se Zah­len nicht strei­ten (jeden­falls nicht hier — im ent­spre­chen­den wis­sen­schaft­li­chen Umfeld aber sehr wohl). Und ver­mut­lich bedarf es auch kei­ner lan­gen Debat­te um fest­zu­stel­len, dass die sta­tis­ti­sche Ver­tei­lung von Kör­per­kräf­ten dafür sorgt, dass Frau­en schwe­rer durch Gewalt ver­letzt wer­den als Män­ner.  Dar­um geht es hier aber nicht — wäre die Kraft­ver­tei­lung eine ande­re wären die Ver­let­zun­gen auch anders. Jen­seits die­ser dis­ku­ta­blen Bedin­gun­gen der Gewalt­aus­übung lässt sich aber fest­stel­len, dass Frau­en eben nicht eo ipso das “schwa­che” bzw. “wil­lens­lo­se und durch­set­zungs­un­fä­hi­ge” Geschlecht sind, das durch den Gesetz­ge­ber noch als schwach gebrand­markt wer­den muss.

For­men von Gewalt

Bei der Bur­ka-Fra­ge haben wir es zudem ver­mut­lich zumin­dest teil­wei­se mit einer Form psy­chi­scher Gewalt zu tun. Neh­men wir die ent­spre­chen­den Abschnit­te der Stu­di­en hinzu:

Frau­en­stu­die:

42 % aller befrag­ten Frau­en gaben an, For­men von psy­chi­scher Gewalt erlebt zu haben, die von ein­ge­schüch­tert Wer­den oder aggres­si­vem Anschrei­en über Ver­leum­dun­gen, Dro­hun­gen und Demü­ti­gun­gen bis hin zu Psy­cho­ter­ror reich­ten. (ebd.)

Män­ner­stu­die:

Von psy­chi­scher Gewalt inner­halb von Part­ner­schaf­ten wird wesent­lich häu­fi­ger berich­tet als von kör­per­li­cher. Auf­fäl­lig ist hier der wesent­lich höhe­re Anteil der Nen­nun­gen im Bereich der sozia­len Kon­trol­le als im Bereich der direk­ten psy­chi­schen Angrif­fe, Demü­ti­gun­gen, Her­ab­set­zun­gen und Belei­di­gun­gen. Jeder fünf­te Mann (38 von 199) gibt an, dass sei­ne Part­ne­rin eifer­süch­tig ist und sei­nen Kon­takt zu ande­ren unter­bin­det. Jeder sechs­te Mann (35 von 199) sagt: Mei­ne Part­ne­rin kon­trol­liert genau, wohin ich mit wem gehe, was ich mache und wann ich zurück­kom­me. Fünf bis acht Pro­zent der Män­ner berich­ten, dass die Part­ne­rin ihre Post, Tele­fon­an­ru­fe oder E‑Mails (16 von 199) kon­trol­liert, dass die Part­ne­rin dar­über bestimmt, was sie zu tun oder zu las­sen haben (9 von 199), oder dass die Part­ne­rin sie dar­an hin­dert, Freun­de, Bekann­te oder Ver­wand­te zu tref­fen (13 von 199).

In etwas gerin­ge­rer Häu­fig­keit berich­ten Män­ner auch über ande­re For­men der psy­chi­schen Gewalt in Lebens­ge­mein­schaf­ten: Ihre Part­ne­rin schüch­tert sie ein, wenn sie ande­rer Mei­nung sind; sie beschimpft und belei­digt sie oder sagt absicht­lich Din­ge, die ver­let­zen; ihre Part­ne­rin macht sie vor ande­ren run­ter; sie schüch­tert sie ein durch wüten­des, unbe­re­chen­ba­res oder aggres­si­ves Verhalten.

Nun geht es hier gar nicht dar­um, die “armen Män­ner” zu reha­bi­li­tie­ren und eben­falls zu vik­ti­mis­ren  — son­dern die Bil­der, die dem einen oder ande­rem Leser die­ser Zei­len im Kopf umher­spu­ken (und von denen auch die Gesetz­ge­bung noch immer nicht frei ist — iehe Nach­trag unten) her­aus­zu­stel­len. Solan­ge Frau­en auto­ma­tisch als Opfer vor­be­ur­teilt wer­den, wer­den sie nie­mals gleich­ge­stellt sein. Erst wenn Män­ner und Frau­en glei­cher­ma­ßen als Täter und Opfer sowohl vor dem Gesetz als auch vor dem Vor­ur­teil erschei­nen, wenn die Ohr­fei­ge in die eine Rich­tung als eben­so ent­wür­di­gen­der (und nicht auto­ma­tisch selbst­ver­tei­di­gen­der Akt) betrach­tet ist, wird sich die­se Gleich­be­rech­ti­gung einstellen.

Dann kann man übri­gens auch über die Bur­ka-Fra­ge debat­tie­ren — und wird es ver­mut­lich gar nicht mehr müs­sen. Weil die Trä­ge­rin ihrem Mann eine schmiert, wenn er sie zu zwin­gen ver­sucht eine Bur­ka zu tra­gen. Oder wenn er sie davon abhal­ten will, sie zu tra­gen. Und viel­leicht tut sie das schon. Hat eigent­lich mal jemand die Bur­ka­trä­ge­rin­nen gefragt, was sie sich wün­schen? Ganz im Geheimen?

Nachtrag:Der Vor-Urteil des Gesetz­ge­bers und sei­ner Exekutive

Die Behaup­tung eines gesetz­ge­be­ri­schen Vor­ur­teils bedarf natür­lich des Bele­ges. Zum Bei­spiel das nie­der­säch­si­sche Fami­li­en­mi­nis­te­ri­um redet (hier) beim The­ma “Häus­li­chen Gewalt” ein­fach nur von Frau­en als Opfern. Kommentarlos:

Das Minis­te­ri­um bezieht sich ganz offen­sicht­lich auf die Stu­di­en des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums — aber “häus­li­che Gewalt” vik­ti­mi­siert unmit­tel­bar die Frau­en. Sie wer­den in ihre Opfer­rol­le beto­niert. Gleich­be­rech­ti­gung? Es geht noch wei­ter — und dann wird aus “häus­li­cher Gewalt” gleich “Män­ner­ge­walt”:

Übri­gens hat das Krim­no­lo­gi­sche For­schungs­in­sti­tut Nie­der­sach­sen (eben­falls Nie­der­sach­sen!) im Rah­men einer Stu­die zum “Kri­mi­na­li­tät und Gewalt im Leben alter Men­schen” zwei Zah­len ange­ge­ben, die sich nicht nur auf alte Men­schen bezie­hen und nicht ganz unin­ter­es­sant sind:

Sei­te 160: »(…) so ergibt sich, dass 1991 in der BRD ins­ge­samt ca. 1,59 Mio. Frau­en im Alter zwi­schen 20 und 59 Jah­ren min­des­tens ein­mal Opfer phy­si­scher Gewalt in engen sozia­len Bezie­hun­gen waren, für Män­ner beträgt die ent­spre­chen­de Anzahl 1,49 Mio. …«

Am Ende ein Caveat

Und am Ende noch­mal, um das Miß­ver­ständ­nis, das bei jedem ange­rühr­ten Tabu auf­ge­wir­belt zu wer­den droht, zu ver­mei­den: Die Her­aus­for­de­rung besteht im gege­be­nen Zusam­men­hang nicht dar­in, dass Män­ner auch Opfer sind oder sein kön­nen und das sich die­se Rol­le zah­len­mä­ßig nicht all­zu­weit der Anzahl weib­li­cher Opfer befin­det. Es geht auch  nicht eigent­lich dar­um, nach­zu­wei­sen, dass ent­spre­chend auch Frau­en in bestimm­ter Anzahl Sub­jek­te von Gewalt sind.

Es geht ledig­lich dar­um, am Bei­spiel häus­li­cher Gewalt ein Vor­ur­teil nach­zu­wei­sen, auf des­sen unre­flek­tier­tem Vor­han­den­sein die Bur­ka­de­bat­te auf­sitzt. Die Fra­ge, ob das Gesetz Frau­en vor etwas beschüt­zen muss, das sie nicht wol­len, weil sie grund­sätz­lich (!) zu schwach sind, es durch­zu­set­zen. Ob also aus den Hän­den her­ri­scher Män­ner die Frau­en über­ge­hen müs­sen in die Hän­de des her­ri­schen Geset­zes, das ihnen ver­bie­tet, was ihre Män­ner befeh­len. Und bevor die­se Debat­te geführt wird, müs­sen eini­ge Vor­ur­tei­le über Frau­en aus den Köp­fen verschwinden.

Übri­gens: In der Per­son der kämp­fe­ri­schen Frau Ali­ce Schwar­zer bereit zeigt sich der per­for­ma­ti­ve Wider­spruch, die als kämp­fe­ri­sche Frau nicht nur in der Lage ist, jeder­zeit Män­nern Paro­li zu bie­ten, son­dern die­se jeder Zeit argu­men­ta­tiv zu über­win­den. Heißt: Die zum Schutz der Frau­en kämp­fen­de Ali­uce Schwar­zer beweit, dass die Unter­le­gen­heit der Frau­en nicht grund­sätz­lich vor­liegt. Das ein­ge­räumt ist von der Unter­drü­ckung “der Frau” so ein­fach nicht mehr zu spre­chen. Son­dern es kann nur der Auf­ruf erfol­gen: Frau­en kämpft. Schmeißt die Bur­ken (Bur­ki? Bur­kas?) weg, wenn ihr sie nicht wollt. Und lasst euch nicht ver­bie­ten sie zu tra­gen, wenn ihr denn unbe­dingt wollt. Aber: wollt etwas!

Link: Ein Bericht vom Focus aus dem Jahr 1994  über eine offen­bar unter Ver­schluss gehal­te­ne Minis­te­ri­ums­stu­die zur häus­li­chen Gewalt, die die Zei­tung ver­an­lass­te, selbst eine sol­che reprä­sen­ta­ti­ve Stu­die in Auf­trag zu geben hier.

§ 2 Responses to Die Burka und die gesetzliche Verhaftung der Frauen in der Opferrolle"

  • Anonymus sagt:

    Ich bin noch immer dabei, mit dem Schlei­er fer­tig zu wer­den. Heißt womög­lich nach dem Ende des Schlei­ers zu suchen sei­ner Logik zu fol­gen? Soll­te man nun doch die Ent­schleie­rung ableh­nen? Pro Schlei­er, con­tra Ent­hül­lung? Oder läuft das eine auf das ande­re hin­aus? Muß man sich nicht lang­sam ent­schei­den und eine ordent­li­che kom­pa­ra­tis­ti­sche Arbeit schrei­ben, die ja-nein, ja-nein Tafeln ent­wi­ckelnd die Wahr­heit über den Schlei­er zu berich­ten weiß? Nicht zu schnell, sagt Der­ri­da. “Not in a hur­ry. Yes, I’m against, yes, yes, I am. Against tho­se who pre­scri­be the veil and other such things, against tho­se who for­bid it too [womit wir wie­der in der fran­zö­si­chen Schu­le sind], and who think they can for­bid it, ima­gi­ning that this is good; that it is pos­si­ble and that it is meaningful.”[31] Die Nega­ti­on ist durch ein drei­fa­ches “Ja” gerahmt: Ja, ich bin dage­gen, ja, ja. Gegen die Vor­schrift des Schlei­ers und gegen sein Ver­bot sich zu äußern, muß als Akt bejaht sein, bevor er sich voll­zieht. Und selbst dann, wenn man dage­gen ist, oder wenn man ver­bie­tet, ist man mit dem Schlei­er noch lan­ge nicht fer­tig. “Not in a hur­ry: the scho­lar­ly, the secu­lar and the demo­cra­tic belong through and through to cul­tures of (…) the veil, etc., peo­p­le don’t even rea­li­se any longer…”[32] Inso­fern der gan­ze Pro­zeß der Säku­la­ri­sa­ti­on von einer Rhe­to­rik der Ent­schleie­rung durch­zo­gen wird, hat auch die Schu­le bzw. die Uni­ver­si­tät, die sich gegen den Schlei­er aus­spricht, an ihm teil.

    http://www.culture.hu-berlin.de/verstaerker/vs004/volkening.html

  • […] kön­nen?). Ich will hier nicht die Frau­en-Män­ner-Debat­te zum Dau­er­the­ma machen, wie­wohl ich (hier) beim The­ma Bur­ka (aber mit gänz­lich ande­rem Fokus) dar­auf Bezug genom­men habe. Wir kom­men zu […]

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