Klaus Kusanowsky arbeitet sich seit einigen Postings an dem von ihm entworfenen und aus einer Beobachtung der Veränderungen des Begriffs des Dokuments gewonnenen und geschärften Begriffs des “Performats” ab. Ich zitiere sein Definitionsperformat (nicht mißzuverstehend als zitiertes Dokument!):
Bei Performaten handelt es sich um dauerprozessierte und fluktuierende Formen der Repräsentation von Sinnkondensaten, für die ein Beobachtungsschema gefunden werden müsste, das Manipulation weder ein- noch ausschließt. (Quelle)
Wenn ichs recht verstehe ist dieses Performat ein nur kurzzeitig zum Stillstand gerinnendes Flottieren, das Unterschiede wie Dokument/nicht Dokument ebenso kassiert wie wahr/falsch identisch/nichtidentisch. Das Performat ist — würde ich hinzufügen — von dritter Ordnung und dem dem Gerücht ähnlich, das durch zusätzliche Operationen als wahr/falsch qualifiziert werden kann — aber als Gerücht bereits “wirksam” ist. Zugleich aber immer selbst in Verdacht (wobei der Verdacht selbst ein Drittes zwischen schuldig/unschuldig ist …) steht, unwahr zu sein — und als an der Sohle der Wahrheit klebend auch die Qualifikationen “falsch” und “wahr” immer mit dem Zusatz versieht “bis zum Beweis des Gegenteils” (die Journaille erfährt dieses mächtige Wiederkehren gerade im Falle Brunner, der bereits aufs Piedestal gestellt und von “feigen Mördern” brutalst gemordet plötzlich an Herzschwäche verstarb und selbst unbedrängt den ersten Schlag getan haben könnte … mehr dazu in der Yellow-Press bei SpON, ZEIT nochmal ZEIT, — Freunde ihr macht euch so unglaublich lächerlich und stürzt den “Qualitäts-Journalismus in die Hölle der Performate … Zurück zum Thema).
Kusanowsky zieht aus dem Nie-Vorliegen von Dokumenten im Internet, dem permanenten (nur durch längere oder kürzere Pausen unterbrochenen) Prozessieren der Datencluster und der “Manipulation” sowohl durch User als auch durch genutzte Programme, die permanente De-Kontextualisierung und Re-Kontextualisierung (Copy+Paste mit/ohne Textveränderung wie etwa von Creative Commons beschrieben; RSS-Einbindung, Tweeit, Facebook Share …) die Konsequenz, dass nicht mehr von Dokumenten, sondern eben nur durch aus der Performanz abgeleiteten Performaten gesprochen werden kann. Weitres dazu bei Kusanowsky selbst hier unter dem Suchbergriff “Performat” in seinem Blog “Differentia” hier und hier.
Zum Theater und seinen Figuraten
Dieser Begriff des Performats lässt sich nun auch enorm fruchtbar auf die theatrale Kategorie der Figur (wikipedia) anwenden. Traditionell ist die Figur verstanden als etwas eigentlich dem Drama vorhergehendes, Statisches. Ein “Charakter”, der sich im Drama mehr oder weniger entfaltet. Der durch unterschiedliche Darsteller und Darstellungen zwar verschiedene Schattierungen gewinnt, aber aus der Vielzahl von Schattierungen nur immer mehr zum Über-Charakter transzendiert, weil alle Schattierungen bereits in diesekm Vorliegenden angelegt sind. Nennen wir Nora, Hamlet, Faust, Karl Moor, Richard III, Ophelia, Antigone, Medea. Als Gäbe es einen dokumentierten Original-Charakter, das nunmehr in verschiedenster Weise re-produziert wird. Nicht als Faksimile, sondern als Re-Produktion. Wobei das Wertreue-Dogma natürlich das Faksimile fordert ..
Die theoretsche Auseinandersetzung mit dem Figurenkonzept im Umfeld der Performativitätsforschung hat unter dem Begriff der “Figuration” darauf geantwortet, dass die Figur ein aus dem Prozess der Figuration entstandenes Gebilde ist — ein Ergebnis der performativen Figuration, nicht aber ein (mehr oder minder) mimetisch nachgeahmtes Vor-Handenes. Die Figur also als Produkt der Figuration und nicht als Wiederholung eines Originals.
Will man sich nunmehr voran bewegen, muss auch der Begriff der Figur fallen — und ins Figurat aufgelöst werden. Das Figurat ist demnach eine durch das Prozessieren des Textes er- und aufscheinende Oberflächenillusion, die dem Gerücht gleich im Wesentlichen unentschieden zwischen wahr/falsch schlingert. Die für Momente “wahr” scheinen mag, für Momente deutlich “falsch” spielt. Die aber nicht durch “Einfühlung” in eine “Rolle” erzeugt wird. Als Konzept für mich enorm spannend, weil es einen fantastischen Spielraum eröffnet, der von den Figuranten (formerly known as Schauspieler) als Freiheit angenommen werden kann, nicht den ganzen Abend der oder die selbe “sein” zu müssen. Es ist — physikalisch gesprochen — der Übergang von einem atomaren teilchen-Modell der Welt, in dem sich Atome verhalten zu einem Wellen-Modell, in dem sich Ladungsfelder mit gewisser Wahrscheinlichkeit an bestimmten Stellen aufhalten, zugelich verschioedene Wege benutzen um zwischen zwei Positionen zu wechseln und jedenfalls nie wirklich “fassbar” sind.
Es müsste die Handlung nicht vom Charakter ableiten — sondern das Aktat als die kurze Pause des kommunikativen Prozessierens verstehen. Naja, jedenfalls funktionieren meine Postdramen so, denke ich.
“Ich zitiere sein Definitionsperformat (nicht mißzuverstehend als zitiertes Dokument!)”
Ja, aber wie mach ich das? Wie verstehe ich ein Zitat mit Quellenangabe NICHT als Dokument miß?
Für Ratschläge wäre ich dankbar.
Zunächst platt technisch: Weil die Seite momentan bei jedem Besuch dieselbe sein mag — was aber nicht sicherbar ist. Nachträglicher Eingriff vermag sie jederzeit zu verbessern, verändern, überarbeiten oder zu löschen. Was durch implizite Kodizes “unfein” genannt werden mag, sich aber nicht durch technische Vorrichtungen (an denen die DE-Mail Anbieter gerade verzweifelt schrauben..) nicht gesichert werden kann.
Zudem wird eventuell ein Leser des Ausgangsfließtextes nach lektür meines Zitates zurückkehren auf den Ausgangsfließtext und festgestellt haben, dass sein (Miß-)Verständnis meines Fließtextes, der den Ausgangsfließtext (miß-)interpretiert hat, so verändert, dass das ursprüngliche (Miß-)verständnis dieses Lesers sich zu einem neuen (Miß-)Verständnis gewandelt hat.
Das übrigens — so möchte ich hier dokumentieren . ist keine Lanze für die postmoderne Beliebigkeit oder das Supplement und die Pfropfung im Sinne Derridas. Es soll lediglich an eine gewisse Vorsicht im Umgang mit Texten erinnern, die nicht für Dokumente gehalten werden sollten.
P.S. Ich habe etwas in der von Kusanowsky zitierten Passage geändert.
Kann man ein Buch, das Kusanowsky in seinem inzwischen an vielen Stellen gut dokumentierten Konzept des “Dokuments” unterbringen würde (das Konzept des “Dokuments”, inzwischn unzählige Male wiedergekäut, ist demzufolge für mich kein Performat) zweimal auf die gleich Weise lesen? Die Erfahrung jedes passionierten Lesers widerspricht dem.
Genauso: Könnte es nicht sein, daß man etwas an einer Website ändert, gerade damit nach wie vor das gleiche dasteht?
Kann dir in keinem Punkt widersprechen. Der Charakter des Dokuments (oder das Konstrukt “Dokument”) ist von enormer Fragilität immer schon gewesen. oder von einer gewissen Gewalttätigkeit bzw. Gesetzesgewalt garantiert. Auch das Buch entwischt dem Dokumentarischen aus der identischen Reproduzierbarkeit des Leseprozesses. Und der Leser und Schreiber auch — garantiert dein “Anonymus”, dass du derselbe bist, der du vorhin warst? Selbst wenn du derselbe bist (und nicht etwa zwischendrin nochmal Kusanowsky gelesen hast)? Während das Buch aber in seiner Herstellung und Vervielfältigung noch unternimmt, eine “Selbigkeit” wenigstens materialiter zu garantieren — da schwindet diese Selbigkeit im digitalen Umfeld. Denn das was auf dieser Webseite hier zu sehen ist, ist das Ergebnis eines elektronischen Interpretations- und Darstellungsprozesses, ein Prozess, der diese Seite kurz erzeugt, der sie auch anders erzeugen kann, anderswo, in anderem Zusammenhang — und dem Änderungen nicht anzusehen sind. Weil kein “Original” vorhanden ist. Das bringt die wunderbare (und bedrohliche) bewegung in die Sache — bnedrohlich, weil unsere Kultur, unser Staat, unsere Welt im Wesentlichen aus Dokumenten gebaut ist oder doch auf Dokumenten basiert (Gesetzen, Ausweisdokumenten, Originalgemälden, Marken …).
Webseite-Änderung: Er scheint es geändert zu haben — und meinem Zitat angeglichen. Ist damit das von mir manipulativ “dokumentierte” “Dokument jetzt wieder ein Dokument, weil es mit seinem gefälschten Zitat wieder in Übereinstimmung gebracht wurde durch manipulativen Akt? Und somit die Fälschung wieder zu einem Zitat gemacht hat?
“Während das Buch aber in seiner Herstellung und Vervielfältigung noch unternimmt, eine “Selbigkeit” wenigstens materialiter zu garantieren – da schwindet diese Selbigkeit im digitalen Umfeld.”
“Weil kein “Original” vorhanden ist.”
Gut, aber was ist beim Buch als das Original zu bezeichnen. Gibt es da eins, was sich ohne Schwierigkeiten deiktisch bestimmen liesse? Die Fassung letzter Hand, das Manuskript, die Erstausausgabe? Das jemals ein Original DA gewesen wäre ist eben jenes Phantasma, dessen Trughaftigkeit heute selbst von den kritischen Editionsphilologen eingestanden wird. Es gibt kein Original, was nicht seinerseits schon wieder unter dem Verdacht stehen müsste blosse Kopie zu sein. Und dennoch ist es notwendiger Schein von einem solchen ausgehen zu müssen. Wie der Glaube, daß das Konzept des Dokuments und des Performats von Kusanowsky etwas Stabiles (alle Änderungen der Defintion sind marginal, weil sie in einem identischen Bedeutungsbereich verbleiben)sei, auf das man zurückkommen, das man (unter Angabe von Quellen oder durch Nachfrage beim Autor) zitieren kann. Würde Kusanowsky seine Definition einmal ändern in “Ein Performat ist ein Nicht-Performat” wäre ich sogar geneigt ihm zu glauben.
Gut dass das Original durch Anführungszeichen als Zitat gekennzeichnet war — denn selbstverständlich ist die Frage nach dem originalen Original nahezu sinnlos. Allerdings sind die editionsphilologischen Praktiken, die als solche wissenschaftlich legitimiert und als gültig anerkannt sind, eben genau die Erschaffungsbedingungen von etwas, das hinterher als Dokument dienen kann. Stimme dir in fast allem Weiteren zu — auch dem notwendigen Schein. Oder in der Identität von Identität und Nicht-Identität bzw. von Performat und Nichtperformat. Der “identische Bedeutungsbereich” scheint mir so nicht haltbar, da die Bedeutung eben — wie du zuletzt ja schriebst — eben ein Konstrukt des Leseprozesses ist, insofern kleine Verschiebungen große Bedeutungsunterschiede nach sich ziehen können. Wobei “klein” nicht einmal meinen muß, nur wenige Buchstaben zu betreffen. Um mich dann für heute zu verbschieden würde ich schließen: das Performieren des digitalen Raums schafft eine erneute Achsamkeit für einerseits die Prozesse und Praktiken, die zur Genese von “Dokumenten” notwendig sind (weil die Dokumentarität nicht dem Dokument angesehen werden kann) und andererseits auch für die Imperfektion des Dokuments selbst. Das sich nunmehr in einer Weise verflüssigt, dass die Versuche, an diesem Konzept fest zu halten geradezu rührend erscheinen. Oder von sinnloser Gewalt.
“Das sich nunmehr in einer Weise verflüssigt, dass die Versuche, an diesem Konzept fest zu halten geradezu rührend erscheinen. Oder von sinnloser Gewalt.”
Nunja, das Dokumentarische, wie das Archivarische, hat sich ja seit dem alten Noah bis zum Luhmannschen Zettelkasten instauriert gerade auch um einer gewissen “sinnlosen” Gewalt zu trotzen.
Sackt das Kölner Stadtarchiv ab, einhergehend mit dem Verlust unschätzbarer Mengen von “Original-Dokumenten” ist das m.E. nicht nur ein Grund zum Feiern. Und jene, die am Erhalt interessiert waren, lassen sich nicht durchweg als rührende oder sinnlos gewalttätige Reaktionäre denunzieren.
Im Gegenteil: die Zerstörung von Dokumenten, man denke nur an Bücherverbrennungen der Nazis,kann selbst Zeugnis dessen sein, was du bezeichnest mit: sinnloser Gewalt.
@Anonymus: Kann man das Konzept des “Konzepts” (in deinem Beispiel die Arche, das Archiv)und den ihm eigenen Trotz, eine “Sache” auf Dauer zu stellen und — als Dokument ‑in ihrer Einzigartigkeit vor Verletzung und Zerstörung zu bewahren nicht in Opposition setzen zu dem Trotz, der diesem Trotz trotzt?
Ein Performat wäre somit eigentlich nur ein masochistisches Dokument, was unausgesetzt den Befehl aussendet: Verletz mich, schlag mich, mach mich kaputt. Beweise mir deine Wertschätzung dadurch, daß du mich geringschätzt.
“Ein Performat wäre somit eigentlich nur ein masochistisches Dokument, was unausgesetzt den Befehl aussendet: Verletz mich, schlag mich, mach mich kaputt. Beweise mir deine Wertschätzung dadurch, daß du mich geringschätzt.”
Das ist hübsch und gefällt mir gut. Die sadistische Seite wäre mithin die auf Erhalt, Verbleib, Unveränderlichkeit beharrende “Dickköpfigkeit” des Dokuments?
Worauf ich eigentlich jedoch hinaus wollte: Die performative Unterscheidung von Performat und Dokument drängt(masochistisch) nach Dekonstruktion, will kaputt gemacht werden und macht sich selbst kaputt; widerstreitet damit ihrer gegenstrebigen Tendenz, sich dokumentarisch zu verhärten.
Es ließe sich in Bezug auf Dokument/Performat weitestgehend nach dem Vorbild von Derridas Dekonstruktion der Austinschen Unterscheidung von performativen und konstativen Sprechakten (in Limited Inc. und Signatur, Ereignis, Kontext) verfahren?
“Es ließe sich in Bezug auf Dokument/Performat weitestgehend nach dem Vorbild von Derridas Dekonstruktion der Austinschen Unterscheidung von performativen und konstativen Sprechakten (in Limited Inc. und Signatur, Ereignis, Kontext) verfahren?”
Ja, jedenfalls halte ich´s für äusserst problematisch ‚überhaupt davon zu sprechen ein allesbestimmendes Beobachtungsschema würde durch ein anderes ebenso Dominantes abgelöst und dabei zu vergessen, daß dies (nur) eine Beobachtung (unter Verwendung eines bestimmten (welchen?) Schemas) ist. Man kann und konnte m.E. das Dokumentschema (wie jedes Schema) stets verschieden beobachten.
Die Auffassung, es habe zu jeder Zeit nur EIN Schema zur Beobachtung des Dokuments gegeben will mir nicht einleuchten.