Fernsehen: Welterzeugung durch die Gottesmaschine

Februar 5th, 2013 Kommentare deaktiviert für Fernsehen: Welterzeugung durch die Gottesmaschine

Fern­se­hen stellt die Betrach­tung der Welt um von einer blo­ßen Wahr­neh­mung hin auf Inter­pre­ta­ti­on. Wor­auf auch immer das Kame­ra­au­ge sich rich­tet, das wird zunächst zu einem Gegen­stand der Fra­ge, und zwar der Fra­ge nach der Bedeu­tung. Damit kas­siert Fern­se­hen zunächst den Unter­schied zwi­schen Natur­din­gen und Kunst­wer­ken, wenn denn die Aus­zeich­nung der her­ge­stell­ten Kunst­wer­ke im Gegen­satz zu den (jeden­falls nicht von Men­schen) her­ge­stell­ten Natur­ob­jek­ten dar­in besteht, dass sie bedeu­tend sind – wäh­rend sie sich zugleich von allen ande­ren mensch­li­chen Her­vor­brin­gun­gen dadurch unter­schie­den, dass sie kei­nen ande­ren zweck haben, als eben zu bedeuten.

Tech­nik, ver­stan­den als der zweck­ra­tio­na­le Ein­satz von phy­sisch vor­han­de­nen Mit­teln, ver­nutz­te die Welt als Roh­stoff.  Erst durch Ein­be­zie­hung in einen sol­chen Ver­nut­zungs­zu­sam­men­hang beka­men die Roh­stof­fe „Sinn“ inso­fern als sie sich zweck­mä­ßig ein­fü­gen lie­ßen in eine Pro­duk­ti­ons­ket­te, in der sie ent­we­der als Pro­duk­ti­ons­mit­tel, als durch Arbeit zu ver- und bewer­ten­de Aus­gangs­stof­fe oder als Pro­duk­ti­ons­or­te auf­tra­ten. Der tech­nisch-instru­men­tel­len Ver­nunft erscheint die Welt als ein Roh­stoff­la­ger, des­sen Inhalt ent­we­der bereits ver­nutz­bar sind oder die auf eine zukünf­ti­ge Nutz­bar­keit war­ten, jeder­zeit auf der Suche, das Unge­nutz­te nutz­bar zu machen und zu ver­wer­ten. „Sinn“ der Natur ist dann, dar­auf zu war­ten, ver­nutzt wer­den zu können.

Die­sem tech­nisch-zweck­ra­tio­na­len Sinn stellt das Fern­se­hen, ähn­lich der Kunst, einen ande­ren Sinn gegen­über, den­je­ni­gen, eines ver­steh­ba­ren Eigen­sin­nes der Welt: Welt dabei zunächst und vor­fern­seh­haft ver­stan­den als die nicht-ein­heits­haf­te Gesamt­heit alles Vor­han­de­nen. Als Vor-Welt oder Un-Welt, der die Mög­lich­keit unter­stellt wird, Welt zu wer­den bzw. als Welt erkannt zu wer­den, das heißt als geord­ne­ter Zusam­men­hang des Sei­en­den, dar­in dem grie­chi­schen Ursprungs­be­griff von „kos­mos“ als per­fek­te Ord­nung sich anschlie­ßend. Noch die Fra­ge, was die Welt im Inners­ten zusam­men­hält, ist ja erst als nach­ran­gi­ge Fra­ge zu ver­ste­hen und zwar nach der Grund­an­nah­me DASS es einen Zusam­men­halt gibt. Und nicht etwa nur eine zufäl­li­ge Anhäu­fung von Ein­zel­hei­ten auf einem zufäl­li­ger­wei­se recht lebens­freund­li­chen Planeten.

Im Unter­schied zu Fern­se­hen aber trug die Kunst vor sich her, die Bedeu­tung erst durch ein Hin­zu­tre­ten eines Künst­lers zu erschaf­fen. Erst durch den Ein­griff des Künst­lers und die Attri­bu­ie­rung eines Dings als Kunst­werk kam die­ses in den Ver­dacht bedeu­tend zu sein und zu kom­mu­ni­zie­ren. Aller­dings natür­lich nicht ein­fach und ein­ein­deu­tig eine bestimm­te Mit­tei­lung zu kom­mu­ni­zie­ren, son­dern eine prin­zi­pi­ell unein­deu­ti­ge oder mehr­deu­ti­ge „Bot­schaft“, von der am Ende sogar der Ver­dacht auf­kam, sie sei erst durch den rezi­pie­ren­den Betrach­ter erzeugt wor­den oder über­haupt erzeug­bar (unter Ein­be­zie­hung des Künst­lers als ers­ten Betrach­ter etwa: pri­mus inter spectatores).

Von hier aus ist der Weg – his­to­risch – zurück zu theo­lo­gi­schen Gott-Welt-Theo­rien nicht weit, war doch Gott als der ers­te Crea­tor ver­stan­den wor­den, der die Welt aus dem Nichts schuf und dadurch einen sinn­haf­ten (oder wenigs­tens inten­tio­na­len – denn Gott wür­de ja wohl nichts chao­tisch Sinn­lo­ses schaf­fen …?) Zusam­men­hang erzeug­te. Gott schuf die Welt aus dem Nichts und räum­te sie ordent­lich auf – das war zu unter­stel­len. Ob es Men­schen mög­lich sei, die­sen Zusam­men­hang zu erken­nen, ist damit noch nicht garan­tiert. Aber alle Ergeb­nis­se der moder­nen Natur­wis­sen­schaft, alle „Geset­ze“, die sich in der Natur fin­den las­sen, stel­len unum­gäng­lich die Fra­ge: Wer hat sie Geset­ze gege­ben? Wer hat sie erlas­sen? Und war­um las­sen sie sich nicht durch Natur­ver­bre­cher brechen?

In den Natur­ge­set­zen der Natur­wis­sen­schaft fei­ert Gott (oder der Glau­be an ihn) fröh­li­che Urständ, auch wenn Natur­wis­sen­schaft­ler in einer selt­sa­men Kon­kur­renz­si­tua­ti­on zur Theo­lo­gie zu fin­den sind, spä­tes­tens seit die kirch­li­chen Macht­ha­ber ent­schei­den haben, Gali­lei zu ver­dam­men. Zwi­schen­zeit­lich ver­su­chen Natur­wis­sen­schaft­ler den lee­ren Platz Got­tes zu über­neh­men, indem sie eben nicht nur den Beweis antre­ten, dass mensch­li­cher Ver­stand und Ver­nunft eben doch in der Lage ist, die Geset­ze zu erken­nen – und mit ihnen tech­nisch zweck­ra­tio­nal umzu­ge­hen und eine ande­re Welt zu erschaffen.

Damit erset­zen Natur­wis­sen­schaft und Tech­nik die alte Rol­le Got­tes als Crea­tor – und las­sen sei­ne Funk­ti­on als spec­ta­tor offen. Hier nun setzt die Rol­le und der Sie­ges­zug des Fern­se­hens ein. Selbst ein tech­ni­scher Appa­rat, basie­rend auf avan­cier­ter Natur­wis­sen­schaft, leis­tet die­se Media Divina zweierlei:

  1. Sie instal­liert einen tech­nisch-natur­wis­sen­schaft­li­chen Welt­zu­gang, indem alles, was vor dem Obkjek­tiv auf­taucht und über­tra­gen wird, als Roh­stoff der tele­vi­sio­nä­ren Maschi­ne fun­giert. Dar­in ist das Fern­se­hen technisch.
  2. Das zweck­ra­tio­na­le Um-zu über­nimmt aller­dings das Fern­se­hen von der Kunst, indem sie die poten­zi­ell sinn­lo­sen Din­ge zur Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­wan­delt. Das Fern­seh­bild und der Ton zei­gen nicht ein­fach nur auf irgend etwas, son­dern sie tei­len es kom­mu­ni­ka­tiv mit. Dadurch dass die­ses und kein ande­res Objekt, Tier, Leben­we­sen usw. aus­ge­wählt und gesen­det wird, wird es kom­mu­ni­ka­ti­ver Inhalt.
  3. Fern­se­hen inte­griert die schein­bar iso­lier­ten, sinn­lo­sen Ele­men­te, die es über­trägt, in zusam­men­hän­gen­de Sinn­erzäh­lun­gen. Es ist egal, ob es nur ein Fern­seh­pro­gramm oder zehn­tau­sen­de gibt, ob nur ein Gegen­stand oder Mensch oder sämt­li­che Gegen­stän­de und Men­schen zugleich über­tra­gen wer­den. Mit der Exis­tenz von Fern­se­hen ist die Behaup­tung auf­ge­stellt, dass poten­zi­ell alles, jedes Objekt, jedes Ereig­nis sich ein­bet­ten lässt in die Sinnerzählung(en). Dass Fern­se­hen also poten­zi­ell alles zei­gen und die Zusam­men­hän­ge erklä­ren könn­te, sich aber beschränkt auf beson­de­re Ein­zel­fäl­le, die es selbst aus­wählt. Mehr oder min­der zufäl­lig. Jeder Bericht ist nur eine Para­bel auf die Sinn­hal­tig­keit der Welt – beson­ders dann bes­tens zu bemer­ken, wenn für ein paar Stun­den oder Tage (wie bei soge­nann­ten Kata­stro­phen) die Erzähl­bar­keit für einen Moment aus­setzt und hek­tisch nach „Sinn“ gesucht wird.
  4. Die dis­zi­pli­nie­ren­de Spec­ta­to­rik Got­tes, die (mit Fou­cault zu sagen) pan­op­ti­sche Dis­zi­pli­nar­macht über­nimmt Fern­se­hen, indem es einer­seits über­all und jeder­zeit zuschla­gen und etwas „auf­de­cken“ könn­te. Die zahl­lo­sen Skan­da­li­sie­run­gen und der Invs­ti­ga­ti­v­jour­na­lis­mus gehö­ren hier dazu. Zugleich sind die­se Auf­de­ckun­gen jeder­zeit mit mora­li­sie­ren­den oder ankla­gen­den Dis­kur­sen ver­bun­den und erfor­dern die Stel­lung­nah­me des Betrof­fe­nen im (ver­tei­di­gen­den oder sün­den­be­ken­nen­den) Interview.

 

Aber Fern­se­hen kann noch mehr – es kann Sinn aus dem Nichts erschaf­fen. Daher die zahl­lo­sen soge­nann­ten „fik­tio­na­len“ Sen­dun­gen, die den Ein­druck des Rea­len erwe­cken wol­len und damit nichts ande­res tun als zu bewei­sen, dass die „Geset­ze“ der Fern­seh­erzäh­lung in einem sol­chen Maße zutref­fend sind, dass es Fern­seh­ma­chern gelingt, glat­te Lügen als akzep­ta­ble Rea­li­tät auszugeben.

Fern­se­hen also als Gotes­ma­schi­ne? Media Divina? Das alles lässt sich ver­mut­lich noch wei­ter ausführen.

Tob e con­tin­ued. Maybe.

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