Unware, Ungeld, Digitalökonomie (Teil 2): Könnte Griechenland sich durch Filesharing retten?

Februar 12th, 2012 § 1 comment

Selbst­ver­ständ­lich muss­te ein Wirt­schafts­sys­tem, zu des­sen Grund­fak­to­ren der Besitz von Pro­duk­ti­ons­mit­teln gehört, ver­hin­dern dass ein ande­rer Anbie­ter auf dem Markt erscheint, der das­sel­be Pro­dukt bil­li­ger ver­kauft. Das ist die Quel­le des Patent- und Urhe­ber­rechts. Die­ses Wirt­schafts­sys­tem kommt in dem Moment an den Stel­len in die Kri­se, wo Pro­duk­ti­ons­mit­tel zu bil­lig oder gar kos­ten­los wer­den. Wenn dann zudem die für den Han­del die­ser Wirt­schafts­form not­wen­di­gen Ver­triebs­we­ge sich so sehr ver­bil­li­gen oder gar eben­falls umsonst wer­den, spitzt sich die Kri­se noch wei­ter zu.

Über die­se simp­len und im Netz an vie­len Stel­len zu lesen­den Beob­ach­tun­gen hin­aus lohnt sich ein genaue­rer Blick in sich ver­än­dern­den wirt­schaft­li­chen Zusam­men­hän­ge, da in der Tat fun­da­men­ta­le Zusam­men­hän­ge sich auf eine Wei­se zu ver­schie­ben begin­nen, die nicht nur zu der rät­sel­haf­ten Finanz­kri­se mit der Unzahl an erklä­ren­den Erzäh­lungs­ver­su­chen füh­ren, son­dern auch an der aktu­el­len Urhe­ber­rechts­de­bat­te, ihrem Schwan­ken zwi­schen „Sicher­heit des waren­öko­no­mi­schen Han­dels“ und „frei­em geis­ti­gen Mei­nungs­aus­tausch“ zu erken­nen sind.

Finanz­in­dus­trie und die Ver­wer­tungs­in­dus­trie „geis­ti­ger“ Pro­duk­te wie Musik, Film, Tex­te sind Vor­bo­ten einer brei­te­ren Bewe­gung, die die bestehen­de Wirt­schaft zusam­men mit ihren wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Ver­ste­hern und poli­ti­schen Regu­la­to­ren in eine Situa­ti­on bringt, die ver­mut­lich wie­der als Kri­se beschrie­ben wer­den wird. Des­we­gen lohnt sich der genaue­re Blick auf die­se Vor­rei­ter­indus­trien und die ein­fluss­rei­chen Fak­to­ren des grund­sätz­li­chen Wan­dels beim Ent­ste­hen einer Digitalökonomie.

Fak­tor 1: Pro­duk­ti­ons­mit­tel und Distributionswege

Durch digi­ta­le Tech­no­lo­gien ist die Über­füh­rung von Ideen in wahr­nehm­ba­re oder „kon­su­mier­ba­re“ Arte­fak­te sehr ein­fach und bil­lig gewor­den. Einen Text zu ver­fas­sen und der welt­wei­ten Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen, bedarf kei­ner Pro­duk­ti­ons­mit­tel wie Dru­cke­rei­en, kei­ner Ver­triebs­we­ge wie des Buch­han­dels mehr. Das­sel­be lässt sich über Musik, Fil­me, Fotos sagen. Und es gilt ins­be­son­de­re für Pro­gramm­codes. Die­se Arte­fak­te ent­zie­hen sich der Pro­duk­ti­ons­mit­tel- und Dis­tri­bu­ti­ons­lo­gik, die aus der indus­tri­el­len Wirt­schafts­form bekannt waren. Das­sel­be gilt für Geld, wie im Teil 1 dar­ge­legt. Geld lässt sich durch Erstel­lung eines digi­ta­len Daten­sat­zes durch Ban­ken gene­rie­ren. Zen­tral­ban­ken haben so wenig Kon­trol­le über die Geld­men­ge, wie Musik­in­dus­trien über die Zahl zir­ku­lie­ren­der Musik­da­tei­en, Zei­tungs­ver­la­ge über die Ver­brei­tung ihrer Tex­te. Für die Pro­duk­ti­on reicht ein rela­tiv bil­li­ger Rech­ner, die Dis­tri­bu­ti­on fin­det über nahe­zu kos­ten­lo­se digi­ta­le Wege statt.

Selbst für Arte­fak­te aber, die sich dem klas­si­schen Begriff von phy­si­schen Waren noch unter­ord­nen las­sen, die also auf­wän­di­ger Pro­duk­ti­ons­mit­tel zu ihrer Her­stel­lung bedür­fen, zei­gen sich mas­si­ve Ver­än­de­run­gen an den Dis­tri­bu­ti­ons­we­gen: Phy­si­sche Geschäf­te wer­den zuneh­men­de durch eCom­mer­ce ersetzt. Betrach­tung und Kauf von Pro­duk­ten fin­det auf Web­sei­ten statt, die Zustel­lung durch Logis­tik­un­ter­neh­men, die jedem alles über­all hin bringen.

An die­ser Stel­le fragt sich (und wur­de auch bereits oft genug gefragt), inwie­weit das Urhe­ber- und Ver­wer­tungs­recht über­haupt noch von Belang sein kann: Wenn Pro­duk­ti­ons­mit­tel kei­ne gro­ßen Inves­ti­tio­nen erfor­dern, ist die Exklu­si­vi­tät der Ver­mark­tung nicht mehr zu recht­fer­ti­gen. Einem exklu­siv erziel­ten Ertrag steht kei­ne nen­nens­wer­te Inves­ti­ti­on mehr gegen­über. Eine beim Musik­un­ter­neh­men abge­lie­fer­te Musik­da­tei ist ohne nen­nens­wer­ten Inves­ti­ti­ons­auf­wand über­all auf der Welt jedem zu „ver­kau­fen“. Soll­te die Exklu­si­vi­tät in der Indus­trie­öko­no­mie dafür sor­gen, dass sich die Inves­ti­ti­on über einen hin­rei­chend hohen Preis ren­tier­te, so wird jetzt Exklu­si­vi­tät zur ein­zi­gen Bedin­gung des Prei­ses. Das heißt: Die Digi­ta­lie kos­tet nur des­we­gen über­haupt Geld, weil sie nur ein Ein­zi­ger exklu­siv ver­kau­fen darf. Die Knapp­heit, die Vor­aus­set­zung für eine ver­käuf­li­che Ware ist, ist künst­lich pro­du­ziert – durch das Patent- und Urhe­ber­recht. Das macht kei­nen Sinn.

Des­we­gen wird in durch­schau­ba­rer Wei­se der geis­ti­ge Urhe­ber nun­mehr auf die Panie­re derer geschrie­ben, die sich eigent­lich um die Auf­recht­erhal­tung der pro­duk­ti­ons­lo­gi­schen Urhe­ber­rech­te küm­mern: Ideen blei­ben so knapp wie zuvor, mit ihnen lässt sich knapp­heits­lo­gisch argu­men­tie­ren und der Ver­gü­tungs­an­spruch auf­recht erhal­ten – so scheint es. Für den „geis­ti­gen“ Schöp­fungs­akt ändert sich nichts. Also lau­tet der Anspruch, die­ser Schöp­fungs­akt sei es, der wei­ter­hin in dem Umfang zu ver­gü­ten sei wie bis­her. Das fin­det dann lei­der zugleich die Zustim­mung vie­ler Krea­tins, die glau­ben, wenn die Ver­wer­tungs­in­dus­trie die Ein­hal­tung des Urhe­ber­rechts for­de­re, wer­de damit ihrer eig­nen For­de­rung zur Durch­set­zung ver­hol­fen. Dass dem mit­nich­ten so ist hat­te ich letz­tens hier gezeigt und es wird zudem auch durch die auf­kom­men­de Wider­wil­lig­keit etwa der Wis­sen­schaft­ler belegt, sich wei­ter­hin von Wis­sen­schafts­ver­la­gen ent­eig­nen zu las­sen, die zudem noch die aus öffent­li­chen Gel­dern finan­zier­ten For­schungs­er­geb­nis­se der Öffent­lich­keit durch hohe Buch­prei­se weit­ge­hend ent­zie­hen (wie der Frei­tag berich­te­te).

Fak­tor 2: Ungeld und Unware

Schon die­se beschrie­be­ne Ver­schie­bung durch Digi­ta­li­sie­rung sorgt dafür, dass in der Ket­te (geis­ti­ger) Urhe­ber – Ver­wer­ter – Pro­du­zent – Ver­trieb – End­kun­de Ver­wick­lun­gen auf­tre­ten, da der Upload einer Datei durch den Urhe­ber den End­kun­den direkt adres­sie­ren kann, die­ser durch File­sha­ring in eine Posi­ti­on gelangt, die offen­bar von Ver­wer­tern, die den Schutz ihrer Ver­wer­tungs­rech­te gel­tend machen, als Ver­wer­tung betrach­tet wird. Da zumeist das File­sha­ring nicht auf Bezah­lung abzielt, son­dern die Datei­en kos­ten­los ange­bo­ten wer­den, argu­men­tiert die Ver­wer­tungs­in­dus­trie nega­tiv mit „ent­gan­ge­nen Ein­nah­men“ – was inso­fern wacke­lig ist, da nie­mand weiß, ob der Down­loa­der sich die Musik gekauft hät­te. In jedem Fal­le wird die indus­trie- und pro­duk­ti­ons­lo­gi­sche Abfol­ge durch­ein­an­der gebracht.

Damit aber nicht genug – wie bereits mehr­fach hier im Blog beschrie­ben fin­det auch an der „Ware“ eine Ver­än­de­rung statt, die die Schwie­rig­kei­ten poten­ziert. Da das „geis­ti­ge Werk“ sich an kei­nen mate­ri­el­len waren­för­mi­gen Trä­ger mehr bin­den muss, um zum End­kun­den zu gelan­gen, wird die Waren­för­mig­keit des geis­ti­gen Wer­kes zum Problem.

Die Datei ist ein Un-Ding, das zwar zumin­dest ein­mal erzeugt wer­den muss – sich danach aber frei ver­brei­ten und „ver­meh­ren“ kann. Dabei ist sie nicht in der (Bild-)Logik von Ori­gi­nal und Kopien unter­scheid­bar, noch auch in der (Buch-)Logik von Vorlage/Master und Exem­pla­ren. Über­haupt eine Ana­lo­gie zu fin­den, die die Ver­brei­tung der Datei anschluss­fä­hig an Ver­stan­de­nes macht, wird zum Pro­blem: Eine ein­zel­ne Datei kann, ein­mal digi­tal im Netz ver­füg­bar gemacht, ten­den­zi­ell von Jedem auf jedes End­ge­rät her­un­ter­ge­la­den wer­den – und ist zugleich unver­än­dert an ihrem Aus­gangs­punkt ver­füg­bar. Der Uploa­der ver­liert durch Down­loads nichts. Viel­leicht ist der Virus noch die bes­te Ana­lo­gie – mit der Ein­schrän­kung, dass auch das Virus phy­si­sches Mate­ri­al vermehrt.

Die Unwa­re Datei ähnelt in ihrer Unwar­heit dabei dem digi­ta­li­sier­ten Geld, von dem eben­falls zuletzt hier die Rede oder Schrei­be war. Die Bank, die „Geld aus Luft“ gene­riert, benö­tigt (per regu­la­to­ri­scher Vor­ga­be!) eine begrenz­te Grund­mas­se (Kern­ka­pi­tal, Eigen­mit­tel, Ein­la­gen o.ä.), um dar­aus Kre­di­te zu gene­rie­ren. Und zwar im Umfan­ge eines Viel­fa­chen der Grund­mas­se. Theo­re­tisch wür­de ein ein­zi­ges Geld­stück aus­rei­chen, um es unend­lich oft digi­tal zu ver­lei­hen. Ja nicht ein­mal das: Eigent­lich bedarf es nicht ein­mal mehr die­ses einen Geld­stü­ckes, son­dern ledig­lich einer Grund“Datei“, die unend­lich oft als Kre­dit „down­gel­oa­ded“ wird. Kre­dit­geld ist digi­tal erzeug­tes Ungeld, der Unwa­re Datei inso­fern ähn­lich, als es ten­den­zi­ell unend­lich oft erzeugt wer­den kann. Anders als die Unwa­re eig­net dem Ungeld aber die Regu­la­ti­on der Rück­ruf­bar­keit. Eine ein­mal down­gel­oa­de­te Datei kann nicht „zurück­ge­ge­ben“ wer­den. Das unter­schei­det sie um Ungeld, das mit dem Rück­ga­be­auf­trag aus­ge­stat­tet ist – und das vom Aus­ge­ben­den in dem Moment „gelöscht“ wird, wo es zurück­ge­ge­ben ist.

Was Ban­ken im Gegen­satz zur Musik- oder Film­in­dus­trie gelingt, ist, durch recht­li­che Regu­la­ri­en und bestimm­te tech­ni­sche Mit­tel zu ver­hin­dern, dass jeder­mann so ver­fährt wie sie selbst. Dass also etwa Leu­te hin­ge­hen, Geld­be­trä­ge zum „File­sha­ring“ anbie­ten – und ihre Down­loa­der sich damit Kre­di­te in belie­bi­ger Zahl und belie­bi­gem Umfan­ge gene­rie­ren. Ohne Ban­ken­li­zenz – kei­ne Kre­dit­ver­ga­be. Die Ver­wer­ter träu­men den Traum, das ähn­lich zu machen: Ohne Daten­ban­ken­li­zenz kei­ne Dateidownloads.

Wie eben­falls bereits dar­ge­legt, sorgt die „Geld­schöp­fung aus Luft“ dafür, dass eine Bank, die einen Kre­dit ver­gibt, nichts Eige­nes ver­leiht. Der Kre­dit wird elek­tro­nisch gene­riert und elek­tro­nisch auf das Kon­to des Schuld­ners über­wie­sen. Die Bank hat die­sen Geld­be­trag gene­riert, den es nur gibt, solan­ge  er nicht ent­we­der zurück­ge­zahlt oder als Aus­fall­kre­dit abge­schrie­ben und aus der Bilanz genom­men wird. In bei­den Fäl­len „ver­schwin­det“ das Geld wie­der, das durch den Kre­dit erzeugt wur­de. Wür­den also welt­weit alle Kre­di­te zurück­ge­zahlt – wäre nahe­zu das gesam­te Geld ver­nich­tet. Klingt für Nicht-Volks­wir­te absurd. Ist aber so.

Was wür­de also pas­sie­ren, wenn Grie­chen­land sei­ne Schul­den zurück­zahlt? Es wür­de Geld ver­nich­tet. Was wür­de pas­sie­ren, wenn Grie­chen­land sei­ne Kre­di­te nicht zurück­zahlt? Es wür­de eben­falls Geld ver­nich­tet. Im ers­ten Fal­le wür­de der Kre­dit als getilgt aus den Bilan­zen ver­schwin­den, im zwei­ten Fal­le als aus­ge­fal­len. Die Bank ver­liert dabei nichts – außer Zinsen.

Das Pro­blem von Grie­chen­land ist nun, dass der Aus­fall des Kre­dits in Ver­trau­ens­ver­lust (!) mün­det: Ban­ken wür­den zukünf­tig Grie­chen­land kein Geld mehr lei­hen, weil sie .… den Ver­lust .… fürch­ten.…? Den Ver­lust von Geld, das es gar nicht gibt …! Man könn­te also doch fra­gen, war­um Grie­chen­land nicht tun kann, was die Ban­ken tun: Aus der Luft den Betrag gene­rie­ren, der nötig ist, um die Schul­den zurück zu zah­len. Oder noch bes­ser: File­sha­rer zu wer­den, der Bank den Betrag zurück­zu­zah­len und ihn zugleich zu behal­ten. Man hält also an der Fik­ti­on fest, Grie­chen­land sei etwas Phy­si­sches leih­wei­se über­las­sen wor­den, das wäh­rend des Gebrauchs die­ses Phy­si­schen kei­nem ande­ren zur Ver­fü­gung steht und ver­langt die Rück­ga­be die­ser Fik­ti­on. Es gibt aber weder den Sack Gold­mün­zen noch den Sta­pel an Geld­schei­nen, der an Grie­chen­land über­tra­gen wur­de. Es gibt ledig­lich einen Daten­satz, der von Grie­chen­land ein­fach „kopiert“ zurück­ge­ge­ben und zugleich als Gut­ha­ben behal­ten wer­den könn­te. Der Musik­da­tei gleich.

Das wäre Betrug? Nein, das wäre Ban­king. Und es geht nur des­we­gen nicht, weil die Ban­ken die­sel­be Fik­ti­on auf­recht erhal­ten müs­sen, wie die Ver­wer­tungs­in­dus­trie: Dass das digi­ta­le Ungeld die Reprä­sen­ta­ti­on von Geld, die digi­ta­le Unwa­re die Reprä­sen­ta­ti­on einer Ware (und damit letzt­lich eben­falls von – gericht­lich ein­klag­ba­rem – Geld) ist.

Fak­tor 3: Idee und Pro­dukt, Schrift­lich­keit und Mündlichkeit

Wenn (Musik- und Kredit-)Datensätze schon kei­ne Ware und kein Geld sind, sind sie dann also viel­leicht als „Reprä­sen­ta­tio­nen“ bes­ser zu ver­ste­hen? Ver­tritt also die Musik­da­tei im Netz die Datei auf CD-ROM, wie es die Ver­wer­ter behaup­ten, wenn sie den ent­gan­ge­nen Umsatz durch Fils­ha­ring einklagen?

Das wird ver­ständ­li­cher, wenn die urhe­ber­recht­li­che Kon­struk­ti­on von geis­ti­ger Idee/Werk und ver­wert­ba­rem phy­si­schem Pro­dukt ins Spiel kommt. Das Urhe­ber­recht geht davon aus, dass es einen Schöp­fer gibt, der eine Idee hat. So weit, so recht­lich irrele­vant. Vie­le Men­schen haben Ideen. Die kön­nen sie für sich behal­ten oder ande­ren erzäh­len. Inter­es­sant wird es im Urhe­ber- (wie auch im Patent-)recht erst, wenn jemand die­se Idee wirt­schaft­lich nut­zen will: der Ver­wer­ter. Das kann der Urhe­ber selbst sein, dass kann auch ein Drit­ter sein (etwa Ver­la­ge). Der Schöp­fer tritt die Ver­wer­tungs­rech­te im letz­te­ren Fal­le an den Ver­wer­ter ab und ist dafür, so das Gesetz, „ange­mes­sen zu ver­gü­ten“. Die Idee tritt damit in den Sta­tus der (Handels-)Ware: Des­we­gen ist ACTA übri­gens nicht etwa ein Gesetz zum Schutz der Krea­ti­ven, son­dern ein Han­dels­ab­kom­men. Über die „ange­mes­se­ne Ver­gü­tung“ der geis­ti­gen Schöp­fer hat ACTA nicht viel zu sagen.

Der Sinn die­ses umständ­li­chen Schwenks ist nun: Ist die Datei eher in der Logik der „Idee“ oder in der Logik der „Ware“ oder des „Pro­dukts“ (wenn auch als Unwa­re) fass­bar? Das führt wie­der­um zunächst zu einer ande­ren Fra­ge: Der­je­ni­gen von Münd­lich­keit und Schrift­lich­keit, Geis­tig­keit und Kör­per­lich­keit des Net­zes. Folgt die Datei also eher der Logik des Gespro­che­nen oder des Geschrie­be­nen, des „Geis­ti­gen“ oder des Mate­ri­el­len? Man sieht – wir sto­ßen lang­sam zu Fun­da­men­ta­li­en wie der car­te­si­schen Unter­schei­dung zwi­schen res cogi­tans und res exten­sa vor. Und kön­nen direkt die Datei als res cogi­ta­ta inex­ten­sa bezeich­nen: Ein geschaf­fe­nes oder erdach­tes (Un)ding ohne phy­si­sche Eigen­schaf­ten. Man kann jetzt ein­wen­den: Jaja, aber es bedarf doch elek­tri­scher Ladung und eines Spei­cher­me­di­ums. Und als Teil eines Phy­si­schen kann die Datei damit selbst nur phy­sisch sein. Dem wäre zu ent­geg­nen: Wenn die Datei phy­sisch wäre, müss­te sie sich zer­stö­ren las­sen – was nicht mög­lich ist. Es las­sen sich ledig­lich die Ladungs­zu­stän­de der Datei so ändern, dass sie nicht mehr zu einer sinn­vol­len Erschei­nung durch ein Pro­gramm auf­ge­ru­fen wer­den kön­nen. Sie ist eine bestimm­te Eigen­art eines Phy­si­schen, ist auch auf die­ses Phy­si­sche ange­wie­sen – selbst aber ist sie nicht-phy­sisch. Man könn­te sie als „Infor­ma­ti­on“ bezeich­nen, die im Phy­si­schen als geord­ne­te Spur im Sin­ne einer Fähr­te auf­ge­zeich­net ist. Den Spu­ren im mensch­li­chen Gehirn gleich – und damit wäre sie geis­tig. Als Geis­ti­ge kann sie aber nur dann Eigen­tum sein, wenn sie auch Nicht­ei­gen­tum sein könn­te. Das heißt: Nur vor­lie­gend an einem Phy­si­schen, das abtrenn­bar ist von sei­nem Urhe­ber, wird die Datei zum Eigen­tum. Vor­her war sie ledig­lich Gedan­ke, der sich nicht steh­len lässt.

Beim „Dieb­stahl geis­ti­gen Eigen­tums“ geht es im Netz ja nun nicht dar­um, dass Urhe­bern die Fest­plat­ten gestoh­len wer­den. Son­dern die „Ideen“. Aber lässt sich eine Idee über­haupt steh­len – das ist zunächst zu tren­nen von der Ver­wer­tung. Das heißt: Es geht noch nicht um die Fra­ge, ob jemand anders mit mei­ner Idee durch Ver­wer­tung einen Pro­fit erzielt, der eigent­lich mir als Urhe­ber zusteht. Es geht erst ein­mal um die Idee selbst. Und hier zeigt sich, dass die Idee der Datei inso­fern ähn­lich ist, als sich bei­de nicht „steh­len“ las­sen – denn der Dieb­stahl setz­te vor­aus, dass der ursprüng­li­che Besit­zer Idee oder Datei nicht mehr hat, nach­dem sie ihm gestoh­len wur­de. Was nicht der Fall ist. Das wie­der­um zeigt, dass die Datei eher von der Ord­nung des Münd­li­chen als von der Ord­nung des Schrift­li­chen ist: Ein Schrift­stück lässt sich steh­len – ein gespro­che­ner Satz kann nicht gestoh­len wer­den. Er kann nur wie­der­holt wer­den. An ande­rer Stel­le und von ande­ren. In der Form des Gerüchts etwa, das eben­falls ein ganz ordent­li­ches Kon­zept für die Datei­wei­ter­ga­be dar­stellt. Wie ein Gerücht ver­brei­ten sich Digi­ta­li­en im Netz: Sie blei­ben wo sie waren und tau­chen zugleich an immer neu­en Stel­len auf. Auch wenn sie von ande­ren anders­wo zu ande­ren gesagt wer­den, bleibt es das­sel­be Gerücht. Die­sel­be Idee. Wie ein Gerücht in die Welt, kann eine Datei ins Netz gesetzt wer­den. Und wie ers­te­res lässt sich ihre Aus­brei­tung dann kaum mehr wirk­sam kontrollieren.

Die Datei ist aber nicht inso­fern Münd­li­ches, als sie hör­bar ist, sie ist viel­mehr (sor­ry) das Schrift­li­che-im-Münd­li­chen. Es ist der Unter­schied zwi­schen blo­ßem Atmen und sinn­vol­lem Reden. Sie ist das, was sowohl gesagt als auch geschrie­ben wer­den kann, ist aber weder die münd­li­che Rede in ihrer phy­si­schen Wahr­nehm­bar­keit noch auch nie­der­ge­schrie­be­ne, mate­ri­el­le Schrift. Schwie­rig. Aber kaum anders zu (be-)greifen. Denn wie das Schrift­li­che-im-Münd­li­chen braucht auch die Datei etwas Phy­si­sches, um wahr­nehm­bar zu wer­den, sich zu mate­ria­li­sie­ren oder davor zu schüt­zen, dahin zu ver­schwin­den, wo sie nie war. Sie braucht eine Hard­ware. (Man könn­te auch an Klaus Kus­anow­sky anschließnd von der Datei als einem Un-Doku­ment sprechen).

Damit aber ist die Datei als Unwa­re weder Ware noch Pro­dukt, ist eine Spur, die zwi­schen Münd­lich­keit (der gerüch­te­ar­ti­gen Aus­brei­tung ohne Ver­lust bei der Wei­ter­ga­be) und Schrift­lich­keit (als auf­ge­zeich­ne­te Spur an etwas Phy­si­schem, des­sen es bedarf wie eines Kör­pers, mit dem es aber nicht ver­wech­selt wer­den kann) changiert.

Als rex cogi­ta­ta inex­ten­sa braucht die Datei immer eine res cogi­tans (Urhe­ber) zu ihrem Ent­ste­hen, und eine res exten­sa (Hard­ware) zu ihrer Rea­li­sie­rung. Selbst ist sie nichts von bei­dem, ist ein Drit­tes. Wür­de Des­car­tes fra­gen: Ent­we­der res cogi­tans oder res exten­sa, könn­te man ihm nur ant­wor­ten: Sie ist das Ent­we­deroder. Sie ist genau jenes „inter“, das das Inter­net ausmacht.

Fak­tor 4: Der unvoll­stän­di­ge Tausch

Das Pro­blem für die klas­si­sche Öko­no­mie besteht nun dar­in, dass sie nur den Aus­tausch von Waren, von res exten­sa gegen res exten­sa in den Blick neh­men kann (ggf. unter Ein­be­zie­hung einer res cogi­ta­ta inex­ten­sa wie dem „Wert“ – wor­über sich eben­falls treff­lich nach­den­ken lie­ße). Der Aus­tausch der Unwa­re gegen Geld, des Undings gegen Din­ge bringt die­se Öko­no­mie ins Tau­meln – und erfor­dert die Erar­bei­tung einer Digitalökonomie.

Die­ses Tau­meln ist das Tau­meln Grie­chen­lands. Wäre das Finanz­sys­tem ein geschlos­se­nes Sys­tem, in dem nur Ungel­der zir­ku­lier­ten, gäbe es das Pro­blem nicht. Es gäbe aber auch die­ses Sys­tem nicht – denn es könn­te dann ein jeder belie­big Kre­dit­files erzeu­gen, die unab­läs­sig „sinn­los“ zir­ku­lier­ten. Es braucht einer­seits die Fik­ti­on der Reprä­sen­ta­ti­on von Rea­li­en durch Digi­ta­li­en (also die Fik­ti­on, Kre­di­te ent­sprä­chen vor­han­de­nen phy­si­schen Arte­fak­ten wie etwa Gold oder Geld­schei­nen): Grie­chen­land kann sich nicht als File­sha­rer ver­ha­ten, um durch Kre­dit­down­loads die eige­ne Situa­ti­on durch File­share­hol­der Vau­el zu retten.

Zum ande­ren braucht es die Ver­haf­tung von Men­schen in die­se Fik­ti­on. Kre­di­te wer­den an Schuld­ner übli­cher­wei­se nur gegen phy­si­sche „Sicher­hei­ten“ her­aus­ge­ge­ben. (N.B. Eine Fest­plat­te mit 1 Mil­li­on Musik­da­tein im „Han­dels­wert“ von 1 Mil­li­on Euro wür­de übri­gens von kei­ner Bak der Welt als Sicher­heit akzep­tiert wer­den, nicht ein­mal für einen Kre­dit über 1 Euro – was der Musik­in­dus­trie zu den­ken geben sol­le, die dar­auf besteht, dass das File­sha­ring mit öko­no­mi­schen Wer­ten handelt …).

Die Schuld­ner sind in der Pflicht, den aus der Luft geschaf­fe­nen Kre­di­ten Rea­li­en gegen­über zu stel­len (das ist der Hin­ter­grund der über­all zu hören­den For­de­rung, die Finanz­wirt­schaft sol­le sich gefäl­ligst wie­der an der „Real­wirt­schaft“ ori­en­tie­ren und „rea­le Wer­te“ erzeu­gen. Und im Fal­le eines Kre­dit­aus­fal­les wer­den die­se Rea­li­en von der Bank ein­kas­siert – zum Bei­spiel in den USA im Wege der Zwangs­ver­stei­ge­rung von Häu­sern, die mit NIN­JA-Kre­di­ten gekauft wur­den). Zudem for­dert die Bank viel­leicht die Rück­zah­lung aus dem Arbeits­ein­kom­men – und stellt damit dem Ungeld Arbeits­leis­tung gegen­über. Es sind die Schuld­ner, die dafür sor­gen müs­sen, dass die Luft­kre­di­te nicht zu einem frei flot­tie­ren­den Datei­sys­tem werden.

Die­ses Phä­no­men der Kop­pe­lung von Ungeld oder Unwa­re als Datei auf der einen Sei­te und phy­si­scher War auf der ande­ren Sei­te war hier als „unvoll­stän­di­ger Tausch“ beschrie­ben wor­den. Eine Sei­te des Tauschs muss etwas in den Tausch ein­brin­gen, das ihr nach den Tausch­pro­zess nicht mehr gehört, des­sen Besitz- und Eigen­tums­an­spruch die­se Sei­te auf­gibt: Der Schuld­ner muss eine Sicher­heit brin­gen, der Musik­down­loa­der muss mit Geld bezah­len, das aus sei­ner Real­ar­beit erzeugt wur­de (und nicht aus Luft). Dem­ge­gen­über ste­hen die (Daten-)Banker, die etwas in den Tausch ein­brin­gen, das sie hin­ter­her noch besit­zen: der Musik­down­loa­d­an­bie­ter stellt eine Datei zum Down­load zur Ver­fü­gung, die sich der Down­loa­der her­un­ter­lädt, ohne dass sie hin­ter­her beim Anbie­ter gelöscht wird. Die Logik des Gerüchts, wie gesagt. Ver­hält sich der Down­loa­der wie der Anbie­ter (indem er sei­ne Datei zum Down­load ver­füg­bar macht), wür­de er sich eben­so straf­bar machen, als zahl­te er mit einem selbst gene­rier­ten Kredit.

Er wird dar­auf fest­ge­legt, die Digi­ta­lie mit einer Rea­lie zu beglei­chen. Das ist der unvoll­stän­di­ge Tausch. Des­we­gen wer­den File­sha­rer ver­folgt. Des­we­gen muss Grie­chen­land sei­ne Staats­ei­gen­tü­mer ver­äu­ßern. Und zwar umso mehr Staats­ei­gen­tü­mer, je grö­ßer die Datei­en sind, die von den Ban­ken aus der Luft gene­riert und durch Rück­zah­lung (statt durch simp­le Abschrei­bung) zum Ver­schwin­den gebracht wer­den (wobei man aller­dings anfü­gen müss­te, dass durch ihren „Ver­kauf“ an Klein­an­le­ger, die Ver­nich­tung die­ser Kre­di­te auch auf ande­rer Sei­te wie­der­um zum Ver­lust von Rea­li­en führ­te; aber das ist eine ande­re Geschichte).

Abschluss­fä­hig­kei­ten

Schel­lings Theo­rie der Kunst, die die Gegen­über­stel­lung von Sub­jekt und Objekt auf­hob im Sub­jekt-Objekt des Kunst­wer­kes mag ein guter Bezugs­punkt sein. Eben­so die Eulen­spie­ge­lei, in der der Schelm den Geruch von Bra­ten mit dem Klang des Gel­des bezahl­te (hier).

 

Aus­blick

Die­se Phä­no­me­ne wer­den sich im Wirt­schafts­le­ben aus­brei­ten. Alles Beschrie­be­ne ist, soweit es sich heu­te schon zeigt, nur ein Vor­bo­te der kom­men­den Digi­ta­l­öko­no­mie. Die­se mit Theo­rien, Kon­zep­ten, Begriff­lich­kei­ten und Hand­lungs­emp­feh­lun­gen aus der klas­si­schen Waren­öko­no­mie begrei­fen zu wol­len, führt m.E. in einen fata­len Tau­mel, der kei­nen Stein auf dem ande­ren lässt. Es ist höchs­te Zeit für die Ent­wick­lung einer digi­ta­l­öko­no­mi­schen Theo­rie und ent­spre­chen­der Gesetze.

Videant con­su­les ne quid res publi­ca detri­men­ti capiat.

 

§ One Response to Unware, Ungeld, Digitalökonomie (Teil 2): Könnte Griechenland sich durch Filesharing retten?

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