Vor einiger Zeit hatte ich (hier und hier) über das erstaunlich komplexe Problem von Öffentlichkeit und Privatheit im Zeitalter des Internet geschrieben und kurzen Austausch mit msprO dazu, der Verwandtschaft zu seinen Gedanken konstatierte, die ich nach der weiteren Entwicklung und Lektüre seines Vortrags ganz und gar zurückweisen möchte. Ich fürchte, ich stehe seinem Standpunkt konträr gegenüber.
fxneumann wies darauf hin, dass der von msprO geforderte Typus des seine Privatheit dahingebenden Menschen vermutlich eines (übrigens eher an Superman oder an den I‑A-blökenden Esel als an den großen Bejaher des Fatum bei Nietzsche gemahnenden) Übermenschen bedürfe, was msprO zustimmend kommentierte.Allerding zeigt auch schon fxneumanns Zusammenfassung der Utopie, wohin die Reise geht. Was er das “Recht des Anderen” nennt, nenne ich die Aufseherordnung des Gulag, dessen “Übermensch” der armseligste, überwachteste Häftling in seinem karibischen Drahtgitterkäfig ist:
Die totale Filtersouveränität des Anderen ist eine Utopie: Eine Utopie, die auf einen informationellen Übermenschen angewiesen ist, der keine Scham, kein Bedürfnis nach Intimität kennt, der so abgehärtet ist, daß keine Beleidigung, keine allzu ehrliche Meinung des Anderen durch seine (nicht nur technischen) Filter schlüpft.
Die gewohnt scharfsinnige (vielleicht auch spitzfindige) Umkehr des Rechts des Anderen durch Kusanowsky zum Recht des Anderen des Anderen (also mir) mag weiterer Überlegungen bedürfen. Ich bin gespannt, was Kusanowsky und msprO noch so an Scharmützeleien und gegenseitigen Schlumpfereien einfallen mag.
Vorweg: Ich habe nicht besonders viel Erfahrung mit Lévinas, glaube aber aus dem Wenigen, das mir unter die Leseaugen kam, zumindest Bedenken anmelden zu dürfen, ob dieser “Andere” tatsächlich in irgendeiner Weise ein “Recht” anzumelden berechtigt, befugt oder auch nur willens wäre. Die ungreifbare Kategorie des Anderen bei Lévinas ist eine eher appellierende Instanz, die sicherlich keine “Querys” nach mir durchführt oder gar verlangt, meine Informationen suchen, wissen oder fordern zu dürfen. Gar ein “Recht” abzuleiten, d.h. prinzipiell auf eine höhere (juristische oder göttliche) Instanz damit Bezug nehmen zu wollen, die dieses Recht einklagbar oder garantiefähig machen würde, scheint mir enorm problematisch.
Der ANDERE große Bruder
Tatsächlich ist der “Andere” bei msprO ehereine verschleierte Gestalt von Big Brother — wenn nicht gar des Foucaultschen Überwachers im Panoptikon. Drei Zitate von msprO:
Die neue Öffentlichkeit ist der Andere.Wir können uns also diese Öffentlichkeit – wie sie im Internet existiert – gar nicht vorstellen. Und wenn wir es versuchen, liegen wir falsch – per se und per definitionem. […] So falsch wie der, der seine Hausfassade verpixelt, weil er glaubt, dass er dem Anderen den Zugriff auf diese Daten verwehren darf, weil er zu wissen glaubt, was dieser damit vorhat. In all diesen Fällen wird sich nicht eben an einer allgemeinen Öffentlichkeit vergangen, die in der Tat Dinge in die allgemeine Relevanz erhebt, oder nicht. Nein, hier wird für den Anderen entschieden und zwar ohne Kenntnis seines Interesses, seiner Filter und seiner Kompetenz.
Das radikale Recht des Anderen ist die Souveränität beim Filtern.
1. Vorauswahl von Information ist ein Eingriff in die Filtersouveränität des Anderen. Alles, was wir Informationen unzugänglich machen (z.B. durch Netzsperren), sei es, indem wir Dinge nicht publizieren, indem wir Dinge zurückziehen, indem wir Informationen löschen, schränkt die Filterfreiheit des Anderen ein. Wir haben dazu kein Recht.
Der Andere meldet sein Recht an, alles von mir zu wissen. Ich darf ihm nichts entziehen, nichts vorenthalten, nichts löschen. Das ist der Traum von der totalen Information und der totalen Überwachung. Wer kann dieses Recht mir gegenüber » Read the rest of this entry «