In der Süddeutschen Zeitung findet sich heute hier ein knapper Artikel, bei dessen Lektüre mir der Unterkiefer auf den Boden gefallen wäre, hätte die Tischplatte ihn nicht unsanft gebremst. Seit einer Studie des Harvard-Ökonomen, Schach-Großmeisters und ehemaligen Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds Kenneth Rogoff und der Harvard-Professorin Carmen Reinhart galt in der Volkswirtshaft der Grundsatz: Verschuldet sich ein Staat mit mehr als 90% seiner jährlichen Wirtschaftsleistung, geht es abwärts (hier ist die Studie downloadbar). Darauf geht der Glaubenssatz zurück, der gerade in den südeuropäischen Ländern wie Griechenland genau zu jener Sparpolitik führt, die diese Länder in eine Abwärtsspirale stürzt. Die sogenannten Märkte, im Vertrauen auf diese Studie, erhöhen die Zinsen für Länder mit dieser Schuldenquote (aus Glaubensgründen), steigende Zinsen belasten den Haushalt, zudem wird der Staat zu den bekannten Sparmaßnahmen getrieben, die eine ohnehin in der Krise befindliche Wirtschaft noch weiter in den Abgrund treiben. Die Folgen für die Bürger sind hinlänglich bekannt.
Jetzt erschien eine andere Studie (hier downloadbar), die nicht etwa einfach die 90%-Regel problematisierte, sondern gar behauptete, diese Regel sei aufgrund fehlerhafter Berechnungen, ja des mangelhaften Umgangs mit Excel zu verdanken. Es würden aus unerklärlichen Gründen bestimmte Daten ausgeblendet, unterschiedliche Betrachtungszeiträume miteinander verglichen. Das Ergebnis der neuen Studie: Über 90% Verschuldung sinkt das Wachstum nicht etwa um 0,1% pro Jahr (wie Rogoff/Reinhart statuierten), nein es steigt um 2,2%. Darauf haben Rogoff/Reinhart inzwischen hier in einem eigenen Text geantwortet. Das Resultat: Doch, doch, wie hatten bestimmt schon recht. Aber man muss nochmal nachschauen. Wir hatten ja nie von Kausalität geredet, sondern nur von der Assoziation zweier Zahlenphänomene. Das klingt im Original so:
By the way, we are very careful in all our papers to speak of “association” and not “causality” (…) Of course much further research is needed as the data we developed and is being used in these studies is new. Nevertheless, the weight of the evidence to date –including this latest comment — seems entirely consistent with our original interpretation of the data in our 2010 AER paper. (Quelle)
Ja klar. Ruhig mal ganz in Ruhe forschen. In der Zwischenzeit aber mal weiter Südeuropa verwüsten. Kann ja nicht schaden. Dass auf solcher “Wissenschaft” und einer derartigen Grundhaltung politische Entscheidungen aufgebaut werden, die ganze Länder in die Verelendung schickt, halte ich für einen Skandal. Auf Firlefanz lässt sich keine Politik aufbauen.