Vorneweg: Banken sind sinnvolle, wahrscheinlich sogar notwendige Institutionen in allen Volkswirtschaften. Es geht also nicht darum, „die Banken“ als solche infrage zu stellen. Ebenso wenig geht es darum, aus faktisch vorliegenden Fällen von Fehlverhalten von Bankmitarbeitern die Schwierigkeiten im Banken- und letztlich Geldsystem auf „Gier“ Einzelner oder Vieler zurückzuführen, die in Banken arbeiten. Es geht um etwas Anderes, das meines Erachtens wichtiger ist. Das sich aber nur dann in den Blick bekommen lässt, wenn man die Verschiebungen in den Blick bekommt, die das Bankensystem in den letzten Jahrzehnten erlebt hat und die zu einem paradoxen, zirkulären Prozess führen, bei dem am Ende das ursprüngliche Bankgeschäft auf dem Kopf steht.
Die Blaupause
Traditionell waren Banken Institutionen, die ihre Dienste vor allem Unternehmern und Unternehmen, also Wirtschaftssubjekten angeboten haben. Bauern, Händler, Produzenten usw. wurden dadurch die in die Lage versetzt, ihre Geschäfte untereinander sicherer und in größerem finanziellen Umfang zu betreiben (die Details können hier ausgeblendet bleiben). Davon zu unterscheiden sind die nicht auf eigene Rechnung, sondern vornehmlich abhängig Beschäftigten sowie die Nicht-Beschäftigte wie Kinder, Alter, Kranke, Arbeitslose. Ob diese (etwas grob so zu nennenden) „Privatsubjekte“ überhaupt sinnvollerweise Geschäfte mit Banken betreiben ist die Kernfrage.
Vor allem mit dem Aufkommen der Sparkassen vor circa 150 Jahren öffnete sich der Weg für die Privatsubjekte hinein in die Banken. Zuvor war überwiegend nicht hinreichend verfügbares und speicherfähiges (also nicht für den unmittelbaren Lebensunterhalt benötigtes) Geld in den Taschen der Privatsubjekte, um für Banken interessant zu sein. Erst durch Sparkassen entstand das Angebot, auch kleine Beträge bei Bank-Institutionen einzulegen. Der Anreiz, das zu tun, waren Zinsen: Leg dein Geld auf die Bank und schau zu, wie es sich vermehrt. Damit gelang es Bankinstitutionen die kleinen Guthaben von Privatsubjekten anzuzapfen, um sie anschließend für Wirtschaftssubjekte verfügbar zu machen (Privatkredite waren weitgehend bedeutungslos in ihrem Umfang, letztlich auch zu riskant für Banken, die noch nicht über die Techniken der Informationsbeschaffung über potenzielle Schuldner verfügten).
Diese Struktur kann als Blaupause bezeichnet werden, die trotz aller formalen und morphologischen Verschiebungen noch heute des Hintergrund des Bankensystems bildet – und zar insbesondere in seiner Wahrnehmung von außen: Banken sammeln Geld von Kunden ein (von Privat- und Wirtschaftssubjekten), um es (anderen) Kunden (Wirtschaftssubjekten) verfügbar zu machen. Sie zahlen denjenigen Kunden Geld (Zinsen), die ihnen ihre eigenen Geldmittel verfügbar machen und verlangen Geld (Zinsen) von den Kunden, die sich Geld bei ihnen leihen.
Die wichtige Implikation: Banken mussten sich in diesem System aktiv darum bemühen, Kunden zu gewinnen, die ihnen durch ihre Einlagen die Geldmittel zur Verfügung stellten, mit denen die Bank anschließend ihre Kreditgeschäfte durchführte oder zumindest absicherte.
Die Blaupause im Girozeitalter
Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich zunehmend das System der Girokonten für die breite Bevölkerung durch. Um Geldeinlagen zu bekommen, musste das Banksystem weniger kommunikativ und durch attraktive Angebote um Kunden werben (wohl aber, um unter konkurrierenden Instituten diejenige Bank zu sein, die den größeren Anteil an Einlagen abbekam). Das Geld floss – insbesondere in seiner Form des monatlichen Gehalts, der Miete, staatlicher Zahlungen in beide Richtungen – mehr und mehr in „unbarer“ Form: Der Arbeitgeber händigte dem Arbeitnehmer nicht mehr die Lohntüte mit Bargeld aus – sondern „überwies“ es an die Bank und auf das dortige Konto des Arbeitnehmers. Bereits dieser Schritt ist von überraschender Akzeptanz seitens der Privatsubjekte: dass das Gehalt der Bank übergeben wird führte offenbar zu keiner Irritation. Vielmehr bezog das Bankensystem, nun auch jenseits der Sparkassen, eine zunehmende Zahl von Privatsubjekten ein. Um als einzelnes Institut interessant zu sein musste potenziellen Kunden ein attraktiver Zins für die Einlagen geboten werden.
Zugleich aber gelang es, den Privatsubjekten akzeptabel zu machen, dass für die Verwaltung ihrer Einlagen “Gebühren“ fällig werden. Kontoführungsgebühren, Überweisungsgebühren usw. Ein Verhältnis von Geben und Nehmen: Ich gebe dir Zinsen für deine Einlagen, nehme aber Gebühren dafür, dass du dein Geld bei mir einlegst.
Zugleich wandelte sich für die Privatsubjekte die Funktion ihrer Bankeinlagen: Im Sparkassensystem wurden – wie der Name schon andeutet – die Kunden veranlasst, nicht für den laufenden Lebensunterhalt benötigtes („überschüssiges“) Geld zu sparen, das heißt: auf Sparkonten für längere Zeit einzulegen (zumeist mit einer „Kündigungsfrist“, d.h. der Selbstverpflichtung des Kunden, eine Abhebung eine bestimmte Zeit vorher der Bank anzukündigen, die sich damit auf den Geldabfluss einstellen konnte). Das Girokontensystem dagegen sollte die Kunden veranlassen, auch das für den täglichen Lebensunterhalt benötigte Geld bei der Bank zu deponieren und Zahlungsvorgänge von diesem und auf dieses Korrentkonto vorzunehmen. Neben dem Geldaufbewahrungs- und Vermehrungsmechanismus (durch Zinsen) boten die Banken nunmehr auch Zahlungsmechanismen an, schalteten sich also in den Zahlungsverkehr zwischen zwei Privatsubjekten (z.B. Mieter und Vermieter) oder zwischen Wirtschafts- und Privatsubjekten (z.B. Arbeitgeber und Arbeitnehmer), sowie zwischen Privat- und Wirtschaftssubjekten einerseits, staatlichen Stellen andererseits (z.B. Steuerzahlungen, staatliche Unterstützungsleitungen) ein – wobei sie von den Zahlvorgängen durch Gebührenerhebung zu profitieren begannen. Mit jeder Zahlung zwischen Vermietern und Mietern, Verkäufern und Käufern, Arbeitgebern und ‑nehmern, Bürgern und Staat bekamen Banken einen kleinen Anteil.
Damit entstand auf der Grundlage der Blaupause ein formal leicht verändertes System, dem es gelang, nicht nur eine wachsende Zahl von Privatsubjekten einzubeziehen, sondern zugleich ein erheblich größeres Vorgangsvolumen an sich zu ziehen und dafür durch Gebühren zu profitieren. Zugleich stellt sich eine Verschiebung im Machtgefüge der Blaupause ein: Banken waren weniger gezwungen, Privatsubjekte durch Kommunikation und attraktive Konditionen überhaupt dazu zu bringen, ihr Geld Bankinstituten zur Verfügung zu stellen. Vielmehr führte die „Einfachheit“ des Services, Geldbewegungen per Überweisung vorzunehmen, die sich wie selbstverständliche Ausbreitung dieses Zahlsystems dazu, dass ein zunehmender Druck auf die Privatsubjekte entstand der sie zu den Banken brachte: Barauszahlungen an Arbeitnehmer, Barzahlungen der Miete usw. verloren rasant an Akzeptanz. Der Besitz eines Bankkontos zur unbaren Zahlungsabwicklung wurde zunehmend zum Standard, dem gegenüber das Nichtvorliegen eines Kontos als immer weniger akzeptabel Deviation erschien. Dennoch waren noch immer attraktive Zinsangebote nötig, um im Konkurrenzumfeld der Banken als einzelne Bank erfolgreich agieren zu können.
Die Digitalisierung der Blaupause
Mit der zunehmenden Digitalisierung des Geld- und Zahlungsverkehrs stellt sich eine neue Überformung der Blaupause ein. Zahlungen werden – zumindest ab einer bestimmten Höhe – zunehmend „bargeldlos“ getätigt, im Online-Handel wird bargeldlos gezahlt, in Ladengeschäften mit elektronischen Karten Zahlungsvorgänge veranlasst, Privatsubjekte führen ihre Bankgeschäfte zunehmend selbständig über Online-Plattformen der Banken.
Die erste morphologische Verschiebung: Mussten sich in der ursprünglichen Blaupause Banken darum bemühen, Privatsubjekte davon zu überzeugen, ihr Geld überhaupt dem Bankensystem und dann noch gerade diesem Institut zu überlassen (durch Zinsangebote), ist nunmehr die Bank in der Lage, das gesamte Geld eines Privatsubjekts aus den verschiedensten Quellen quasi von selbst und automatisch zu erhalten. Löhne, Gehälter, staatliche Leistungen usw. werden überwiesen. Das gesamte Geld eines Privatsubjekts liegt zunächst digital bei der Bank vor – und es ist nunmehr am Privatsubjekt selbst, an Bargeld zu kommen. Nicht mehr die Bank muss dafür sorgen, dass sie Geld von Privatsubjekten erhält und dafür Zinsen zahlen – sondern die Privatsubjekte müssen sich bemühen, an ihr Bargeld zu kommen. Und dafür ggf. Auszahlungsgebühren an Bankschaltern oder Geldautomaten bezahlen. Das wäre der nächste Schritt der Erschließung von Profitquellen: Nachdem die Banken sich zunehmend – wenn man so will: parasitär – auf Zahlungsvorgänge setzen, von denen sie Gebühren und Provisionen abschöpften, schaffen sie es nunmehr auch, Gebühren dafür zu verlangen, dass die Privatsubjekte an ihr eigenes Geld gelangen. Dass auch das reibungslos funktionierte ist eine weitere Überraschung.
Die zweite morphologische Verschiebung: Lange Zeit waren insbesondere Wirtschaftssubjekte Kreditkunden bei Banken. Unternehmen nahmen Kredite auf, um ihre Wirtschaftsaktivitäten zu finanzieren. Dafür zahlten sie den Banken Zinsen. Banken wiederum versuchten, sich hinreichende Informationen über die Wirtschaftssubjekte zu verschaffen, die es ihnen erlaubten, das Ausfallrisiko eines angeforderten Kredits einzuschätzen, daraus die Zinshöhe oder Ablehnung des Wunsches abzuleiten. Für Privatsubjekte kamen Kredite schon deswegen kaum in Betracht, weil diese Risikobewertung für Banken schwierig war, solange alle finanziellen Informationen (so es solche gab) allein in der Verfügung des Kunden lagen. Das ändert sich mit der großen Popularität von Girokonten: Banken verfügen nun über sich selbst führende Kundenakten, die es ihnen relativ leicht macht, Risikobewertungen vorzunehmen, liegt bei ihnen doch ein vollständiger Finanzdatensatz vor: mit allen Einkünften und laufenden Ausgaben. Das Problem, dass die mit einer Kreditnachfrage konfrontierte Bank nicht die Hausbank des Kunden mit seiner vollständigen Kundenakte sein könnte, ließ sich durch Kredit-Auskunfteien wie die SCHUFA relativ simpel lösen. Ohne die kompletten Kundendaten auszutauschen wurde ein Weg geschaffen, die für Banken relevanten Risikobewertungsinformationen auszutauschen. Das bekam ein Maß an Zuverlässigkeit, dass man es dem Kunden selbst überlassen konnte, einen Kredit in vorher festgelegtem Rahmen zu generieren: durch „geduldete Überziehung“ oder „Dispokredit“ entscheidet der Kunde selbst, wann er einen Kredit aufnimmt. Und die Bank profitiert durch gesalzene Zinsen.
Dritte Verschiebung: Mit der Zunahme unbarer Zahlungsvorgänge, der Reduktion der umlaufenden Bargeldmenge zum volkswirtschaftlichen Gesamtvermögen, der Reduktion der Bargeldhaltung auch in kleinsten Haushalten von Privatsubjekten steigt der Anteil der Banken am Gesamt-Finanzsektor. Den Banken fließt mehr und mehr Geld zu – und immer weniger fließt außerhalb des Bankensystems durch Bargeld ab. Banken müssen ihre Attraktivität immer weniger durch attraktive Zinskonditionen beweisen – wohl aber noch gegenüber konkurrierenden Banken. Wobei nicht mehr infrage steht, ob die Privatsubjekte überhaupt ihr komplettes Geld einer Bank anvertrauen wollen – sondern nur noch: welcher Bank. Das Zinssystem der Zentralbanken sorgt dabei dafür, dass allen Bankinstituten eine Art Zinskorridor vorgezeichnet wird, der die Spannbreite konkurrierender Zinsangebote von Banken an Privatkunden deutlich einschränkt.
Am Ende der Digitalisierung des Geldsystems lässt sich sagen: Das gesamte Geld der Privatsubjekte ist auf Institute des privatwirtschaftlichen Banksektors gewandert, jeder Zahlungsvorgang, jede Auszahlung des eigenen Geldes kostet jetzt Gebühren, die fallweise deutlich die Zinserträge überschreiten können. Mussten Banken zu Zeiten der ursprünglichen Blaupause Geld durch kluges und vorsichtiges Agieren vermehren und in das Risiko gehen, das mit der Erwirtschaftung von Profiten verbunden ist, können sie jetzt beginnen, ihr Geschäftsmodell umzustellen: auf Gebühren. Das wiederum ist der Fokus in der nächsten morphologischen Verschiebung.
Die Blaupause in Nullzinszeiten
Im Anschluss an die Finanzkrise haben Zentralbanken in wichtigen Wirtschaftsräumen ihre Leitzinsen gen Null reduziert. Dadurch wird es zunächst für Banken schwieriger mit „sicheren“ Investitionen wie Staatsanleihen Profite zu erzielen. Profite sind nur noch mit höherem Risiko zu erwirtschaften – zumal wenn das Geschäft mit Krediten an Wirtschaftssubjekte lahmt. Gleichzeitig ermöglichen es die niedrigen Leitzinsen Bankinstituten, im Gesamtkonkurrenzumfeld der Banken, enorm niedrige Kreditzinsen festzusetzen, was über den Konkurrenzdruck allen Banken die Profitmöglichkeiten schmälert. Geringere Profite führen zu geringeren Zinsen für Einlagen – die aber gar nicht mehr nötig sind. Denn die Privatsubjekte müssen nicht mehr durch Zinsen überzeugt werden, ihr Geld zu Banken zu bringen. Die Banken „haben“ das Geld nahezu aller Privatsubjekte ohne jede Überzeugungsarbeit. Und sie haben die Privatsubjekte davon überzeugt, dass ihre Dienstleistung der Geldaufbewahrung und Abwicklung von Zahlungsvorgängen Gebühren kostet – was ihnen risikolose Einnahmen ermöglicht. Eine Art finanzieller Wegezoll, wie ihn mittelalterliche Raubritter erhoben haben sollen.
Vielleicht ist es an dieser Stelle nötig, die Veränderung mit einem Vergleich deutlich zu machen: Ein Autohersteller schreibt alle Besitzer von Fahrzeugen aus seiner Produktion an und erklärt ihnen, die gekauften Autos gehörten fortan nicht mehr den Käufern, sondern wieder dem Hersteller. Für den Fahrer ändere sich damit nichts weiter, er könne das Auto unbesorgt weiter fahren – allerdings werde eine Verwaltungsgebühr erhoben. Und sollte der Autohersteller Konkurs gehen, werde dem bisherigen Besitzer das Auto entzogen, da es zur Konkursmasse des Herstellers gehört. Das ist etwas anderes als „Leasing“, wo der Autohersteller dem Fahrer das Fahrzeug gegen Bezahlung zur Verfügung stellt – also im Wege eines Kredites. Das Enteignungsmodell trifft tatsächlich das gekaufte Auto des Besitzers, das nunmehr wieder ins Eigentum des Herstellers übergeht, der für die Verwaltung der Nutzung Geld einnimmt – also dafür, wofür Sie das Auto eigentlich von ihm gekauft haben: es stehen zu lassen oder damit zu fahren.
Die Blaupause in Zeiten von Negativzinsen und abgeschafftem Bargeld
Wiewohl die Privatsubjekte überraschend kooperativ und duldsam waren (wie oben beschrieben): Würde ihr Geld sich bei der Anlage auf der Bank durch Negativzinsen vermindern, würden sie es sehr wahrscheinlich zumindest zu großen Teilen von der Bank abheben und irgendwo deponieren, wo es seinen Wert zumindest nicht durch Negativzinsen verliert. Ein kleinerer Teil würde vermutlich ausgegeben, der Rest in Schließfächern, Tresoren, Kopfkissenbezügen eingelagert. Was schon deswegen nicht praktikabel ist, weil es nicht genug Bargeld gibt, um alle digitalen Bankeinlagen in physisches Geld zu verwandeln.
Politisch gewünscht ist allerdings, einen größeren Teil der auf Banken eingelagerten Geldmenge in der Form von Transaktionen zu mobilisieren. Das Geld, das die Banken nicht mehr in hinreichendem Umfang profitabel investiert bekommen, soll von den nominalen Eigentümern in Bewegung gesetzt und z.B. für Käufe genutzt werden. Was nicht nur eine Verschönerung der Wachstumsstatistik zur Folge hätte – sondern auch im Wege der Mehrwert- und Umsatzsteuer eine Steigerung staatlicher Einnahmen.
Offensichtliche Voraussetzung dafür ist – zumindest im Rahmen der herrschenden neoliberalen Wirtschaftslehre – aber, dass die Möglichkeit versperrt wird, das Geld einfach nur aus dem Bankensystem zu ziehen und selbständig als physisches Geld zu lagern. Dafür ist ein offensichtlich für zunehmend attraktiv befundener Weg derjenige, die Menge des Bargelds konsequent zu reduzieren, große Zahlungen zu verbieten, Geldnoten mit hohem Nennwert abzuschaffen. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass große Geldbeträge von den Banken abgezogen werden: durch Verbote sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass mit großen Summen Transaktionen getätigt werden können, durch Abschaffung großer Banknoten wird es physisch schwieriger, große Summen zu bewegen. Durch Nachweispflichten im Umfeld der Geldwäsche-Gesetze wird es zusätzlich schwierig, das Bargeld in hohen Beträgen wieder ins Bankensystem zurückzubringen. Das Digitalsystem schließt sich zunehmend, bis tatsächlich faktisch keine Chance mehr besteht, Geld in bemerkenswertem Umfang physisch aus den System zu bekommen. Der Besitz von Geld ist (mehr oder weniger) bei Banken monopolisiert. Das Geld, das Privatsubjekte durch Arbeit oder wie auch sonst immer erworben haben, liegt komplett eingeschlossen im Bankensystem – inklusive der Auslagerung der Insolvenzrisiken. Geht die privatwirtschaftliche Bank pleite, ist auch die Einlage der Privatsubjekte verschwunden (Einlagensicherung hin oder her).
Das Wichtige daran: In einem solchen geschlossenen Digitalgeldsystem ist den Privatsubjekten die Entscheidung abhanden gekommen, ob sie ihr Geld überhaupt zu einer privatwirtschaftlichen Bank tragen wollen. Sie sind dazu gezwungen – und gezwungen, damit Risiken einzugehen. Und zwar nicht nur für das ehemals „überschüssige“ Geld auf den Sparbüchern der Sparkassen, sondern für das Geld, das sie für die Zahlungen benötigen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie sind gezwungen, Gebühren dafür an Banken zu zahlen, dass sie das Geld bei ihnen „lagern“ (worum sie nicht umhin kommen), dafür, dass sie ihr Geld für eine Zahlung nutzen. Und sie bekommen dafür im Gegenzug nicht einmal mehr Zinsen.
Im Gegenteil: Die Banken fordern zunehmend die Privatsubjekte auf, selbst ins Risiko zu gehen, sich mit Aktien oder Fonds einzudecken deren Schwankungen oder Totalverluste zulasten des Privatsubjekts gehen – währen die Banken sichere Einnahmen dadurch erzielen, dass für Kauf und Verkauf ebenso wie für die “Lagerung” dieser (virtuellen — also lediglich Datenspeicher beanspruchenden) Finanzprodukte wiederum Gebühren anfallen. Selbst Verlustverkäufe der Privatsubjekte führen zu Gebühren bei den Banken.
Die Blaupause scheint sich vollkommen verkehrt zu haben: Waren ursprünglich die Banken diejenigen, die Risiken eingegangen waren, um den Privatsubjekten qua Zinsen Einnahmen für das Geld zu versprechen, das sie den Banken als Einlage zur Verfügung stellten, ist es nunmehr das Privatsubjekt, das mit riskanten Transaktionen ins Risiko geht, um den Banken risikolose Erträge durch Gebühren zu verschaffen. Und die Privatsubjekte können im geschlossenen Digitalgeldsystem mit (faktisch mehr oder minder) abgeschafftem Bargeld gar nicht anders, als dabei mit zu machen. Die Einlagerung des Geldes, zu dem sie gezwungen sind, verschafft ihnen selbst Einbußen, den Banken Erträge, ebenso die Nutzung der Zahlungsfunktion des Geldes und insbesondere der versuch, selbst durch Anlagen Profit zu erzielen. Ein Spiel, das keinerlei Gewinnoption für Privatsubjekte hat.
Die Blaupause im zirkulierenden Negativzinssystem
Im Geschlossenen Digitalgeldsystem gibt es keine Chance mehr, das Geld aus dem Bankensystem durch physisches Geld abzuziehen. Das Geld wandert digital von Konto zu Konto, von Bank zu Bank – ohne das System verlassen zu können. In diesem Setting sind Negativzinsen möglich, von denen staatliche Stellen sich wünschen, dass damit das Transaktionsvolumen – durch Käufe – angeheizt werde. Das heißt: Die Menschen stellen fest, dass ihr auf den Banken vorhandenes (Spar- und Girogeld) jährlich einen Wertverlust von mehreren Prozent hat. Um dieses zu verhindern, geben sie ihr Geld aus, kaufen etwas. Davon profitiert der Staat mit Umsatz- oder Mehrwertsteuer. Und es profitiert die Bank durch Transaktionsgebühren oder Provisionen. Nun ist diese Bezahlung nur unbar, also digital möglich. Das Geld wird von einem Konto abgebucht und einem anderen gutgeschrieben. Der Empfänger ist selbst in der Situation, durch auf seinem Bankkonto liegendes Geld Verluste zu machen – also wird auch er wieder versuchen, schnellstmöglich etwas zu kaufen. Steuer und Gebühren/Provisionen fallen an. Auch der Empfänger dieses Betrages ist in derselben Situation: das Geld wird sich also weiter bewegen, mit zunehmenden Erträgen für Staat und Banken. Tatsächlich wirken die Gebühren und Provisionen für Banken wie eine Steuer, die von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen erhoben werden. Die Bank schaut dabei zu, wie Menschen aufgrund der Ängste vor Zinsverlusten immer schneller versuchen, ihr Guthaben durch Käufe zu vermindern. Sie tut nichts als zuzuschauen. Sie geht keinerlei Risiko ein. Sie muss sich nicht um Privatsubjekte kümmern. Diese haben keine Chance mehr, aus dem System herauszukommen – es sei denn durch so viele Käufe, dass ihr Guthaben gegen null geht und ihr Warenbestand sie überschwemmt.
Auf 3SAT war kürzlich in einer Dokumentation zum Thema Bargeld ein Obdachloser in Schweden zu sehen, der seine Obdachlosenzeitung bereits mittels eines Mini-Kartenterminals verkaufte. Das heißt: Der Zahlungsabwickler (die Bank) verdient mit und nimmt dem Obdachlosen das Geld aus der Tasche. Ebenso in Schweden eine Kirchengemeinde mit elektronischer Kollekte: Die Bank verdient mit. Der Zahlungsempfänger bekommt etwas weniger als den Kaufbetrag gutgeschrieben (via Provision). Tätigt er nun einen elektronischen Kauf, bekommt auch sein Empfänger etwas weniger gutgeschrieben usw.
Das Ganze als Zirkel dargestellt:
- Ein Mensch kauft ein Brötchen. Der Bäcker bekommt Geld, die Bank Provision.
- Der Bäcker kauft Mehl. Der Händler bekommt Geld, die Bank Provision.
- Der Händler kauft viel Mehl bei der Mühle. Die Mühle bekommt Geld, die Bank Provision.
- Die Mühle kauft Korn beim Bauern. Der Bauer bekommt Geld, die Bank Provision.
- Der Bauer bezahlt Pacht. Der Verpächter bekommt Geld, die Bank Provision.
- Der Verpächter geht zum Bäcker und kauft Brötchen.
- …
DIe Bank hat also Zahlungssdienstleister bei jeder Transaktion entweder Provision für die Einzelzahlung bekommen oder eine Fltarate als Kontoführungsgebühr. Wenn nun zudem dieser Prozess ein Jahr dauert und der Negativzins übers Jahr 4% beträgt — streicht sie außerdem noch diese 4% ein. Zuglkeich sinkt der zirkulierende Betrag durch die Provisionen jeweils.
Mit allen Steuern, Gebühren und Provisionen nimmt letztlich die Menge umlaufenden Geldes bei den Privatsubjekten ab, bei den Banken zu. Und lässt man das Spiel lange genug laufen, werden die Banken das gesamte Geld in ihren Besitz gebracht haben.
Der absurde Zirkelschluss
In der alten Blaupause ist es vorgesehen, dass „Rendite“ zu Geldabflüssen aus den Baken führen. In einem geschlossenen Digitalsystem ist das nicht mehr möglich. Es mag zwar zu einer anderen Bank als Einlage fließen: Der Kredit verlässt aber das System privatwirtschaftlicher Banken nicht mehr. Es wird unmittelbar zu einem Guthaben (entweder bei einem Kreditnehmer oder seinem Zahlungsempfänger) und steigt damit in denselben Ausgaben-Wettlauf ein.
Da nun im modernen Fiat Money-System zudem Banken nicht einfach nur Einlagen als Kredit weiterreichen, sondern die Einlagen nur noch als Sicherheiten für Kredite in vielfacher Höhe werden (Fractional Reserve), die von den Kreditinstituten als „Buchgeld“ aus der Luft geschaffen werden, ist es absehbar, wie dieses System sich in sich selbst dreht, überhitzt und früher oder später selbst zerstört. Zumal wenn — was konsequent wäre — der negative Einlagenzins sein Gegenstück in einem Negativzins bei Kreditgeschäften bekäme: das heißt ein Kreditnehmer muss für seinen Kredit keine Zinsen an die Bank zahlen, sondern die Bank zahlt ihm einen jährlichen Bonus für den Kredit …
Alles kein Problem. Das einzige Problem: Selbst wenn man dieses Risiko als Privatsubjekt sieht – man hat keine Chance, sich davor zu schützen. Denn das Geld im Digitalsystem lässt sich nicht aus dem System bekommen. Das nicht zu sehen ist die Gefahr, die daher rührt, dass die alte Blaupause noch als das Standardmodell des Bankgeschäfts betrachtet wird – in weiten Teilen der Öffentlichkeit und der Politik. Diese Blaupause ist überholt. Es ist an der Zeit für eine neue Blaupause, wenn man tatsächlich das physische Bargeld gegen Null reduzieren und vielleicht noch Negativzinsen einführen will.
Es geht nicht um Prophezeiungen von Schreckensszenarien. Es geht lediglich darum zu zeigen, dass bei aller Notwendigkeit von Banken im Wirtschaftssystem die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu Verschiebungen geführt haben, die sowohl gesellschaftlich wie politisch als auch wirtschaftlich neue Risiken mit sich bringen. Und Risikobewertung und ‑beherrschung war das ursprüngliche Geschäft der Banken, von dem Einleger durch Zinsen profitieren sollten. Jetzt werden die Privat- und letztlich auch die Wirtschaftssubjekte damit belastet, Risiken zu kalkulieren und einzugehen – und die Bank profitiert durch Gebühren und Provisionen. Das stellt das alte System auf den Kopf. Und die Erfahrung zeigt: Kopfstand ist keine stabile Position.
P.S. Für Theaterinteressierte: Vor 4 Jahren habe ich darüber das Theaterstück „Schuld und Schein“ geschrieben, das seit nunmehr fast vier Jahren in München am Metropoltheater und auf Gastspielen läuft. Den Stücktext kann man sich auf www.schuldundschein.de herunterladen
P.P.S Privatsubjekte müssen selbst bei Bargeldabschaffung die Wahl haben, ob sie sich dem Risiko der Geschäfte mit privatwirtschftlichen Banken aussetzen wollen. Ein bescheidener Vorschlag, wie das gehen könnte, ist hier als PDF zu finden.
P.P.P.S. Achso, was natürlich auch noch ginge: Statt Negativzinsen von 4% umständlich zu organisieren könnte eine vierprozentige Vermögenssteuer auf hohe Guthaben eingeführt werden, die der Staat unmittelbar einnimmt und ausgibt zum Beispiel für vernünftige soziale Absicherung, Renten, Bildung usw. Wäre zu einfach, oder?