In einem gestern vom Deutschlandradio Kultur gesendeten Interview nimmt der Thalia-Intendant Joachim Lux noch einmal Stellung zu der Spielplanwahl, mit der vor anderthalb Jahren die Spielzeit 12/13 teilweise durch das Publikum gestaltet werden sollte. Die Beruhigung aller Gemüter durch die verstrichene Zeit tut der Sache offenbar gut. In dem Interview sind durchaus einige anregende Gedanken zu finden. (Interview hier als Text hier als Audio)
“Kunst und Demokratie passen einfach nicht zusammen.”
Das ist eine enorm steile These, die Lux mit der Autonomie des Künstlersubjekts begründet, das tue, was es selbst wolle, während Demokratie darin bestünde, das man tue, was andere wollten. Das klingt einleuchtend — und findet sich ja auch bestätigt in der Forschungsarbeit von Daniel Ris, der herausfand, dass sich die Theaterinstitutionen zwar in der Demokratie befinden und zur Demokratie verhalten, in ihrer internen Organisation aber dazu tendieren, nicht nur weitgehend auf demokratische Mitbestimmung zu verzichten, sondern auch ökonomische Handlungsmuster an den Tag legen, die in gleicher Weise in der freien Wirtschaft realisiert auf breite Ablehnung stoßen würden. Darüber hatte ich unter dem Titel “Theater als moralische Anstalt und unmoralisches Unternehmen” vor einiger Zeit geschrieben (hier Teil 1 und Teil 2).
Interessant aber wird die Aussage, befragt man sie auf ihre Voraussetzungen, unterstellt sie doch, dass Kunst noch immer und notwendigerweise das autonome Subjekt bedeute und dass diese Autonomie schlechthin asozial oder zumindest antidemokratisch sei. Autonome Subjekte können tun und lassen, was sie wollen — und das tun sie auch. Damit es aber Kunst wird, was sie tun, waren immer schon andere Mechanismen am Werke, soziale oder auch Marktmechanismen, die der Autonomie des Subjektes entzogen sind. Ein Buch zu schreiben, Regisseur oder Intendant werden zu wollen — all das liegt im Einflussbereich autonomer Subjekte. Ob das Buch ein Kunstwerk wird, der Bewerber Intendant wird, liegt nicht in seiner Hand, aondern bezieht soziale, politische, ökonomische Prozesse ein.
Lux nimmt in diesem Sinne seine steile These auch ein Stück zurück, wenn er kurz danach sagt: “Nun ist die besondere Situation von Theatern, die das — wir natürlich trotzdem in Permanenz tun, was das Publikum auch möchte, weil sonst säße nämlich niemand unten im Saal. Insofern ist diese ideologische Konfrontation natürlich gar nicht mal so richtig.” Ohne das tatsächlich in ganzer Tiefe diskutieren zu können oder zu wollen, wäre es in jedem Falle interessant, dieses Spannungsverhältnis auszuloten, das hier die alte Gegenüberstellung von Kunstautonomie und “Markt” oder “Demokratie” doch aufweicht. Wenn das Entstehen von Kunst noch nie allein in der Hand des Künstlers lag, sondern immer schon voraussetzte, dass es Rezipienten (Kritiker, Exüperten, Käufer, Zuschauer, Besucher usw.) gab, die bereit waren, es als Kunst anzuerkennen und zu betrachten, dann ist vielleicht der alte Traum von der Autonomie schon immer auf einem Auge blind gewesen. Und man müsste sich fragen, wie es kam, dass dieser Traum oder diese Illusion gedanklich eine derart starke Macht bekommen konnte, welche Funktion also der Götze des autonomen Künstlers einnahm — und ob es in dieser Weise Sinn macht, an ihm fest zu halten. Zumal Theater niemals das Werk eines Einzelnen war, wie der Blick auf die Produktionsbeteiligten jeder Arbeit schnell klar macht. Theater war jederzeit ein kollaborativer Akt. Ob das heißt, dass er demokratisch war, ist eine andere Frage.
“Ich finde, diese Wahl ist eher eine Art politische Kunstaktion gewesen.” (Lux)
Aus dieser Perspektive hatte ich seinerzeit vorgeschlagen, die Spielplanwahl als “Das Drama der Demokratie” mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis auszuzeichnen: Das Thalia und die Spiel(plan)verderber 2: Durch Leiden wird man Demokrat. Insofern stimme ich Lux zu, dass der Perspektivwechsel hin zur künstlerischen Aktion hochgradig sinnvoll ist. Lux weiter:
Wir leben in einer Zeit, in der Demokratie wahnsinnig viel und oft defizitär wahrgenommen wird von den Menschen, die sagen, die Institutionen sind so entfremdet. Und ich will mehr Bürgerbeteiligung, ich will mehr Internetforen. Ich will mehr mitbestimmen, was passiert. Und das führt sofort zu der Problematik, ob denn diese neuen Beteiligungsformen überhaupt geeignet sind, dieses Defizit auszugleichen.
Und ich glaube, dass diese Aktion, ich sag mal wirklich, als Kunstaktion, dieses Dilemma im Rahmen von einem kleinen und gar nicht wichtigen Bereich, nämlich dem eines Theaters, dieses Dilemma noch mal besonders plastisch und deutlich gemacht hat.
Dem ist wenig hinzuzufügen — außer der Wunsch, dieses Thema weiter zu verfolgen. Und zwar sowohl als Reflexion über gesellschaftliche Demokratie, wie auch über den Götzen des autonomen Künstlers.