Das letztens hier beschriebene Thema rund um den Afghanistankrieg und die Teilnahme der deutschen Wehrpflichtarmee daran geht mir nicht aus dem Kopf. Insbesondere das extrem nachvollziehbare Phänomen, dass die deutschen Staatsbürger in Uniform dort in permanenter Angst (Merkel hier) leben, weil sie nicht wissen, was sie dort tun und sollen. Soldaten in Angst – ein Armutszeugnis für die Armee? Die coolen Warriors der Marines und die schneidigen britischen Guards machen einen so ganz anderen Eindruck. Das führt tatsächlich auf eine sehr fundamentale Frage – rund um die Demokratie, die Wehrpflicht, die Gesellschaft.
Friedfertige versus Berufskrieger
Wehrpflichtige – wie bereits bemerkt „durfte“ ich diese Erfahrung selbst machen – werden technisch im Gebrauch von Waffen, in soldatischer Koordination, ein wenig in Fitness unterwiesen. Das wars. Die Motivation zur Teilnahme im Kampf und Inkaufnahme aller Gefahren und Risiken wird vorausgesetzt: die kollektive Selbstverteidigung. Organisierte Notwehr. Wie man will. In unmittelbaren Gefahrensituation verteidigen sich auch friedfertigste Menschen gegen Angreifer. Wehrpflichtausbildung heißt: Friedfertigen Kriegsfertigkeiten beibringen.
Was nicht geschieht ist: die systematische Unterdrückung oder Ausschaltung der Tötungshemmung. Ebenso wenig die systematische Umprogrammierung der Gefahrenwahrnehmung und Selbsteinschätzung. Beides sind Ziel der Grundausbildung von Berufsarmeen wie den Marines oder der Legion. Es wäre fatal, würde die Bundeswehr diese Umprogrammierungen angehen. Nach Ende des Wehrdienstes würden Menschen aus der Armee entlassen, denen das Zusammenlebe in der Gesellschaft kaum mehr möglich ist – eben weil sowohl gelernte Tötungshemmung als auch Angstwahrnehmung extrem derangiert sind. In der gegenwärtigen Debatte wird dieser Unterschied in der Ausbildung übrigens durchaus erwähnt, allerdings in Form einer „Kritik an Ausbildungsdefiziten“.
Kriegsfertig machen
Die Ausbildung von Berufsarmeen setzt darauf, die Soldaten zu dressieren. Sitz, Platz, Fass. Stillgestanden, Marsch, Feuer. Zunehmend wird noch „Intelligenz“ bzw. Nachdenken gefordert – taktisches. Nicht grundsätzliches! In jeder Situation zu gehorchen. Motivation dieser Soldaten ist schlicht und einfach Geld. Ein Beruf. Ein Auskommen. Eine Art männliche Zwangsprostitution. Alles andere ist Drill und Gehorsam. Aus Friedfertigen werden Kriegsfertige gemacht.
Zwei interessante Sachverhalte dazu:
- Friedfertige im Krieg
Im 2. Weltkrieg haben überhaupt nur überraschend wenig amerikanische Soldaten von ihren Waffen Gebrauch gemacht, noch weniger gezielt geschossen. Daraufhin wurde die Ausbildung grundlegend geändert: das gezielte Schießen auf sehr menschenähnliche Ziele wird als automatisierte Stressreaktion antrainiert: Beschossen werden – Angst – Stress – Aggression – Feuern. Das ist der eingeschliffene Mechanismus. Letztlich: Angst in Aggressive Gewalt umsetzen. Das sollte man einer Wehrpflichtarmee keinesfalls beibringen. Eine Gesellschaft, in der jede Angst- oder Stresssituation unmittelbar zu aggressiver Gewalt ohne Tötungshemmung führt – ist vermutlich keine wirklich Lebenswerte.
Intermezzo: Die genauen Zahlen und die genauen Hintergründe (gibt es eine Tötungshemmung oder – wie Reemtsma vor 4Jahren vortrug – gibt es sie nicht?) sind nicht so leicht online zu recherchieren. Ich bin auf einen ziemlich interessanten Artikel in einem sehr interessanten Organ gestoßen: Das Ulmer Echo, das Gefangenenmagazin der JVA Düsseldorf Ulmer Höh‘ veröffentlichte im Jahr 2000 einen Artikel „Pawlow’s Hund frisst Schuld“, der mit sehr spannenden Zahlen aufwartete: Im 2. Weltkrieg ( = allgemeine Wehrpflicht in USA) haben nur ca. 15 von 100 amerikanischen Infanteristen überhaupt ihre Waffe benutzt. (Diese Ergebnisse werden durch die SALVO und ALCLAD-Studien des US-Militärs bestätigt, die bei der Entwicklung neuer Handfeuerwaffen bzw. Schutzwesten feststellten, dass die meisten Gewehrgeschoss-Verwundungen im 2. Weltkrieg durch ungezieltes Feuer bei Überraschungskontakten oder bei Fernwirkung auftraten und kaum gezielte Schüsse vorlagen – Hinweise dazu in einem interessanten Leserkommentar hier). Auch sehr interessant diese Aussage „In der Schlacht von Weißenburg im Elsaß im Krieg 1870/71 schossen französische Soldaten 48.000 mal, um 404 deutsche Fußsoldaten zu töten. Folglich benötigten die Franzosen 119 Schuß Munition für jeden Gegner. Da bekanntlich nicht alle Franzosen kurzsichtig sind, kann auch hier angenommen werden, daß ein natürlicher Skrupel zu töten wirksam wurde. „
N.B.: Ich glaube nicht an eine „naturgegebene“ Tötungshemmung sondern halte sie für eine hohe kulturelle Errungenschaft, die sehr schnell wieder verloren werden kann.
- Kriegsfertige in Friedenszeiten
Die Zahl der durch Selbstmord gestorbenen Vietnamveteranen ist inzwischen höher als die der in Vietnam gefallenen (zahlreiche Quellen, z.B. SZ hier). Für Vietnam war die eben beschriebene veränderte Ausbildung bereits im Gange, aber noch nicht derart perfektioniert wie für die Kriege der 90er und des neuen Jahrtausends. Zu erwarten (und an ersten Zahlen bereits abzulesen – siehe hier) ist, dass hier die Rate der Veteranen, die mit sich und dem Leben im Zivilen nicht mehr zurecht kommen, weitaus höher ist. Rechnen wir nur für jeden Selbstmord noch 2–3 Selbstmordversuche (SpOn berichtet von 12.000 Versuchen pro Jahr hier bei 6500 vollendeten Selbstmorden laut US-Veteranenbehörde), eine handvoll weiterer zerstörter Menschen (ebenfalls laut SpOn-Artikel betrifft das 30–40% aller Heimkehrer!), die es nicht einmal mehr schaffen, sich selbst zu töten. Eine bedeutende Armee von kaputten (hier ist die Rede von 65.000 permanent obdachlosen Vietnam-Veteranen im Jahr 2008!) und zugleich nicht ungefährlichen Menschen. Ich habe keine Zahlen gefunden, wie viel Prozent ehemaliger Soldaten später wegen Gewalttaten im Gefängnis landen (hier heißt es, dass 300.000 Vietnamveteranen 1972 im Gefängnis saßen – in allerdings bewegten Zeit). Rechnen wir alle zusammen – es werden erschreckende Zahlen sein. Die Kriegsfertigen haben ihre Friedensfertigkeiten verloren. Und dieses durch psychiatrische Beschreibungen des Zustands als PTBS zum individuellen Problem von „Erkrankten“ zu machen geht natürlich angesichts der Masse der Betroffenen weit an der Sache vorbei. Es handelt sich um einen Skandal im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft: eine Politik, die ihre eigene Gesellschaft aufs Spiel setzt.
Sterben und Töten als Beruf
Das ist der Deal wenn sich ein Soldat einer Berufsarmee anschließt. Er nimmt den Verlust des eigenen Lebens ebenso billigend in Kauf wie das Töten anderer Menschen. Nicht aus kollektiver Selbstverteidigung. Sondern gegen Bezahlung. Es ist sein Beruf. Und letztlich sind diese Armeen nichts anderes als national rekrutierte Söldnertruppen. Das Outsourcing dieser Aufgabe an privatwirtschaftliche Unternehmen wie DynCorp, Triple Canopy oder Blackwater – heute Xe Services – ist nur der konsequente nächste Schritt, den die USA gehen. Frankreich hat es mit der Legion vorgemacht. Die USA entkoppeln ihre Fremdenlegion nun auch noch von direkter politischer Kontrolle. Warum soll Blackwater nicht international anbieten? Warum nicht auch dem Iran Söldner vermitteln. Den Taliban? Letztlich werden irgendwann die Söldner von Blackwater auf beiden Seiten stehen. Warten wir ab, was daraus für menschliche Krüppel und Zeitbomben werden.
Das heißt?
Die Forderung, an der „Heimatfront“ möge die Bevölkerung gefälligst die in Afghanistan befindlichen Staatsbürger in Uniform mit Heldenverehrung und Durchhalteparolen unterstützen, versucht die aus guten Gründen nicht vorhandene Motivation zu konstruieren. Nachdem diese Mitbürger in Kindergarten, Schule und Familie 18 Jahre lang zur Friedfertigkeit und friedlichen Konfliktlösung erzogen wurden. Sollen sie urplötzlich Kriegsfertig sein – ohne die entsprechende Selbstverteidigungsmotivation. Sinnlosigkeit ist eine furchtbare Untertreibung für diese Lage. Der Staat schickt die Soldaten zum Töten und Sterben, ohne sie darauf durch Desensibilisierung und reflexhaft einsetzende Aggression vorzubereiten. Ohne aber auch auf eine mit denen erlernten und zutiefst verinnerlichten ethisch-moralischen Ansprüchen vereinbaren oder gar motivierten zu können, was sie zu tun gezwungen werden.
Mit dem Staatsbürger in Uniform in einer Wehrpflicht- und Selbstverteidigungsarmee ist die Abrichtung zum Kriegsfertigen nicht vereinbar – es würde eine Gesellschaft der Aggressivität daraus entstehen. Und das heißt: Entweder man lässt solche Spielereien mit dem Feuer und den eigenen Bürgern (ums nochmal zu sagen: der Bürger ist der Souverän und Herrscher in der Demokratie, solange es keinen Herrscher durch Gottesgnaden oder eigene Gewalt gibt) bzw. beendet das Afghanistan-Fiasko sofort. Oder man stellt eine Söldnertruppe gleich den Marines, der Légion oder der Blackwater-Privatarmee auf. Was natürlich keine Alternative ist – auch wenn neoklassischen Ökonomen vermutlich jetzt schon das Sparwasser im Munde zusammenläuft. Privatisierung der Armee!
Conclusio
In einer Demokratie haben die Exekutive (also: die Regierung) und die legislativen Parlamente kein Recht, ihren Souverän – den Wähler und Bürger – aus anderen Gründen als der kollektiven Selbstverteidigung zu einer Wehrpflicht einzuberufen. Und er hat ebenso wenig das Recht, die Gesellschaft dadurch in ihrem friedlichen Zusammenleben zu gefährden, dass er Teilen dieser Gesellschaft die kulturell und erzieherisch gelernte Gewalt- und Tötungshemmung gezielt zu nehmen oder doch zu reduzieren.
Das heißt: Die Bundeswehr darf die Soldaten gar nicht in einer Form ausbilden, die dem Kriegseinsatz (und wenn‘s auch nur umgangssprachlicher Krieg ist) angemessen und für die Teilnehmer geradezu überlebenswichtig ist. Sie dennoch dorthin zu schicken, missbraucht nicht nur die Wehrpflichtarmee – es ist zudem ein Akt der Unmenschlichkeit gegenüber den Soldaten, die zwar ohne die notwendige persönliche Ausrüstung aber dennoch zum Töten und Sterben geschickt werden. Und deren Rückkehr sie in eine Geselslchaft kommen lässt, in der sie kaum mehr “normal” leben können.
[…] Waffen erzielt. Erstens ist beim genauen Zielen ist die Tötungshemmung natürlich größer (In der Schlacht von Weißenburg im Elsaß im Krieg 1870/71 benötigten die Franzosen noch durchschni…) und zweitens sind die meisten Gefechte im modernen Krieg keine Schlachten wie von Weißenburg, […]