Selbstverständlich musste ein Wirtschaftssystem, zu dessen Grundfaktoren der Besitz von Produktionsmitteln gehört, verhindern dass ein anderer Anbieter auf dem Markt erscheint, der dasselbe Produkt billiger verkauft. Das ist die Quelle des Patent- und Urheberrechts. Dieses Wirtschaftssystem kommt in dem Moment an den Stellen in die Krise, wo Produktionsmittel zu billig oder gar kostenlos werden. Wenn dann zudem die für den Handel dieser Wirtschaftsform notwendigen Vertriebswege sich so sehr verbilligen oder gar ebenfalls umsonst werden, spitzt sich die Krise noch weiter zu.
Über diese simplen und im Netz an vielen Stellen zu lesenden Beobachtungen hinaus lohnt sich ein genauerer Blick in sich verändernden wirtschaftlichen Zusammenhänge, da in der Tat fundamentale Zusammenhänge sich auf eine Weise zu verschieben beginnen, die nicht nur zu der rätselhaften Finanzkrise mit der Unzahl an erklärenden Erzählungsversuchen führen, sondern auch an der aktuellen Urheberrechtsdebatte, ihrem Schwanken zwischen „Sicherheit des warenökonomischen Handels“ und „freiem geistigen Meinungsaustausch“ zu erkennen sind.
Finanzindustrie und die Verwertungsindustrie „geistiger“ Produkte wie Musik, Film, Texte sind Vorboten einer breiteren Bewegung, die die bestehende Wirtschaft zusammen mit ihren wirtschaftswissenschaftlichen Verstehern und politischen Regulatoren in eine Situation bringt, die vermutlich wieder als Krise beschrieben werden wird. Deswegen lohnt sich der genauere Blick auf diese Vorreiterindustrien und die einflussreichen Faktoren des grundsätzlichen Wandels beim Entstehen einer Digitalökonomie.
Faktor 1: Produktionsmittel und Distributionswege
Durch digitale Technologien ist die Überführung von Ideen in wahrnehmbare oder „konsumierbare“ Artefakte sehr einfach und billig geworden. Einen Text zu verfassen und der weltweiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, bedarf keiner Produktionsmittel wie Druckereien, keiner Vertriebswege wie des Buchhandels mehr. Dasselbe lässt sich über Musik, Filme, Fotos sagen. Und es gilt insbesondere für Programmcodes. Diese Artefakte entziehen sich der Produktionsmittel- und Distributionslogik, die aus der industriellen Wirtschaftsform bekannt waren. Dasselbe gilt für Geld, wie im Teil 1 dargelegt. Geld lässt sich durch Erstellung eines digitalen Datensatzes durch Banken generieren. Zentralbanken haben so wenig Kontrolle über die Geldmenge, wie Musikindustrien über die Zahl zirkulierender Musikdateien, Zeitungsverlage über die Verbreitung ihrer Texte. Für die Produktion reicht ein relativ billiger Rechner, die Distribution findet über nahezu kostenlose digitale Wege statt.
Selbst für Artefakte aber, die sich dem klassischen Begriff von physischen Waren noch unterordnen lassen, die also aufwändiger Produktionsmittel zu ihrer Herstellung bedürfen, zeigen sich massive Veränderungen an den Distributionswegen: Physische Geschäfte werden zunehmende durch eCommerce ersetzt. Betrachtung und Kauf von Produkten findet auf Webseiten statt, die Zustellung durch Logistikunternehmen, die jedem alles überall hin bringen.
An dieser Stelle fragt sich (und wurde auch bereits oft genug gefragt), inwieweit das Urheber- und Verwertungsrecht überhaupt noch von Belang sein kann: Wenn Produktionsmittel keine großen Investitionen erfordern, ist die Exklusivität der Vermarktung nicht mehr zu rechtfertigen. Einem exklusiv erzielten Ertrag steht keine nennenswerte Investition mehr gegenüber. Eine beim Musikunternehmen abgelieferte Musikdatei ist ohne nennenswerten Investitionsaufwand überall auf der Welt jedem zu „verkaufen“. Sollte die Exklusivität in der Industrieökonomie dafür sorgen, dass sich die Investition über einen hinreichend hohen Preis rentierte, so wird jetzt Exklusivität zur einzigen Bedingung des Preises. Das heißt: Die Digitalie kostet nur deswegen überhaupt Geld, weil sie nur ein Einziger exklusiv verkaufen darf. Die Knappheit, die Voraussetzung für eine verkäufliche Ware ist, ist künstlich produziert – durch das Patent- und Urheberrecht. Das macht keinen Sinn.
Deswegen wird in durchschaubarer Weise der geistige Urheber nunmehr auf die Paniere derer geschrieben, die sich eigentlich um die Aufrechterhaltung der produktionslogischen Urheberrechte kümmern: Ideen bleiben so knapp wie zuvor, mit ihnen lässt sich knappheitslogisch argumentieren und der Vergütungsanspruch aufrecht erhalten – so scheint es. Für den „geistigen“ Schöpfungsakt ändert sich nichts. Also lautet der Anspruch, dieser Schöpfungsakt sei es, der weiterhin in dem Umfang zu vergüten sei wie bisher. Das findet dann leider zugleich die Zustimmung vieler Kreatins, die glauben, wenn die Verwertungsindustrie die Einhaltung des Urheberrechts fordere, werde damit ihrer eignen Forderung zur Durchsetzung verholfen. Dass dem mitnichten so ist hatte ich letztens hier gezeigt und es wird zudem auch durch die aufkommende Widerwilligkeit etwa der Wissenschaftler belegt, sich weiterhin von Wissenschaftsverlagen enteignen zu lassen, die zudem noch die aus öffentlichen Geldern finanzierten Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit durch hohe Buchpreise weitgehend entziehen (wie der Freitag berichtete).
Faktor 2: Ungeld und Unware
Schon diese beschriebene Verschiebung durch Digitalisierung sorgt dafür, dass in der Kette (geistiger) Urheber – Verwerter – Produzent – Vertrieb – Endkunde Verwicklungen auftreten, da der Upload einer Datei durch den Urheber den Endkunden direkt adressieren kann, dieser durch Filesharing in eine Position gelangt, die offenbar von Verwertern, die den Schutz ihrer Verwertungsrechte geltend machen, als Verwertung betrachtet wird. Da zumeist das Filesharing nicht auf Bezahlung abzielt, sondern die Dateien kostenlos angeboten werden, argumentiert die Verwertungsindustrie negativ mit „entgangenen Einnahmen“ – was insofern wackelig ist, da niemand weiß, ob der Downloader sich die Musik gekauft hätte. In jedem Falle wird die industrie- und produktionslogische Abfolge durcheinander gebracht.
Damit aber nicht genug – wie bereits mehrfach hier im Blog beschrieben findet auch an der „Ware“ eine Veränderung statt, die die Schwierigkeiten potenziert. Da das „geistige Werk“ sich an keinen materiellen warenförmigen Träger mehr binden muss, um zum Endkunden zu gelangen, wird die Warenförmigkeit des geistigen Werkes zum Problem.
Die Datei ist ein Un-Ding, das zwar zumindest einmal erzeugt werden muss – sich danach aber frei verbreiten und „vermehren“ kann. Dabei ist sie nicht in der (Bild-)Logik von Original und Kopien unterscheidbar, noch auch in der (Buch-)Logik von Vorlage/Master und Exemplaren. Überhaupt eine Analogie zu finden, die die Verbreitung der Datei anschlussfähig an Verstandenes macht, wird zum Problem: Eine einzelne Datei kann, einmal digital im Netz verfügbar gemacht, tendenziell von Jedem auf jedes Endgerät heruntergeladen werden – und ist zugleich unverändert an ihrem Ausgangspunkt verfügbar. Der Uploader verliert durch Downloads nichts. Vielleicht ist der Virus noch die beste Analogie – mit der Einschränkung, dass auch das Virus physisches Material vermehrt.
Die Unware Datei ähnelt in ihrer Unwarheit dabei dem digitalisierten Geld, von dem ebenfalls zuletzt hier die Rede oder Schreibe war. Die Bank, die „Geld aus Luft“ generiert, benötigt (per regulatorischer Vorgabe!) eine begrenzte Grundmasse (Kernkapital, Eigenmittel, Einlagen o.ä.), um daraus Kredite zu generieren. Und zwar im Umfange eines Vielfachen der Grundmasse. Theoretisch würde ein einziges Geldstück ausreichen, um es unendlich oft digital zu verleihen. Ja nicht einmal das: Eigentlich bedarf es nicht einmal mehr dieses einen Geldstückes, sondern lediglich einer Grund“Datei“, die unendlich oft als Kredit „downgeloaded“ wird. Kreditgeld ist digital erzeugtes Ungeld, der Unware Datei insofern ähnlich, als es tendenziell unendlich oft erzeugt werden kann. Anders als die Unware eignet dem Ungeld aber die Regulation der Rückrufbarkeit. Eine einmal downgeloadete Datei kann nicht „zurückgegeben“ werden. Das unterscheidet sie um Ungeld, das mit dem Rückgabeauftrag ausgestattet ist – und das vom Ausgebenden in dem Moment „gelöscht“ wird, wo es zurückgegeben ist.
Was Banken im Gegensatz zur Musik- oder Filmindustrie gelingt, ist, durch rechtliche Regularien und bestimmte technische Mittel zu verhindern, dass jedermann so verfährt wie sie selbst. Dass also etwa Leute hingehen, Geldbeträge zum „Filesharing“ anbieten – und ihre Downloader sich damit Kredite in beliebiger Zahl und beliebigem Umfange generieren. Ohne Bankenlizenz – keine Kreditvergabe. Die Verwerter träumen den Traum, das ähnlich zu machen: Ohne Datenbankenlizenz keine Dateidownloads.
Wie ebenfalls bereits dargelegt, sorgt die „Geldschöpfung aus Luft“ dafür, dass eine Bank, die einen Kredit vergibt, nichts Eigenes verleiht. Der Kredit wird elektronisch generiert und elektronisch auf das Konto des Schuldners überwiesen. Die Bank hat diesen Geldbetrag generiert, den es nur gibt, solange er nicht entweder zurückgezahlt oder als Ausfallkredit abgeschrieben und aus der Bilanz genommen wird. In beiden Fällen „verschwindet“ das Geld wieder, das durch den Kredit erzeugt wurde. Würden also weltweit alle Kredite zurückgezahlt – wäre nahezu das gesamte Geld vernichtet. Klingt für Nicht-Volkswirte absurd. Ist aber so.
Was würde also passieren, wenn Griechenland seine Schulden zurückzahlt? Es würde Geld vernichtet. Was würde passieren, wenn Griechenland seine Kredite nicht zurückzahlt? Es würde ebenfalls Geld vernichtet. Im ersten Falle würde der Kredit als getilgt aus den Bilanzen verschwinden, im zweiten Falle als ausgefallen. Die Bank verliert dabei nichts – außer Zinsen.
Das Problem von Griechenland ist nun, dass der Ausfall des Kredits in Vertrauensverlust (!) mündet: Banken würden zukünftig Griechenland kein Geld mehr leihen, weil sie .… den Verlust .… fürchten.…? Den Verlust von Geld, das es gar nicht gibt …! Man könnte also doch fragen, warum Griechenland nicht tun kann, was die Banken tun: Aus der Luft den Betrag generieren, der nötig ist, um die Schulden zurück zu zahlen. Oder noch besser: Filesharer zu werden, der Bank den Betrag zurückzuzahlen und ihn zugleich zu behalten. Man hält also an der Fiktion fest, Griechenland sei etwas Physisches leihweise überlassen worden, das während des Gebrauchs dieses Physischen keinem anderen zur Verfügung steht und verlangt die Rückgabe dieser Fiktion. Es gibt aber weder den Sack Goldmünzen noch den Stapel an Geldscheinen, der an Griechenland übertragen wurde. Es gibt lediglich einen Datensatz, der von Griechenland einfach „kopiert“ zurückgegeben und zugleich als Guthaben behalten werden könnte. Der Musikdatei gleich.
Das wäre Betrug? Nein, das wäre Banking. Und es geht nur deswegen nicht, weil die Banken dieselbe Fiktion aufrecht erhalten müssen, wie die Verwertungsindustrie: Dass das digitale Ungeld die Repräsentation von Geld, die digitale Unware die Repräsentation einer Ware (und damit letztlich ebenfalls von – gerichtlich einklagbarem – Geld) ist.
Faktor 3: Idee und Produkt, Schriftlichkeit und Mündlichkeit
Wenn (Musik- und Kredit-)Datensätze schon keine Ware und kein Geld sind, sind sie dann also vielleicht als „Repräsentationen“ besser zu verstehen? Vertritt also die Musikdatei im Netz die Datei auf CD-ROM, wie es die Verwerter behaupten, wenn sie den entgangenen Umsatz durch Filsharing einklagen?
Das wird verständlicher, wenn die urheberrechtliche Konstruktion von geistiger Idee/Werk und verwertbarem physischem Produkt ins Spiel kommt. Das Urheberrecht geht davon aus, dass es einen Schöpfer gibt, der eine Idee hat. So weit, so rechtlich irrelevant. Viele Menschen haben Ideen. Die können sie für sich behalten oder anderen erzählen. Interessant wird es im Urheber- (wie auch im Patent-)recht erst, wenn jemand diese Idee wirtschaftlich nutzen will: der Verwerter. Das kann der Urheber selbst sein, dass kann auch ein Dritter sein (etwa Verlage). Der Schöpfer tritt die Verwertungsrechte im letzteren Falle an den Verwerter ab und ist dafür, so das Gesetz, „angemessen zu vergüten“. Die Idee tritt damit in den Status der (Handels-)Ware: Deswegen ist ACTA übrigens nicht etwa ein Gesetz zum Schutz der Kreativen, sondern ein Handelsabkommen. Über die „angemessene Vergütung“ der geistigen Schöpfer hat ACTA nicht viel zu sagen.
Der Sinn dieses umständlichen Schwenks ist nun: Ist die Datei eher in der Logik der „Idee“ oder in der Logik der „Ware“ oder des „Produkts“ (wenn auch als Unware) fassbar? Das führt wiederum zunächst zu einer anderen Frage: Derjenigen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Geistigkeit und Körperlichkeit des Netzes. Folgt die Datei also eher der Logik des Gesprochenen oder des Geschriebenen, des „Geistigen“ oder des Materiellen? Man sieht – wir stoßen langsam zu Fundamentalien wie der cartesischen Unterscheidung zwischen res cogitans und res extensa vor. Und können direkt die Datei als res cogitata inextensa bezeichnen: Ein geschaffenes oder erdachtes (Un)ding ohne physische Eigenschaften. Man kann jetzt einwenden: Jaja, aber es bedarf doch elektrischer Ladung und eines Speichermediums. Und als Teil eines Physischen kann die Datei damit selbst nur physisch sein. Dem wäre zu entgegnen: Wenn die Datei physisch wäre, müsste sie sich zerstören lassen – was nicht möglich ist. Es lassen sich lediglich die Ladungszustände der Datei so ändern, dass sie nicht mehr zu einer sinnvollen Erscheinung durch ein Programm aufgerufen werden können. Sie ist eine bestimmte Eigenart eines Physischen, ist auch auf dieses Physische angewiesen – selbst aber ist sie nicht-physisch. Man könnte sie als „Information“ bezeichnen, die im Physischen als geordnete Spur im Sinne einer Fährte aufgezeichnet ist. Den Spuren im menschlichen Gehirn gleich – und damit wäre sie geistig. Als Geistige kann sie aber nur dann Eigentum sein, wenn sie auch Nichteigentum sein könnte. Das heißt: Nur vorliegend an einem Physischen, das abtrennbar ist von seinem Urheber, wird die Datei zum Eigentum. Vorher war sie lediglich Gedanke, der sich nicht stehlen lässt.
Beim „Diebstahl geistigen Eigentums“ geht es im Netz ja nun nicht darum, dass Urhebern die Festplatten gestohlen werden. Sondern die „Ideen“. Aber lässt sich eine Idee überhaupt stehlen – das ist zunächst zu trennen von der Verwertung. Das heißt: Es geht noch nicht um die Frage, ob jemand anders mit meiner Idee durch Verwertung einen Profit erzielt, der eigentlich mir als Urheber zusteht. Es geht erst einmal um die Idee selbst. Und hier zeigt sich, dass die Idee der Datei insofern ähnlich ist, als sich beide nicht „stehlen“ lassen – denn der Diebstahl setzte voraus, dass der ursprüngliche Besitzer Idee oder Datei nicht mehr hat, nachdem sie ihm gestohlen wurde. Was nicht der Fall ist. Das wiederum zeigt, dass die Datei eher von der Ordnung des Mündlichen als von der Ordnung des Schriftlichen ist: Ein Schriftstück lässt sich stehlen – ein gesprochener Satz kann nicht gestohlen werden. Er kann nur wiederholt werden. An anderer Stelle und von anderen. In der Form des Gerüchts etwa, das ebenfalls ein ganz ordentliches Konzept für die Dateiweitergabe darstellt. Wie ein Gerücht verbreiten sich Digitalien im Netz: Sie bleiben wo sie waren und tauchen zugleich an immer neuen Stellen auf. Auch wenn sie von anderen anderswo zu anderen gesagt werden, bleibt es dasselbe Gerücht. Dieselbe Idee. Wie ein Gerücht in die Welt, kann eine Datei ins Netz gesetzt werden. Und wie ersteres lässt sich ihre Ausbreitung dann kaum mehr wirksam kontrollieren.
Die Datei ist aber nicht insofern Mündliches, als sie hörbar ist, sie ist vielmehr (sorry) das Schriftliche-im-Mündlichen. Es ist der Unterschied zwischen bloßem Atmen und sinnvollem Reden. Sie ist das, was sowohl gesagt als auch geschrieben werden kann, ist aber weder die mündliche Rede in ihrer physischen Wahrnehmbarkeit noch auch niedergeschriebene, materielle Schrift. Schwierig. Aber kaum anders zu (be-)greifen. Denn wie das Schriftliche-im-Mündlichen braucht auch die Datei etwas Physisches, um wahrnehmbar zu werden, sich zu materialisieren oder davor zu schützen, dahin zu verschwinden, wo sie nie war. Sie braucht eine Hardware. (Man könnte auch an Klaus Kusanowsky anschließnd von der Datei als einem Un-Dokument sprechen).
Damit aber ist die Datei als Unware weder Ware noch Produkt, ist eine Spur, die zwischen Mündlichkeit (der gerüchteartigen Ausbreitung ohne Verlust bei der Weitergabe) und Schriftlichkeit (als aufgezeichnete Spur an etwas Physischem, dessen es bedarf wie eines Körpers, mit dem es aber nicht verwechselt werden kann) changiert.
Als rex cogitata inextensa braucht die Datei immer eine res cogitans (Urheber) zu ihrem Entstehen, und eine res extensa (Hardware) zu ihrer Realisierung. Selbst ist sie nichts von beidem, ist ein Drittes. Würde Descartes fragen: Entweder res cogitans oder res extensa, könnte man ihm nur antworten: Sie ist das Entwederoder. Sie ist genau jenes „inter“, das das Internet ausmacht.
Faktor 4: Der unvollständige Tausch
Das Problem für die klassische Ökonomie besteht nun darin, dass sie nur den Austausch von Waren, von res extensa gegen res extensa in den Blick nehmen kann (ggf. unter Einbeziehung einer res cogitata inextensa wie dem „Wert“ – worüber sich ebenfalls trefflich nachdenken ließe). Der Austausch der Unware gegen Geld, des Undings gegen Dinge bringt diese Ökonomie ins Taumeln – und erfordert die Erarbeitung einer Digitalökonomie.
Dieses Taumeln ist das Taumeln Griechenlands. Wäre das Finanzsystem ein geschlossenes System, in dem nur Ungelder zirkulierten, gäbe es das Problem nicht. Es gäbe aber auch dieses System nicht – denn es könnte dann ein jeder beliebig Kreditfiles erzeugen, die unablässig „sinnlos“ zirkulierten. Es braucht einerseits die Fiktion der Repräsentation von Realien durch Digitalien (also die Fiktion, Kredite entsprächen vorhandenen physischen Artefakten wie etwa Gold oder Geldscheinen): Griechenland kann sich nicht als Filesharer verhaten, um durch Kreditdownloads die eigene Situation durch Fileshareholder Vauel zu retten.
Zum anderen braucht es die Verhaftung von Menschen in diese Fiktion. Kredite werden an Schuldner üblicherweise nur gegen physische „Sicherheiten“ herausgegeben. (N.B. Eine Festplatte mit 1 Million Musikdatein im „Handelswert“ von 1 Million Euro würde übrigens von keiner Bak der Welt als Sicherheit akzeptiert werden, nicht einmal für einen Kredit über 1 Euro – was der Musikindustrie zu denken geben solle, die darauf besteht, dass das Filesharing mit ökonomischen Werten handelt …).
Die Schuldner sind in der Pflicht, den aus der Luft geschaffenen Krediten Realien gegenüber zu stellen (das ist der Hintergrund der überall zu hörenden Forderung, die Finanzwirtschaft solle sich gefälligst wieder an der „Realwirtschaft“ orientieren und „reale Werte“ erzeugen. Und im Falle eines Kreditausfalles werden diese Realien von der Bank einkassiert – zum Beispiel in den USA im Wege der Zwangsversteigerung von Häusern, die mit NINJA-Krediten gekauft wurden). Zudem fordert die Bank vielleicht die Rückzahlung aus dem Arbeitseinkommen – und stellt damit dem Ungeld Arbeitsleistung gegenüber. Es sind die Schuldner, die dafür sorgen müssen, dass die Luftkredite nicht zu einem frei flottierenden Dateisystem werden.
Dieses Phänomen der Koppelung von Ungeld oder Unware als Datei auf der einen Seite und physischer War auf der anderen Seite war hier als „unvollständiger Tausch“ beschrieben worden. Eine Seite des Tauschs muss etwas in den Tausch einbringen, das ihr nach den Tauschprozess nicht mehr gehört, dessen Besitz- und Eigentumsanspruch diese Seite aufgibt: Der Schuldner muss eine Sicherheit bringen, der Musikdownloader muss mit Geld bezahlen, das aus seiner Realarbeit erzeugt wurde (und nicht aus Luft). Demgegenüber stehen die (Daten-)Banker, die etwas in den Tausch einbringen, das sie hinterher noch besitzen: der Musikdownloadanbieter stellt eine Datei zum Download zur Verfügung, die sich der Downloader herunterlädt, ohne dass sie hinterher beim Anbieter gelöscht wird. Die Logik des Gerüchts, wie gesagt. Verhält sich der Downloader wie der Anbieter (indem er seine Datei zum Download verfügbar macht), würde er sich ebenso strafbar machen, als zahlte er mit einem selbst generierten Kredit.
Er wird darauf festgelegt, die Digitalie mit einer Realie zu begleichen. Das ist der unvollständige Tausch. Deswegen werden Filesharer verfolgt. Deswegen muss Griechenland seine Staatseigentümer veräußern. Und zwar umso mehr Staatseigentümer, je größer die Dateien sind, die von den Banken aus der Luft generiert und durch Rückzahlung (statt durch simple Abschreibung) zum Verschwinden gebracht werden (wobei man allerdings anfügen müsste, dass durch ihren „Verkauf“ an Kleinanleger, die Vernichtung dieser Kredite auch auf anderer Seite wiederum zum Verlust von Realien führte; aber das ist eine andere Geschichte).
Abschlussfähigkeiten
Schellings Theorie der Kunst, die die Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt aufhob im Subjekt-Objekt des Kunstwerkes mag ein guter Bezugspunkt sein. Ebenso die Eulenspiegelei, in der der Schelm den Geruch von Braten mit dem Klang des Geldes bezahlte (hier).
Ausblick
Diese Phänomene werden sich im Wirtschaftsleben ausbreiten. Alles Beschriebene ist, soweit es sich heute schon zeigt, nur ein Vorbote der kommenden Digitalökonomie. Diese mit Theorien, Konzepten, Begrifflichkeiten und Handlungsempfehlungen aus der klassischen Warenökonomie begreifen zu wollen, führt m.E. in einen fatalen Taumel, der keinen Stein auf dem anderen lässt. Es ist höchste Zeit für die Entwicklung einer digitalökonomischen Theorie und entsprechender Gesetze.
Videant consules ne quid res publica detrimenti capiat.
vielen dank für die beiden texte zur digitalökonomie.