Flow und skandierte Zeit im Fernsehen #MediaDivina

April 18th, 2013 § 9 comments

Fern­se­hen unter­hält ein enges Ver­hält­nis zur Zeit, ver­mut­lich enger als die meis­ten ande­ren soge­nann­ten Medi­en oder Küns­te. Es hat gewis­se Ver­wandt­schaf­ten zur täg­lich oder wöchent­lich erschei­nen­den Zei­tung, viel mehr viel­leicht noch zum Tele­gra­phen, auch zum Thea­ter (und zum Film­thea­ter, nicht aber unbe­dingt zum Film).

Live-ness und Aufzeichnung

Wäh­rend die Geschich­te über Jahr­tau­sen­de ver­schie­de­ne Tech­ni­ken der Auf­zeich­nung und Auf­schrei­bung, viel­leicht sogar Ver­ewi­gung, von der Höh­len­ma­le­rei mit ihren male­ri­schen Filia­tio­nen und der Plas­tik, bis hin zur Schrift von der Keil- und Hie­ro­gly­phen­schrift über die Buch­sta­ben­schrift und Schreib­ma­schi­ne wei­ter zur Pho­to-Gra­phie und Film, Gram­mo-Phon, Pho­no­gra­phie bis hin zur Magnet­auf­zeich­nung und zur binä­ren Spei­che­rung, posi­tio­nier­te man das Fern­se­hen als „ele­tro­ni­sches Tele­skop“, das „live“ über­trägt. Paul Nip­kow stellt bei sei­nem Patent die­se Funk­ti­on der Erwei­te­rung der Sin­nes­or­ga­ne in den Raum hin­ein ganz in den Vordergrund:

Seit­dem die Auf­ga­be, Töne und selbst arti­ku­lier­te Lau­te auf wei­te Ent­fer­nun­gen zu über­tra­gen, durch Reis, Bell und ande­re aus­ge­zeich­ne­te Erfin­der mit Hül­fe der Elek­tri­zi­tät in so erstaun­lich ein­fa­cher Wei­se gelöst wor­den, haben sich ein­zel­ne erfin­de­risch begab­te Män­ner eine wei­te­re Auf­ga­be gestellt, die das­sel­be Inter­es­se, wie das Tele­phon, her­vor­zu­ru­fen wohl geeig­net scheint. Es ist dies die Auf­ga­be, einen Appa­rat zu schaf­fen, der in ähn­li­cher Wei­se, wie das Tele­phon dem Ohre, dem Auge die Mög­lich­keit gebe, Din­ge wahr­zu­neh­men, die weit auf­ser­halb sei­nes natür­li­chen Wir­kungs­krei­ses sich befin­den. (Quel­le)

Von Beginn an war Fern­se­hen ein „Live-Medi­um“, des­sen Auf­ga­be nicht im Kon­ser­vie­ren oder Auf­zeich­nen bestand. Trotz­dem doku­men­tier­te es – in der Wei­se des Augen­zeu­gen, der Augen­zeu­gen­schaft ermög­lich­te. Zusam­men mit dem Mikro­phon auch Ohren­zeu­gen­schaft. Das Kame­ra­ob­jek­tiv und das Mikro­phon stan­zen aus einem loalen Jetzt­punkt einen Aus­schnitt her­aus und stan­zen die­sen in den Jetzt­punkt der Zuschau­er hin­ein. Bei­des gehört zusam­men. Denn nicht nur wird das Ereig­nis „live“ aus­ge­schnit­ten und über­tra­gen, son­dern dem Zuschau­er droht es zu ent­ge­hen, gleich einem, der im Augen­blick des Ereig­nis­ses die Augen in die fal­sche Rich­tung gewen­det hat. Das Fern­seh­bild huscht vor­über, es lässt sich (bis zu Tech­ni­ken wie dem Magnet­band und dem Video­re­kor­der) nicht fest­hal­ten. Des­we­gen fin­den sich aus den ers­ten Jah­ren etwa der Tages­schau kei­ner­lei Auf­zeich­nun­gen, des­we­gen wur­den „Sit­coms“ und „Soap-Operas“ live vor der Kame­ra gespielt und über­tra­gen, wie ein fer­nes Thea­ter. Fern­se­hen schreibt sei­nem Publi­kum vor, wann es was zu sehen hat. Und bestraft den Nicht-Zuschau­er damit, dass unwie­der­bring­lich ver­lo­ren für ihn ist, was er nicht live gese­hen hat. Es ver­langt vom Zuschau­er die Ent­schei­dung, das was im fern­se­hen läuft, wich­ti­ger, inter­es­san­ter, span­nen­der usw. zu gewich­ten als alles ande­re in sei­nem Leben. Man konn­te im Anfang eben nicht wie bei einem Buch, die Zeit selbst bestim­men, die Dau­er und Pau­sen selbst fest­le­gen. Es ist das Fern­se­hen, das mit eiser­ner Macht ver­kün­det: Schau jetzt hin – oder ver­pas­se es in Ewig­keit. Es ist nicht auf­ge­zeich­net und du kannst die Zeit nicht frei wählen.

Das ver­bin­det Fern­se­hen mit dem Tele­fon und Tele­skop (wie Nip­kow schreibt). Viel­leicht auch mit dem Radio (man müss­te unter­su­chen, inwie­weit das Radio von der über­tra­ge­nen Schall­plat­te abhän­gig ist, was ein ande­res The­ma wäre)

Die pha­ti­sche Dimension

Das bringt, anders als bei ande­ren künst­le­ri­schen oder media­len Mit­tei­lun­gen die pha­ti­sche Dimen­si­on inter­es­san­ter­wei­se ins Spiel. Fern­se­hen rich­tet sind in einem Jetzt­punkt (in jedem Jetzt­punkt) an einen Zuschau­er und Zuhö­rer, der jetzt (wo auch immer) schau­en und hören muss. Es ist schwie­rig zu grei­fen und zu begrei­fen, inwie­weit das sich von einem Buch oder Bild unter­schei­det. Viel­leicht macht es der „flow“ deut­li­cher, der hier aller­dings nicht im Sin­ne von Ray­mond Wil­liams als der Ver­such von Pro­gramm­ma­chern zu ver­ste­hen ist, durch Ver­zah­nung und the­ma­ti­sche Nähe eines Abends (wie dem ARTE The­men­abend) Zuschau­er an ein bestimm­tes Pro­gramm zu bin­den. Hier geht es viel­mehr um den dar­un­ter­lie­gen­den „flow“, mit dem das Fern­se­hen ins­ge­samt Zuschau­er und ‑hörer bin­det. Die unab­läs­si­ge Aus­strah­lung von Inhal­ten, egal, ob sie sich an der Ober­flä­che nur als ein ein­zi­ges Fern­seh­pro­gramm oder eine ten­den­zi­ell unend­li­che Viel­heit dar­stel­len und durch Zap­ping abge­wan­dert wer­den kön­nen. Der grund­le­gen­de Impe­ra­tiv des Fern­se­hens lau­tet: Schal­te mich ein, schau zu. Erst danach ist es über­haupt befrag­bar, was genau gese­hen oder gehört wer­den soll. Alle Sen­der und Pro­gram­me lau­fen in ein- und der­sel­ben Kis­te im Wohn­zim­mer. Zahl­lo­se Pro­gram­me sind zugäng­lich, wird zunächst die­sem fun­da­men­ta­len Appell nachgegeben.

„Lass uns mit­ein­an­der fern­se­hen“ ist der stum­me Appell des Fern­se­hers an den Noch-Nah­se­her, der Fern­se­her wer­den soll. Erst wer die­sem pha­ti­schen Appell nach­ge­ge­ben hat, kann sich in die Ent­schei­dungs­si­tua­ti­on bege­ben, was denn nun zu sehen ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schon wirk­lich im Griff habe. Viel­leicht braucht es da noch mehr. Ich hät­te auf die­se mäan­dern­de Aus­füh­rung ver­zich­tet, wür­de nicht das Fern­se­hen selbst die pha­ti­sche Dimen­si­on so sehr in den Vor­der­grund rücken: Nach­rich­ten­spre­cher, Mode­ra­to­ren, Talk­mas­tern und Pro­gramm­an­sa­ger, die es lei­der heu­te nicht mehr gibt, nach­dem Fern­seh­zei­tun­gen, Web­sei­ten und Apps die Auf­ga­be über­nom­men haben, Men­schen die unter­schied­lichs­ten Ein­stiegs­punk­te in den fun­da­men­ta­len Flow anzu­bie­ten, indem sie ihm dis­kre­te Inhal­te („Sen­dun­gen“) vor­stel­len und beson­ders inter­es­sant ver­kau­fen (einem Lock­an­ge­bot in einer Han­dels­wer­bung vergleichbar).

Das Inter­es­san­te an Tal­king Heads wie Nach­rich­ten­spre­chern, Mode­ra­to­ren und Ansa­gern: sie bli­cken direkt in die Kame­ra und damit direkt aus dem Moni­tor auf den Zuschau­er – jeden­falls aus der Per­spek­ti­ve des Zuschau­ers. Wie ein One-Way-Bild­te­le­fon bau­en sie eine pha­tisch-appel­la­ti­ve Bezie­hung zum Publi­kum auf. Sie sind die­je­ni­gen, die „umge­kehrt“ durch das Nip­kow-Tele­skop bli­cken. Dem Zuschau­er und ‑hörer wird simu­la­tiv sug­ge­riert, dass er eben nicht tran­szen­den­ta­ler Beob­ach­ter ist, um den die beob­ach­te­te Welt sich nicht schert: „Guten Abend, mei­ne Damen und Her­ren“ schallt es ihm zu Begin der Nach­rich­ten ent­ge­gen. Als wür­de das Fern­se­hen sich dar­um sche­ren, wer dort sitzt.

Anders als den „Schrift“-Aufzeichnungsmedien im wei­tes­ten Sin­ne, eig­net Fern­se­hen eine Ver­wandt­schaft mit der Ora­li­tät. Schrift mag das Gespro­che­ne, die Pho­to-Gra­fie das gese­he­ne auf­zeich­nen – das Fern­se­hen zeich­net nicht auf, son­dern über­trägt es live und appel­liert: Schalt ein, schau zu.

Die Durch­kreu­zung des Live-Cha­rak­ters und Skan­die­rung der Zeit

Der Zeit eine Form zu geben, gehört eben­falls zu ältes­ten Kul­tur­tech­ni­ken: Son­nen- und Mond­ka­len­der, die den über­ra­schen­den Wan­del zwi­schen begrün­ten und kah­len Bäu­men, zwi­schen ver­schnei­ten und besonn­ten Wie­sen durch Vor­her­seh­bar­keit zu neu­tra­li­sie­ren ver­sucht. Son­nen­uh­ren. Fest- und Fei­er­ta­ge und der­glei­chen mehr. Zu Zeit­struk­tu­rie­run­gen ist hin­rei­chend viel geforscht und geschrie­ben worden.

Auf­zu­grei­fen blei­ben davon die Rhyth­mi­sie­run­gen der Zeit, die Gabe der Zeit­ord­nung. Denn die „natür­li­che“ Zeit der Son­nen­auf- und –unter­gän­ge, der Natur- und Land­wirt­schafts­rhyth­men, bis hin zu Tier­rhyth­men (Mel­ken, Hahn­krä­hen), wur­de his­to­risch über­la­gert von poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Zeit-Rhyth­mi­sie­run­gen: Von der Kirch­turm­uhr, die die vol­len Stun­den mit der Glo­cke schlug und die Gläu­bi­gen zum Gebet rief bis zur Rat­haus- und Par­la­ments­uhr und zur poli­tisch ver­kün­de­ten Som­mer- und Win­ter­zeit. Die Stan­dar­di­sie­rung und Har­mo­ni­sie­rung einer Zeit im Ein­fluss­be­reich einer Uhr (es gab Zei­ten, da benach­bar­te Dör­fer unter­schied­li­che Uhr­zei­ten hat­ten) ist ein Macht­fak­tor. Und die­ser ver­wan­delt sich im Zeit­al­ter der Indus­tria­li­sie­rung zugleich zu einem Macht­fak­tor des Arbeit­ge­bers, der die Arbeits­zei­ten fest­setzt und wäh­rend die­ser Zeit einen Auf­ent­halts­ort vor­gibt (N.B. die­ser Vor­ga­be­ver­such wie­der­holt sich beim Fern­se­her, der ver­sucht, zu bestimm­ter Zeit den Auf­ent­halts­ort zu bestim­men: vor dem Fern­seh­ap­pa­rat). Damit ein­her geht die Schul­zeit, die Anfang und Ende und die Unter­richts­ein­hei­ten rhythmisierte.

Der Flow der Zeit, das blo­ße Nach­ein­an­der, die Abfol­ge von Jetzt­punk­ten oder die Dau­er wird plas­tisch geformt: durch Natur, Macht, Kul­tur. Sol­che For­mun­gen fin­den sich auch im Fern­seh-Flow. „Sen­dun­gen“ wer­den dis­kret von­ein­an­der abge­setzt. Es gibt kein blo­ßes Kon­ti­nu­um, son­dern Zeit­ein­hei­ten wer­den intern struk­tu­rell gestal­tet. Jede Sen­dung hat ihre Struk­tur, ihren Anfangs- und End­punkt (der in Fern­seh­zeit­schrif­ten notier­bar ist). Zugleich gibt es unter­schied­li­che Ebe­nen wei­te­rer Formatierungen:

die Tages­for­ma­tie­rung durch die täg­lich kon­stan­te Sen­dung, das täg­li­che Abend­ge­bet der Nach­rich­ten. Irgend­wo habe ich mal gele­sen, dass frü­he­re Zei­ten den Beginn des Abends auf 18 Uhr ansetz­ten, dass erst durch die Tages­schau der 20 Uhr-Punkt zum ent­schei­den­den Wen­de­punkt zwi­schen dem „Vor­abend“ und dem Abend wur­de. Die Tages­schau regiert die Zeit­ein­tei­lung, die auch jen­seits des Fern­se­hens ihre Wir­kung entfaltet.

  • Die Wochen­for­ma­tie­rung durch wie­der­keh­ren­de Fern­seh­se­ri­en. Die Serie ist das wohl ein­zi­ge dem Fern­se­hen wirk­lich urei­gens­te For­mat (in all ihren unter­schied­li­chen Vari­an­ten von Rei­he, Mini­se­rie, Epi­so­den­se­rie, Fort­set­zungs­se­rie, End­los­se­rie). Dass die Fern­seh­se­rie sich aus der Radio­se­rie ent­wi­ckel­te, zeigt ihre Ver­wo­ben­heit in Flow-Phä­no­me­ne. Solan­ge es kei­ne Pro­gramm­zeit­schrif­ten gab oder man sich sen­der­sei­tig nicht dar­auf ver­las­sen konn­te, dass hin­rei­chend vie­le Men­schen recht­zei­tig Pro­gram-Gui­des nut­zen, muss­te eine Rhyth­mi­sie­rung dafür sor­gen, den ord­nungs­lo­sen Flow, der dem Zuschau­er kei­nen greif­ba­ren Anlass zum Ein­schal­ten jen­seits des Ein­schal­tens selbst gab, in eine erwart­ba­re Ord­nung zu ver­wan­deln, die es einem Zuschau­er ermög­lich­te, aus defi­nier­ten Prä­fe­ren­zen her­aus einen Ein­stieg in den Flow zu fin­den (nicht aber not­wen­di­ger­wei­se einen Aus­stieg bevor der über­mü­den­de Kör­per in der Couch wegdämmert).
  • Wei­te­re Wochen­for­ma­tie­run­gen fin­den sich durch „Sen­de­plät­ze“. Das heißt, eine Wochen- oder Tages­po­si­ti­on muss nicht unbe­dingt durch einen defi­nier­ten Inhalt ein­ge­nom­men wer­den, son­dern kann durch ver­schie­den ver­wand­te For­ma­te bespielt wer­den. Die Polit­ma­ga­zi­ne in der ARD etwa, die sie regel­mä­ßig im Wochen­rhyth­mus ablös­ten. Oder die Tat­ort-Sen­dun­gen der ver­schie­de­nen Regionen.

Damit ver­leiht das Fern­seh­pro­gram der Zeit Struk­tur. Es lie­fert vor­aus­seh­ba­re Ein­stiegs­punk­te in den pha­ti­schen Flow, ver­an­lasst das unru­hi­ge Bewusst sein vor dem Appa­rat, sich durch Selbst­sug­ges­ti­on eines bestimm­ten Inter­es­ses zu beru­hi­gen und sich selbst zu erzäh­len, dass es nicht fern­se­hen um sei­ner selbst will, son­dern die­se oder jene Sen­dung. Dabei gibt es sich ger­ne der Ver­füh­rung hin, nach die­ser Sen­dung wei­ter fern­zu­se­hen, auf dem sel­ben oder einem ande­ren Sen­der. Der Live-Cha­rak­ter des “Du musst jetzt sehen, wenn du sehen willst”, die blo­ße Fixie­rung auf den jetzt­punkt wird durch­krezt durch die fes­ten For­ma­te, die dem gebann­ten Star­ren Anfangs- und Fort­set­zungs­punk­te geben, die in die Gesche­hens­fol­ge fes­te Erwar­tungs­struk­tu­ren ein­zie­hen. WIe einem Rhap­so­den, der unab­läs­sig redet, dabei aber vers­ge­füg­te Spra­che ver­wen­det, wie­der­keh­ren­de For­mu­lie­run­gen und Refrains, wie man sie aus der Oral Histo­ry der Volks­sa­gen und Epen kennt.

Viel­leicht müss­te man noch vie­les mehr dazu aus­füh­ren, für jetzt mag das genü­gen, um die Ver­wo­ben­heit zwi­schen (schein­bar raum-zen­trier­tem) FERN­se­hen und der Zeit ein wenig aufzuhellen.

P.S. Für die­je­ni­gen, die sich nicht mehr an Fern­seh­an­sa­ger erinnern:



 

 

 

 

 

 

§ 9 Responses to Flow und skandierte Zeit im Fernsehen #MediaDivina"

  • Die The­se, dass das Fern­se­hen ein Live-Medi­um sei, lässt sich heu­te schon allein des­we­gen nicht mehr hal­ten, weil das Meis­te, was gesen­det wird, aus der Kon­ser­ve kommt. Was Du beschreibst ist ledig­lich der Weg, wie Live-Sen­dun­gen ihre Attrak­ti­vi­tät für ein poten­ti­el­les Publi­kum bekom­men kön­nen. Das trifft aber nur auf einen sehr klei­nen Teil des Gesen­de­ten zu. 

    Wei­ter­hin rela­ti­viert sich die­se Attrak­ti­vi­tät dadurch, dass auch Live-Sen­dung wie­der­holt wer­den. TV-Sen­der neh­men dem Zuschau­er die Angst irgend­et­was zu ver­pas­sen, weil sie wie­der­holt wird. Das ging dann wei­ter durch das Auf­kom­men von Auf­zeich­nungs­tech­ni­ken und wur­de völ­lig irrele­vant durch Media­the­ken im Inter­net, durch die fast jede Sen­dung jeder­zeit auf­ruf­bar gewor­den ist. Das durch­bricht dann auch die Not­wen­dig­keit sei­nen Tages­ab­lauf nach dem TV-Pro­gramm zu struk­tu­rie­ren. Der Zuschau­er gewinnt die Sou­ve­rä­ni­tät zurück selbst zu ent­schei­den, wel­cher Pro­duk­ti­on er wann sei­ne Auf­merk­sam­keit schen­ken will. 

    Des­wei­te­ren weist gera­de, dass Über­an­ge­bot an Sen­dun­gen dar­auf hin, dass man eben nicht genau die­ser Sen­dung, son­dern auch vie­len ande­ren sei­ne Auf­merk­sam­keit schen­ken kann. Die ver­meint­li­che Auto­ri­tät einer Live-Sen­dung besteht auf­grund von Alter­na­tiv­pro­gram­men ein­fach nicht mehr. Des­we­gen eva­lu­ie­ren TV-Sta­tio­nen ihre Sen­dun­gen über Ein­schalt­quo­ten. Ein­fach um sicher­zu­stel­len, dass man nichts umsonst aus­strahlt, weil es sein Publi­kum nicht findet. 

    Sor­ry, aber die hier ange­stell­te Art über Fern­se­hen zu theo­re­ti­sie­ren kommt unge­fähr 40 – 50 Jah­re zu spät. Die Bedeu­tung, die hier dem Fern­se­hen zuge­schrie­ben wird, hat es schon lan­ge nicht mehr.

  • Fredl sagt:

    “Und bestraft den Nicht-Zuschau­er damit, dass unwie­der­bring­lich ver­lo­ren für ihn ist, was er nicht live gese­hen hat.”

    Auch ich kann nach wie vor die­se Ansicht über­haupt nicht tei­len. Der größ­te Teil der Fern­seh­süch­ti­gen aus mei­ner Bekannt­schaft ver­fügt über aus­ge­buff­te Tech­ni­ken zur Auf­zeich­nung der Ver­säum­ten, und oder/ über den Gerä­ten bereits imple­men­tier­te Time­s­hift-Funk­ti­on, die das Aus­ge­strahl­te pau­siert, damit man pin­keln gehen kann.

    Auch ich habe als Kind schon, die (meist in x‑ten Wie­der­ho­lun­gen aus­ge­strahl­ten!) Fil­me und Seri­en wie ein Ver­rück­ter auf VHS-Kaset­ten archi­viert. Um sie wie­der und wie­der, again and again, anzu­se­hen. Bis zum Materialverschleiß.

  • Fredl sagt:

    “Des­we­gen fin­den sich aus den ers­ten Jah­ren etwa der Tages­schau kei­ner­lei Auf­zeich­nun­gen, des­we­gen wur­den „Sit­coms“ und „Soap-Operas“ live vor der Kame­ra gespielt und über­tra­gen, wie ein fer­nes Theater.”

    Das ist nicht korrekt:

    “Die meis­ten Sit­coms wer­den in den USA (in Deutsch­land eher sel­ten) vor Live-Publi­kum auf­ge­zeich­net (sic!)”

    “Ansons­ten geht seit Ende der 1990er auch in den USA der Trend zu Ein-Kame­ra-Sit­coms, die wie nor­ma­le Seri­en und Fil­me gedreht wer­den, meist ohne Live-Publi­kum, wie bei 30 Rock oder Mal­colm Mittendrin.”

    “In sel­te­nen Fäl­len wird die Sit­com zwar im Mul­ti­ca­me­ra-Ver­fah­ren gedreht, aller­dings ohne Live-Publi­kum, und die fer­ti­gen Fol­gen wer­den dann einem Publi­kum vor­ge­spielt, deren Lacher auf­ge­nom­men wer­den, wie bei How I Met Your Mother. ”

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sitcom

  • Postdramatiker sagt:

    - VIdeo­re­kor­der usw. sind Tech­no­lo­gien mit denen Publi­kum auf das Pro­blem reagiert, das Fern­se­hen dar­stellt. Es sind Sup­ple­men­te, die an der grund­sätz­li­chen Unwi­der­bring­lich­keit nichts ändern, son­dern sie durch eige­ne Auf­zeich­nung zu kor­ri­gie­ren ver­su­chen. Für euch bei­de sind Schmet­ter­lin­ge offen­sicht­lich Tie­re, die mit Nadeln in der Mit­te bewe­gungs­los in Glas­käs­ten leben, richtig?
    — Media­the­ken, zeit­ver­setz­tes Fern­se­hen usw. sind tat­säch­lich qua­li­ta­ti­ve Neue­run­gen. Ob das, was wir als Fern­se­hen ken­nen, die­se Neue­run­gen über­le­ben wird, wird sich zeigen.
    — Wie­der­ho­lun­gen sind einer­seits das Ange­bot, Ver­pass­tes zu einem ande­ren Zeit­punkt erneut sehen zu kön­nen, zwei­tens schlicht Effi­zi­enz­tech­ni­ken. Inter­es­sant wäre, seit wann in wel­cher Form wel­che For­ma­te wie­der­holt wur­den und als wie­der­ho­lens­wert betrach­tet wurden.
    — 40–50 Jah­re zu spät: mag sein. Denk dir doch ein­fach, ich hätts vor 40–50 Jah­ren schon mal geschrie­ben und wür­de es hier nur re-pos­ten. Viel­leicht hilfts. Oder du liest es ein­fach nicht und gehst noch ein biss­chen die Moder­ne beob­ach­ten, von der du ver­mut­lich über­wie­gend aus den Mas­sen­me­di­en wie dem Fern­se­hen weisst. Was dir offen­bar nicht zu den­ken gibt.
    — “Die Bedeu­tung .… hat es nicht mehr”: Ein durch­schnitt­li­cher täg­li­cher Fern­seh­kon­sum in Deutsch­land von ca. 4 Stun­den ist bedeu­tungs­los? Inter­es­se an der Gesell­schaft ist ver­mut­lich eher nicht so dein Gebiet, gell?
    — Sit­coms: Wenn du dei­nen Weg schon zu Wiki­pe­dia fin­dest, dann lies es auch vernünftig:
    Soap operas were ori­gi­nal­ly broad­cast live from the stu­dio, crea­ting what many at the time regard­ed as a fee­ling simi­lar to that of a stage play. (Wiki­pe­dia eng­lisch)
    Ear­ly sit­coms were broad­cast live, recor­ded on kinesco­pes, or not recor­ded at all. (Wiki­pe­dia Eng­lisch)

    Das Lachen des Publi­kums war für den Fern­seh­zu­schau­er hör­bar; es ent­stand das Gefühl, einem Live-Ereig­nis bei­zu­woh­nen.” (Wiki­pe­dia deutsch)

    “und die fer­ti­gen Fol­gen wer­den dann einem Publi­kum vor­ge­spielt, deren Lacher auf­ge­nom­men wer­den” — und sol­che rät­sel­haf­ten Prak­ti­ken ver­an­las­sen dich nicht zum Nach­den­ken? Na, muss ja nicht.
    Euch inter­es­sierts nicht — dann lest bit­te woan­ders Inter­es­san­te­res. Und ver­schwen­det eure und mei­ne Zeit nicht mit Dummheiten.

  • Dei­ne Fami­lie, Freun­de und Kol­le­gen kennst Du auch bloß aus den Mas­sen­me­di­en, oder was? Falls ja, wür­de das Dei­nen aggres­si­ven Ton erklä­ren. Komm mal ein biß­chen run­ter und über­leg mal, was die wirk­lich wich­ti­gen Din­ge im Leben sind. Das ist bestimmt nicht das Fern­se­hen, selbst wenn es Leu­te gibt, die den gan­zen Tag davor sit­zen. Was glaubst Du denn mit so einer Theo­rie über das Fern­se­hen zu errei­chen, außer sol­che Leu­te in ihrem Lebens­stil zu bestä­ti­gen? Du kannst Dich damit dann viel­leicht noch dar­über auf­re­gen, wie vie­le Leu­te ihre Zeit mit dem Fern­se­hen ver­schwen­den. Aber das ist genau­so eine Ver­schwen­dung von Zeit und Ener­gie. Da kannst Du dich auch gleich mit vor die Glot­ze setzen.

    Das gan­ze Leben zieht unwie­der­bring­lich an einem vor­bei, nicht nur das Fern­seh­pro­gramm. Also ver­sucht man sich zu erin­nern. Fil­me sind eine Mög­lich­keit dies zu tun. Dann muss man den Schmet­ter­ling auch nicht mehr mit einer Nadel in einen Glas­kas­ten ban­nen. Die Auf­zeich­nung ersetzt nicht die ursprüng­li­che Erfah­rung, aber man kann sich wenigs­ten dar­an erin­nern als sie dem Ver­ges­sen zu über­las­sen und nur noch im Jetzt gedächt­nis­los vor sich hin zu trei­ben. Was ist falsch dar­an sich effi­zi­ent zu erin­nern, solan­ge die Erin­ne­rung nicht zur ein­zi­gen Gegen­wart wird? Und die Gegen­wart soll­te nicht nur aus den Erfah­rungs­sub­stra­ten der Mas­sen­me­di­en bestehen, oder? Es gibt auch noch ech­te Men­schen, mit denen man sei­ne Zeit ver­brin­gen kann. Das Wis­sen über die kommt nicht aus den Mas­sen­me­di­en – es sei denn Mit­men­schen gehö­ren nicht mehr zu Dei­ner Welt.

  • Fredl sagt:

    “Das Lachen des Publi­kums war für den Fern­seh­zu­schauer hör­bar; es ent­stand das Gefühl, einem Live-Ereig­nis beizuwohnen.”

    Zunächst: Ich emp­fin­de Dei­ne Tex­te als inter­es­san­te Anre­gun­gen, an denen man sich rei­ben kann, in dem man sie mit eige­nen Auf­fas­sung vergleicht.

    Mir ging es dar­um, die Selbst­be­schrei­bung des Fern­se­hens, das natür­lich die leib­haf­te Prä­senz als ein Allein­stel­lungs­merk­mal sei­ner Trans-Mis­si­on feti­schi­siert, wenn nicht sakra­li­siert (dar­in viel­leicht wirk­lich an kul­ti­sche Ido­la­trie­prak­ti­ken anknüp­fend?), nicht zu bestrei­ten, son­dern zu hin­ter­fra­gen. Wenn man will dar­auf­hin, ob sie nicht dem hul­di­gen, was Der­ri­da mit Prä­senz­me­ta­phy­sik bezeich­ne­te und zu dekon­stru­ie­ren ver­such­te. Das Simu­lak­rum des Fern­seh­bil­des hul­digt unbe­strit­ten dem Kult der “ech­ten Zeit” (Echt­zeit), wie des ech­ten Raumes.
    Dem aura­ti­schen Hic et Nunc, von dem Ben­ja­min mein­te, es sei den alten Kunst­wer­ken zu eigen gewe­sen, und durch tech­ni­sche Repro­du­zier­bar­keit gera­de ver­lo­ren gegan­gen. Die­se Dimen­si­on wird, viel­leicht weil sie stets schon ver­lo­ren ist, umso ein­dring­li­cher re-vita­li­siert und beschworen.
    Der leben­di­gen Gegen­wart eines wirk­li­chen Hier und Jetzt wird gehul­digt, das sich ohne Ver­zug (und doch mit der Flüch­tig­keit wah­rer Ereig­nis­se — “ver­wei­le Doch, Du bist so schön”) ereig­net. “Ereig­nis­haf­tig­keit” dabei pro­gramm­haft simuliert. 

    Greift dabei jedoch unver­meid­li­cher­wei­se auf Auf­zeich­nung wie auf Unech­tes zurück. Nicht nur auf pro­zeß­on­to­lo­gi­schen Fluß à la Berg­son, son­dern Repe­ti­vi­tät und Intermittenz.

    Die­ser Zug soll­te mei­ner Ansicht nach nicht zu kurz kommen.

  • Postdramatiker sagt:

    @Fredl — davon bin ich so weit nicht ent­fernt in mei­nem Inter­es­se, ja. DIe viel­fäl­ti­gen Durch­kreu­zun­gen der Prä­senz und des Hic et Nunc, wie du schreibst, sind ja qua­si augen­fäl­lig. Und zugleich irri­tie­rend. Die Ver­we­bung der abso­lu­ten phy­si­schen Prä­senz des phy­sisch Aprä­sen­ten. Das Prae-Sen­sus des­sen, was dem Sen­sus ent­rückt ist, mit dem was in das Prä­sens ein­ge­schnit­ten wird, sei es als Auf­zeich­nung, Archiv­ma­te­ri­al, Ani­ma­ti­on, Illus­tra­ti­on, gibt dabei eben­so zu den­ken, wie das, was sich in die­sem Gewe­be ver­birgt und die dihe­ge­se aus­macht, die Struk­tu­rie­rung zur Erzäh­lung, die als ganz selbst­ver­ständ­lich erscheint, solan­ge ihre Selbst­ver­ständ­lich­keit nicht als Selbst­ver­ständ­lich­keit frag­lich wird.
    Ob man Anschluss an die Dia­gno­se Der­ri­das fin­det, des­sen Inter­es­se eher der Buch- als der Fern­seh­me­ta­phy­sik galt, kann ich dir noch gar nicht wirk­lich beant­wor­ten. Momen­tan wür­de ich die Buch-Meta­phy­sisk eher mit einer Endo-Phy­sik kon­tras­tie­ren, die eben die (aris­to­te­li­sche) “syn­the­sis” bezeich­net, die Zusam­men­fü­gung des­sen, was nach sei­ner Zusam­men­fü­gung den Effekt des “Ver­ste­hens” gene­riert. Mit Nietz­sche könn­te man viel­leicht ten­ta­tiv als Arbeits­hy­po­the­se sagen:
    “Ich fürch­te, wir wer­den Gott nicht los, weil wir noch an die Gram­ma­tik glau­ben…” — wobei die Refe­renz “Gott” (oder dei­ne “Ido­la­trie”) einen ande­ren Zusam­men­hang eröff­net als die Refe­renz “Meta­phy­sik”.
    Nach­dem es das Fern­se­hen nun recht lan­ge gibt, schei­nen mir die­se Fra­gen alle­samt doch ver­blüf­fend offen und ein Gewirr von Zügen zu erge­ben, das es gedul­dig zu ent­wir­ren oder dem es nach­zu­spü­ren gilt. Gera­de wenn man Adorno/Horkheimers Dia­gno­se vom sche­ma­ti­schen Ope­rie­ren und der Über­nah­me des Bewusst­seins durch eine Kul­tur­in­dus­trie folgt — ohne aller­dings zu glau­ben, man kön­ne durch blo­ße Oppo­si­ti­on gegen die­se Indus­trie auf eine Aus­ein­an­der­set­zung mit ihr verzichten.

  • Fredl sagt:

    Dan­ke für dei­ne wei­te­ren Erläuterungen!

    “Ob man Anschluss an die Dia­gnose Der­ri­das fin­det, des­sen Inter­esse eher der Buch– als der Fern­seh­me­ta­phy­sik galt, kann ich dir noch gar nicht wirk­lich beantworten.”

    Dazu http://www.perlentaucher.de/buch/jacques-derrida/echographien.html

    Jean-Luc hat im Anschluß an bild­theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen die Prä­senz, in Aus­deu­tung einer gut bezeug­ten Ety­mo­lo­gie, als Prä(s)-Entia (prä + esse) gele­sen. Als ein Sein oder Wesen, was inso­fern stets “außer sich” ist, als es sich vor-sich-selbst-stellt (prä), nur ist, in dem es sich raum-zeit­lich vor­aus ist. Prä­senz als Aus­stel­lung, Ex-Posi­ti­on. Auch ein inter­es­san­ter Approach, um Ungleich­zei­tig­keit und das Dis­pla­ce­ment, den dif­fé­ran­tiel­len Auf­schub (der gleich­zei­tig Reser­ven bil­det), zu fassen.

  • Postdramatiker sagt:

    Fredl — habe auf dei­nen Hin­weis hin die Echo­gra­phien zu lesen begon­nen. Sehr span­nend, zumal Der­ri­da bzw. das Gesprächs­duo mei­nen Gedan­ken ver­blüf­fend nah ist (oder: ich ihnen). Ich fin­de das Umspie­len der Archi­ve anschluss­fä­hig, die kri­ti­sche Kraft, die Der­ri­da der Spei­che­rung und öffent­li­chen Ver­füg­bar­ma­chung von TV-Inhal­ten zuschreibt.
    Zugleich stieß ich gera­de auf eine For­mu­lie­rung, die dem obi­gen Pos­ting recht nahe kommt:
    “Der­ri­da: Ein bestimm­tes Inne­hal­ten, eine Pau­se von unver­än­der­li­cher Dau­er ist unmög­lich oders ehr unwahr­schein­lich oder sehr sel­ten … der Ablauf ist unum­kehr­bar, man kann nicht zurückkehren …
    Stiegler: … zurück­keh­ren und folg­lich gerät man in eine Hal­tung des Nie-wie­der, wäh­rend die Tech­nik .… gera­de Itera­bi­li­tät und die Mög­lich­keit der Wie­der­ho­lung in sich schließt

    Der­ri­da: .… Als Fern­seh­zu­schau­er hat man den Ein­druck, dass das nur ein ein­zi­ges Mal.: das kommt nicht wie­der, sagt man sich, das ist ‘live’, direkt in Echt­zeit, wäh­rend es ande­rer­seits, wie wir eben­so wis­sen, von den mäch­tigs­ten, raf­fi­nier­tes­ten Wie­der­ho­lungs­ma­schi­nen pro­du­ziert wur­de.” (106f.)
    Dan­ke für den Buch-Hin­weis! Und das per­sis­ten­te “man müss­te” Der­ri­das bestä­tigt mich dar­in, weiterzumachen.

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