So, zurück aus Trier. Tolle Tage, tolle Leute getroffen und enorm viel Inspirierendes mitgenommen. Neben Marx’s Geburtshaus auch das Theater, Intendant Weber, Chefdramaturg Petrer Oppermann, die Kollegin Sibylle Dudek, eine muntere Podiumsdiskussion mit u.a. Peter Spuhler, Markus Dietze, Prof. Dr. Franziska Schößler, Barbara Wendland, Tilman Gersch. Und natürlich eine wunderbare Uraufführung mit klasse SchauspielerINNen! Geschafft bin ich auch.
Und nun – was schreibt die Kritik?
Der Trierische Volksfreund fands “bärenstark”. In der rasant und sehr positiv geschriebenen Kritk (hier) heißt es unter anderem:
Unrealistisch? Übertrieben? Gemach. In Deutschlands Bordellen wird gerade die Flatrate eingeführt. Immer mehr Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter coachen. Und dann war da noch der FDP-Bundestagskandidat, der bei einer Podiumsdiskussion in Trier mit Blick auf Hartz IV-Empfänger beklagte, es gebe leider “zunehmend Leute, die nicht in der Lage sind, ihre Eigenrendite zu erwirtschaften”. Der Durchmarsch von Effizienz und Kosten-Nutzen-Rechnung von der Wirtschaft in alle Gesellschaftsbereiche ist längst in vollem Gange. [… Der Autor] spinnt sie in seinem Stück “Sich Gesellschaft leisten” nur konsequent ins Privatleben weiter. Der Mann weiß, wovon er redet, und er spielt virtuos mit dem modernen Business-Kauderwelsch. Aus Mitmenschen werden Miet-Menschen, und wer zu sehr auf andere angewiesen ist, muss Schulden machen, die die Gläubiger dann in Form von Schuldverschreibungen als Anlage-Objekt auf den Markt und in den Handel bringen. Die Trierer Inszenierung von Judith Kriebel und Gerhard Weber beschreibt das Börsenparkett des Lebens als streng stilisierte Szenenfolge.
Wahnsinn – da kann ich mich nur bedanken bei allen, die an dieser Aufführung mitgewirkt haben. Und aufrufen zum täglichen käuflichen Erwerb des Volksfreundes – in Zeiten wie diesen braucht das Volk Freunde dringender denn je.
Und auch nachtkritik ist an die Mosel gekommen und hat ausführlich berichtet. Natürlich nicht so euphorisch wie der Volksfreund, sondern mit eher distanziert-soigniertem Understatement. Sehr beschreibend, sehr präzise in der Wiedergabe des Dargebotenen. Durchaus auch abwägend im Inhaltlichen und Stellung nehmend – dnnoch zeigt sich der Kritiker am Ende (bzw. leider schon vorher) an Sinn und Geist ermüdet (oder sah jedenfalls andere Zuschauer in diesem Zustand). Was bedauerlich ist. Aber mir gefiel der folgende Abschnitt (nicht nur ollen Kants halber) sehr:
Mit ihren Rechnern kalkulieren die Figuren ihre Beziehungen, die Bilanzen werden abgeglichen, die Punkte verrechnet. Was man für den andern tut, hat seinen Preis. Fürs Abwaschen etwa gibt’s 10 Punkte – aber wenn der Partner es übernimmt, weil der, der dran ist, keine Lust hat, kann er verhandeln und mehr für sich rausschlagen. Ansonsten ist der Preis abhängig von der Art der Tätigkeit sowie von der Dauer der Verrichtung. Das gilt nicht nur fürs Abwaschen, Kochen, Fensterputzen, sondern auch fürs Sich-Aussprechen, und natürlich für den Sex. Das wusste ja schon der olle Kant: Ehe ist ein Vertrag zum wechselseitigen Besitz der Geschlechtseigenschaften. (hier)
Ein starker Abend in einer starken Location (Industriehalle Eltzstraße) mit einer starken Regie von Judith Kriebel und Gerhard Weber. Und auf der Rückfahrt aller Zuschauer im Bus war angeregtes Reden, Diskutieren, Schnattern zu hören – die Geistesmüdigkeit also (bei wem auch sie sie eingetreten war) löste sich sehr schnell. Das ist Theater, wies mir gefällt!
So, und heute abend fahr ich wieder nach Trier und hör mir morgen die Vorträge der Konferenz an der Uni an (hier das Programm) mit dem vielversprechenden Titel “Die Finanzkrise und das zeitgenössische Theater”. Ich freue mich auf Prof. Schößler und Prof. Althans und endlose Inspiration für “eingreifendes Denken am Theater”. Daß ich nicht ganz unstolz darauf bin, dort einen Vortrag mit dem Tiel “Der Kantenschneider: SICH GESELLSCHAFT LEISTEN als Zerhäckselung des Sozialen” von Prof. Althans zu hören, erlaube ich mir hier hinzuzufügen.