Interview mit Sony Music Chef zeigt: Musikindustrie hat Gesetzgeber vor den Karren gespannt — und findet Internet jetzt dufte.

März 5th, 2012 Kommentare deaktiviert für Interview mit Sony Music Chef zeigt: Musikindustrie hat Gesetzgeber vor den Karren gespannt — und findet Internet jetzt dufte.

Vor eini­gen Tagen war in der Welt Online hier ein Inter­view mit dem Sony Music Inter­na­tio­nal Chef Edgar Ber­ger zu lesen, das sowohl in den Äuße­run­gen span­nend, wie auch in den Impli­ka­tio­nen ver­blüf­fend ist. Zeigt es doch mehr als deut­lich, dass die Musik­in­dus­trie in den letz­ten andert­halb Jahr­zehn­ten die Gesetz­ge­bung vor den eige­nen Kar­ren gespannt oder gezerrt hat, um eine man­gel­haf­te Anpas­sung des eige­nen, über­hol­ten Geschäfts­mo­dells zu ver­mei­den. Andert­halb Jahr­zehn­te wur­den Musik­fans abge­mahnt, kri­mi­na­li­siert oder gar vom Netz abge­schnit­ten — weil die Musik­in­dus­trie es geschafft hat, durch mas­si­ve Lob­by­ar­beit Par­la­men­ta­ri­ern den nahen­den Unter­gang der Kul­tur zu pro­phe­zei­en. Neben einem weid­li­chen Ent­set­zen mei­ner­seits, führt es doch auch zu der ganz kla­ren Kon­se­quenz, dass ande­re Indus­trien wie Film­fir­men oder Ver­la­ge kei­ne Chan­ce haben dür­fen, den sel­ben Rechts­miss­brauch zu wiederholen.

Das Inter­net ist für die Musik­in­dus­trie ein gro­ßer Glücks­fall, oder bes­ser gesagt: Das Inter­net ist für uns ein Segen.

Das sag­te Edgar Ber­ger wört­lich. Bedro­hung? Unter­gang? Segen! Ach was? Und war­um ist das so?

Wir haben im Netz inzwi­schen welt­weit mehr als 500 Musik­händ­ler wie iTu­nes oder Ama­zon, die kaum noch etwas mit den frü­he­ren Musik­lä­den zu tun haben. Die­se Diens­te sind von über­all erreich­bar, jeden Tag für 24 Stun­den. Und sie haben kei­ne Platz­pro­ble­me, weil sie kei­ne Rega­le brau­chen. Außer­dem schaf­fen sozia­le Netz­wer­ke ganz neue Ver­bin­dun­gen zwi­schen Musik­stars, Fans und Pro­du­zen­ten. Wir kön­nen auf die­sen Weg viel ziel­ge­nau­er werben.

Dol­les Ding, die­ses Inter­netz. Noch dol­ler, dass die Musik­in­dus­trie 15 Jah­re braucht, um das zu ver­ste­hen. Die Musik­in­dus­trie macht jähr­lich Umsät­ze von 5 Mil­li­ar­den Euro im Inter­net. Etwa ein Drit­tel des Gesamt­ge­schäf­tes, so Ber­ger, ist heu­te digi­tal. Und jetzt kommts:

Die Welt: War­um hat sich die Indus­trie denn mehr als zehn Jah­re Zeit für die­se Anpas­sung gelassen?

Edgar Ber­ger: Es dau­er­te, bis neue Geschäfts­mo­del­le ent­wi­ckelt waren und die kri­ti­sche Mas­se erreicht war.

Mir hauts vor Ver­blüf­fung fast die Fin­ger von der Tas­ta­tur. Ber­ger sagt hier nichts ande­res, als: Hey Leu­te, scha­de, dass wir euch über 10 Jah­re straf­recht­lich ver­fol­gen muss­ten — aber hey, wir muss­ten halt mal biss­chen nach­den­ken. Und damit in der Zwi­schen­zeit kei­ne Fak­ten geschaf­fen wer­den, muss­tet ihr mal klei­ne Aus­zeit im Knast neh­men. Sor­ry. Konn­tet in der Zel­le ja bestimmt Radio hören. Jail­house Rock und so. Wenn ihr GEZ gezahlt habt.

Bestands­schutz für Raubrittertum

Nun sagt Ber­ger in der Fol­ge etwas, das immer wie­der zu hören ist — und das auf den ers­ten Blick schla­gend wirkt:

Edgar Ber­ger: Wer das Urhe­ber­recht abschafft, wird nur dafür sor­gen, dass es irgend­wann nichts mehr zu kopie­ren gibt.

Genau das ist die Ver­mi­schung von Urhe­ber­schutz und Indus­trie­in­ter­es­sen, die lei­der dazu führt, dass ober­fläch­li­che Betrach­ter der Debat­ten und ver­ängs­tig­te Urhe­ber sich der For­de­rung der Musik­in­dus­trie nach Schutz vor “Raub­ko­pien” anschlie­ßen. Tat­säch­lich ist dem natür­lich nicht so. Was Herr Ber­ger ver­schweigt, ist der Anteil der Urhe­ber an den 5 Mil­li­ar­den Digi­tal­um­satz. Ich wet­te, er beträgt genau den sel­ben Pro­zent­satz wie beim Ver­kauf phy­si­scher Daten­trä­ger (CD’s) in sta­tio­nä­ren Laden­han­del. So um die 10 %. Das heißt 90% für die Indus­trie, die kei­nen Hand­schlag und kei­nen Cent für die Erstel­lung und den Ver­trieb der Datei­en über das Netz inves­tie­ren müs­sen. Wie das zu bewer­ten ist, haben die Öko­no­men Vol­ker Gross­mann und Guy Kirsch letz­tens hier in der FAZ dokumentiert:

Die ein­zel­nen Künst­ler und Autoren wer­den als mensch­li­che Schutz­schil­de ein­ge­setzt. Denn Urhe­ber­rech­te mani­fes­tie­ren oft­mals eine im vor­di­gi­ta­len Zeit­al­ter erwor­be­ne Macht­po­si­ti­on, mit­tels derer die Unter­hal­tungs­in­dus­trie eine Ren­te, das heißt ein leis­tungs­lo­ses Ein­kom­men, erwirt­schaf­tet. Wie ehe­dem die Raub­rit­ter: Auch die­se nah­men die Bau­ern aus, die ihre Waren in die Stadt brin­gen woll­ten, eben­so die Städ­ter, die auf dem Markt ein­kau­fen woll­ten — und recht­fer­tig­ten dies damit, dass sie die Sicher­heit der Wege gewährleisteten.

Die elen­de Debat­te wei­ter zu füh­ren, lohnt sich jetzt nicht mehr. Das Ber­ger-Inter­view zeigt, was das Pro­blem ist: In einer von Was­ser kom­plett bedeck­ten Welt lässt sich mit Press­luft­fla­schen gutes Geschäft machen. Gehen die Men­schen aber an Land und kön­nen die Luft frei atmen — hilft nur noch, den Men­schen Plas­tik­sä­cke über den Kopf zu zie­hen, um ihnen wei­ter Luft in Dosen ver­kau­fen zu kön­nen. Das genau hat die Musik­in­dus­trie 15 Jah­re lang getan — und Film- und Buch­in­dus­trie machen Anstal­ten, es ihr nachzutun.

Naps­ter ist doch duf­te gewesen

Dabei zeigt das Ber­ger-Inter­view auch, was vor 15 Jah­ren der rich­ti­ge Weg gewe­sen wäre:

Unter­su­chun­gen haben übri­gens erge­ben, dass Men­schen, die Musik ille­gal aus dem Inter­net laden, pro Jahr für durch­schnitt­lich 42 Dol­lar Musik kau­fen. Lega­le Down­loa­der hin­ge­gen kau­fen für 76 Dol­lar. Wer aber ein Abo-Ser­vice nutzt, gibt 126 Dol­lar aus.

126 Dol­ler für netz­ba­sier­ten Abo-Ser­vice. Ich gehe mal nicht davon aus, dass 100 Dol­lar davon an die Künst­ler ver­teilt wer­den, son­dern nur 12. Das ist eine veri­ta­ble Geld­druck­ma­schi­ne, gegen die das Fiat Money Prin­zip der Ban­ken, die aus der Luft durch Kre­di­te Geld schöp­fen kön­nen, wie eine Anfän­ger­übung aus­sieht. Eine Datei erstel­len, auf ein par Platt­for­men zum Anhö­ren bereit­stel­len — und die Krö­ten in gro­ßer Schar in die eige­ne Tasche wan­dern lassen.

“Netz­ba­sier­ten Abo­ser­vice” gab es übri­gens vor 15 Jah­ren schon. Nann­te sich Naps­ter und das Abo war kos­ten­los. Jeder konn­te hören, was er woll­te. Was tat die Indus­trie? Ver­folg­te Naps­ter gericht­lich bis zum trau­ri­gen Ende. Anstatt Naps­ter zu kau­fen, den Nut­zern die Wei­ter­nut­zung gegen eine Gebühr von 2–3 Dol­lar anzu­bie­ten — mit der Kom­mu­ni­ka­ti­on, dass 80% der Ein­nah­men, die hier erzielt wer­den, den Künst­lern aus­ge­schüt­tet wer­den. Wet­ten, dass die User das ger­ne genutzt hät­ten. Und wet­ten auch, dass bis heu­te die Preis­er­hö­hung auf 8 oder 9 Dol­lar durch­ge­setzt wor­den wäre? Ohne Kriminalisierung.

Das ist uto­pisch? Mit­nich­ten. Mein Thea­ter­ver­lag, der groß­ar­ti­ge “Ver­lag der Autoren”, zahlt 70% der ein­ge­hen­den Tan­tie­men jeder Insze­nie­rung direkt an den Autor. Und das funk­tio­niert seit über 40 Jah­ren bes­tens. Reich wird der Ver­lag damit nicht. Aber die Urhe­ber haben ein ordent­li­ches Aus­kom­men. Und der Ver­lag gehört übri­gens zudem den Autoren, die als Gesell­schaf­ter über die Akti­vi­tä­ten ent­schei­den. Er wur­de von Autoren und ihren Freun­den gegrün­det — nicht von Indus­tri­el­len, die mit den Roh­stof­fen krea­ti­ver Urhe­ber ihren eige­nen Kaf­fee kochen und ver­kau­fen wollen.

Krea­ti­ve aller Län­der — ver­ei­nigt euch

Es wird Zeit, dass die Krea­ti­ven und Urhe­ber ihre eige­nen Inter­es­sen in die Hand neh­men und sie gegen die Raub­rit­ter ver­tei­di­gen. Es gibt weit mehr User, die bereit wären für Musik zu zah­len, wenn damit ein höhe­res Ein­kom­men für die Künst­ler ver­bun­den wäre. Zudem könn­ten die Prei­se für Musik­down­loads gesenkt wer­den. Wenn die Künst­ler vom Abo-Ange­bot nur 12 Dol­lar bekom­men (Hypo­the­se!), den Rest die Indus­trie: Dann fragt sich doch, war­um die Indus­trie über­haupt dazwi­schen geschal­tet wer­den muss? Wenn ein Abo für 1 Dol­lar im Monat den Künst­lern genau­so­vel bringt, wie ein Abo für 10 Dol­lar im Monat, an dem sich die Musik­in­dus­trie berei­chert — war­um dann nicht ein Abo von Künst­ler­ge­nos­sen­schaf­ten, das 2 Dol­lar kos­tet? Ver­dop­pelt das Ein­kom­men der Künst­ler, ver­rin­gert den Preis für die Nut­zer. Und die Musik­in­dus­trie kann sich allein mit ihren Press­luft­fla­schen amüsieren.

P.S.: Gibt es einen Straf­tat­be­stand “Miss­brauch der Jus­tiz”, der gegen die Lob­by­is­ten und Indus­trie­ver­tre­ter gel­tend gemacht wer­den könn­te? “Jail­house Rock” wür­de ich den Herr­schaf­ten dann kos­ten­los zur Ver­fü­gung stel­len. Zum Downloaden.

 

ach­trag: Zum Ver­ständ­nis für alle Urhe­ber udn Krea­ti­ven: das Urhe­ber­recht hat zwei Exi­tenz­grü­ne. Zum einen schütz­te es Ver­wer­ter avor, dass ande­re Ver­wer­ter phy­si­sche Raub­ko­pin auf den Markt arfen. In einer vor­di­gi­ta­len Zeit sicher­lich nicht unbe­rech­tigt. Zum zwei­ten aber — und das ist viel wich­ti­ger — soll­te es die Urhe­ber vor der Aus­beu­tung durch die Ver­wer­ter schüt­zen. Die­sen zwei­ten gedn­ken unter­schla­gen die Indus­trie­ver­tre­ter ger­ne, wäh­rend er aktu­el­ler ist denn je.

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