Auf nachtkritik findet gerade eine der intensivsten Kommentardebatten der letzten Zeit statt, anschließend an den Artikel zum Kulturinfarkt (hier) und an einen weiteren Beitrag zur sozialen Lage der Schauspieler (hier). Zusammengerechnet findet sich zu den beiden Artikeln etwa 200 Kommentare, die einerseits die Gehaltssituation von Darstelleren diskutieren, einig sind, dass die unteren Gehaltsgruppen skandalös niedrige Bezüge aufweisen, dabei gelegentliche Schlenker über die Großgagen der Intendanten oder auch die Einkommen der nichtdarstellerischen Beschäftigten (Techniker, Handwerker, Verwaltung) in Beziehung zu den Schauspielern setzen. Andererseits wird im Kulturinfarkt-Thread heftig über die finanzielle Ausstattung der Bühnen durch die öffentliche Hand, zugleich über Theaterformen wie “frei“ oder „Stadttheater“ gestritten. Es geht um die Bemessung öffentlicher Mittel, gelegentlich um die Frage der künstlerischen Institution und ihre Auswirkung auf die künstlerischen Inhalte und zeitweise auch um die „autoritären“ Strukturen an deutschen Stadttheatern. Intensiv und polemisch geführt, bringt die Debatte zwar den ein oder anderen interessanten und bedenkenswerten Gesichtspunkt. Landet aber – vermutlich auch aus Gründen allgemeiner Erschöpfung – am Ende bei einem Versöhnlichen: „Meines Erachtens ist die einzig richtige Antwort: alle Theaterformen müssen nebeneinander bestehen können.“ (hier).
Die einzig richtige Antwort lautet allerdings vielmehr: Wenn die Debatte über Kunst und Kultur, über Theater insbesondere, weiterhin als Finanzdebatte geführt wird, ist dem Theater mittelfristig nicht mehr zu helfen. Und wenn ein Streit um andere Theatermodelle bei einem maximal beliebigen „Jeder macht was er will – und dafür wollen wir mehr Geld“ endet, ist endgültig die Kreativität der Theater am Ende. Ich sehe jedenfalls in der gesamten Debatte keinen greifbaren Grund, warum überhaupt irgendein Theater erhalten werden sollte. Nicht einen. Vielleicht wäre der gangbarste Weg, zu einem solchen formulierten Grund zu gelangen, eine Geiselnahme der stehenden Bühnen: Es werden jedes Jahr 5 deutsche Häuser geschlossen. Per Losverfahren. Und zwar genau so lange, bis die Theaterleute eine Idee haben, wozu (ihr) Theater da sein sollte. Jenseits der Macht der Gewohnheit, die dazu zwingt, jeden Abend irgendein anderes Forellenquintett abzunudeln. Eine Idee, die nicht nur sie selbst und einen freundlichen Kämmerer überzeugt, sondern „die Öffentlichkeit“. Eine Idee, die zumal greifbar macht, was Theater in einer Netzgesellschaft sein kann. Eine Idee, die auch erklärt, wo genau der Grund liegen sollte, abends ins Theater zu gehen, anstatt sich dieselben Geschichten wie dort auf 6o TV-Kanälen anzusehen, sich mit Konsolenspielen oder Surfen zu unterhalten, sich mit Pay-per-View die gesamte Filmgeschichte ins Wohnzimmer zu holen. Und dabei wäre auf die jämmerliche Antwort „Die sinnliche Erfahrung“ einfach mal Verzicht zu leisten. Die Krise der Theater ist keine finanzielle, sondern eine Relevanzkrise. Es ist keine fiskalische, sondern eine künstlerische Frage.
Eigentlich sollte dieses Posting eine Rezension des Buches „Unternehmensethik für den Kulturbetrieb – Perspektiven am Beispiel öffentlich rechtlicher Theater“ werden, das der Autor Daniel Ris mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zugesandt hat und das der obigen Debatte vielleicht einige ganz spannende Gesichtspunkte hinzufügt. Das soll dann im nächsten Posting passieren.
“Vielleicht wäre der gangbarste Weg, zu einem solchen formulierten Grund zu gelangen, eine Geiselnahme der stehenden Bühnen: Es werden jedes Jahr 5 deutsche Häuser geschlossen. Per Losverfahren. Und zwar genau so lange, bis die Theaterleute eine Idee haben, wozu (ihr) Theater da sein sollte.”
Sehr bemerkenswerter Kommentar, weil er darauf aufmerksam macht, dass man mit Kunst keine Kunst mehr machen kann. Man könnte ja auf die Idee kommen, dass die Ideenlosigkeit durch Kreativität aufgefangen werden könnte und nicht durch Geld, mit dem eigentlich nur kreative Ideenlosigkeit finanziert und erhalten wird. Aber so einfach ist das alles nicht.
Denn moderne Kunst zeichnet nicht etwa durch Beliebigkeit aus, wie häufig zu hören, sondern dadurch, dass die Kunst die Möglichkeiten ihrer Formen nahezu vollständig entwickelt hat. Man könnte sagen: Inzwischen kann sie alles, was Kunst kann. Aber: sie kann nur dies, sonst nichts. Und nachdem nun erkennbar wird, dass die x‑te Neukombination von allen schon bekannten Varianten eigentlich nur noch die Routine aufrecht erhält, geht es darum, die Routine zu retten, aber darauf ist die Kunst nicht vorbereitet. Es gibt keine Kunst des Geldmachens, des Wirtschaften, des Verwaltens, des Entscheidends, keine Kunst der Politik oder allgemein: es gibt keine Kunst, die Probleme zu lösen, die durch die Problemverwaltungsroutinen des Kunstbetriebs entstehen. Diese Art von Kunst ist ihrer Kunst am Ende.
Man könnte darüber jammern, aber ist das nicht eigentlich ein evolutionärer Fortschritt? Es gibt ein Problem weniger in der Welt. Will man Kunst machen, so macht man sie einfach selbst. Schwieriger ist es nicht.
Aber, und das wäre vielleicht für die Zukunft interessant, Kunst — oder wie immer künftig erkennbar — braucht schwierige Aufgaben. Diese Form der Kunst hat keine mehr. Und nicht zufällig kann man solcher Beobachtungen auch mit der Wissenschaft vergleichen. Dort sieht es nicht ganz anders aus.
Das Problem scheint ja im Kern alle Formen sub- und parakultureller Kunst- und Kulturproduktion zu betreffen (zu denen ich das Theater hier mal unverschämt rechne).
“Das aktuelle Realitätsprinzip ist der Kampf um Anteile an Sichtbarkeit unter Bedingungen monitorialer Flächenökonomie. Also: Monitorfläche ist knapp, Aufmerksamkeit ist knapp, Kaufkraft ist knapp, wovon es in verzweifelten Ausmaßen zu viel gibt, sind Zeichen, Waren und Individuen, die ins Fenster wollen.” (Sloterdijk)
Die Kunst besteht heute schon darin, überhaupt für hinreichend viele sichtbar zu werden — und dann auch noch langfristig zu faszinieren (“Besucher zu binden”). Dazu muss Kunst nicht unbedingt neu sein, zumindest aber interessant (hierhin könnte man vielleicht eine Minimaldefinition von Kunst vermuten). Schafft sie das nicht, kann man sich fragen, wofür sie eigentlich da ist. Und das ist in der Tat eine schwierige Aufgabe.
“Und das ist in der Tat eine schwierige Aufgabe” Der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe darf aber auch nicht nicht die Maximalmöglichkeiten eines Systems überschreiten. z.B. indem man sich vornimmt, auf dem Mars Gummibärchen einzusammeln. Das dürfte im Prinzip gehen, aber das ist völlig aussichtslos, so aussichtslos, wie noch eine Art von Gerechtigkeit für Künstler durch öffentliche Förderung herzustellen. Die Frage wofür Kunst da ist, ist nicht mehr schwer zu beantworten: für sich selbst. Und wie tief man graben müsste um jemanden zu finden, den das noch interessiert, ist auch nicht übermäßig relevant. Außerdem, und das wichtig: wenn es mit der Gerechtigkeit nicht klappt wird ohnehin ein bekannter und bliebter Ausweg beschritten, indem man nämlich einfach dagegen protestiert.
Die Aussichtslosigkeit entsteht dadurch, dass man jederzeit ganz leicht Wege findet, um dem Problem aus dem Wege zu gehen. Der Aussichtslosigkeit entsteht, weil es keine Ausweglosigkeit gibt.
@Kusanowski
“Kunst – oder wie immer künftig erkennbar – braucht schwierige Aufgaben. Diese Form der Kunst hat keine mehr.” Ich stimme deinem Kommentar weitgehend zu, diesem Satz würde ich widersprechen. Wenn Kunst eine “Aufgabe” hätte, wäre sie vermutlich keine Kunst. Dann wäre sie Technologie, Pädagogik, was weiß ich. Vermutlich ist die Kunst an der Kunst, sich jeweils die Aufgabe, die es ohne dieses eine Kunstwerk gar nicht gäbe, zu geben und nicht aufzugeben, sich Aufgaben zu suchen, die der künstlerischen Bearbeitung “wert” sind. Und wenns das Gummibärchensammeln auf dem Mars ist — dann eben das.