Digitalökonomieist eine Ökonomie, in der nichts knapp ist außer der Knappheit selbst. Unternehmen, einst angetreten um den Wunsch nach knappen Gütern zu (wecken und zu) befriedigen, stehen nun vor der einmaligen Situation, dass ihre Güter nicht mehr knapp sind. Sie konkurrieren (etwa in der schönen Parole “Zeitungen versus Blogger”) mit Produzenten, die gleiche Stückzahlen mit weniger bzw. gar keinem finanziellen Invest herstellen und vertreiben können. Die zudem unendlich viele “Kopien” eines einmal gekauften Produkts in den kostenlosen Verkehr bringen können. Das plötzlich so wichtige erwachende Interesse am Urheberrecht und daraus (unhaltbar) abgeleiteten Ansprüchen der Verwerter von Urhebungen erscheint als Heiland. Und ist doch nur ein verkleideter Student mit weißem Bart.
Neben dem Umgang der bestehenden ökonomischen Einheiten — nennen wir sie vorerst weiterhin Unternehmen und Firmen — mit den digitalökonomischen Gegenbenheiten stellt sich zugleich die Frage, wie staatliche Macht mit diesem ökonomischen Gebilde umgeht. Denn im staatlichen Handeln und Eingriff treffen zwei Dimensionen aufeinander, die es demokratischen Staaten nahezu unmöglich macht, eigene Machtansprüche aufrecht zu erhalten und durchzusetzen. In dem generalisierten (Aus-)Tauschsystem Digitaliens werden nicht nur Virtualien gehandelt, sondern vor allem Daten und Informationen. Und damit müssen staatliche Eingriffe in die physische Infrastruktur Digitaliens (Vulgo: des Netzes) sich jederzeit mit dem Vorwurf der Zensur auseinander setzen. Waren Handelshemmnisse, Handelsbeschränkungen, Zölle früher einfach Aktionen im Handelssystem, so wird jetzt die Errichtung von Infrastrukturen, die solche Grenzen einziehen könnten, unmittelbar zu einem (Vorbereitungs-)Akt der Zensur. Die Zensursula-Debatte um Netzsperren und Stoppschilder hat dieses Thema an einem (für die Öffentlichkeit leider weitestgehend nicht als solcher verstandenen) symbolischen Gegenstand ausgetragen: Darf das crimen exceptum der Gegenwart durch eine solche Infrastruktur bekämpft werden? Und die Niederlage der staatlichen Stellen zeigt, mit welch ungeheurer Machtbeschränkung Einzelstaaten hier bereits konfrontiert sind.
Gleichzeitig zeigt der Streit der Verbraucherschutzministerin Aigner mit Facebook die Ausmaße der Hilflosigkeit, Großkonzerne Digitaliens in Griff und politische Kontrolle zu bringen. Für Zuckerberg sind Vertreter der deutschen Regierung Provinzfürsten, die keinerlei Einflussmöglichkeit auf sein Netzwerk (im Sinne eines Unternehmens) haben. Facebook ist kein globales Unternehmen wie ein Großkonzern. Facebook ist ein ortloses Unternehmen. Ein Transitunternehmen, das mit minimalem Aufwand seinen Firmensitz irgendwohin verlegen könnte. Wobei Firmensitz nur noch eine Serverfarm ist. Die in den kommenden Zeiten von Cloud Computing vielleicht eines Tages selbst nicht einmal mehr zu lokalisieren sein wird. Oder dessen “Innerstes” nur noch so groß wie eine Zigarettenschachtel ist. Eine Datenbank.
Wenn Facebook nun — wie für September angekündigt — eine eigene Währung herausbringt, wird die Staatsmacht, die sich heutzutage ganz wesentlich als Finanzmacht darstellt, weiter geschwächt werden. Denn der Anspruch der Digitaliener wird sein, den freien Informationsfluss gewährt zu bekommen, der einer Demokratie würdig ist und der von demokratischen Staaten seit langem von Staaten wie China gefordert wird, die sich hinter einer “Golden Wall” vom weltweiten Netz ausschließen.
Die Machtfrage, der sich Staaten schnellstens stellen sollten lautet: Wird Digitalien ein supranationales Unternehmen (wie Facebook, Google usw.)? Wird es eine supranationale politische Konstruktion, die staatlichen Regelungen nur unterliegt wenn sich sämtliche Staaten auf gemeinsame Standards einigen (unmöglich) oder indem Digitalien zum Einflussgebiet der UN erklärt werden (was vielleicht sinnvoll wäre). Wird das Netz eine transnationale, transökonomische Gemeinschaft, die sich durch einfache Mitwirkung konstituiert und sich selbst Regeln und Gesetze gibt? In jedem dieser Szenarien wird der Staat, wird sich Staatlichkeit insgesamt massivst verwandeln. Man stelle sich eine voranschreitende Vernetzung vor, in der die Einwohner Deutschlands, der USA, Pakistans, Afghanistans, Irans, Iraks miteinander vernetzt wären und miteinander parlierten: wer würde unter solchen Bedingungen Krieg führen wollen?
Staatlichkeit versucht bereits und wird weiter versuchen Digitalien und das Netz in staatsähnliche Segmente zu zerteilen, um den regionalen politischen Zugriff zu ermöglichen. Staatspolitik wird wieder Grenzpolitik — die aber mittel- und langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Es sei denn, man wolle eine physische geschlossene Infrastruktur schaffen — von China lernen heißt hier … sicher nicht siegen lernen.
Aber letztendlich lautet die Frage noch viel mehr: Was wollen die Einwohner Digitaliens? Wie wollen Digitaliener die digitale Renaissance gestalten? Ihr?