Gerade eben gab es ein Posting von Thomas Strobl auf weissgarnix (hier (Update 2015: Weissgarnix-Blog inzwischen offline),) in dem er auf einen Artikel von Harald Staun in der FAZ (hier) zum Kachelmann-Prozess bezugnehmend fragt, ob sich (im Kachelmannprozess oder grundsätzlich) die Rechtsprechung als Theater verstehen lässt. Darauf habe ich ihm ausführlich in einem Kommentar geantwortet, den ich hier wiedergeben möchte.
Die metaphorische Anwendung der Struktur “Theater” auf die Struktur “Gerichtsprozess” ist legitim, sofern sie Erkenntnisgewinn bringt und nicht behauptet, das eine sei das andere. Insofern ist die Frage nach der Richtigkeit “Stimmt das?” nicht wirklich relevant. Eher die Frage “Bringts was?”. Denn dass ein Prozess kein Theater “ist”, weiß spätestens, wer den Delinquenten auf dem Richtplatz oder im Gefängnis sieht, den Schauspieler aber in der Kantine.
Trotzdem gibt es durch die Strukturüberlagerung feststellbare Ähnlichkeiten. Nämlich:
1. Die zeremonielle Dimension, die durch einen deutlich gesetzten Beginn beider Veranstaltungen (Öffnen des Vorhangs / Eintreten des Richters), ihre Endlichkeit und ihre innere Geregeltheit sichtbar wird. Beide haben dafür ihre eigenen Zeremonialgebäude, beide teilen die Anwesenden in Beteiligte des Zeremoniells und zur Ruhe verpflichtete Zuschauer auf.
2. Die Doppelpersonale Struktur: Was im Theater die “Rollen” sind (und zwar sowohl diejenigen, die offen dargestellt werden, wie auchdiejenigen, die unsichtbar sind (Regie, Beleuchtung), findet sich im Gericht als Zuweisung der sichtbaren Rollen von Richter, Staats-/Awälten, Zeugen, Beschuldigten, Klägern. Wicvhtoig ist dabei nicht so sehr, wer die Rollen jeweils ausfüllt (auch wenns das Publikum interessiert), sondern dass diese Rollen definiert und kodifiziert sind und mit bestimmten fest definierten Handlungsmustern verbunden sind.
3. Und hier wirds meines Erachtens für die theoretische Betrachtung am Interessantesten, eine ähnliche Struktur hinsichtlich des abstrakten Wortes. Sowohl das bürgerliche Theater der Neuzeit als auch das Gericht hat es mit toten Texten zu tun, die sich nicht von selbst auf eine konkete Situation (eine Inszenierung oder einen Rechtsfall) anwenden, sondern die komplexer Prozesse der Zusammenführung bedürfen. Letztlich ist das Urteil nichts anderes als die Verankerung eines Sachverhalts in der Spache des Rechts. Das Urteil ist ein Wort (Betrug, Mord, Fischwilderei) und verkündet die Anwendbarkeit dieses Wortes (oder Nichtanwendbarkeit im Falle des Freispruchs) auf den Sachverhalt. Durch diese Zuweisung eines Wortes, der zugleich juristisch definierter Begriff ist, für den nachzulesen ist, was die Folgen sind, wenn dieses Wort auf einen Sachverhalt anwendbar ist (die Strafzuweisung etwa), tritt die Verbindung zwischen der Welt der (im Prozess als solche festgestellten) Sachverhalte und der abstrakten Welt des Rechts ein. In der FAZ formuliert als das Anliegen, “die Tat gewissermaßen wieder in den Raum des Worts zurückzuholen”. Diese Struktur der Verbindung des Geschriebenen (textes oder Gesetzes) auf einen Ausschnitt von (nennen wirs mal) Wirklichkeit wird sichtbar, wenn sich die Struktur Theater über die Struktur des Prozesses liegt. Aber es gibt in diesem Zusammenhang noch ein Weiteres:
4. Die Sichtbarkeit. Staun formuliert “Zum anderen ist die öffentliche Aufführung notwendig, um die durch ein Verbrechen zerstörte symbolische Ordnung wiederherzustellen”. Bei Hamlet heißt das “The time is out of joint, o cursed spite that ever I was born to set it right.” Der Bruch in einer als gerecht angenommenen Welt (und damit ist nicht das positive Recht sondern das Alltagsverständnis gemeint, das ebenso davon ausgeht, dass der Apfel vom Baum fällt ohne doch von der Gravitation viel zu verstehen) schafft eine Leerstelle oder einen Bruch in der Wahrnehmung (als würde ein Apfel plötzlich nach oben fallen, statt nach unten). Eine Wunde, die nur zu heilen ist, indem im öffentlichen Zeremoniell die Rechtsordnung wieder hergestellt wird — und zwar unter Verzicht auf die vom Alltags(un)verstand allzu häufig geforderte Rache, die als geeignetes Mittel dafür noch in vielen Köpfen ist. Diesen Rachemechanismus auszuschalten und trotzdem den Bruchd es Rechts wieder zu heilen, bedarf der Öffentlichkeit. Es muss sichtbar sein, dass die Untat eine Folge nach sich zieht (bei Aischylos, dessen Orestie letztlich nur ein Gerichtsverfahren mit Tatvorlauf ist, heißt das: Wer tut, der leidet.) Im öffentlichen Verfahren setzt sich die staatliche Rechtsprechung ein als Organisator der Widerherstellung der Rechtsordnung jenseits einer Rachemechanik. Diese Sichtbarkeit ist ebensfalls mit einer theatralen Struktur verwandt, die das Nichtöffentliche auf der Bphne öffentlich macht: Das geschehen in den feudalen Burgen und Palästen bei Shakespeare, das Geschehen im bürgerlichen Privaten bei Strindberg und Ibsen, Das Auftreten von Göttern in der Tragödie, das Vergangne im Historiendrama usw.
5. Kommt noch die Unsicherheit dazu. Im Theater-Kontext wird gerne gefordert, Stücke “werktreu” aufzuführen. Das wird getragen von der Ein-Eindeutigkeit des Wortes. Als gäbe es eine für alle unmittelbar verständliche und verbindliche Art und Weise, ein Stück auf die Bühne zu bringen. Das ist eine tiefsitzende Glaubensannahme und Sehnsucht nach der Eindeutigkeit von Sprache, die vom Theater neuerer Zeit bewußt und gezielt herausgefordert wird durch das offene und selbstbewußte Zwischentreten des Regisseurs. Dass sich das im Gericht wiederfindet, dass also das Publikum glaubt, der mit “Euer Ehren” in Amerika titulierte rechtssprecher spreche quasi-algorithmisch in einem festgelegten wenn-dann-Mechanismus Recht, wird immer konterkariert von der scheinbaren Willkürlichkeit, deren Reste unvermeidbar sin und sich spätestestens im Strafmaß zeigen. Staun schreibt:
“Was nämlich sichtbar wird in all den juristischen Gefechten und Tricks, in der Belanglosigkeit stundenlanger Zeugenaussagen und in den biegsamen Indizien, das ist der Wahnsinn, der in jeder Urteilsfindung liegt, die Elemente von Willkür, die ein Richter nie vermeiden kann. Der wissenschaftliche Eindruck, den so ein Prozess vermittelt, mit all seinen kriminologischen und juristischen Sachverständigen, ist selbst auch nur eine magische Illusion, die Rollenprosa, die das Publikum erwartet.”
Der Begriff der Inszenierung, der als individueller kreativer Akt eines Regisseurs verstanden wird, konterkariert diesen Glauben an die Ein-Eindeutigkeit. Und die Beobachtung eines Prozesses unter inszenatorischen Gesichtspunkten zeigt die unaufhebbare Auseinandersetzung aus ein-eindeutiger Sprachgeltung und der Dimension des Unvorhersehbaren, Kreativen dabei. Trotzdem gewinnt der rechtsprchende dabei immer. Heißt im Gericht: Am Ende wird trotz all der inszenatorischen Unbill im geregelten Verfahren ein Urteil gefällt, ein anwendbares Wort gefunde, das die Folgemaschinerie in Gang setzt als handele es sich um den Programmnaufruf in der Programm-Kommandozeile eines Rechners.
Fazit: Die Projektion der Struktur “Theater” auf die Struktur des Gerichtsverfahrens findet Parallelen, die der Refelxion wert sind. Trotzdem “ist” der Prozess kein Theater. Und jetzt bestell ich mir Vismanns Buch.
Recht als Theater? Zu einer Frage von @weissgarnix.
Mai 30th, 2011 Kommentare deaktiviert für Recht als Theater? Zu einer Frage von @weissgarnix.